„People tell me a and b, they tell me how I have to see things that I have seen already clear. So they push me then from side to side, they’re pushing me from black to white, they’re pushing ‚til there’s nothing more to hear. But don’t push me to the maximum, shut your mouth and take it home ‚cause I decide the way things gonna be!“ („I Want Out“)

An diesem Abend war es, als fielen Halloween und Weihnachten auf einen Tag: HELLOWEEN, Hamburgs Aushängeschild in Sachen Speed- und Power Metal, luden mit dem letzten Termin ihrer vierzehnmonatigen „Pumpkins United“-Welttournee zum Heimspiel in die Sporthalle. Zu „I Want Out“-Zeiten (also 1988) hatte ich die Band kennen und lieben gelernt, die danach leider von Management-Querelen und Besetzungswechseln zerrieben wurde. Mit den letzten Alben mit Goldkehlchen Michael Kiske konnte ich schon nichts mehr anfangen und nachdem der ehemalige PINK-CREAM-69-Sänger Andi Deris nach Kiskes Abgang zur Band gestoßen war, hatte ich längst das Interesse an der Band verloren. Nun hatte man sich jedoch endlich ein Herz gefasst, alte Streitereien beigelegt und sich für eine vornehmlich aus den alten Hits bestehende Welttournee wieder mit den ehemaligen Kürbisköpfen Kiske und Kai Hansen verstärkt, sodass man sich nun zu siebt die Bühnen teilte. Da dies in der Vergangenheit stets vehement abgelehnt worden war, kam diese Form der Reunion einer Sensation gleich. Dafür legte ich auch gern meine Abneigung gegen große Hallen ab und sicherte mir und meiner besseren Hälfte rechtzeitig die natürlich leider nicht ganz günstigen Tickets. Ein befreundetes Pärchen aus Hannover stieß an diesem Vorweihnachtssamstag hinzu, mit dem wir nach ein, zwei Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt den Weg nach Alsterdorf antraten.

Das erste Bierchen gab’s noch vom Kiosk, da im Halleninneren mit gepfefferten Preisen zu rechnen war: 0,5 Liter Holstenplörre für satte 5 Teuro. An der Halle angekommen die erste negative Überraschung an diesem regnerischen Abend: Regenschirme mussten abgegeben werden, sie zählten offenbar als „gefährliche Gegenstände“. Hömma, so was könnt ihr in Hamburg nicht machen! Ansonsten gestaltete sich der Einlass in die rappelvolle Bude recht flott und unkompliziert, und bald standen wir zusammen mit weiteren Bekannten irgendwo im vorderen Hallendrittel am rechten Rand. Die untersten Tribünenreihen waren abgesperrt und reserviert, für wen oder was auch immer (evtl. spezielle Plätze für Gehbehinderte?). Um den gefühlt Hunderttausend Zuschauern über die Köpfe gucken zu können, nahmen für nach und nach diesen Bereich für uns ein, irgendwann sogar mit Erlaubnis des Sicherheitsdiensts. ROBBIE WILLIAMS‘ „Let Me Entertain You“ als Intromusik aus der Konserve war dann erst mal so richtig schön unpassend; keine Ahnung, was man sich dabei gedacht hatte. Als die Kürbisse dann aber die prächtige Bühne betraten und direkt das dreizehnminütige „Halloween“ in voller Länge darboten, war ich schon hin und weg. Wie auch beim nachfolgenden Single-Hit „Dr. Stein“ teilten Kiske und Deris sich den Gesang auf, was nicht störend ins Gewicht fiel. Zwischen den Songs liefen auf den Videos verschiedene kurze Cartoons, die mal mehr, mal weniger mit den Songs zu tun hatten und über die die Meinungen wohl geteilt waren. Ich fand’s klasse, denn gerade dieses Selbstironische und Comichafte wusste ich an den HELLOWEEN der „Keeper of the Seven Keys“-Ära immer sehr zu schätzen. Das grandiose „I’m Alive“ vom ersten „Keeper“-Album wurde dann von Kiske allein gesungen und, verdammt, Michi hat’s immer noch voll drauf, trifft die höchsten Töne und lässt sich keinerlei Ermüdungserscheinungen anmerken! Danach allerdings durfte er zwei Songs lang innehalten, denn Deris interpretierte nun zwei eigene Songs, die Ballade „If I Could Fly“ und das kitschige „Are You Metal?“ – Zeit zum Bierholen.

