Normalerweise versuche ich es ja zu vermeiden, Punk-/HC-Konzerte in der Markthalle aufzusuchen, jenem seelenlosen Klotz. Zum Studienbeginn hatte ich jedoch so’n Druckerzeugnis von der Uni bekommen, mit dem ich von Oktober bis Dezember je 1x gratis in alle möglichen Hamburger Veranstaltungsorte hineinkommen solle. Da ich allein schon zeitbedingt noch kein einziges Mal davon Gebrauch gemacht hatte, nahm ich den alljährlichen Besuch der alten UK-Punks von PETER & THE TEST TUBE BABIES zum Anlass, es zumindest einmal zu versuchen. Mir schwante schon nichts Gutes, denn dass ausgerechnet die Markthalle etwas zu verschenken hat, konnte ich kaum glauben. Also habe ich mich brav angestellt, den Wisch schließlich vorgezeigt – und mir die erwartete Abfuhr eingehandelt. „Heute nicht! Und ich habe auch keine Ahnung, wie man so etwas vorher in Erfahrung bringen kann!“ War klar, fick dich, Drecksladen, und bevor ich bei dir 25 Tacken für’n Punk-Gig latze, müssen schon Ostern und Weihnachten auf einen Tag fallen. Nach einer erkältungsgeplagten, stressigen Woche mit Studium und Arbeit bis zum Exitus + üblichem Vorweihnachtsremmidemmi sowie der unspektakulärsten Firmen“weihnachtsfeier“ ever (wo ich immerhin mittels Powernapping Kraft tanken konnte, sprich: bin mal kurz weggenickt) war ich nun aber auf Trinken geeicht, zumal sich Madame selbst noch auf ihrer etwas opulenteren Weihnachtsfeier befand und sich später mit mir treffen wollte. Zumindest ‘nen Kleinen wollte ich bis dahin schon heben. Bei Hermann im Osborne bot sich die Gelegenheit, in lauschiger Atmosphäre den HSV live verlieren zu sehen, also ab auf den Kiez und die nächsten drei Bier gehoben, bekannte Gesichter gesehen – und den HSV verlieren.
Madame noch auf Weihnachtsfeier. Was nun? Im Menschenzoo sollte irgendein Konzert stattfinden, weit weniger als halb so teuer, dafür weit mehr als doppelt so angenehm wie in Markthalle. Der Plan stand. Am Eingang informierte man mich, dass ich just die kurzfristig als dritte Band aufgrund eines Ausfalls auf ihrer regulären Tour eingesprungenen FEMME KRAWALL versäumt – und damit echt was verpasst – hatte. Sei’s drum, wegen spezieller Bands war ich ohnehin nicht hier, Namen wie TILIDIN und NITRO INKEKZIA sagten mir rein gar nichts. Das machte nichts, denn bald sagte der TILIDIN-Leadsänger und -gitarrist mit alberner Weihnachtsmütze von der Bühne aus etwas, indem er seine Band vorstellte. Das Trio stammt aus Berlin, eigentlich aber von überall aus der Welt, es handelt sich um „Berlin Punkrock mit Migrationsvordergrund“ sowie „Dirty Immigrant Punk Rock’n’Roll“, nicht ganz alltäglich für ‘ne junge Band und mit diesem zum Image umfunktionierten Umstand kokettierte man dann auch in humorvollen Ansagen und Songtexten, wobei interessanterweise die Titel meist englisch, die Texte jedoch deutsch sind. Musikalisch war das ungezwungener, frecher, frischer, freier Punkrock irgendwo zwischen Punk’n’Roll, Schweinepunkröck und ’77-Anleihen, der sofort Bock auf Bewegung machte. Im überraschend gut gefüllten Zoo bildete sich sodann auch flugs eine pogende, gutgelaunte Menschentraube vor der Bühne und ich war mittendrin. Kühles Ratsherrn sorgte für den nötigen Flüssigkeits- und Mineralstoffausgleich während des Stepptanzes und gleichzeitig für einen sich weiter steigernden Spaßfaktor, sodass bereits mit Ende des klasse TILIDIN-Gigs auch meine Erinnerung fleucht.
Da es nicht nur mir so geht, ist nicht exakt überliefert, ob die hinzustoßende Herzdame noch etwas von TILIDIN gesehen hatte oder erst zu NITRO INJEKZIA auf den Plan trat. Jedenfalls war meine Freude groß, als auch sie kurzerhand zu bleiben und weiterzufeiern beschloss, was wir dann auch kräftig taten. NITRO INJEKZIA ist auch so’ne Migratentruppe in Trio-Größe, russisch und kanadisch, aber ebenfalls aus Berlin. Im Gegensatz zu TILIDIN sang man (soweit mich meine Erinnerungsfetzen nicht täuschen, mehr noch als sonst ist ab jetzt hier alles ohne Gewähr) verstärkt auf Russisch, was dem Ganzen natürlich bischn was Exotisches verlieh. Musikalisch ließ man’s richtig krachen, meist treibender Uptempo-Punkrock mit geilen Melodien, ohne dabei zu poppig o.ä. zu werden. An diesem Abend und in meiner Stimmung kam das einer Offenbarung gleich und so wurde getanzt, gefeiert und gesoffen, als gäb’s kein Morgen mehr – womit ich auch alles andere als allein war. Verdammt großartiger Gig, irgendwie auch eine perfekte Bandkombination an diesem Abend, da gibt’s mal so rein gar nix dran zu mäkeln – auch nicht am Sound, den P.A.-Hexer Norman einmal mehr brillant abgemischt hatte. NITRO INJEKZIA hätte ich eigentlich auch kennen können, das sind weder Frischlinge noch ein Untergrund-Geheimsttipp; keine Ahnung, weshalb die bisher unter meinem Radar flogen.
Zwischendurch outete sich übrigens irgendein Spacko, indem er das FREI.WILD-Shirt offenbarte, das er unter seiner Oberbekleidung trug. Tolle Provo, Digger – wenn man Spaß daran hat, flugs herauskomplimentiert zu werden (wie geschehen). Im Anschluss an den Liveteil blieben wir dann noch auf ein paar Absacker sowie etwas Powernapping, um nach dem Erwachen am Tresen den Heimweg anzutäuschen, aber doch noch im Treibeis auf die Absacker von den Absackern zu landen. In Schlangenlinien ging’s in den gar nicht mal mehr so frühen Morgenstunden schließlich in die Pofe, wo ich am nächsten Nachmittag herrlich ausgepowert und mit geleertem Arbeitsspeicher erwachte und freudig feststellte, TILIDIN-Merch mitgenommen zu haben (EP für die Sammlung und schickes Shört für die Dame). Die spontanen Partys sind eben meist die besten. An diesem Wochenende habe ich aber natürlich so gut wie gar nichts mehr von dem auf die Reihe bekommen, was ich mir so vorgenommen hatte. Danke an TILIDIN, NITRO INJEKZIA, den Menschenzoo und den Alkohol, mich derart erfolgreich vor Überarbeitung geschützt zu haben!
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