Hafengeburtstag! Mir eigentlich egal, wer da was feiert, denn unsereins feiert seine Szene und Subkultur abwechselnd auf zwei Bühnen: der Onkel-Otto-Bühne am Störtebeker und der großen, zum offiziellen Programm gehörenden Jolly-Roger-Bühne direkt an der Elbe. Am Freitag hatte es tagsüber aus Kübeln gepisst und mir schwante schon Übles, doch pünktlich zum Abend hatte der Wettergott ein Einsehen und schloss die Schleusen. Nach Arbeit und Sport hab‘ ich mich bei Freunden einquartiert und die frohe Kunde vernommen, dass man am Störte dem Zeitplan hinterherhinkt und KANISTERKOPF noch gar nicht begonnen haben. So konnte ich noch in Ruhe im bzw. aufgrund akuter Überfüllung am Osborne dem Sieg des FC St. Pauli beiwohnen (wo mich eine sich offenbar bereits recht blümerant fühlende Kiez-Touristin fragte, ob ich ein Nazi sei und mich über Toleranz aufklärte, danke dafür…) und kam anschließend bei kaltem, aber eben endlich trockenem Wetter fast pünktlich zu den Kanisterheads, die ich eine Woche zuvor bereits im Menschenzoo gesehen hatte. Aufgrund des Umfang, vor allem aber aufgrund meines exorbitanten Bierkonsums und der vielen während der Gigs geführten Gespräche sowie der permanenten Reizüberflutung fallen meine Schilderungen diesmal kürzer als gewohnt aus – soll sich ja auch keiner ‘nen Tag freinehmen müssen, um das hier zu lesen zu können…

KANISTERKOPF jedenfalls glänzten erneut mit wuchtigem, rauem, aggressivem ‘90s-Hardcore in Trio-Besetzung, präzise wie Sau und mit rustikalem Charme bei gleichzeitiger perfekter Instrumentenkontrolle, wobei ich diesmal verstärkt ein Ohr für die klasse Gitarrenarbeit hatte. Das verbrachialgroovte IRON-MAIDEN-Cover „2 Minutes To Midnight“ schien mir nicht unbedingt jeder der bereits zahlreich Anwesenden erkannt zu haben, ansonsten gefiel mir die Band am besten, wenn sie – na klar – aufs Gas trat. Der gute Norman, Sound- und Technikchef jener Bühne, war jedoch nicht zu beneiden, als er hektisch hin und her lief und dennoch nicht verhindern konnte, dass die Band ständig nach besserem Monitorsound verlangte und sich hin und wieder fies-krachige Störgeräusche einschlichen, di e jedoch dann und wann fast schon zum Bandsound passten. Ansonsten war der Sound vor der Bühne völlig ok und der eine oder andere neigte bereits tanzender- und moshenderweise zur Ekstase.

Dem kreativen oder allgemeinen Chaos geschuldet, war die avisierte Band-Reihenfolge schon wieder obsolet, sodass es zum bestgehüteten Geheimnis des Abends avancierte, wer jene vier Herren waren, die anschließend mittels oldschooligem US-Hektiker-Hardcore à la CIRCLE JERKS und Konsorten (oder so ähnlich, die Songs waren länger, aber bessere Vergleiche fallen mir nicht ein) die Bühne unsicher machten. Sollte der Shouter das zwischendurch dann doch kundgetan haben, muss es untergegangen sein. Ansonsten war man aber recht auskunftsfreudig und vor allem ambitioniert, wie die zahlreichen kritischen bis politisch gefärbten Ansagen und Bekundungen bewiesen. Per Ausschlussverfahren tippte ich auf die Bremer NERVOUS ASSISTANT und lag damit richtig. War nicht verkehrt, wenngleich KANISTERKOPF im direkten Vergleich mehr Druck erzeugten. Nichtsdestotrotz guter Gig ohne jede Blöße. Sämtliche Soundprobleme waren ab nun übrigens auch anscheinend gelöst.

