Günnis Reviews

Kategorie: Konzertberichte (page 1 of 44)

30.12.2024, Störtebeker, Hamburg: THRILLER + SABOTAGE + BRIEFBOMBE + FORTSCHRITT ZT 300

Im Störtebeker, jenem kleinen, legendären DIY-Konzertort im Hafenstraßenviertel, war ich absurd lange nicht mehr, und fast genauso absurd mutet es an, dass ich BRIEFBOMBE, jene einzig echte Postpunk-Band, trotz bereits zweijähriger Existenz noch nie live sah. Da ich „zwischen den Jahren“ frei hatte und mir nach der ganzen weihnachtlichen Besinnlichkeit irgendwie der Sinn nach einem HC-Punk-Konzert im kleineren Rahmen stand, drängte sich diese Veranstaltung geradezu auf. Und prompt traf ich vor Ort meinen Bandkollegen Holler und dessen Kumpel Sascha, was cool war, da ich mich mit niemandem verabredet hatte.

Noch während der ersten Band hieß es dann auch „Bude voll, ausverkauft!“. Es wurde also richtig gemütlich; ganz so, wie ich’s von den Konzerten hier in Erinnerung hatte. Jene erste Band war FORTSCHRITT ZT 300, ein lokales Quartett, das sich dem Agrarcore verschrieben und im Jahre 2023 ein Tape veröffentlicht hat. Der Bandname ist einem DDR-Traktorfabrikat entnommen und inhaltlich geht’s nur vorrangig um Landwirtschaft, in „Kartoffelernte“ beispielsweise geht’s „mit dem Mähdrescher durch Eppendorf“ und letztlich um Klassenkampf, andere Songs richten sich gegen Anthroposophie und „Junkerschweine“. Aggressiver Sound, zu dem die Sängerin gut was wegkrakeelt. Daumen hoch!

BRIEFBOMBE ist nach BRUTALE GRUPPE 5000 das aktuelle Konzeptband-Projekt des umtriebigen LOSER-YOUTH-Thommy. Postpunk steht hier nicht wie so oft für wavige Deprisounds, sondern für eine inhaltliche Ausrichtung, die sich mit einer Extraportion Spaß inne Backen den Zustelldiensten dieser Welt widmet. So geht’s um prekäre Arbeitsbedingungen („Weihnachtszeit-Überstunden fuck you!“), um „Urlaub in Porto“ (auf so einen Scheiß muss man erst mal kommen) und um Brieftaube G.I. Joe, um GLS, UPS und DPD sowie den Film „Cast Away – Verschollen“ mit seiner Schleichwerbung für FedEx, es geht contra Briefmarkensammeln und pro Brieffroindschaften zwischen Punks und Skins. Musikalisch ist das ein ziemlicher Expressversand aus zwischen häufig in Powerviolence eskalierenden, hektischen HC-Punk-Riffs und -Licks mit aggressivem Gekeife der (live häufig grinsen müssenden) Sängerin und Thommys hysterischem Gebrüll – bis auf besagter Brieffreundschaftssong: Der ist ‘ne astreine Oi!-Hymne. Zudem gab’s das beste „Mr. Postman“-Cover, das mir bisher zu Ohren kam. Schon erstaunlich, wie viel man aus einem solchen Themengerüst herausholen kann. Da hab‘ ich auch gleich mal die LP und die 7“ abgeernet (womit ich in den Duktus der ersten Band verfallen bin, sorry). Mit der teilt man sich übrigens den Basser.

SABOTAGE ist nun namenstechnisch sicher nicht der große Wurf – wie viele Bands gleichen Namens wird’s wohl geben? Musikalisch wird dafür schön aufs Mett geklopft:  Fette, böse Riffs und brutale Rhythmen, auf die sich das kranke Shouting der Sängerin legt. Einzige englischsprachige Band des Abends, deren Mitglieder aus Bielefeld und Münster stammen und einen mehr als ordentlichen Abriss fabrizierten – der wahrscheinlich nicht nur gefühlt aber recht kurz war, oder? Egal. Schönes Ding!

Schön auffe Schnauze gab’s dann auch bei THRILLER aus Leipzig, die nach einem „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“-Intro aus der Konserve eine explosive Mischung aus etwas modernerem, metallischem Hardcore und Grind/Powerviolence/Blast-Attacken ritten. Der Shouter kreischgrölbrüllte sich durch die deutschsprachigen Texte der einmal mehr kurzen Songs. Voller Einsatz auf allen Positionen, bis mir die Ohren klingelten. So muss das eben manchmal.

Während ich Fotos von BRIEFBOMBE machte, wies mich jemand darauf hin, dass es mittlerweile auch hier leider nicht mehr erwünscht sei, zu fotografieren, weshalb ich’s dann unterließ und die bis dahin von den ersten beiden Bands geschossenen Bilder hier auch nicht verwende. Ansonsten habe ich aber ausschließlich positive Eindrücke: Obwohl’s verdammt drängelig war und man zum Bierholen die gefürchtete Treppe runter und auch wieder rauf musste, wurd’s nie unangenehm. Alle nahmen Rücksicht aufeinander, was so weit ging, dass sich jemand bei mir entschuldigte, nachdem ich ihn versehentlich angerempelt hatte. Trotzdem blieb vor der Bühne Raum für Bewegung, der auch genutzt wurde. Neu ist, dass das Bier gut gekühlt ist, geblieben ist der schmale Kurs, zu dem’s angeboten wird. Alles nicht selbstverständlich, weder früher noch heute, und darum an dieser Stelle einfach mal ein Dankeschön.

14.12.2024, Indra Musikclub, Hamburg: COCKHEADS + SMALL TOWN RIOT (und ein bisschen BOLANOW BRAWL)

Mein BOLANOW-BRAWL-Bandkollege Christian wurde 40 und hat die beste Freundin, die er sich nur wünschen kann, organisierte sie doch eine superfette Überraschungsparty für ihn. Sein gesamter, nicht gerade kleiner Freundeskreis war eingeweiht; nur er ahnte von nichts, denn alle hielten dicht. Im eigens angemieteten Indra sollten THE SPARTANICS aus Leipzig und SMALL TOWN RIOT auftreten und wir – inklusive Christian – in neuer Besetzung für zumindest drei Songs erstmals auf der Bühne stehen. Es gab Freigetränke und ein von Sandys und Christians Eltern zubereitetes kaltes Buffet, Luftballons, lustige Fotos Christians, die überall ausgehängt wurden, und eine von unserem ehemaligen Bassisten Keith zusammengestellte, ultralange Playlist (in Ermangelung eines DJs, der ursprünglich auch vorgesehen war). Ein Riesenaufwand für Sandy & Co., der es aber tatsächlich gelang, bis zum Schluss alles geheimzuhalten und sogar Christians Klampfe samt Effektpedalen heimlich ins Indra zu schmuggeln. Erst als er unter einem Vorwand gegen 20:30 Uhr mit sanftem Druck ins Indra geschubst wurde, realisierte er langsam, dass dort eine Party zu seinen Ehren stattfand. Und dass er gleich mit auf die Bühne musste…

Nach mehreren Besetzungswechseln sind wir mit BOLANOW BRAWL nun endlich wieder livefähig. Unser Kurzauftritt wurde die Livepremiere unseres neuen Bassers Urko und unseres noch neueren Leadgitarristen Jogi, wenn auch in geschlossener Gesellschaft. Obwohl sich Christian nicht hatte am Soundcheck beteiligen können, ist es Tonchef Andy gelungen, uns einen amtlichen Sound zurechtzuregeln, und so erklangen nach einer Ewigkeit mal wieder „Tattooed Like Me“, „Two Day Session“ und „Red Lips“ von der Bühne, jeweils eingeleitet von Anekdoten Christians zur Entstehung der Songs. Irgendjemand, dem unsere Antlitze offenbar missfielen, bekam jedoch Zugriff auf die Nebelmaschine und nebelte uns derart ein, dass ich aufpassen musste, wo ich hintrat. Keith, der die Texte zu den beiden letztgenannten Nummern verfasst hatte, sang den Schlusschor bei „Red Lips“ mit, die versammelte Geburtstagsmeute jubelte und applaudierte und Urko + Jogi bewährten sich während ihrer Feuertaufe beanstandungslos. Mit Ole, Keith und Stulle waren alle ehemaligen Bandmitglieder im Publikum. Wat willste mehr? Hat viel Spaß gemacht, wir sind wieder angefixt!

Als nach nur kurzer Umbaupause die Streetpunk’n’Roller SMALL TOWN RIOT die Bühne betraten, musste Andy als zweiter Gitarrist der Band selbst ran, weshalb Bommy von den STUMBLING BOI!S das Mischpult übernahm. SMALL TOWN RIOT, eine alte Lieblingsband Christians (und meiner Wenigkeit), macht sich schon lange rar und spielt nur noch alle Jubeljahre mal zu ausgewählten Anlässen, ohne neue Songs zu komponieren oder gar Platten herauszubringen. Einer der Gründe sind familiäre Verpflichtungen der Bandmitglieder, weshalb bereits die Zeit für gemeinsame Proben schwierig zu finden ist – so auch im Vorfeld dieses Auftritts. Umso schöner, dass es trotzdem geklappt hat! Noch am selben Tag wurde gemeinsam ‘ne Handvoll Songs geprobt, anschließend ging’s ins Indra. Elf Songs gab man zum Besten, darunter unwiderstehliche Ohrwürmer wie der Opener „Addicted to Authority“, „Working Class Family“ und „Cheers & Goodbye“, Nachdenkliches wie „Living Hell“ und „Cemetery Hall“, Romantisches wie die „Love Song Trilogy“ oder „It’s True“ und Partykracher wie „Suicidal Lifestyle“ und „Timmy“. Trotz Fluppe im Mundwinkel und Bierkanne am Hals ist Leadsänger Norman nach wie vor bestens bei Stimme, gerade auch in den höheren Registern, und die Melodien sitzen wie ‘ne Eins. Lehmann trommelt sich lässig durchs Set, Timo ist als zweiter Sänger für die rauere Stimmlage zuständig und zockt den Bass dazu, während Andy per zweiter Klampfe für einen schön satten Sound sorgt und sich an den melodischen Backgroundchören beteiligt. Bis auf den Umstand, dass die „Jungs“ (von Andy abgesehen) etwas älter als in ihrer Blütezeit aussahen und Norman sein Haupthaar wallen ließ, statt es streng zurückzukämmen, war es überwiegend so, wie man die Band in Erinnerung hatte – verlernt wurde da jedenfalls nix und wenn hier und da mal ein bisschen Routine flötengeht, macht’s das nur charmanter. Für ‘ne Zugabe fehlte dann aber doch die Kondition. Macht nichts, soll ja nicht in Arbeit ausarten!

Apropos Puste: Bei einem der Luftballons handelte es sich um ein überlebensgroßes Bierglas, das sich stets aufrechthielt und dazu neigte, ein Stück über dem Fußboden zu schweben. Das Teil bot einen echten Mehrwert an Spaß, eignete es sich doch als Tanzpartner ebenso wie für alberne Fotos und landete immer wieder auf der Bühne, wo es sich zwischen der Band gemütlich machte. Konzerte ab sofort bitte nie mehr ohne!

Die Streetpunks SPARTANICS hatten leider krankheitsbedingt kurzfristig absagen müssen, zwei Drittel des Trios reisten als minimalistisch auftretende COCKHEADS trotzdem an. Jene Zweitband der beiden kannte ich bis dato gar nicht, wodurch mir astreiner deutschsprachiger, schnörkelloser ’77-Punk mit Anleihen bei den SHOCKS und Konsorten entgangen war. Die oft hektischen, kurzen Songs kamen ohne Bass aus, dafür perfekt auf den Punkt, gingen gut ins Bein und waren ein erstklassiger Abschluss des Liveprogramms, der noch mal richtig Laune machte. Wer auf einen solchen Sound steht, sollte die unbedingt mal anchecken! Spätestens jetzt fiel auf, dass die Hamburger Trinker/Songwriter-Legende ANTOINE DE LA KACQUE, die eigentlich für wenigstens einen Song noch auf die Bühne hätte sollen, bisher sträflich vernachlässigt worden und mittlerweile gar nicht mehr zugegen war. Sorry!

