protestera-+-eat-the-bitch-@menschenzoo,-hamburg,-20160722

Nachdem mir eine Freundin um die Weihnachtszeit herum die Hamburger HC-Punk-Band EAT THE BITCH ans Herz gelegt hatte, war ich neugierig geworden. Tatsächlich hatte ich nach Ende meiner (für meine Verhältnisse) Konzertflautenzeit ja die meisten der aktuell aktiven HH-Underground-Punkbands mind. einmal live gesehen, EAT THE BITCH waren mir bislang aber immer durchgeflutscht. Am 13.02. hätte es im Menschenzoo eigentlich soweit sein sollen, doch leider fielen sie verletzungsbedingt aus. Am 22.07. dachte ich mir dann „Jetzt oder nie!“, wenngleich mir das Datum strenggenommen schon wieder nicht ganz in den Zeitplan passte. Egal, denn mittlerweile hatte ich mich längst mit dem Material der Band befasst und hatten mich die kurz zuvor ins Netz gestellten brandneuen Aufnahmen umso neugieriger gemacht.

Der nach wochenlangem Schmuddelwetter nun sehr schwüle Freitag lud nach einem Abstecher zur Protestaktion an der Hafenstraße ein, so lange wie möglich vor dem Menschenzoo „Platte zu machen“, statt sich in den Keller an den Tresen zu begeben oder sich am Kicker zu vergnügen. Auffallend war, wie viel weibliches Publikum diese Bandkombination anzog. So wurden die ersten Ratsherrn geköpft (klingt doch gut, diese Formulierung…), bis EAT THE BITCH vor die Bühne baten, um den Schweißausstoß endgültig auf die Spitze zu treiben. Von der ersten Sekunde an gab’s derben, rauen, unprätentiösen HC-Punk ohne Umwege auf die Zwölf. Sängerin Jona singt auf den neuen Aufnahmen noch mal extremer, aggressiver als früher und dementsprechend auch auf der Bühne, angenehmerweise ohne auf ein dezentes melodisches Timbre zu verzichten, was einen zusätzlichen Wiedererkennungseffekt bewirkt. Die Texte verfügen über eine düstere, desillusionierte Note (die neue Scheibe heißt dann auch „Desillusioniert“) und unterscheiden sich generell stark von Parolengedresche oder abgegriffenen Klischees. Die sich vornehmlich mit politikbedingten Missständen auseinandersetzenden Lyrics empfinde ich mitunter als noch etwas holprig, die persönlicher geprägten sind hingegen exakt nach meinem Geschmack! Soundmann Norman zauberte einen glasklaren, differenzierten Sound, so dass Gitarre und Bass kräftig wummerten und sägten, die (ebenfalls von Damenhand bedienten) Drums druckvoll kesselten und Jonas Stimme durch Mark und Bein ging. Die zahlreich erschienenen Anwesenden dankten es mit ausgelassener Stimmung, Applaus und der eine oder andere legte trotz der Temperaturen grobmotorische Tanzschritte aufs Parkett. So geil die neuen Aufnahmen auch sind, mein Favorit bleibt „Fressen & kotzen“ vom Demo, ohne den man erschreckenderweise die Bühne verlassen wollte. Ohne Rücksicht auf den konditionellen Zustand der Band zu nehmen, mischte ich den Titel unter die „Zugabe“-Rufe. Diese wurden dann auch erhört und Jona durfte noch einmal beweisen, wie unfassbar schnell sie singen kann. Diese astreine Gänsehautnummer ist der reinste Zungenknoter. Sogar ‘ne weitere Zugabe war noch drin: „I Saw You Die“ der Hannoveraner NEUROTIC ARSEHOLES, der ebenfalls prima ins Set passte. Dumm nur, dass ich den gefühlt 100 Jahre nicht mehr gehört hatte und zwar die titelgebende Zeile prima mitsingen konnte, den Rest aber nicht und so auf phantasieenglisches „blablabla CRY!“ zurückgreifen musste, als Jona mir aufmerksamerweise das Mikro vorhielt („And I Began to Cry“ wär’s gewesen). Wie unangenehm 😀 Meine positive Erwartungshaltung wurde voll bestätigt, EAT THE BITCH reihen sich vorne in eine ganze Reihe Hamburger Underground-Band aus der Punk- und HC-Ecke ein, die dafür sorgen, dass die lokale Szene zumindest in Sachen Livemucke seit einiger Zeit wieder so viel Spaß macht!

Nach äußerst erholsamer Pause an der guten alten Frischen war es an PROTESTERA aus Göteborg, den Energielevel wieder nach oben zu peitschen. Die Anarcho-/HC-Punkband gibt’s glaube ich bereits seit Ende der ‘90er und hat meines Erachtens 2010 ‘ne deutliche Metal-Kante bekommen. Den Hauptgesang übernimmt die Bassistin, die sich jedoch häufig mit einem der beiden Gitarristen abwechselt, die Texte sind überwiegend in Landessprache gehalten. PROTESTERA verfügen über eine bissige, kämpferische Attitüde, die im Auftreten und natürlich in den Ansagen der Band zur Geltung kommt, auch ohne die Texte zu verstehen. Was ich aus der Konserve als auf Dauer etwas gleichförmig und monoton empfunden habe, kam bei diesem Live-Sound sehr kompakt und zwingender rüber, so dass auch dieser Gig gut ins Bein ging. Das hatte ich mir im Vorfeld irgendwie schablonenhafter vorgestellt, doch so kann man sich täuschen. Die Mischung aus Aggressivität, positivem Kampfgeist und musikalischer Vollbedienung zwischen hektisch, brachial und atmosphärisch lief mir an diesem Abend ausgezeichnet rein, wozu abermals die von wenigen Momenten abgesehen gute Stimmung im Menschenzoo beitrug. Aber auch andere Faktoren trugen zu meiner Euphorisierung bei – beispielhaft seien nur die kopflosen Ratsherrn genannt, aber auch meine Vorfreude auf den nächsten Abend –, so dass ich jegliche Objektivität weit von mir weise. Angesichts all dessen lud der Menschenzoo ein, noch das eine oder andere Stündchen zu verweilen, doch Pflicht und Vernunft riefen, also sieben Sachen inkl. EAT-THE-BITCH-Merch (leider kein weißes T-Shirt in meiner Größe mehr), „Feierabendbier“ und an diesem Sommerabend unnützer Jacke zusammengesammelt und zurück in den eigenen Atombunker, bevor es am nächsten Nachmittag mit DMF in den wilden Osten ging…