Der Gaußplatz feierte letztes Jahr sein 25-jähriges Jubiläum mit einem üppigen Gaußfest, das auch dieses Jahr wieder zur festen Planung gehörte. Bei bestem Freiluftwetter eröffneten statt der leider kurzfristig ausgefallenen EAT THE BITCH die vom Namen her erst mal nach Schlager klingenden PETRI MEETS PAULI aus HH-Bergedorf den Reigen um 19:00 Uhr. Punk’n’Roll meets ’77 meets Garage oder so mit ziemlich fähiger Sängerin, die ab und zu pausieren oder Backgrounds singen durfte, wenn einer der Gitarristen den Hauptgesang übernahm. Dieser entschuldigte sich auch jedes Mal, wenn er sich verspielt hatte, schien das Gaußfest-Publikum demnach für ein sehr audiophiles, kritisches zu halten. Gespickt war das Set mit zahlreichen Coverversionen: Die erste, die ich erkannte, war „Somebody’s Gonna Get Their Head Kicked in Tonight“ vonne YOUTH BRIGADE. Auf einen sehr gelungenen langsamen Song, der ausschließlich von der Dame gesungen wurde, folgte „Blitzkrieg Bop“ – eigentlich totgecovert, hier aber durch den männlich-weiblichen Wechselgesang doch ziemlich geil. Für eine Jam-Session oder so etwas Ähnliches setzte sie sich entspannt auf den Bühnenrand und konterte schließlich mit einer extrem rotzigen „Under My Thumb“-Version. Ein CHEFDENKER-Medley bestehend aus „Immer in Gefahr“ und „Die Welt in 2-3 Minuten“ gewann ebenfalls an der Gesangskonstellation: Der erste Part wurde vom Gitarristen gesungen, der zweite von der Sängerin. Die männlichen Bandmitglieder hatten sich übrigens in Frauenklamotten gezwängt, lediglich der Bassist blieb unverkleidet – meinte man, seine langen Haare würden genügen…? Ein ausgedehnter Zugabenblock bestand aus weiblich gesungenem „Rebel Yell“, einem DICTATORS-Cover sowie RANCIDs „Wars End“, während dem ich mich aber bereits auf dem Weg in die angrenzende Sportbar befand, um mir die WM-Vorrundenbegegnung zwischen den Lokalrivalen Portugal und Spanien anzusehen, die mich dann so richtig fertigmachte. Stimmungsmäßig hatte dann auch die Bar zunächst ggü. dem Gaußplatz die Nase vorn, bestand die eine Hälfte des Publikums doch aus Portugiesen – und die andere aus Spaniern… Cooler PETRI-MEETS-PAULI-Auftritt jedenfalls, hat Laune gemacht und kam augenscheinlich auch gut an.

Als ich zurückkam, hatte ich DUEKER aus Braunschweig verpasst, dafür lärmten gerade vor größer gewordenem Publikum die schottischen HAPPY SPASTICS mit dreckigem Crustpunk. Der Shouter war dermaßen dürr und ausgemergelt, dass ich ihm am liebsten einen der Veggie-Hot-Dogs ausgegeben hätte, an denen ich mich zuvor bereits gestärkt hatte. Was’n da los?! Gut durchs Set grunzen, röcheln und brüllen konnte er sich trotzdem und sprang auch von der Bühne, um vor selbiger mit dem Publikum zu tänzeln.

Der absolute Höhepunkt folgte dann im Anschluss: Die HELSINKI BLOCKHEADS, die nicht etwa aus Finnland, sondern wie DUEKER aus Braunschweig stammen, brannten ein buntes Feuerwerk an Coverversionen vornehmlich alter britischer Oi!-Punk-Klassiker ab. Zwei Sänger sorgten für stimmliche Abwechslung und die Instrumentalfraktion peitschte die Songs flott gespielt nach vorn sowie direkt in meine offenen Ohren, sodass auch ich mich nun tänzerisch verausgabte und beinahe jeden Song frenetisch mitsang. Völlig geniales Brett und hochgradiger Partygarant, dieser Gig. Der musikalische Teil des Abends fand keinen leisen Ausklang, sondern knockte alle mit mehreren Fistfuls of Punk aus.