Bei „March Of Time“ vom zweiten „Keeper“-Dreher konnte Kiske dann endgültig sein Talent unter Beweis stellen – welch ein Song, welch eine Gesangsleistung! Wie auch schon zuvor sang ich frenetisch im Falsett bzw. dem, was meine Stimmbänder daraus machen, mit, ohne Rücksicht auf Verluste – sorry an alle Umstehenden an dieser Stelle… Für den Deris-Song „Perfect Gentleman“ gesellte sich Kiske dazu, im Duett und in dieser Liveversion und -atmosphäre klang das Ding richtig gut! Wie überhaupt die Akustik überraschend wohltönend für so’ne Riesenhalle war. Der Gesang kam ebenso gut durch wie die Rhythmusfraktion und alle drei (!) Gitarren. Das hatte ich so nicht unbedingt erwartet, obwohl es in dieser Liga eigentlich zum Standard gehören sollte. Generell gab’s die komplette audiovisuelle Vollbedienung, denn auch während der Songs wurden Videos abgespielt, Animationen und Filmausschnitte gezeigt, zeitweise Textzeilen eingeblendet… Bei mehr als einer halben Fußballmannschaft auf der Bühne weiß man da manchmal gar nicht, wo man hingucken soll, sodass ich das Fotografieren auch recht bald weitestgehend aufgab – meine Smartphone-Kamera kann diese Liveeindrücke unmöglich festhalten, kein Foto kann sie adäquat widerspiegeln.

Nun schlug die Stunde des mit zunehmendem Alter immer androgyner werdenden Kai Hansens (ausgestattet mit seiner originalen pinken Klampfe aus den ‘80ern und in Kajal getaucht), der vor Beginn der Kiske-Ära auf der selbstbetitelten Mini-LP und dem Debüt-Album in Ermangelung eines Sängers zu seinem Gitarrenspiel gesungen hatte – immer ein kleines bisschen schief, dafür charismatisch, einzigartig und längst kultgeworden. Er servierte ein heftiges Medley-Brett aus „Starlight“, „Ride The Sky“ und „Judas“, ergänzt um die kongeniale Jahrhunderthymne „Heavy Metal (Is The Law)“ in voller Länge. Alter! Deris und Kiske kontrastierten den Krawall im Anschluss mit der gemeinsam gesungenen, erhabenen Ballade „A Tale That Wasn’t Right“, die ich grundsätzlich schätze, hier aber vielleicht etwas zu viel Saft rausnahm. Das von allen Drei gesungene neue Stück „Pumpkins United“ führte dann zurück auf den Pfad der Macht. Danach hatte man sich etwas besonders Schönes einfallen lassen: Drummer Dani begann ein Schlagzeugsolo, zu dem nach einiger Zeit einer meiner alten Helden, der infolge eines Suizids viel zu früh von uns gegangenen erste HELLOWEEN-Drummer Ingo Schwichtenberg, in Bild und Ton eingespielt wurde – mit einem seiner alten Drumsolos, das nun zum Duett (oder „Battle“ oder wie auch immer man es nennen will) mit Danis Solo wurde. Eine wunderbare Geste, die entsprechend vom Publikum honoriert wurde – Ingo Schwichtenberg bleibt unvergessen!

Weiter ging’s mit der Kiske-Ära, dem schön groovenden Singalong „Livin‘ Ain’t No Crime“ und dem herrlichen relaxten „A Little Time“. Für „Waiting for the Thunder“, „Sole Survivor“ und „Power“ musste Deris gleich dreimal ran. Für mich waren das quasi komplett neue Songs, die ich nie zuvor gehört hatte, im Gegensatz zu „How Many Tears“ von „Walls of Jericho“, gesungen von Kiske, Deris und Hansen. Der ausgiebige Zugabenblock wurde von Kiskes „Eagle Fly Free“ eingeleitet, gefolgt vom nach „Halloween“ zweiten Band-Epos, „Keeper of the Seven Keys“. Nach einem Gitarrensolo Hansens bildeten „Future World“ und mein immerwährender Favorit „I Want Out“ den Kürbis auf dem Sahnehäubchen, wobei von letzterem durch Konfettiregen und riesigen Kürbisballons abgelenkt wurde – aber dies sei ihnen gegönnt.

Ja leck mich fett, dieses „Pumpkins United“-Ding hat alles in allem astrein funktioniert, zweieinhalb Stunden lang standen die Kürbisköpfe auf der Bühne und haben erstklassiges Metal-Entertainment mit viel Liebe zum Detail, gegenseitigem Respekt und dem richtigen Gespür fürs eigene Werk geliefert, sodass ich hochzufrieden und mit breitem Grinsen den Saal verließ. Das war für mich das dritte Metal-Großereignis im Dezember und vorerst das letzte, fürs allerletzte Livekonzert 2018 musste ich selbst noch mal ran – dazu später mehr.

„Look into my eyes, so many things are waiting to be done. You just need a friend, together we will sing along. I’m alive, I’m alive, I’m alive…” („I’m Alive“)

P.S.: Richtig geile Fotos gibt’s unter https://www.facebook.com/pg/arashtaheriphoto/photos/?tab=album&album_id=1935547179876448.