Alles in allem eine unvergessliche Party, doch wer sich an alles erinnern kann, war nicht dabei… Danke an Sandy und ihre heldinnenhafte Organisation, an alle Helferinnen und Helfer, ans Indra-Team, an die Bands, an meine Liebste für die Schnappschüsse unseres Auftritts und speziell an Andy: Der gute Mann war mein Indra-Ansprechpartner im Vorfeld und kümmerte sich nicht nur um den Sound, sondern zockte zwischendurch noch ‘nen Gig, sorgte dafür, dass jedes Kabel richtig steckte, schraubte in aller Seelenruhe auf der Leiter an den P.A.-Boxen herum und behielt bei allem Trubel um ihn herum stets Überblick und Contenance.

Ey Christian, volle Punktzahl, gerne wieder!

16.11.2024, Fanräume, Hamburg: HARBOUR REBELS + KOMMANDO MARLIES + BRUTAL BESOFFEN + BULLSHIT BOY

Dieses Konzert kam für mich genau zur rechten Zeit, denn gerade nach all den schlechten politischen Nachrichten in letzter Zeit stand mir (ungeachtet der Lobusch-Sause vor zwei Wochen) schon wieder verstärkt der Sinn nach einem D.I.Y.-Punk-Konzert im überschaubaren Rahmen mit Bands, die ich kenne und mag (zumal ich ewig nicht mehr in den Fanräumen des FC St. Pauli gewesen war). Vermutlich eine Mischung aus Psychohygiene, Selbstvergewisserung und nicht zuletzt natürlich dem Spaß an der Sache.

Zuvor ging’s aber noch zur schönsten Nebensache, denn Länderspielhause hin oder her: Der Hamburger Oberligist AFC kickte gegen den ETSV und sackte einen 3:1-Heimsieg ein, während ich mir Pils und Glühwein bei mittlerweile recht kühlen Novembertemperaturen munden ließ. Immer ‘ne schöne Ablenkung von der Gesamtscheiße. Zwischen 12 und 20 Talern konnte man sich dann in den Fanräumen selbst aussuchen, wie viel man an Eintritt zahlen wollte, und BULLSHIT BOY machten den Anfang. Mit denen hatten wir vor ein paar Monaten im Indra die Bühne geteilt, damals jedoch krankheitsbedingt vom Trio zum Duo zusammengeschrumpft (BULLSHIT BOY, nicht wir). Nun also mal in vollzähliger Besetzung, und das lohnte sich! Die Tieftönerin, die im Indra nicht hatte dabei sein können, zockte klasse Bassfiguren, während die Band zunächst ohne viele Ansagen recht geradlinig durchzog – beginnend mit einem Surf-Instrumental über BLONDIEs „One Way Or Another“ und eigene mal deutsch-, mal englischsprachige Stücke, stilistisch grob Richtung klassischer Punkrock mit Garage- und Pop-Anleihen. Zwischendurch überreichte Sängerin Sabine dem Konzertorganisator Micha ein Geburtstagsgeschenk, denn er wurde just an diesem Tag ein Jahr älter. Doch Sabine wurde auch selbst beschenkt: Nach dem Lied über den eklatanten Mandelhörnchenmangel auf Helgoland bekam sie ein solches Süßgebäck gereicht. Die noch junge, aber mit erfahrenen Mitgliedern von EMILS und GOTTKAISER besetzte Band hatte die Bühne bewusst kitschig mit Flamingos, aber auch bunten Aufblasbällen dekoriert, wobei letztere während des Gigs munter durch die Gegend gekickt wurden und mitunter auf den Instrumenten landeten. „Bodies“ (SEX PISTOLS) und „Identity“ (X-RAY SPEX) gab’s als Zugaben, wobei „Identity“ auch ohne Saxophon überraschend gut funktionierte. Bereits zuvor spielte man mit „Erschießen“ ein IDEAL-Cover. Machte Laune, zumal insbesondere Sabine die Spielfreude anzusehen war und sie in der zweiten Hälfte des Sets zunehmend mit dem Publikum kommunizierte. Schade nur, dass ihr Gesang fast den gesamten Gig über zu leise war, um etwas mehr von den Texten zu verstehen.

Die zweite Band mit B-Alliteration folgte auf dem Fuße: BRUTAL BESOFFEN aus Berlin ließen ein Intro vom Band abspielen, eine Art Hörspiel mit konkretem Bezug auf diesen Konzertabend, und sprudelten anschließend vor Energie regelrecht über. Der Bandname ist augenzwinkernd zu verstehen, denn ihr Sound hat nichts mit Uffta-Stumpfpunk zu tun, sondern ist eher in der Skate-/MelodiCore-Ecke zu verordnen, allerdings mit deutschen Texten. Zwischen Melodien, Geschwindigkeit und Chöre mischten sich eine aufmerken lassende, satte Leadgitarre, die mittels eines überdimensionalen Effektboards ihren Klang immer wieder changierte, superversiertes Drumming und ganz viel Gesabbel zwischen den Songs, denn die Berliner geben sich als eine Mischung aus Entertainer und Clowns, jedoch offenbar ohne, dass es sich um reinen Funpunk handeln würde. Mir war’s etwas zu viel des Schabernacks, aber vor der Bühne war nun bisschen was los. Die Band dankte es, indem sie FaKo (Fanta-Korn, auch bekannt als KGB: Korn/Gelbe Brause) ausschenkte. Der Sänger/Bassist wiederum hatte ‘nen Cognac-Schwenker (oder so) dabei, aus dem er Weißwein (oder so) nippte. Der zweite Gitarrist sprang schon mal ins Publikum und tanzte mit. Eine Ansage gab’s auf Bayrisch, einen ganzen Song wiederum fürs Geburtstagskind, nämlich ‘ne Ska-Punk-Nummer, in die sein Name integriert wurde, und als letzte Nummer wurde das Raining-Blood-Intro von SLAYER gecovert. Nicht 100%ig meins, aber in jedem Falle unterhaltsam!

KOMMANDO MARLIES um Rheinland-/Ruhrpott-Band-Tausendsassa Uwe Umbruch hatten mir seinerzeit im Menschenzoo mit ihrem deutschsprachigen Melodic-Punkrock sehr zugesagt; umso enttäuschter war ich, als sich die Band recht bald schon wieder aufgelöst hatte. Entsprechend groß war meine Freude, als sie in runderneuerter Besetzung und um eine Orgel erweitert wieder zurückkam! Vor ein paar Tagen ist ‘ne neue EP erschienen, die ich zusammen mit dem Album gleich mal eingesackt habe. Während des Soundchecks gab’s ‘nen kleinen Jägermeister-Umtrunk mit Micha und ein Geburtstagsständchen. Ein kurzes Intro aus der Konserve eröffnete den eigentlichen Gig, der mit „Mädchen aus Greifswald“ und „Tommy“ meine Lieblingsstücke ebenso enthielt wie Songs der neuen EP und bekannte Stücke wie „Eskalation ja klar“, das eingedeutschte RUTS-Cover „Computer sagt nein“, „Außer Kontrolle“, „Ein bisschen Liebe“ usw. Die Orgel steuerte ‘ne schöne weitere Klangfarbe bei, lediglich die Monitore zickten rum und behinderten anfänglich den Spielfluss etwas. Nachdem Uwe kurz die Bühne verlassen hatte, um seinen Kapodaster zu suchen (den er in der Hosentasche hatte…), spielte man mit „D-Beat Boys Don’t Cry“ sogar einen noch unveröffentlichten Song, der die berühmte THE-CURE-Melodie aufgriff. Ein wunderbarer Gig, bei dem ich gern noch ‘ne Zugabe mitgenommen hätte.

Die Lokalhelden HARBOUR REBELS verheißen live immer eine gute Party, denn da folgt ein eingängiger Singalong auf den nächsten – so natürlich auch an diesem Abend. Drummer Chris spielt dazu ‘nen astreinen Pogobeat, der sofort ins Bein geht, und der (zumindest in den vorderen Reihen) schlagzeuglastige Sound an diesem Abend trug sein Übriges dazu bei. Über die Band hab‘ ich ja nun schon öfter geschrieben, deshalb ohne jetzt in epische Ausmaße zu verfallen: Gewohnt tolle Show, bei der Sängerin Jule im Mittelpunkt steht (und dann und wann die Orgel bedient – schon die zweite beorgelte Band an diesem Abend). Deutschsprachige Stücke geben sich mit englischen die Klinke in die Hand, das Fundament ist weitestgehend schnörkelloser Oi!-Punk mit klar antifaschistischer Attitüde. Und während ich so vor mich hin tanzte und das drölfte Bierchen kippte, vergaß ich doch glatt, ein paar Fotos zu schießen. Sorry!

Obwohl mal wieder ‘ne Menge gleichzeitig los war – etliche besuchten beispielsweise lieber das FAHNENFLUCHT-Konzert im Monkeys und aus meinem engeren Freundes- und Bekanntenkreis war tatsächlich niemand da –, waren die Fanräume gut besucht und gab’s nicht viel zu meckern. Sogar ein Budget-Pils für lediglich 2,- EUR hielt das Tresenteam, das schwer auf Zack war, im Kühlschrank vor. Und mit dem unmittelbar vor den Türen stattfindenden Dom (Hamburger Kirmes der eigentlich nervigen Sorte) hatte man auch ‘ne imposante Lightshow in den Frischluftpausen… Danke ans Veranstaltungsteam und die Bands für diesen gelungenen Abend!

01.11.2024, Lobusch, Hamburg: Holler’s Birthday Bash mit PEST HOLE + Y HUMAN Y + DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS

Unser Bassist Holler feierte in seinen 21. (oder so) Geburtstag rein und hatte dafür die Lobusch gekapert, wo neben uns zwei weitere Bands auf seine persönliche Einladung hin auftraten. Es handelte sich um eine öffentliche Veranstaltung bei freiem Eintritt (wobei in paar Märker in den Spendentopf gern gesehen wurden), für Bands und Freunde standen jede Menge Freigetränke bereit. Geil!

Um Bühne und Sound kümmerte sich unser Drummer Eisenkarl, nach einem ersten groben Soundcheck bekam jede Band einen Linecheck. Als Teil seines Geschenks erhielt Holler von uns eine Drei-Liter-Buddel blau eingefärbten Oldesloer Korn, die er während unseres Gigs von der Bühne aus an ebenso durstige wie furchtlose Kehlen ausschenkte. Es dürfte kurz vor halb neun gewesen sein, als wir vor ansehnlicher Kulisse quasi ein Heimspiel absolvierten, den Mob in mehreren Trinkpausen mit diesem seltsamen blauen Gesöff abfüllten und schließlich zum Tanzen brachten. Der Sound war – wie, um das vorwegzunehmen, bei allen drei Bands – bombig (danke an Henning, der während unseres Gigs die Knöpfchen drehte!), mit „Blutiger Schnee“ hatten wir passend zum bevorstehenden Winter die Livepremiere eines neuen Stücks dabei und bis auf ein, zwei Verhacker lief alles glatt. Da er sowieso anwesend war, sang Snorre „ACAB“ seiner und Hollers ehemaliger Band PROJEKT PULVERTOASTMANN gemeinsam mit uns. Anschließend konnten wir geschafft und durchgeschwitzt zum für uns gemütlichen Teil des Abends übergehen, uns trinkenderweise gehenlassen und den beiden nächsten Bands lauschen (ok, außer Kalle, der weiterhin die Bühnentechnik betreute).

Y HUMAN Y ist Snorres aktuelle Combo; u.a. ebenfalls dabei ist Klampfer Tobi, den ich bei den leider aufgelösten ASIMATRIX zu schätzen gelernt hatte. Freute mich sehr, die beiden wieder auf einer Bühne zu sehen, zumal man sich musikalisch in Sachen Hardcore-Punk treu blieb. Snorre legt sein brachiales Organ über gern geknüppelte, aber auch mal bewusst das Tempo herausnehmende und dadurch nicht nur abwechslungsreich, sondern auch atmosphärisch klingende Songs, in denen sich kräftig ausgekotzt wird. Den Song „ERF“ hat man von PROJEKT PULVERTOASTMANN übernommen – eine hervorragende Wahl, der war auch schon bei uns als Coverversion im Gespräch. Hierbei erwiesen sich die Gäste als textsicher, sie skandierten den Refrain mit gereckten Fäusten vor der Bühne. Nachdenklicher wurd’s bei der Zugabe, einem Songs für diejenigen, die nicht mehr unter uns weilen. Bis auf Anlaufschwierigkeiten bei dieser Nummer wies nichts darauf hin, dass die Band noch ganz frisch ist und erst wenige Gigs auf dem Buckel hat. Die Songtexte sind deutschsprachig, mit einer auf Orkisch (ähm, ok!?)  gesungenen Ausnahme. Ich hoffe, bald mehr von Y HUMAN Y zu hören, sei es im Netz, auf Platte oder auf der Bühne!