Am nächsten Tag ließ ich’s locker angehen, sah mir noch in Ruhe Fußball an, ging etwas essen und nahm meine Freundin mit auf den Gaußplatz. Aufgrund der vorgerückten Stunde hatten wir die Schweizer Combos BUTTER und BLACK WIND verpasst, was im Falle der letzteren schon etwas schmerzt, denn man berichtete mir, dass sich diese fulminant durch die Metal-Geschichte gecovert hätten. Zu ART OF TIN TOYS waren wir aber pünktlich und gefühlt standen locker doppelt so viele Besucher wie am Vortag bereit, um sich die wiedervereinten Altpunks um Sir Hake zu geben. Den Gesang teilte sich Hake mit einer Sängerin und dem Bassisten. Das kam zeitweise ganz gut, geriet bisweilen aber zu einer Geduldsprobe, z.B. wenn die Sängerin zu einer Solonummer ansetzte, die sich als ausufernde und leider verdammt langweilige Ballade entpuppte. Je punkrotziger ART OF TIN TOYS spielten, desto besser gefielen sie mir, wobei insgeheim natürlich viele auf „Walfänger“, den größten Hit der Band, lauerten. Als es soweit war, wurden einige Besucher auf die Bühne gebeten, u.a. durfte Platzbewohner Esso das Stück mitträllern – und ihm taten es hunderte Kehlen vor der Bühne gleich. Man muss ihnen lassen, dass sie es geschafft hatten, die Stimmung auf den Höhepunkt zu treiben. Anschließend dämmerte es und viel e zogen sich wieder zurück, einige dürften eigens für diesen Auftritt gekommen gewesen sein.

Wer nicht mehr da war, verpasste „Manchester’s most dangerous band“. WADEYE zockten High-energy-Ska-Punk grob Richtung OPERATION IVY, aber eben in britisch, treibend und aggressiv, hatten aber auch mit einem nicht ganz optimalen Sound zu kämpfen. Das klang alles bischn sehr trocken und die Gitarre etwas dünn. Dafür knallte der Bass gut und ging durchs Mark.  Ich fand’s geil.

Wer glaubte, dass es das gewesen sei, sah sich getäuscht: Offenbar hatte sich noch ein blinder Passagier in Manchester mit in den Flieger geschmuggelt und nutzte die Zeit des Bühnenabbaus, um mit seiner Akustikklampfe in Singer-Songwriter-Manier Working-Class-folkiges Liedgut zu schmettern. Schnoddriger englischer Humor traf auf gefühlvolle, bluesige Songs. Umjubelter Höhepunkt war der Song „I’m an Asshole“, der etwas aus der Reihe fiel, aber dem soeben beschriebenen Humor am nächsten kam. „Let’s get drunk and naked!“, schlug er anschließend vor, musste jedoch noch ein paar Zugaben liefern, bevor er von der Bühne gelassen wurde. Vor dieser hatte sich allein schon deshalb eine Menschentraube gebildet, um sich vorm leichten Sommerregen zu schützen, und diese feuerte den Freak breit grinsend an. Schön bizarrer Abschluss des Festivals, das am nächsten Tag mit dem Zappa-Cup getauften traditionellen Fußballturnier noch weiterging (allerdings ohne mich).

Den wichtigsten Faktor aber habe ich bisher fast komplett unerwähnt gelassen, und dieser sind natürlich die Leute, die diese Sause alljährlich möglich machen, diejenigen, die gekühltes Bier für 1 € raushauen, die an den Essensständen ausharren, die sich um den Sound und die Bandbetreuung kümmern und damit die Grundlage dafür schaffen, dass sich die lokale Szene mit netten Menschen von außerhalb zwei, drei Tage lange vermischt und man in antikommerzieller Wohlfühlatmosphäre miteinander feiern kann. Da stellt man sich dann gern auch nach dem letzten verklungenen Live-Ton ans Lagerfeuer auf ein paar letzte Pilsetten…

Schade nur, dass Olax dieses Jahr nicht mehr dabei sein konnte. R.I.P.