(www.plastic-bomb.de)
Zum Abschied von diesem Online-Fanzine noch eine letzte Rezension der Duisburger Bombe. Und weil Abschiede ja oftmals etwas Versöhnliches haben, weil das Fest der Liebe mit seinem frostigen Klauen unbarmherzig an die Pforte hämmert und weil ich zuletzt von Ausgabe zu Ausgabe ohnehin immer weniger zu meckern hatte, will ich diesmal auch gar nicht so oberkritisch sein und einfach von vornherein feststellen, dass das PLASTIC BOMB mit dieser Nummer nahezu in Hochform ist und ich es verschlungen habe wie kaum eine Ausgabe zuvor. Sicherlich, am fragwürdigen Layout und dem Billigstpapier wird sich wohl nichts mehr ändern, aber inhaltlich ist das hier fast die erste Sahne. Durch Interviews mit Bands wie ANTI-FLAG, SPERMBIRDS, YOUTH BRIGADE, NORMAHL, MASSHYSTERI, YUPPICIDE, THE UNDERTONES, JINGO DE LUNCH, AGROTOXICO, AYILAR etc. wird ein ausgewogenes internationales Programm aufgeboten und die Art und Weise der Befragungen passierte häufig sehr ausführlich und interessant; es wurde sich anscheinend viel Zeit genommen und dadurch viel Relevantes und Tiefgreifendes aus den Bands herausgeholt. Zu manchen Interviews wird auch erwähnt, dass sie viel Vorbereitung und Aufwand gekostet haben, wovor ich meinen imaginären Hut ziehe. Insbesondere Helge Schreiber scheint mir diesmal sehr aktiv gewesen zu sein und versprüht mit seinem nicht mehr ganz jugendlichen Alter einen Eifer und eine Begeisterungsfähigkeit, von der sich viele Jüngere eine dicke Scheibe abschneiden können! Über den eigenen Tellerrand hinaus blickte man z.B. in Form eines Interviews mit den Hip-Hoppern K.I.Z., die sich zunehmender Beliebtheit auch in Punkkreisen erfreuen. In Ullahs „Deutschpunk-Tribunal“ werden diesmal T.O.D. vorgestellt, die einen tollen Humor haben und das Gespräch allein schon deshalb lesenswert machen, und für die „Herstory of Punk“ nahm sich Ronja der Berliner BLOODY SLIPS an (genialer Bandname!). Sehr schmunzeln musste ich bei den häufig kurz angebundenen und irgendwie angepissten Antworten von NORMAHL, die aber auch über einen gewissen Humor verfügen, obwohl dort sicherlich noch mehr herauszuholen gewesen wäre. Auch Bastis mitunter ziemlich arrogante Schreibe gefällt mir zwar grundsätzlich immer besser, wenn er sich auch für meinen Geschmack zu häufig in langen, sarkastischen Ausführungen verliert, die mit dem jeweiligen Thema nur noch bedingt etwas zu tun haben. So berichtet er vom Treffen der „Abgefuckt-liebt-dich“-Netzgemeinschaft, während Micha und Ronja eine gewohnt anschauliche, unterhaltsame und gerne mal selbstironische Retrospektive der letzten Plastic-Bomb-Party bieten. Ein heißes Eisen wird im Interview mit einem ehemaligen „autonomen Nationalisten“ angepackt, der jetzt in Punkkreisen weilt. Ingo vom „Punk Deluxe“ hat eine Übersicht über argentinische HC-Punk-Bands zur Verfügung gestellt, inkl. Kurzinterviews. Bei AYILAR handelt es sich übrigens um eine türkische Oi!-Band, AGROTOXICO stammen bekanntlich aus Brasilien, MASSHYSTERTI aus Schweden… Punk ist ein weltweites Phänomen, was einem mit dieser Bomben-Ausgabe mal wieder so richtig bewusst gemacht wird. Vascos „wunderbare Welt der Propaganda“ nimmt sich in dieser Ausgabe der meist ziemlich einseitig und dämlich geführten Integrations- und Islamismus-Debatte an, wobei ich diesmal in ein, zwei Punkten allerdings auch Vascos Sicht auf die Dinge etwas wenig differenziert finde, da bestünde meines Erachtens durchaus Diskussionsbedarf. Ansonsten aber wieder klasse, wie er vermeintlich komplizierte, politische Sachverhalte einfach und verständlich darlegt. Die von harter staatlicher Repression verfolgte österreichische „Animal Liberation Front“ bekommt im Plastic Bomb ein Forum, um auf die Probleme aufmerksam zu machen und ihre Sichtweise darzustellen sowie ihre Erfahrungen mitzuteilen und in der „Anders leben!“-Rubrik geht es um Punk, Autonomie und politischen Aktivismus in Mexiko. Chris Scholz’ Kolumne fiel diesmal leider etwas nichtssagend und kurz aus, das aber auf gewohntem Niveau. (Häh? Egal.) Die Plattenverrisse der „Führerecke“ gefallen wie gewohnt und sind Balsam auf die Seelen von miesen Promos geplagter Fanziner, wenn auch VENERA eigentlich nichts dort verloren hätten. Dafür freut es mich umso mehr, dass Ullah über die gleichen miesen Scheiben gestolpert ist wie ich zuletzt, haha. Ansonsten gibt’s natürlich wieder Persönliches in Form der Vorworte, innerhalb derer Micha seinen Bartwuchs thematisiert, Helge sich überaus streitbar gegen Akustik-Gitarren-Folk-Punk ausspricht, Ronja kritische Tendenzen beim Halloween-Fest ausmacht, Philipp über die neue, bürgerliche Protestkultur à la Stuttgart 21 nachdenkt und Basti mit neuerlichen soziologischen Feldforschungen auf Punk-Festivals droht. Ein kleines Dankeschön an korrekte Konzertorte, in denen man sich wirklich wohl- und gut aufgehoben fühlt, gibt es in Form von Dirks Top-10 selbiger, wobei Hamburg mit der Lobusch vertreten ist. Die „Global Punx“-Rubrik fehlt diesmal, macht aber nichts, der Inhalt des Hefts ist auch so schon global genug, Stanley Heads Ska-Ecke ist aber ebenso vertreten wie massenweise, angenehm kritische Tonträger- und Lektüre-Rezensionen und natürlich Kleinanzeigen, Neuigkeiten, Veranstaltungstermine etc. Vermisst habe ich lediglich eine persönliche Kolumne von Micha, die über sein Vorwort und den PB-Partybericht hinausgeht, denn diese zählen doch immer zu meinen Höhepunkten des PLASTIC BOMB. Ergo: Sehr starke Bombe, in der ein Haufen Arbeit steckt und hoffentlich so manchen Leser inspiriert, Denkanstöße liefert oder einfach gut und informativ unterhält. In dieser Form weitermachen! Kommt wie immer mit „Pay-To-Play“-CD und kostet in Deutschland 3,50 EUR. Günni