Mit den Bradenburgern PEST HOLE hatten wir im März in Stendal zusammengespielt, Holler kannte sie ferner u.a. von gemeinsamen Gigs mit den THRASHING PUMPGUNS. Das Trio aus Finsterwalde blies seine Mischung aus Death-/Black-Thrash und Crust-Punk ins Auditorium, machte mit dem düsterheiseren, halligen und angriffslustigen Gebelle des Gitarristen und Shouters in Personalunion keine Gefangenen und profitierte (für meine geschundenen Ohren) stärker als in Stendal vom geilen Sound der kompakten Lobusch, der die meist flotten Nummern kräftig ballern ließ. Den (wenn ich mich nicht verhört habe) Song „Hot Love“ widmeten sie Holler und besiegelten den musikalischen Teil des Abends herrlich evil und arschtretend.

War ‘ne astreine Party – böse Zungen behaupten, Holler sei gleich um mehrere Jahre gealtert! Danke an die Lobusch für Obdach, Bühne, Anlage und Tresen, an Holler für Idee, Organisation und Freibier, an PEST HOLE und Y HUMAN Y für fantastische Gigs, danke allen Helferinnen und Helfern sowie allen, die kräftig mitgefeiert haben – und nicht zuletzt Jana für die Schnappschüsse unseres Gigs!

02.10.2024, Große Freiheit 36, Hamburg: CANNIBAL CORPSE + MUNICIPAL WASTE + IMMOLATION + SCHIZOPHRENIA

Dieses Vierer-Paket befindet sich auf Tour, zum Halt auf dem Hamburger Kiez bekam ich von meinen DMF-Bandkollegen eine Karte zum Geburtstag geschenkt – besten Dank, Jungs! Anderenfalls wäre ich aber auch nie auf die Idee gekommen, hinzugehen. CANNIBAL CORPSE als Headliner interessieren mich nicht zwingend und den Laden meide ich normalerweise, war seit Äonen nicht mehr da. Da der Einlass bereits für 16:30 Uhr terminiert war und es pünktlich um 17:15 Uhr losging, musste ich auf Arbeit viehisch ranklotzen und Cheffe bitten, mich ‘ne Stunde früher gehen zu lassen. Trotzdem waren die belgischen Death-Thrasher SCHIZOPHRENIA, deren „Voices“-Mini-LP es mir besonders angetan hat, die ersten Songs lang lediglich Soundtrack zum Einlass und zur Plünnenabgabe an der Garderobe.

Anschließend erst mal ‘n Bierchen (Becks vom Fass, halber Liter für satte 6 Öcken!) geholt und zu aklimatisieren versucht. Die junge Band war bestens in Form und hatte sichtlich Freude, den ausverkauften Bums eröffnen zu dürfen. Vor der Bühne wütete bereits ein veritabler Pit und am Ende gab’s noch das MORBID-ANGEL-Cover „Maze of Torment“ auf die Löffel. Geile Livecombo, würde ich mir gern noch mal in ‘nem kleinen Club geben.

Die alten US-Death-Metal-Recken IMMOLATION zockten im Anschluss auf Atmosphäre getrimmte Düsterheimer-Songs, die leider null bei mir zündeten. Bin ja ohnehin eher ein Death-Metal-Muffel und kann mit einem Sound wie dem vom Quartett dargebotenen nichts anfangen. Musste ich halt über mich ergehen lassen, denn in der Großen Freiheit 36 gibt’s keinen Stempel und nix, einmal drin kommst du nicht wieder raus (es sei denn, du bist Snake Plissken…). Stimmt natürlich nicht: Raus schon, nur eben nicht wieder rein. Miese Falle, von wegen „große Freiheit“. Dafür traf ich auf immer mehr bekannte Gesichter, subventionierte die ganze Chose durch Erwerb überteuerter Bremer Industriepilsetten und schaute dem glatzköpfigen der beiden Gitarristen bei seinen ulkigen stakkatohaften Bewegungen zu.

Viel besser kann ich auf MUNICIPAL WASTE und ihren Thrash-/Hardcore-Crossover-Sound, wenn ich auch die letzten Alben nicht mehr brauche und mein letztes WASTE-Konzert satte fünf Jahr zurücklag. Letzteres war natürlich ein Spitzenargument, heute Abend hier zu sein, und ich hatte Bock. Vor der Bühne ein großer Circle Pit, quasi unablässig am Rotieren, ab und an ging’s auch etwas rüder zu. Die Bühnengröße im Zusammenhang mit dieser Musik irritierte mich aber etwas, viel mehr jedoch die Lautstärke: Erstmals fiel mir auf, wie leise der P.A.-Sound hier war. Das muss doch aber drücken im Gesicht! Die US-Amerikaner durften im Gegenzug zu den vorausgegangenen beiden Bands Zugaben spielen, Bühnenpräsenz und Performance waren einwandfrei. An meinen ersten WASTE-Gig seinerzeit im Hafenklang kam das Ding hier aber allein schon atmosphärisch in keiner Weise ran. Das Publikum hatte der Auftritt extrem durstig gemacht, sodass man ab jetzt mitunter arschlange fürs Bier anstehen musste und es zunehmend drängelig an den Theken wurde.

Das hielt mich aber nicht ab, denn ich musste mir ja noch CANNIBAL CORPSE schönsaufen. Der einstige Bürgerschreck, seit dem Auftritt mit Jim Carrey in „Ace Ventura“ rehabili- und als legitime, letztlich harmlose Unterhaltungsform weithin akzeptiert, zählt bis auf einzelne, für meine tauben Ohren herausragenden Songs gewiss nicht zu meinen Lieblingsbands. Seit ich mich auf dem Rock-Hard-Festival aber mal vor der Bühne positionierte, um mich von der ultralauten und brutalen CORPSE-Show durchdringen zu lassen, habe ich eine gewisse Freude daran entwickelt, mich von diesem Sound in einen Trance-ähnlichen Zustand versetzen zu lassen und mich daran zu erfreuen, wie bei etwas, das für mich so viel musikalische Abwechslung birgt wie ein Modern-Talking-Album, dabei aber ungleich uneingängiger daherkommt, Musiker und Growler ganz genau wissen, wann was wo zu sitzen hat und perfekt aufeinander eingegroovt scheinen. Respekt! Auch dafür, konsequent über einen mittlerweile derart langen Zeitraum konsequent seinen Stiefel durchzuziehen. Klang ein Riff mal etwas bis deutlich thrashiger und verließ Frontmann Corpsegrinder mal kurz den Krümelmonstermodus, lief mir das alles auch gleich viel besser rein, und wenn nicht, blieb eben technisches Gehacke, dem beizuwohnen auf eigentümliche Weise Laune macht, während Corpsegrinder per Propeller-Banging für erhöhte Luftzirkulation sorgt.

Kurz vor zehn war dann tatsächlich Feierabend und ich mittlerweile so berauscht, dass ich es für eine gute Idee hielt, noch auf dem Geburtstag eines Kumpels vorbeizuschauen, dem ich im Vorfeld vorsorglich abgesagt hatte. Konsequenz: Zwei Tage Kater. Nochmals danke an meine Bandkollegen! 😀 In die Große Freiheit muss ich aber so schnell echt nicht wieder.

17.09.2024, Kir, Hamburg: PIZZA DEATH + FATAL COLLAPSE

Thrash-Bands, die Humor beweisen und sich einen Spaß daraus machen, statt ausschließlich über Missstände oder Evilness und den Gehörten zu texten auch mal über Profanes zu salbadern, werden von Teilen der Metal-Szene seit einiger Zeit abschätzig als „Pizza-Thrash“ bezeichnet. Die Australier PIZZA DEATH kümmert das wenig, im Gegenteil: Die haben bereits zwei Konzeptalben veröffentlicht, auf denen es um „pizza, death, and death by pizza“ geht. Damit verfolgen sie jenen Thrash/Hardcore-Crossover-Ansatz, den Mitte der 1980er S.O.D. erstmals sowohl musikalisch als auch mit ihrem schwarzen Asi-Humor in die Szene trugen. Ähnlich wie beim Fun-Punk kann ich die Kritik grundsätzlich nachvollziehen, denn eigentlich sollte es genug ernste Themen geben, die prädestiniert wären, mit dieser musikalischen Härte beackert zu werden. Andererseits mag ich S.O.D. und stehe sowohl auf diesen Sound als auch auf Asi-Humor. Da bot es sich an, zwecks Meinungsbildung das Konzert eben jener Australier aufzusuchen, die sich gerade auf Europatour befinden.

Von diesem erfuhr ich sehr kurzfristig erst durch meinen Kumpel Christian, der wiederum von einem seiner Kumpel darauf aufmerksam gemacht wurde. Dies wiederum dürfte daran liegen, dass es im Kir stattfand – eigentlich ein Gothic-Laden, der nur alle Schaltjahre mal ein Metal-Konzert veranstaltet. Ehrlich gesagt hatte ich auch die Band überhaupt nicht auf dem Schirm, offenbar fand sie bisher weder im Rock Hard noch im Deaf Forever oder einem von mir gelesenen Fanzine statt. Wie auch immer, in der Konstellation Christian, sein Kumpel und meine Wenigkeit suchten wir das Kir auf, nachdem ich mir stilecht vorher beim Italiener noch ‘ne Pizza besorgt und verspeist hatte. Das Kir ist klein und dunkel, also wie gemacht für ein dummerweise unter der Woche stattfindendes Underground-Konzert. Es gibt „Bergedorfer“-Pils vom Fass (wusste gar nicht, dass Bergedorf sein eigenes Bier hat), das stark süßlich Richtung Malzbier schmeckt und mit satten 4,- EUR für 0,33 l zu Buche schlägt. Doof wie wir sind, tranken wir trotzdem Runde um Runde…

Die lokalen D.I.Y.-Thrash-Newcomer FATAL COLLAPSE, die sich Gitarrist Buddy mit den THRASHING PUMPGUNS teilen und bisher eine EP und ein Album auf dem Kerbholz haben, eröffneten den Abend – sicherlich nicht zuletzt deshalb, weil Shouter Niklas PIZZA DEATH für diesen Gig nach Hamburg geholt hatte. Bei gutem Sound zockte das Quartett seinen rauen Thrash vor noch etwas verhaltenem, aber interessiertem Publikum, der mir umso besser in die Löffel ging, je mehr die Riffs um oldschool-thrashige höhere Töne angereichert und von der Rhythmussektion aufs Gas gedrückt wurde. Niklas röhrte mit seiner tiefen, heiseren Stimme drüber und übernahm zusammen mit dem Basser die Kommunikation mit den Anwesenden. Als geforderte Zugabe gab’s ein brandneues, noch unveröffentlichtes Stück, das ziemlich geil klang. Höre ich mir auf Bandcamp noch mal in Ruhe an und versuche ich, im Auge zu behalten.