Mittlerweile war’s dunkel geworden und die lokale Lieblings-Ruckizucki-Stimmungskapelle HAMBURGER ABSCHAUM blies durch ihre Trompete zum Angriff. Das Publikum war längst voll auf Betriebstemperatur und in Feierlaune und so wurd’s natürlich ‘ne einzige große Party. Der Stoff des „Endlich!“-Albums wurde mit ein paar neueren Songs angereichert und wurde mal nicht geblechbläsert oder im Dreimannchor geträllert, kam die gefürchtete Kettensäge zum Einsatz. An den eigenwilligen Gitarrensound muss ich mich immer erst mal gewöhnen, an die genial-mitgrölkompatiblen Texte nicht und unser Homie Dr. Tentakel an der Schießbude peitschte das Septett gut nach vorne. Doch als wäre die Bühne mit sieben Kerlen nicht schon ausgefüllt genug gewesen, kletterten nun vermehrt Teile des Publikums auf die Bretter, natürlich ohne anschließend Flachköpper Richtung Asphalt zu riskieren. Selbstlos wie er ist, wies START-A-RIOT-Thomas auf die sich daraus ergebenden Gefahren hin, indem er demonstrierte, wie schmerzhaft es sein kann, auf der Bühne in einem Schlagloch umzuknicken. Liebevoll stand ihm der offenbar gelernte Pferdemetzgerdoktor und ABSCHAUM-Sänger Frank zur Seite, der nach fachmännischer Diagnose anbot, ihn mittels besagter Kettensäge der schmerzenden Extremität zu entledigen. Ich hoffe, er ist wieder wohlauf. „Döp döp döp… Scheiß ich auf die Norm“ hallte es schon vor und auch nach jenem vielleicht größten Bandhit durch die Straßen und im Anschluss an den Gig wusste jeder, was man am HAMBURGER ABSCHAUM hat – wenn der in Spiellaune ist, ist die Party gerettet.

„ÖsLÖ PÖnKRöcK“ spielen die Norweger DANGER!MAN nach eigenem Bekunden, was sich als Mischung aus punkigem Hardcore und hardcorigem Punk mit mal mehr, mal weniger dezenter Melodie-Schlagseite entpuppte. Ein Teil feierte den sehr souveränen und selbstbewussten Gig des Vierers vor der Bühne ab, für andere dienten DANGER!MAN eher als Hintergrundmusik während des Wartens auf und Kräfteschonens für OI POLLOI. Ich war in Gesabbel vertieft, denn der günstig dargereichte Alkohol hatte manch Zunge gelöst und so tauschte man sich mit der Gott und der Welt über Gott und die Welt aus, sodass ich mir jedes weitere Wort über DANGER!MAN jetzt aus den Fingern saugen müsste. Vielleicht noch so viel: Unter http://www.dangerman.no/#releases könnt ihr euch die Veröffentlichungen gratis und offiziell herunterladen.