PIZZA DEATH, ebenfalls in Viererbesetzung, war dann der erwartete und erhoffte Abriss. Der Shouter in Pizza-Design-Shorts und MEGADETH-Persiflagen-Shirt, Gitarrist und Drummer kurioserweise barfuß (zumindest der sichtbare Nicht-Fußmaschinen-Fuß) und musikalisch zumeist die grobe, direkt auf die Zwölf zielende Kelle in Form kurzer, schnell auf den Punkt kommender Songs. Die bewegungsfreudigen Australier verließen gern mal die Bühne und durchpflügten das Publikum, das wiederum eine Wall of Death aus Ananas-auf-Pizza-Befürwortern auf der einen und -Gegnern auf der anderen Seite bilden sollte. Eine echte Ananas wurde anschließend wütend zerstört und fand sich fortan als Obstmatsch vor der Bühne wieder. Ein anderes Mal kam ich gerade vom Pissoir, als offenbar eine Besucherin in ein albernes Kostüm gesteckt und mit Alufolie umwickelt worden war. Die Band persifliert typische Thrash-Themen, indem sie sie in einen kulinarischen Kontext überträgt, weiß aber auch von manch an B- und Trash-Movies erinnernder „true story“ zu berichten, die in den Ansagen kolportiert und anschließend musikalisch verarbeitet wird: Von die Familie des Bassisten wegschmelzen dämonischen Pizzastücken (oder so) über in Pizzateig verarbeitete und anschließend verzehrte Menschenasche bis hin zum Deibel, den man an der Strippe hat, wenn sich bei der Pizzabestellung verwählt. Wenn mich meine Bergedorfer-verklebte Erinnerung nicht trügt, wurde letztgenannte Nummer, „13 11 666 (Satan’s Slice)“, als Zugabe gespielt. PIZZA DEATH waren das musikalische Äquivalent zu einer extrascharfen und mit dicker Käsekruste überbackenen Terrorpizza, von der man weiß, dass sie einem nicht guttun wird, der man aber nur schwer widerstehen kann, weil der ‘80er-Horrorfilmabend ohne sie nur halb so schön wäre. Deftigste Zutat: der Drummer, der manch Blastbeat ohne Weiteres locker aus dem Handgelenkt schüttelte.

Das Konzert war früh genug vorbei, um noch rechtzeitig in die Koje zu kommen. Und um auf die eingangs erwähnte Debatte zurückzukommen: Ich wurde überzeugt – Pizza Thrash rules ok!

28.08.2024, Freilichtbühne, Prerow: HORST EVERS – So gesehen natürlich lustig (Vorpremiere)

Horst Evers, im Jahre 1967 gebürtiger Niedersachse und später Wahlberliner, war mir bisher kein Begriff. Dies änderte sich während meines Prerow-Urlaubs, denn im Rahmen des mehrwöchigen „Cartoonair“-Festivals benutzte er die Urlaubenden, um sein neues Kabarettprogramm auf der Freilichtbühne an ihnen auszuprobieren. Jenen wunderschönen Veranstaltungsort zwischen Strand und Wald kannte ich bereits, wohnte ich dort doch einst Martin Sonneborns EU-Politik-bezogenem Satireprogramm bei (über das etwas zu schreiben ich leider versäumte).

Evers ist ein alter Hase, der eine Vielzahl Bücher und Tonträger veröffentlicht hat und offenbar regelmäßig mit verschiedenen Programmen durch die Republik tingelt. Sein zahlreich erschienenes, die Freilichtbühne jedoch nicht bis zum letzten Sitzplatz füllendes Publikum wies er zu Beginn auf den spezielles Charakter einer Vorpremiere hin und ging alsbald in medias res, indem er – auf die groteske Demonstration in Hamburg vor einigen Monaten referenzierend – erläuterte, unter welchen Umständen das Kalifat tatsächlich eine Lösung sein könnte, mittels einer herrlich verwobenen Geschichte mit überraschender Pointe für das eigentlich wenig lustige Problem zu weniger Psychotherapieplätze in Deutschland sensibilisierte, die Frage aufwarf, wann zur Hölle man denn eigentlich Alkohol trinken dürfe, aus einer Konversation im Omnibus um ehemalige Liebespartnerinnen und -partner mit gleichen Namen zitierte und wissen ließ, weshalb er sich mitunter als Ex-Bundesliga-Kicker Grasnarbe-Schulz ausgebe.

Zwischen diesen und weiteren in launige, anekdotenhafte Geschichten verpackten (mitunter vermeintlich) harmlosen Alltagsbeobachtungen, in denen sich manch Gast lachend wiedererkannte, gönnte er einem ungefähr eine Viertelstunde Pause für Klogänge und zum Bierholen, die Nettospielzeit dürfte um die zwei Stunden betragen haben. Den Großteil las der nach etwas Stand-Up am belampten Tisch sitzende Evers von Zetteln ab, erwies sich mit Aussprache, Betonung, Pausen und nicht zuletzt Mimik und Gestik aber als begnadeter Vorleser. Das Anakoluth, also Sätze nicht zu Ende bringen, setzt er als wohldosiertes rhetorisches Stilmittel an, womit er hin und wieder ein wenig an Piet Klocke erinnert, und wird er übertrieben förmlich, hat er ein bisschen was von Hans Hermann Thielke.

In erster Linie aber ist der in Evershorst geborene Horst Evers er selbst bzw. seine eigene Kunstfigur, die er mit viel Selbstironie keinesfalls aus der Persiflage ausnimmt, die am stärksten ist, je näher ihre Schwanks am wirklichen Leben sind (das bekanntlich häufig absurd genug ist), und die meiner Liebsten und mir einen sehr vergnüglichen Abend bescherte.

25.-27.07.2024, Brande-Hörnerkirchen: HEADBANGERS OPEN AIR

Nachdem meine Liebste und ich 2018 zum bisher ersten und einzigen Mal das Headbangers Open Air im schleswig-holsteinischen Dorf mit dem Metal-Namen Brande-Hörnerkirchen besucht, uns dort ziemlich wohlgefühlt hatten und erschwerend hinzukommt, dass ich mal wieder Bock auf ein lauschigeres, kleineres Festival frei von jedweder Gigantomanie habe – und mich dann auch noch das Programm diesmal ziemlich reizte –, machen wir dem HOA unsere zweite Aufwartung. Da wir wie üblich keinen Bock auf Zelten haben, organisiere ich eine Unterkunft in Bokel, ein Dorf weiter. Mit unseren sieben Sachen machen wir uns am sehr sonnigen Donnerstag von Hamburg-Altona aus mit der Nordbahn auf den Weg und können bis Dauenhof durchfahren, wo uns ein Shuttle-Service in Empfang nimmt, der uns freundlicherweise nicht auf dem Festivalgelände, sondern am Dorf-Edeka absetzt, wo wir Frühstückszeug einkaufen und uns anschließend per pedes zur Unterkunft begeben. Diese entpuppt sich als derart idyllisch gelegen und luxuriös ausgestattet, dass sie nur zum Pennen eigentlich viel zu schade ist – und unser Gastgeber ist auch noch selbst Metal-Fan, Plattensammler und Besucher des Festivals. Die Entfernung zum Festival beträgt 3,8 km, was in etwa der Strecke zwischen Zeltplatz und Bühne auf herkömmlichen Festivals entspricht. Und da, wie wir erfahren müssen, der örtliche Taxidienst letztes Jahr pleitegemacht hat, müssen wir diese auch latschen.

 

Tag 1: Sodomy and Dust

Durch die eine willkommene Abwechslung zum urbanen Alltag bietende Landschaft, die Wege vorbei an Pferden, Kühen und Getreidefeldern, ist das aber alles andere als unangenehm, zumal wir’s schon von unserem vorausgegangenem Besuch gewohnt sind. Wir legen eine Punktlandung hin, indem wir um Punkt 15:00 Uhr auf dem Gelände eintreffen. Also flugs Bändchen geholt und Programmheft eingesackt, die lokale Spezialität Kirschbier bestellt (alles ohne jegliche Wartezeiten) und ab vor die Bühne, deren großes Dach sowohl vor der knallenden Sonne als auch vor etwaigem Regen schützt! Dort spielt seit ein paar Minuten der traditionelle lokale Opener, diesmal B.S.T. aus Hamburg mit deutschsprachigem Brachial-Doom – kehliger Gesang, schleppend und runterziehend. Gut, ein englischer Song ist auch darunter. Das ist sicherlich kompetent gezockt, aber halt so gar nicht mein Ding. Es haben sich indes schon reichlich Fans eingefunden, denen das gefällt – und es sei ihnen gegönnt!

Die serbische Band CLAYMOREAN existiert schon seit Mitte der ‘90er, allerdings ohne, dass ich sie auf dem Schirm gehabt hätte. (Edit: Zumindest der Song „Mystical Realm (Deorum in absentia)“ ist Teil einer meiner selbst zusammengepfriemelten Metal-Playlists, wie ich im Nachhinein feststelle.) Ihr Power Metal weist als auffälligstes Alleinstellungstellungsmerkmal Sängerin Dejana auf, die zwischen Klargesang und heiseren Screams changiert. Diese animiert das Publikum zum Mitsingen, Fistraisen und Heyen und die flotteren Songs gefallen mir ganz gut, die teils von beiden Gitarristen abwechselnd gezockten Soli ebenfalls. Der nominell letzte Song wartet mit coolen mönchschoralähnlichen Backgroundgesängen auf und anschließend ist sogar noch Zeit für ‘ne Zugabe, die Mark „The Shark“ Shelton von MANILLA ROAD gewidmet wird, der seinerzeit 2018 leider nach seinem HOA-Auftritt verstarb. Gelungener Auftritt, ich komme auf Temperatur.

HIGHWAY CHILE stammen nicht etwa aus Südamerika, sondern aus Holland, brachten es zwischen 1983 und 1991 auf drei Langdreher und veröffentlichten 2008 ein Comeback-Album. Von all dem kenne ich aber nichts und der Midtempo-Hardrock klingt für unsere Ohren eher belanglos. Doch was wissen wir schon, denn die Leute finden’s super. Anscheinend wird eines der Alben in voller Länge gespielt. Die zwei, drei Uptempo-Nummern laufen mir dann auch doch ganz gut rein, vor allem der vorletzte (oder letzte?) Song entpuppt sich als Hit. Kommen auf meine Noch-mal-reinhören-Liste.

TAILGUNNER aus dem UK zählen zu den jungen Wilden im klassischen Metal, letztes Jahr erschien ihr Debüt-Album „Guns for Hire“. Die vier Jungs und die Gitarristin wollen’s wissen und knien sich ordentlich rein, so ist dann auf der Bühne auch gleich bischn mehr los. Als dritten Song covert man den Überhit „Beast in the Night“ von RANDY, den Angeberspot mit schrottigen Gitarrensoli hätte es für so’nen Festivalauftritt hingegen nun wirklich nicht gebraucht. Das gilt auch für Synchronklampfengepose und alberne Choreos, aber, jut, wenn’s Spaß macht… Mich überzeugt man schon eher mit den hymnischen Refrains, wie beispielsweise in „New Horizons“. Das Publikum dankt es (ähnlich wie zuvor bei CLAYMOREAN) mit „Tailgunner!“-Sprechchören und wird im Gegenzug zu Whohoho-Chören während „Revolution Scream“ animiert. Generell versucht man den Mob vor der Bühne mittels massiver Animationen weitestmöglich miteinzubeziehen. Das „Painkiller“-Cover schließlich ist sehr souverän gesungen, nur das Riff ging im Soundgewand der Band etwas unter. Das Publikum hat man im Sack und beim Abbau ertönt aus der Konserve „Hurry Up Harry“ von SHAM 69. Gute Wahl und ein durchaus beeindruckender, energetischer Gig. In die Platte höre ich doch glatt noch mal rein.

Das Rabiatheitslevel wird anschließend durch die Landsmänner von GAMA BOMB (aus denen die Autokorrektur meiner Notiz-App „Gamaschen Bomb“ macht) weiter gesteigert, ebenso die Bühnenaction: Mit punkigem Thrash wird kräftig Alarm und Party gemacht, ein Monster torkelt auf die Bühne, trockenes Shouting trifft auf hohe Screams und natürlich Riffs galore. Die Ansagen werden stets kurzgehalten, bevor’s mit full speed ahead weitergeht, mit einer Ausnahme: Für die Ankündigung eines antifaschistischen Songs nimmt sich Sänger Philly etwas mehr Zeit und formt anschließend eine Wall of Death. Mit dem THE-POGUES-Cover „If I Should Fall From Grace With God” läutet man nur scheinbar so langsam das Ende ein, denn es gibt immer noch ‘nen Song, und noch einen usw… Auf Platte sind mir GAMA BOMB etwas zu gleichförmig, und so super abwechslungsreich klingen sie hier nun auch nicht gerade, aber die Show ist spitze, mitreißend und macht Bierdurst.

Meine Vorfreude auf die belgischen EVIL INVADERS ist immens, denn obwohl das Quartett nicht gerade spiel- und tourfaul ist, liegt mein letzter Gig schon viel zu lang zurück. Das ist eine Band, die beim Blick aufs heurige Line-Up mit den Ausschlag für den Ticketerwerb gab, und erwartungsgemäß ließen die Speedster es ordentlich krachen. Die Songs vom aktuellen Album sind auch live klasse, die älteren natürlich auch – da ist’s fast ein bisschen schade, dass man mit „Witching Hour“ (VENOM) und „Violence and Force“ (EXCITER) gleich zwei Coverversionen integriert. Dafür bekomme ich aber endlich mal wieder meinen Uralt-Überfavoriten „Tortured by the Beast“ um die Ohren gehauen. Mittlerweile ist’s dunkel geworden, was die großartige Lightshow voll zur Geltung bringt, wenn sie nicht gerade von kiloweise Rauch und Nebel torpediert wird – was es natürlich umso geiler macht. Leider übertreibt man es beim Sound mit dem Hall, wodurch alles ein bisschen verwaschen klingt und Joe Anus‘ herrlich asoziales Gekreische etwas untergeht. War der eigentlich schon immer so spindeldürr? Junge, iss ma‘ wat! Zur Übertreibung neigt man auch beim Posing, insbesondere wenn Joe am Schluss seine Klampfe wie seinen Schwanz behandelt und einen, äh, Höhepunkt simuliert – „Gitarrengewichse“ etwas zu wörtlich genommen…

Fast schon unprätentiöses Understatement ist dagegen das, was Sodom als Headliner des Abends abliefern. Nach dem „Klash of the Ruhrpott“ ist das mein zweiter SODOM-Gig innerhalb einer Woche, und tatsächlich variiert die spielfreudige aktuelle Besetzung um Tom Angelripper, Veteran Frank Blackfire und die beiden Jüngeren Toni Merkel und Yorck Segatz erneut die Setlist, die mittlerweile mehr und mehr einer Wundertüte gleicht und damit jeden SODOM-Gig unvorhersehbar und interessant macht: Mit einem meiner (so vielen…) Lieblingssongs „Christ Passion“ steigt man nach dem Instrumental „Procession to Golgatha“ ein, spielt Songs von acht bis neun verschiedenen Platten, liefert sich Frotzeleien untereinander, gräbt die uralte Demo-Kamelle „Let’s Fight in the Darkness of Hell“ (!!!) aus, weil noch die Zeit dafür ist, obwohl „Agent Orange“ schon angesagt worden war, haut „Leave me in Hell“ als VENOM-Hommage (und damit zweites VENOM-Cover des Festivaltags) raus – und gibt sich zwischen den Songs ganz entspannt, bodenständig und publikumsnah. Tom kritisiert die hohen Getränkepreise auf dem Klash und reicht immer wieder Getränke, einmal sogar eine Kippe von der Bühne herunter, nachdem er eine kurze Pause brauchte, weil er schließlich „nächstes Jahr 48“ werde (*räusper*), lobt das Ambiente dieses kleineren Festivals, auf dem er lieber spiele als vor 100.000 Leuten, und wird ein bisschen wehmütig, als er sagt, dass er die ‘80er vermisse. Wir alle, Tom, wir alle! In Sachen Lightshow und Nebel bekommt man auch hier einiges geboten, beim Sound hätte ich den Hall ein My zurückgedreht und die Snare etwas leiser, dafür Toms Gesang entsprechend lautergefahren. Aber das ist (noch nicht mal) Jammern auf hohem Niveau. „Ausgebombt“ geht nahtlos in „Bombenhagel“ über, womit der härteste Song des Festivals diesen trotz Krieg, Tod und Teufel herzerwärmenden Auftritt beschließt und aus der Konserve wie gewohnt das Steigerlied erklingt. Glück auf!

Am Ende des ersten Festivaltags ist es noch immer recht warm; in unseren Nasen sammelt sich der Staub, der vor allem bei GAMA BOMB und SODOM aufgewirbelt wurde. Wir trinken noch ‘nen Absacker und machen uns zu Fuß auf den Weg zur Unterkunft. Währenddessen beginnt es tatsächlich zu regnen, allerdings nicht unwetterartig, also ohne Weiteres auszuhalten – und sogar ganz angenehm. Ein bisschen erschöpft fallen wir in die Koje.

 

Tag 2: The Boys Are Back In Town

Am nächsten Morgen frühstücken wir erst mal in Ruhe und erfahren währenddessen über Facebook, dass die Spanier IRON CURTAIN von einem Flugausfall betroffen sind und deshalb nicht wie ursprünglich geplant um 16:40 Uhr, sondern erst am nächsten Morgen zur Frühstückszeit um 10:45 Uhr auftreten werden! Den eigentlichen Slot übernehmen ARKHAM WITCH, die eigentlich um 12:00 Uhr den Reigen eröffnen sollten. Der Beginn verschiebt sich daher auf 13:05 Uhr. Daraufhin starten wir allerdings derart entspannt in den Tag, dass wir die nun erste Band, die polnischen HELLHAIM, leider glatt verpassen und erst zu ihren Landsleuten ROADHOG eintreffen. Diese zocken guten traditionelle Metal ohne Gekreische. Wenn ich das richtig mitgeschnitten habe, kommt für einen Song der HELLHAIM-Sänger auf die Bühne und singt mit. Für „Liar“ wird zum Circle Pit aufgerufen, aber dafür ist’s noch ein bisschen zu früh. Der Song jedoch kann definitiv wat. Ein angenehmer Einstieg in den musikalischen Teil des Tages für uns. Und mit dem Œuvre der Band werde ich mich mal beschäftigen (ebenso mit dem HELLHAIM‘schen).

Bühne frei für SPELL: Das mir bis dato unbekannte kanadische Quartett, das offenbar einst als Duo gegründet wurde, jagt erst mal eine alte Jazznummer oder so durch die Konserve und legt dann mit einem sehr eigenwilligen Sound, einer Art Mischung aus ‘70er-Hardrock, klassischem Metal und ‘80er-Synthie-Sounds, los. Der bassspielende Sänger hat eine sehr gewöhnungsbedürftige Fistelstimme, die zudem oft daneben liegt – klingt echt schräg. Es lohnt sich aber, nicht gleich Reißaus zu nehmen, denn nach und nach offenbaren sich einem einige wirklich schöne Melodien, an der Gitarrenarbeit gibt’s zudem nichts zu mäkeln. Eines der Bandmitglieder bedient mal den Oldschool-Synthesizer, mal die zweite Klampfe oder auch beides parallel. Ein langsamer, getragener Song ist fast schon Pop, aber in gut! Eine Gastgitarristin namens Alison Hell (ANNIHILATOR, anyone?) stößt fürs THE-DEVIL’S-BLOOD-Cover „A Waxing Moon Over Babylon” hinzu. Dabei gibt’s zunächst technische Probleme, während derer Teile des Publikums die Band mit „Spell! Spell!“-Rufen anfeuern, und in deren Anschluss man eine sehr gelungene Version des Songs mit sehr charakteristischem Gitarrensound zu hören bekommt. Beim letzten Song „Watcher of the Seas“ spielt sie dann kurzerhand auch gleich mit. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Werde mich mal in die Alben reinhören. Vor allem diesen „Popsong“ muss ich finden… [Edit: Gefunden! „Dawn Wanderer“]

ARKHAM WITCH aus Keighley (West Yorkshire) tun mit einer komplett weiblichen Rhythmusfraktion etwas für die ansonsten etwas magere Frauenquote auf der Bühne und treten mit einem jungen Sänger an, der seine Sache formidabel macht. Der sich beim doomigen klassischen Metal und der NWOBHM bedienende Sound der Band läuft ganz gut rein, das punkige Uralt-Stück „We’re From Keighley“ (mit schönem „Fuck you, we’re from…“-Mitgrölrefrain) sorgt für Abwechslung, man covert „I Love The Lamp“ von THE LAMP OF THOTH, mit denen es Personalüberschneidungen gibt, besingt „Viking Pirates of Doom“ und den „Death by Heavy Metal“, bis man als Zugabe die punkige Anti-„Star Wars“-Nummer „Droid Fucker!“ auspackt.

Wir bleiben in England, begeben uns aber in die Abteilung sinnloser Umbenennungen: TRÖJAN aus der NWOBHM-Spätphase hatten sich für ihr zweites (und bis dato letztes) Album in TALIÖN umbenannt, für ihr Comeback aber wieder den alten Namen angenommen. Demnächst soll tatsächlich ein brandneues Album folgen; selbstbewusst steigt man mit einem Song von diesem ins Set ein, in dessen Verlauf zwei weitere neue Nummern präsentiert werden. Die ersten Songs sind sehr speedig, das Instrumental „Speed Thrills“ verschafft Sänger Graeme Wyatt eine Verschnaufpause (für die er kurz von der Bühne verschwindet). Die hat er sich mehr als verdient, denn seinen durchdringenden hohen Gesang beherrscht er absolut perfekt und schließt man die Augen, glaubt man, es stehe ein junger Hüpfer auf der Bühne! Bis auf anscheinend den dreadgelockten Drummer sind auch seine Kollegen älteren Semesters aus der Originalbesetzung, aber gemeinsam legt man einen Mördergig hin, dessen Höhepunkt mein Favorit „Chasing the Storm“ ist, der als vorletzte Nummer gezockt wird. Respekt! Da freut man sich doch umso mehr aufs neue Material. Eine meiner positivsten Überraschungen auf diesem HOA.

Bei den als RUNNING-WILD-Tributband (der mittleren Phase) gestarteten BLAZON STONE hat sich, seit ich sie zuletzt sah (nämlich exakt hier 2018), das Besetzungskarussell kräftig gedreht, von damals ist offenbar nur noch die Gitarrenfraktion um Bandgründer Ced Forsberg übriggeblieben. Damals war dessen Bruder am Gesang, nun haben sich die Schweden mit dem Finnen Matias Palm verstärkt. Seinerzeit hatte ich noch geargwöhnt, die fetten Chöre seien anscheinend aus der Konserve gekommen, was diesmal definitiv nicht mehr der Fall ist. Der erste Song klingt noch ein bisschen nach SANTIANO auf Metal, aber was die Gitarristen hier im weiteren Verlaufe auffahren, ist die pure Spielfreude, die gern in doppelte Leads mündet. Matias fehlt das Kehlige, Verrauchte, Bluesige in der Stimme, was RUNNING-WILD-Cheffe Rock’n’Rolf mitbringt; aber nicht, dass wir uns missverstehen: Ein hervorragender Metal-Sänger ist er zweifelsohne. Generell scheint mir der eine oder andere Song eher in einer etwas höheren Tonart angesiedelt zu sein als die mir bekannten alten RUNNING-WILD-Schoten. Hier und heute gibt’s viele Speed-Nummern und viel Melodie, wobei mir der bis zum Schluss zurückgehaltene „Stand Your Line“ vom Debüt am besten gefällt. Mit „Down in the Dark“ hat man sogar noch eine Zugabe parat. Seine Texte scheint Matias zumindest zeitweise vom Bühnenboden abzulesen – kein Wunder, wenn man in vier Bands gleichzeitig spielt…

DUST BOLT aus Bayern spielen einen etwas moderneren Thrash-Sound mit zwei Klampfen, das jüngste, mittlerweile fünfte Album erschien im Februar. Ist nicht 100%ig meine Mucke, macht live aber einiges her. Als eine Saite riss (oder so), muss man etwas Zeit überbrücken, zieht ansonsten aber konsequent durch. Während eines Songs begibt sich, wenn ich das richtig mitbekommen habe, Sänger und Gitarrist Lenny in die Mitte eines amtlichen Circle Pits, um dort weiterzuzocken. Gegen Ende packt man reichlich Kunstnebel aus und beendet den Gig mit dem NEIL-YOUNG-Cover „Keep On Rockin In The Free World“, das mit schweren lauten Gitarren einfach geil klingt und von der Meute begeistert mitgesungen wird.