Die nimmermüden Schotten von OI POLLOI um Shouter Deek gelten gemeinhin als Anarcho-Punk-Band, vereinen aber eigentlich das Beste aus mehreren Sub-Genres: Oi!-Stampfer aus den Anfangstagen zählen genauso zum Repertoire wie hammerharter HC. Kombiniert mit einem unprätentiösen, klischeearmen Auftreten und Alleinstellungsmerkmalen wie Deeks nahezu perfekten Deutschkenntnissen und seinen launigen, repetitiven Ansagen („Mein kurzhaariger Freund!“, „Mein langhaariger Freund!“, „Lasst uns einen Whiskey trinken!“, „Das ist geiel!“) zählen sie seit vielen Jahren zu Publikumslieblingen und sind – außer bei politisch besonders verwirrten Hardlinern – überaus gern gesehene Gäste in den DIY-Schuppen der Republik. Und es tat gut, mal wieder die Hits von „Nuclear Waste“ über „Let The Boots Do The Talking“ bis hin zu meinem Favoriten, „System“, und wie die herrlich räudigen Grobkellen sonst noch alle heißen, um die Löffel gehauen zu bekommen. Die Örtlichkeit war dafür aber die rustikalste Hamburgs, denn der harte Asphalt vor der Bühne ist nicht wirklich eben, mitten durch die Tanzfläche verläuft ein fieser Kantstein und zu vorgeschrittener Stunde ist das Areal natürlich gespickt mit Glasscherben und anderem Unrat. Als ich übermütig wurde und mich kurzzeitig doch in den wüsten Mob stürzte, flog ich natürlich prompt in den Dreck. Ok, das war’s wert, andere sprachen im Nachhinein aber allgemein von übermäßiger Härte im Pit. Möglicherweise trafen auch einfach nur zwei Typen alkoholisierter Adrenalinschwängerung aufeinander, Rücksichtslosigkeit versus Gleichgewichtsstörungen, Hauptsache austoben 😀 Den Gig an sich hab‘ ich als astrein in meiner langsam aussetzenden Erinnerung, Deek sprang aufgekratzt und authentisch angepisst in seinem schwarzen Kapu über die Bühne und seine anscheinend ständig wechselnde Band schüttelte die Songs locker aus den Handgelenken. PULVERTOASTMANN-Holler ward übrigens häufiger auf als vor der Bühne gesehen 😀

Genug hatte ich noch lange nicht, über die Tortuga-Bar ging’s ins Onkel Otto und von dort aus noch weiter durch die Kiezgassen. Insgesamt dürfte ich mich an diesem Abend viermal betrunken haben…

„Scheiße!“, ist häufig mein erster Gedanke, wenn ich nach durchzechter Nacht erwache. Kurz abklopfen und -tasten: Noch alle Gliedmaßen dran, noch alle Zähne im Maul und im Bett oder Bettähnlichen außerhalb einer Zelle oder sonstigen geschlossenen Einrichtung befindend, Handy/Schlüssel/leeres Portemonnaie noch da. Ok, da kann man fast schon wieder La Paloma pfeifen. Das Dumme war nur, dass ein Blick auf die Uhr irgendwas zwischen 19 und 20:00 Uhr anzeigte, was Rückschlüsse dahingehend erlaubte, wie spät bzw. früh es wurde, mich über meine Kondition in Erstaunen versetzte, aber auch bedeutete, dass ich diverse Band bereits vorm Aufstehen verpasst habe. So hätte ich z.B. sehr gern CRASS DEFECTED CHARACTER die Störtebeker-Bühne eröffnen sehen. Nach ’ner Dusche und ’ner Gassirunde kam ich aber erst zu PENADAS POR LA LEY aus Bilbao gegen 21:00 Uhr an, zwei Mädels an Gitarre und Bass und ein Kerl hinter der Schießbude, die melodischen Punkrock in Landessprache zocken und bestens aufgelegt waren. Anfänglich klang’s mit nur einer Klampfe hier und da noch etwas dünn, das gab sich aber im Laufe der Zeit und war so etwas wie der Soundtrack zu meinem persönlichen Sonnenaufgang an diesem Samstag. Und mittlerweile war’s auch nicht mehr so verfickt kalt!

Irgendwann fiel mir dann ein, dass ich ja eigentlich auch endlich mal zur Jolly-Bühne runter wollte, allein schon, um zu horchen, was RUDE PRIDE aus Madrid so an klassischem Skinhead-Oi! fabrizieren. Die waren nur leider fast schon durch, dafür war die Atmosphäre angenehm, BLITZ‘ „New Age“ ist auch als Cover immer gern gehört usw. Leider war die Rhythmusgitarre kaum zu vernehmen, sodass der Sound arg dünn wurde, wenn die Leadgitarre Soli spielte.