Als ich im Vorfeld gesehen hatte, dass THIN LIZZY alias BRIAN DOWNEY’S ALIVE AND DANGEROUS auf dem HOA spielen würden, war das neben EVIL INVADERS, SODOM und PYRACANDA einer der Gründe, mir ‘ne Karte zu besorgen. Denn obwohl ich kein ausgewiesener LIZZY-Fan bin, hat mich das, was ich vom Auftritt auf dem Rock-Hard-Festival letztes Jahr noch mitbekommen hatte (fußballbedingt nur ungefähr das letzte Drittel) doch sehr beeindruckt und überzeugt. Seither glaube ich an Reinkarnation, denn unter dem Namen Matt Wilson scheint Phil Lynott zurückgekehrt zu sein, damit er zusammen mit Original-THIN-LIZZY-Drummer Brian Downey wieder auftreten und die Songs des legendären Livealbums (und ein bisschen mehr) spielen sowie singen kann. Ungelogen: Wilson sieht Lynott nicht nur verdammt ähnlich, sondern singt auch wie er, ohne sich dafür verstellen zu müssen. Die Illusion ist perfekt und die beiden Gitarristen Michal Kulbaka und Joe Merriman beherrschen den Heavy-Bluesrock-Sound der irischen Legende perfekt. Meine Liebste und ich beschließen, erst einmal genug vor der Bühne gestanden zu haben, und beziehen eine seitliche Sitzbank bei trotzdem guter Sicht. So lauschen wir den Twin-Gitarren, den pumpenden Rhythmen und der leichten irischen Melancholie in den mit warmer Stimme vorgetragenen Songs. Downey & Co. erweisen sich eines Headliners mehr als würdig, bringen nicht nur mit dem Traditional „Whiskey in the Jar“ zig heisere Kehlen zum Mitsingen und haben noch drei Zugaben im Köcher, darunter eine Coverversion des ehemaligen LIZZY-Gitarristen GARY MOORE. Auf unserer Sitzbank haben wir jedoch eine nun nicht mehr 100%ig gertenschlanke und nüchterne Piratin (darauf lassen zumindest ihr Hut und ihr Rumdurst schließen) an Bord, die ihrer Begeisterung durch exzessiven Sitztanz Ausdruck verleiht und sich für Selfies so weit zurücklehnt, dass sie uns fast auf dem Schoss liegt. Immer wieder fühlt es sich fast an, als würden wir bald kentern, letztlich schippern wir aber in sichere Fahrwässer.

Nass werden wir dennoch ein bisschen, denn das Wetter ist heute unbeständiger als noch gestern. Weil wir’s am nächsten Morgen möglichst zu IRON CURTAIN schaffen wollen, machen wir uns flott auf den Weg. Zu unserem Glück steht direkt an der Straße ein aus Elmshorn bestelltes Taxi, das noch etwas Zeit hat und uns gerne zu unserer Unterkunft fährt. Das ist nicht zuletzt deshalb praktisch, weil ich dadurch meine Plattenkäufe vom Dying-Victims-Stand nicht durch die Gegend zu schleppen brauche und die guten Stücke nicht nasswerden können.

 

Tag 3: Vera am Mittag Abend

Anstatt wie am Vortag herumzutrödeln, lassen wir schon früh den Wecker schellen, schließlich sollen IRON CURTAIN schon um 10:45 Uhr den dritten und letzten Festivaltag eröffnen. Zum Einen haben wir Bock auf die Band, zum Anderen wollen wir ihr mit unserer Anwesenheit Dank dafür erweisen, diese irre Odyssee auf sich genommen und nicht einfach abgesagt zu haben. Nach dem stärkenden Frühstück marschieren wir im Stechschreit in Rekordgeschwindigkeit zum Gelände und verpassen lediglich die ersten Minuten. Angesichts der hübschen Bühnendeko wird auch der Grund für den verpassten Flug klar – mit solch schweren Ketten kommt niemand durch den Metalldetektor. Sehr viel Metal(l) ist auch in ihrem Sound auszumachen, der zackigen Speed mit MOTÖRHEAD-Räudigkeit kreuzt und zu derart ungewohnt früher Stunde die Frühstückseier hartkocht. Die Kulisse ist für die Uhrzeit beachtlich und Bandkopf Mike Leprosy nimmt sich die Zeit, kurz von der beschwerlichen Anreise zu berichten – mit dem Lächeln eines Metal-Gladiators (Songtitel) auf den Lippen. Ein Zwischendrintro aus dem Off sorgt für eine kurze Verschnaufpause, bevor einem weiter mit der Streitaxt der Schlaf aus den Klüsen geprügelt wird. Die Fans dankten es mit „Iron Curtain!“-Sprechchören, in die Mike mit einsteigt, aber versehentlich „Iron Maiden“ skandiert… Es wird nicht ihr einziger Auftritt auf diesem HOA bleiben, aber dazu später mehr.

Nicht ganz so weit zum Festival hatten es die dänischen ‘80er-Veteranen ALIEN FORCE, die seit 2021 mit einem Comeback-Album wieder am Start sind. Im Gepäck haben sie ein paar gute Nummern, aber für meinen Geschmack auch viel etwas arg gemütliches Midtempo-Zeug. Der Sänger hat ein schön kräftiges Organ und kommt ohne Eierkneif-Screams aus, was mich positiv an manch andere dänische Band erinnert. Die letzte Nummer, der Titeltrack ihres Debüts „Hell and High Water“, wird am meisten gefeiert.

Dann endlich PYRACANDA! Die Koblenzer, die in den Jahren 1990 und 1992 zwei Alben veröffentlichten (von denen ich das Debüt „Two Sides of a Coin“ sehr schätze), sind seit 2019 mit drei Originalmitgliedern zurück und wirken wie eine hungrige Band, der man ihr Alter kaum anmerkt. Sänger Hansi ist überaus agil und mit seinem Klargesang bestens bei Stimme. Die Klampfen liefern derbes Geschrubbe, Groove und Melodie zugleich, die tiefen Background-Shoutings besorgen schöne Kontraste und kommen verdammt gut rüber. Im Oktober erscheint ein neues Album, worauf Hansi mehrfach hinweist, und so gibt’s auch zwei neue, noch unveröffentlichte Stücke zu hören, von denen das erste (sehr gelungene!) hier seine Live-Premiere feiert. Das zweite taucht später im Set auf, heißt „Hellfire“ und wird wohl die erste Single werden. Auch PYRACANDA gönnen sich ein kurzes Intermezzo aus der Konserve. Zwischendurch stellt Hansi den neuen Gitarristen Frank vor, der hier seinen Einstand feiert, und versingt sich bei „Democratic Terror“ kurz, wofür er sich im Anschluss entschuldigt. Letzteres wäre nun wirklich nicht nötig gewesen, denn das war ein ziemlich geiler Auftritt!

Die US-Amerikaner MEGA COLOSSUS sind in der Szene derzeit irgendwie in aller Munde, was sich mir nicht so ganz erschließt, denn so richtig meins ist ihr klassischer Metal mit Epic-Schlagseite nicht. Gute Musiker sind’s zweifelsohne, doch das Songwriting kickt mich nicht so ganz. Aber was weiß ich schon, die Leute feiern die Band mit Sprechchören – und mit dem letzten Song, dem Speedster „Razor City“, entdecke ich tatsächlich einen (nach „Fortune and Glory“) weiteren Song, der mir gefällt.

Nun wird’s wieder etwas spezieller: NOTHING SACRED aus Australien waren, wie manch andere Band hier, bereits in den ‘80ern am Start und veröffentlichen seit 2020 in veränderter Besetzung wieder neue Musik, liefen bisher aber unter meinem Radar. Unter dem vieler anderer anscheinend auch, denn vor der Bühne ist’s zunächst noch ein bisschen übersichtlich, es füllt sich dann aber. Der Sänger sieht aus wie ein Familienpapa, der sich gern die Nachbarn zum Grillen auf die Veranda seines Häuschens nahe der Outbacks einlädt, erzählt von einer 40-stündigen Anreise (Alter…), fordert die Leute auf, alle mal ‘nen Schritt näherzukommen, und changiert zwischen hohem, melodischem und klagendem Gesang in normaler Stimmlage. Die Band hat irgendwas herrlich Irres an sich, das mich schmunzeln lässt. Der Drummer liefert heftiges Speed-Drumming, das die Grundlage für den eigenwilligen Thrash mit Power-Metal-Elementen, dargeboten von zwei Gitarristen, bildet. Irgendwann zieht der Sänger endlich die Kopfsocke ab und gießt sich sogleich eine Flasche Wasser über die Rübe. Bei den Kindern im Publikum entschuldigt er sich „for the language“ (womit er anscheinend die Schimpfwörter in den Texten meint), und verschafft sich eine Verschnaufpause, indem er die Bandmitglieder vorstellt. Am Schluss spielt man „Deathwish“, die erste Single „aus dem Jahre 1471 oder so“. Sehr sympathische, klasse Liveband, deren Tonträger ich mir ebenfalls mal in Ruhe anhören werde.

NOTHING SACRED waren vermutlich mit ihren Landsleuten SILENT KNIGHT zusammen angereist – und mir bis dato ebenso unbekannt. Man existiert seit 2009, hat vier Alben und zwei EPs draußen – und seit 2020 Sänger Dan Brittain am Start. Dieser kreischt im ersten Song zur mir von PENNYWISE bekannten „Bro Hymn“-Melodie, während die Gitarren gegen den etwas zu lauten Bass ankämpfen. Vornehmlich setzt Dan seine Kopfstimme ein, growlt aber am Refrain- oder Strophenende gern die letzten Silben an. Das ist geil und etwas anstrengend zugleich; am besten gefällt mir die Band aber ehrlich gesagt, wenn mal ein bisschen in normaler Tonlage gesungen wird. Der Sound wird mit der Zeit besser, kategorisieren würde ich ihn als so was wie angedüsterten Melodic-Speed. Die mehrstimmig gesungenen Refrains kommen ziemlich cool und musikalisch ist’s ohnehin top. Der eine Gitarrist greift dem anderen während eines Solos ständig ins Griffbrett, Dan ist permanent am Headbangen und Luftgitarrespielen. Gegen Ende gelingt ein Whohoho-Mitsingspielchen gut als Interaktion mit dem Publikum. Die letzte Nummer erhält ein Intro vom Band und als auch diese um ist, klingeln mir so richtig die Ohren. Klar, dass ich mich auch durchs Œuvre dieser Band hören werde…

Besser vertraut bin ich mit dem Material, das jetzt kommt: Eine fette Überraschung, die zum Zeitpunkt unseres Kartenkaufs noch nicht feststand. Zum 40-jährigen Jubiläum des RUNNING-WILD-Debütalbums „Gates to Purgatory“ taten sich der damalige zweite Gitarrist (und Freund des HOA) Preacher und BLAZON STONE zusammen, um das komplette Album, erweitert um Sampler-Beiträge und EP-Stücke der damaligen Zeit, live auf die Bühne zu bringen! RUNNING-WILD-Mastermind Rock’n’Rolf hatte keinen Bock, also stellte man das kurzerhand in dieser Konstellation auf die Beine. Einer der Veranstalter erläutert die Vorgeschichte, und dann kommt auch noch der damalige Drummer Hasche hinzu. Dieser erklärt, gesundheitlich angeschlagen zu sein und sich zwischen zwei OPs zu befinden, später aber zumindest einen Song mitzuspielen. Ich war gespannt wie ein Flitzebogen und wurde nicht enttäuscht. BLAZON-STONE-Sänger Matias hat seine Stimme „heruntergestimmt“ und singt nun dunkler – und Preacher hat sichtlich Spaß und posiert, als hätte es für ihn nie eine Bühnenabstinenz gegeben. „Adrian S.O.S.“ wird dermaßen schnell runtergeholzt, dass Matias kaum hinterherkommt. RUNNING WILD waren damals noch weit von ihrem erst mit dem dritten Album etablierten Piraten-Image entfernt und so jagt hier ein satanischer Song den nächsten, süffisant kommentiert vom Sänger. Das ist umso kurioser, als Preacher nicht umsonst Preacher heißt, hat er doch tatsächlich Theologie studiert und ist evangelischer Pfarrer. Aber wie er unlängst in einem Interview sagte: Das sei ja alles allegorisch gemeint gewesen. Und das war es ja auch! „Gengis Khan“ wird um einen beeindruckenden Publikumschor ergänzt, „Walpurgis Night“, „Warchild“ und „Iron Heads“ werden zwischengeschoben, der kongeniale Stampfer „Chains and Leather“ lässt die Fäuste in die Höhe recken und wird lauthals mitgesungen – und dann ist erst mal Umbaupause angesagt: Das Schlagzeug wird von Links- auf Rechtshänder (oder umgekehrt) umgebaut, damit Hasche seinen Song trommeln kann. Währenddessen lobt Preacher BLAZON STONE und holt den Wirt der Lauschbar auf die Bühne, der sie kostenlos und unkompliziert in seinen Räumlichkeiten hat proben lassen. BLAZON STONE erzählen auch noch den einen oder andere Schwank, u.a. welches RW-Album in ihrem jeweiligen Geburtsjahr herausgekommen war… „Prisoner Of Our Time“ soll also das große Finale werden, die Fans singen den Song schon mal selbst – bis es losgeht und Hasche beweisen kann, nichts verlernt zu haben. „We are prisoners of our time, but we are still alive! Fight for freedom, fight for the right – we are Running Wild!” wird zum Singalong des Abends und auch ich brülle mich heiser. Mit diesem historischen Ereignis wurde Metal-Geschichte geschrieben! Vielen Dank allen, die das ermöglicht haben, besonderer Dank an BLAZON STONE, deren sich an späteren RUNNING WILD orientierender Sound mit diesem wesentlich simpleren Teutonen-Metal aus der Pionierzeit nicht viel zu tun hat, diese Zelebrierung mitgemacht zu haben, und rasche Genesung dem guten alten Hasche!

Nun ist der Veranstalter leider gezwungen, eine traurige Nachricht zu überbringen: Die MAGNUM-Coverband KINGDOM OF MADNESS um den ehemaligen MAGNUM-Keyboarder Mark Stanway und anscheinend weitere Ex-Mitglieder (und benannt nach dem Debütalbum) muss leider passen: Der Pilot ihres Fliegers von Manchester nach Amsterdam fiel krankheitsbedingt aus, wodurch die Band ihren Anschlussflug nach Hamburg verpasste und somit keine Chance mehr besteht, es rechtzeitig zum HOA zu schaffen. Zumindest eines der Bandmitglieder ist laut Veranstalter anwesend und sitzt weinend backstage. Ich bin beileibe kein großer Fan der britischen Pomprocker, traurig stimmt mich das aber doch, denn auf dem Programm stand eine Art Best-of der Zeit von 1978 bis 1994 – und auch für meine Ohren haben MAGNUM einige echte Hits komponiert, die ich gern einmal live gehört hätte. Insbesondere hat es mir das „Wings of Heaven“-Album angetan. Mit MAGNUM-Bandkopf Tony Clarkins Tod dieses Jahr hat sich das Kapitel MAGNUM ja zudem bedauerlicherweise für immer geschlossen. Dafür steht jetzt mein Plan, KINGDOM OF MADNESS auf ihrem nächsten Hamburg-Besuch beizuwohnen.

She’s got the look

Seitens der Veranstalter wurde improvisiert: MEGA COLOSSUS und IRON CURTAIN treten nacheinander noch einmal auf. Gut, MEGA COLOSSUS spielen halt noch mal eine Handvoll Songs, während wir uns die Zeit mit Biertrinken und Sabbeln vertreiben. Aber dann: IRON CURTAIN zum Zweiten, nun zu einer wesentlich Günni-kompatibleren Uhrzeit! Also ab vor die Bühne. IRON CURTAIN sind laut Mike etwas angetrunken, er klingt auch deutlich heiserer als am Morgen und dadurch noch dreckiger und stärker nach Lemmy. Auf der (diesmal undekorierten) Bühne herrscht zunächst helle Aufregung seitens der Techniker, anscheinend stimmt irgendetwas mit den Monitoren nicht. Die Band lässt sich davon nicht irritieren und klopft noch mal ordentlich aufs Mett, spielt vier oder fünf Songs, darunter die spanischsprachige Pretiose „Brigadas Satanicas“, und haut sogar noch ‘ne Zugabe raus. Anschließend lässt man sich zurecht feiern. Danke, Jungs!

Einen hat das HOA noch: ARMORED SAINT als finaler Headliner des heurigen Festivals. Die US-Metal-Institution aus L.A. um Frontmann John Bush und Basser Joey Vera erfreut sich hierzulande seit jeher großer Beliebtheit, was sich mir nie so ganz erschloss. Ich mag den Signature-Song „March of the Saint“, aber das war’s dann eigentlich auch schon. Aber wenn wir schon mal hier sind, ziehen wir uns natürlich auch den gepanzerten Heiligen noch rein. Und das ist eine gute Entscheidung, denn nun kommen wirklich alle zusammen und stehen eng zusammengepfercht vor der Bühne, auf der SAINT eine absolut hochkarätige Show abreißen. Bush ist ein grandioser Sänger, den ich mir mit dieser Leistung auch gut und gerne seinerzeit als Dickinson-Nachfolger bei IRON MAIDEN hätte vorstellen können (statt Belladonna bei ANTHRAX abzulösen), zumal er in einen Jungbrunnen gefallen zu sein scheint, derart drahtig und topfit wirkt er, während er einige Kilometer auf der Bühne zurücklegt, ohne dass der Atem schwer würde. Die Band ist bestens aufeinander abgestimmt und eingespielt, da sitzen jeder Ton und jede Geste und Grimasse punktgenau. Vera am Mittag Bass geht ab und mit, als sei er selbst der größte Fan seiner Band, und Drummer Gonzo sieht mit seinem ulkigen Hut am Schluss aus wie ein Zauberer. Ich habe wirklich selten eine so tighte Band gesehen – dafür meinen Respekt! Eine tolle Show, wenn, ja wenn… man etwas anderes als diesen Halbgroove-Metal und dafür mehr Songs vom „March of the Saints“-Kaliber spielen würde. Musikalisch werde ich mit ARMORED SAINT wohl nicht mehr warm, ein unterhaltsamer Festival-Abschluss ist‘s dennoch. Bush bittet die Menge noch, nicht mehr betrunken nach Hause zu fahren, und draußen hat es angefangen zu regnen, was wir unter dem Dach vor der Bühne (beste Festivalerfindung ever) immer dann bemerken, wenn wir unsere letzten Bar-Moneten fürs Dithmarscher verprassen. Bei dieser Gelegenheit eines noch zum P.A.-Sound: Ich hatte es bei SODOM angemerkt, aber auch bei anderen Bands habe ich‘s zuweilen so empfunden und bei ARMORED SAINTS, wo wir wirklich mittig vor der Bühne stehen, fällt es uns besonders stark auf: Klar, die Snare muss knallen, darf aber den Gesang nicht übertönen! Das erhöht nicht etwa den Druck, sondern nimmt im Gegenteil etwas Wumms aus der Darbietung.

Ansonsten bin ich aber weitestgehend glücklich mit dem Festival. Es war ein echter Kurzurlaub und nicht nur eine willkommene Abwechslung zum Alltag, sondern auch zu meinen sonstigen Konzertaktivitäten. Ab und zu kann ich es sehr genießen, mich einfach mal vor eine Bühne zu stellen und einer mir mehr oder weniger unbekannten Band nach der anderen interessiert zu lauschen, um meine Favoriten schließlich zu feiern. Und da man sich in einem Funkloch befindet, geht vom Smartphone eine herrliche Ruhe aus, während es auf der Bühne kracht und scheppert – oder auch einfach nur wohlklingt. Bis auf die ein, zwei Ach-so-edgy-Typen mit BURZUM-Aufnähern war das Publikum nicht unangenehm. Die kostenlose Trinkwasserabgabe verhinderte allzu schlimmen Suff, Kater und Dehydration, und gesoffen dürfte trotzdem genug worden sein – nur einer von mehreren Punkten, von denen sich andere Festivals ‘ne Scheibe abschneiden können. Auch außerhalb des Bühnenbereichs gab’s sonnengeschützte Sitzmöglichkeiten. 3,- EUR für 0,3 Liter lokales Bier sind kein Schnäppchen, aber in Ordnung. Die Preise der Essensstände für Lagosch, Ofenbrot, Baumstriezel etc. erscheinen mir Festival-typisch etwas zu hoch, aber dafür sind die Dinger sättigend. Die Preise am von der HOA-Crew selbstbetriebenen Bratwoscht- und Pommes-Stand wiederum sind glaube ich heutzutage auch außerhalb von Festivals normal. 2018 gab’s noch einen von einer rührigen älteren Dame betriebenen Fischbrötchen-Stand, den wir gern frequentierten. Nun gibt’s dort irgend’nen Fischersfritz, der preislich den Vogel in negativer Hinsicht abschießt: Fischbrötchen 7,- EUR! Und zwar nicht nur die vergoldete Kaviarvariante, sondern auch das ganz normale Bismarckbrötchen, für das ich sogar im Amphitheater „nur“ 4 Öcken gelatzt habe. Nee, Alter – dat friss ma‘ schön selbst. Alles in allem ist die häufig kolportierte besondere Atmosphäre des Festivals kein Märchen, sondern gelebte und geförderte Realität.

Zurück zum letzten Festivalabend: Nach ARMORED SAINT warten wir ab, ob der Regen sich verziehen würde, was natürlich am besten am Bierstand geht. Ist leider nicht so, also packen wir unsere Ponchos aus (was ich zuletzt 2016 getan hatte, aber der fisselige Müllsack mit Aussparungen für die Extremitäten ist noch immer tadellos in Ordnung) und latschen ein letztes Mal zu unserer Unterkunft. Alles kein Problem, zu einer kleinen Herausforderung wird nur der noch mal deutlich längere Weg am nächsten Vormittag zum Bahnhof Dauenhof bei sengender Sonne, mit vollem Gepäck (u.a. den neuen Platten – es heißt nicht umsonst Heavy Metal) und nun doch so langsam dem Festival in den Knochen. Dafür erwartet uns am Bahnhof eine Rundum-sorglos-Gewerbeansiedlung mit Tanke, Imbiss und Eisdiele. Die Nordbahn ist pünktlich; bischn durchgedengelt, dafür mit ausdefinierten Wanderwaden treffen wir wohlbehalten wieder zu Hause ein. Danke ans HOA-Team für dieses geile Festival!

Teile des nächstjährigen Programm stehen übrigens schon fest, regelmäßig aktualisierte Infos gibt’s auf www.headbangers-open-air.com.

20.07.2024, Amphitheater Gelsenkirchen: KLASH OF THE RUHRPOTT

Liebes Konzerttagebuch,

kaum hatte ich meine negativen Erfahrungen auf dem letztjährigen Rock-Hard-Festival und meine daraus resultierende Konsequenz, dass sich mehrtägige Kommerzfestivals für mich bis auf Weiteres erledigt haben, niedergeschrieben, wurde bekanntgegeben, worauf die Thrash-Szene so lange hatte warten müssen: Die „Big Teutonic Four“, also die vier deutschen Thrash-Größen KREATOR, SODOM, DESTRUCTION und TANKARD, würden ein gemeinsames Konzert geben, ein Ein-Tages-Open-Air im – da war es wieder – Gelsenkirchener Amphitheater. Das konnte ich mir natürlich nicht entgehen lassen, also wie so viele andere gleich mal ein Ticket gesichert und ruckzuck war der Bums auch ausverkauft. Eine bezahlbare Übernachtungsmöglichkeit in GE war leider schwer zu finden, in Veranstaltungsnähe fand ich keine – dafür ‘ne AirBnB-Bude im Stadtteil Buer. Für die Bahnfahrt musste ich dank Deutschland-Ticket nichts extra zahlen, denn Gelsenkirchen ist von Hamburg aus mit den Regionalverkehr ganz gut zu erreichen. Für den Notfall wäre damit auch etwas Taxikohle übrig gewesen.

Und dieser trat natürlich ein. Von Altona nach Harburg, von dort nach Bremen und von Bremen nach Osnabrück lief alles gut, aber auf der letzten Teilstrecke tat die Bahn dann das, was die deutsche Bahn eben so tut: Sie fuhr mit einem kaputten Zug, dessen Türdefekt dazu führte, dass an jeder Haltestelle ewig lang gewartet werden musste – was sich auch noch potenzierte, als man beschloss, zwischen zwei Käffern außerplanmäßig jede Milchkanne anzufahren. Die Fahrgäste wurden immer unruhiger, einer schien kurz vorm Ausrasten zu ein. Die Informationspolitik war desolat. Letztlich brauchte man für die Strecke doppelt so lange wie ursprünglich geplant, mit satten 80 Minuten Verspätung kam ich im schönen Gelsenkirchen, der grünen Lunge des Ruhrgebiets, endlich an. Gut, dass ich für diesen auf Schienen schleichenden Elektroschrott nicht noch Kohle hatte latzen müssen. Ca. 45 Minuten später war ich dann auch in meiner Unterkunft. Mit noch in Ruhe etwas essen und irgendwo ‘ne 0,5-Liter-Plastikbuddel für die aufgrund der Hitze „großzügigerweise“ gestattete Softdrink-Mitnahme auftreiben war’s essig. Zu allem Überfluss landete ich auch noch beim langsamsten Frittenschmied Deutschlands. Wenigstens etwas gestärkt rief ich mir also ein Taxi und ließ mich vom freundlichen und sehr interessierten Fahrer zum Amphitheater chauffieren. Ohne abgetastet zu werden (was mich etwas überraschte) kam ich rein und zehn Minuten oder so später eröffneten dann auch schon TANKARD den Ruhrpott-Klash.