Die ersten Bierchen schmeckten längst wieder, als das Feuerwerk das Firmament erhellte und anschließend die SPERMBIRDS zur Tat schritten, die ich nun wirklich keinesfalls hätte verpassen wollen. Mitte der 1980er bis Anfang der ‘90er gehörten die Kaiserslauterer meines Erachtens zum Besten, was Deutschland in Sachen Hardcore zu bieten hatte – in Kombination mit ihrem US-amerikanischen Sänger Lee Hollis, versteht sich. Seit geraumer Zeit sind sie wieder zusammen unterwegs, mein letzter SPERMBIRDS-Gig, seinerzeit im Hafenklang, lag aber auch schon wieder viel zu lange zurück. DAS Hitalbum schlechthin bleibt natürlich das Debüt „Something To Prove“, dessen Songs auch an diesem Abend am meisten knallten. Für meinen Geschmack wurde etwas zu viel von den anderen Alben gespielt, sodass manch Kracher auf der Strecke blieb. Den Spaß und Adrenalinkick minderte das jedoch weitaus weniger als die Atmosphäre, die natürlich nie an einen schweißtreibenden Clubgig ohne Absperrung herankommt. Dennoch ein erfreuliches Wiedersehen mit den Vögeln, von dessen aufputschender Wirkung ich profitierte, als ich wieder kein Ende fand und mir die Nacht noch im Menschenzoo um die Ohren schlug – wenngleich diesmal alles vergleichsweise zivil ausfiel.

Am nächsten Mittag bereits wurde sich aus der Koje geschält und wahnsinnigerweise direkt zur BOLANOW-BRAWL-Probe geeilt, um anschließend mit den Affen zum – na klar! – Hafengeburtstag zu pilgern, wo unsere Kumpels von ARRESTED DENIAL um 17:00 Uhr ihren Streetpunk mit gelegentlichen HC-Einlagen bis hin zu ROXETTE-Covers unters verkaterte Volk brachten. Die nun plötzlich kräftig strahlende Sonne ballerte gut auf den Pelz und lud auch den einen oder anderen dazu ein, sich noch mal vor die Tür zu trauen, wenngleich es auf dem Riesenareal schnell nach versprengtem Häuflein aussieht. Die Band, allen voran Frontsau Valentin, war gut drauf, zu dämlichen Sprüchen aufgelegt und widmete diverse Songs verschiedenen Menschen, die die Band bisher unterstützt haben. Das eine oder andere Stück der in Kürze erscheinenden neuen Platte befand sich ebenfalls im Set und der Sound ging in Ordnung. Makelloser Gig, zu dem sich gut entkatern ließ und es war insbesondere schön, Neu- bzw. Wieder-Basser Timo mal wieder auf der Bühne zu sehen! Dann allerdings strich ich die Segel, verzichtete auf die REAL MCKENZIES und erklärte den diesjährigen Hafengeburtstag für mich für beendet.

Fazit: Drei Tage Hafengeburtstag, drei Tage Ausnahmezustand. Ich vermute, die Bedeutung gerade des alternativen, auch „Affengeburtstag“ genannten nichtkommerziellen Programms am Störtebeker werde ich hier niemandem erläutern müssen. Deshalb Respekt und Danke an alle Beteiligten, die das alljährlich aus dem Boden stampfen. Einzig ärgerlich, jedoch ein Luxusproblem sind die Überschneidungen mit dem ebenfalls i.d.R. sehr interessanten Jolly-Roger-Bühnenprogramm, das auch dieses Jahr bei mir leider reichlich kurz kam. Danke auch an die Meister der Verpflegung, die an der Hafenstraße arschleckere Veggie-Döner und -Burger zubereiten und verkaufen und damit sicherstellen, dass bei allem Gesaufe auch feste Nahrung im Magen landet – wenngleich ich es bei der Plastiktechnobeschallung dort keine fünf Minuten aushalten würde. Nach dem eigentlich immer chaotisch verlaufenden Hafengeburtstag, der sowie immer anders kommt als geplant, schalte ich normalerweise wieder ein, zwei Gänge zurück, was auch bitter nötig ist – soll schließlich nicht mein Letzter gewesen sein. Abschließend noch ein großes Spezialdankeschön an Lena und Timo! You’re the best!