Der Veranstalter hatte im Vorfeld aufgrund der erwarteten (und eingetroffenen) brütenden Hitze dazu geraten, eine Kopfbedeckung aufzusetzen und sich gut einzucremen, was ich brav tat, daraufhin aber noch mehr schwitzte. Mir lief die Suppe nur so runter und ich sehnte mir etwas Schatten herbei. TANKARD begannen mit „One Foot in the Grave“, der sich als cooler Opener entpuppte, gefolgt vom großartigen Klassiker „The Morning After“, dem jungen „Ex-Fluencer“, mit „Alien“, „Chemical Invasion“ und „Zombie Attack“ weiteren Klassikern und „Beerbarians“ vom aktuellen Langdreher. „A Girl Called Cerveza“ wurde als TAYLOR-SWIFT-Cover angekündigt, womit man ironisch Bezug auf die Swift-Manie nahm, von der Gelsenkirchen kurz zuvor ergriffen worden war, weil die US-Pop-Sängerin drei aufeinanderfolgende Konzerte gegeben hatte und die Stadt sogar in „Swiftkirchen“ umbenannt worden war. „(Empty) Tankard“ schloss wie üblich den Gig, mehr als neun Songs waren leider nicht drin. Dafür war die sympathische Band bestens drauf, hatte sichtlich Bock und wurde zurecht gefeiert. Wer gehofft hatte, TANKARD würden anlässlich dieses besonderen Ereignisses eine spezielle Setlist mit einigen Überraschungen schnüren, sah sich aber getäuscht. Wahrscheinlich hatte man das aufgrund des erst kürzlich zurückliegenden Personalwechsels an den Drums auch einfach nicht erwarten können. Ex-HOLY-MOSES-Drummer Gerd Lücking, der Olaf Zissel auf dem Drumhocker beerbte, machte seine Sache dafür ganz ausgezeichnet. Als nicht so ausgezeichnet entpuppte sich die Getränkeversorgung. Von den zwei Bierbuden am Innenrund hatte ich mich an die mit der kürzeren Schlange gestellt, briet aber locker 20 Minuten in der Sonne, bis ich unverschämte 5 Öcken für 0,4 Liter Veltins berappen und auch noch 4 (!!!) Euro Becherpfand drauflegen durfte. Derartige Schnarchnasen hatte ich noch an einem Bierstand erlebt. Die schienen das tatsächlich zum ersten Mal zu machen…

Anschließend schaute ich mich auf dem übrigen Gelände mit Merchstand (35,- EUR für’n T-Shirt, wurden seltsamerweise trotzdem fleißig gekauft) und Verzehrbutzen um und hatte damit anscheinend die gleiche Idee wie alle anderen, denn das artete in ein übles Gedrängel aus. Immerhin war damit die Zeit bis DESTRUCTION totgeschlagen, die mit „Curse The Gods“ kongenial einstiegen und auch darüber hinaus ausschließlich Hits im Köcher hatten, von „Invincible Force“, „Mad Butcher“, „Life Without Sense“, „Total Desaster“ und „Thrash ‘til Death“ aus den glorreichen ‘80ern über „Nailed to the Cross“ als leider einzigem ‘00er-Song bis hin zu „Diabolical“ vom bisher letzten Album und der aktuellen Single „No Kings No Masters“, die live so viel geiler klang als in der Studioversion, mit deren Sound ich hadere. Überhaupt, der Sound: Der knallte mit ordentlich Druck aus der P.A. und die aktuelle Besetzung mit zwei Klampfern lässt diesen erst gar nicht abfallen. Zwar zockten auch DESTRUCTION kein speziell angepasstes Set (wie gerne würde ich mal wieder „Unconscious Ruins“, „Reject Emotions“ oder mehr Kracher der 2000er-Reunion-Alben hören), muss aber auch gar nicht, denn das hier hatte es reichlich in sich. Mehr als die Hälfte des Auftritts verbrachte ich durstiger Depp aber wieder in der nun noch länger gewordenen Schlange am entschleunigten Bierstand…

Langsam wurde ich schlauer und nutzte die nächste Umbaupause, um mich direkt wieder für’n Bierchen anzustellen, um vielleicht sogar pünktlich zu SODOM eines zu bekommen. Was dann auch klappte. Gelsenkirchens Finest starteten nach dem Instrumental „Procession to Golgatha“ überraschend mit „S.O.D.O.M.“ vom „Epitome of Torture“-Album – welch geiler und eigentlich so naheliegender Live-Opener! – und spalteten anschließend Schädel mit unverwüstlichen Splittergranaten wie „Nuclear Winter“, „Blasphemer“ (diesmal anscheinend mit Toms Livelache anstelle der sonst üblichen aus der Konserve) und „Sodomy and Lust“, entmottete den „Crippler“, zog „Napalm in the Morning“ aus dem Giftschrank, setzte auf „Agent Orange“-Standards wie den Titeltrack und „Remember the Fallen“ und ließ abschließend den „Bombenhagel“ aufs Amphitheater nieder. Wat’n mehr als gediegener Abriss! Die Band zockte tight und holte, ähnlich wie zuvor DESTRUCTION, eine deftige Soundwand aus den beiden Gitarren heraus. Mit dem Nebel und Rauch übertrieb man es zuweilen vielleicht etwas, zeitweise ließ sich die Anwesenheit der Band nur noch erahnen. Die Refrains wurden aus etlichen Kehlen lauthals mitgesungen. Vorm „Crippler“ gab Tom bekannt, was eifrige ZDF-Volle-Kanne-Gucker (lol) schon längst wussten, nämlich dass die langerwartete „Tapping The Vein“-Vinylbox noch vor Weihnachten endlich erscheinen werde, und stellte auch Neuveröffentlichungen von „Obsessed by Cruelty“, „Get What You Deserve“ und „Masquerade in Blood“ in Aussicht! Sehr geil, dass sich da endlich etwas tut. Eine kleine Spitze gegen den TAYLOR-SWIFT-Hype konnte sich Tom, der das Amphitheater mit „Hallo Heimat“ begrüßt hatte, natürlich nicht verkneifen. Frank Blackfires Posing ist immer noch, äh, Geschmackssache, aber das Großartige an diesem Line-up ist – neben der Double-Axe-Power – die Freude, die es offenbar dabei empfindet, immer wieder die Setlist stark zu variieren und Songs auszugraben, die ewig nicht mehr gespielt wurden. Das ist Eins-A-Service (nicht nur) für die Die-Hard-Fans! Mich hat der Gig einmal mehr geflasht – und viel geiler geht’s in Sachen Thrash meines Erachtens auch gar nicht. Erlebnisse wie dieses rufen mir nicht nur immer wieder ins Gedächtnis, dass ich Fan bin, sondern auch warum.

Die Stimmung im Publikum war mittlerweile prächtig, zumal es auch nicht mehr so dermaßen heiß war, da die Sonne langsam im Untergang begriffen war. KREATOR schienen sich mir für die Umbauphase, die hinter einem riesigen Transparent konspirativ stattfand, etwas mehr Zeit zu lassen. Links und rechts an den Bühnenrändern wurden Gummidämonen angebracht und vermutlich wurden auch die Pyros installiert, die gezündet wurden, als es endlich losging. Das geniale „Sergio Corbucci is Dead“-Intro im Italo-Western-Stil erklang aus der Konserve, die erste livegespielte Nummer war – natürlich – „Hate über alles“, der Titeltrack des aktuellen Albums (und der klingt auf diesem ehrlich gesagt etwas garstiger). Mit „Phobia“, dem zweiten Song, war aber auch die Aggressivität voll da. Bereits hiernach rief Mille zur Wall of Death auf, woraufhin ich mich dann ehrlich gesagt aus dem Pit verkrümelte. Ein weiteres, wenn live auch altbekanntes Highlight war „Hordes of Chaos“, bei dem ich mich dann – zusammen mit einem großen Publikumschor – endgültig heiser brüllte. Neben den Pyros wurden auch Papierschlangenbomben oder sowat gezündet, spaßigerweise auch auf den Stufen des Theaters. Vor der Bühne ging’s so richtig rund und eigentlich war alles prächtig. Sogar mein Pils bekam ich aufgrund einer anscheinend entzerrten Situation auf dem Gelände außerhalb des Halbrunds nun recht flott.

Bis, ja bis… die ersten Tropfen fielen. Diese nahm ich zunächst noch dankbar als kleine Erfrischung entgegen. Als es richtig zu plattern begann, suchte ich allerdings ein halbwegs trockenes Plätzchen, das ich schließlich nur noch unterm Vordach eines Verzehrstands fand und die nächsten KREATOR-Nummern glatt verpasste. Der Regenguss täuschte aber bald an, lediglich ein Schauer zu sein, und versiegte fast komplett, sodass ich mich zurück vor die Bühne begab, wo KREATOR gerade ins Oldschool-Set, beginnend mit „Ripping Corpse“ und „Riot of Violence“, gestartet waren. Doch nach letzterem gab einer der Organisatoren bekannt, dass die Veranstaltung aus Sicherheitsgründen unwetterbedingt abgebrochen werden müsse. KREATOR hatten bis hierher ca. 50 Minuten gespielt. Der Überbringer der schlechten Nachricht erntete ein paar Buhrufe, weil das Schlimmste überstanden schien, doch rasch entwickelte sich ein veritables Gewitter mit gar nicht mehr aufhörendem Starkregen. Ich gab noch schnell meinen Pfandbecher zurück, lernte dabei sogar noch einen seit seiner Bundeswehrzeit in Hamburg verliebten Gelsenkirchener kennen, der mir von der Hansestadt vorschwärmte, und kämpfte mich durch den Regen übers keinerlei Schutz bietende Gelände bis zur Bushaltestelle an der Straße, deren Wartehäuschen natürlich längst überfüllt war. Außer einem Reisebus nach Recklinghausen ließ sich dort allerdings anscheinend kein Bus blicken, von den versprochenen Shuttle-Bussen zum Bahnhof keine Spur. Stattdessen trieb die Security sämtliche Gäste unwirsch vom Gelände. Mittlerweile dürften alle, die nicht mit dem Auto gekommen waren, bis auf die Knochen durchnässt gewesen sein. Ein Blitz schlug sogar in unmittelbarer Nähe ein. Ich versuchte, ein Taxi herbeizurufen. Die seien bereits alle auf dem Weg, hieß es. Dauerte trotzdem gefühlt ewig. Während ich unter der unablässigen Himmelsdusche wartete, lernte ich kurioserweise noch jemanden aus meiner alten Heimat kennen, dem ich dort nie übern Weg gelaufen bin, der sich aber auch öfter auf Hamburger Konzerten herumtreibt. Grüße! Mit ihm zusammen kaperte ich ein Taxi, das mich zurück zur Unterkunft und ihn nach Bochum brachte, wo er untergekommen war. Klitschnass schälte ich mich aus den Klamotten, war im AirBnB-Smarthome damit überfordert, die Glotze anzukriegen, ließ es gut sein und haute mich nach ‘ner letzten Kippe etwas frustriert in die Koje.

Weshalb dieser Frust, fragst du, liebes Konzerttagebuch? Die Bands waren doch alle bockstark und für so’n Unwetter könne schließlich niemand etwas? Ich will es dir erklären: Dass es arschheiß werden würde, war klar. Darauf, dass der Veranstalter im Halbrund keine zusätzlichen schattigen Orte schaffen würde, z.B. durchs Spannen von Planen im Gestänge oder zwischen den Tauen des Theaters, war ich eingestellt, denn mehr oder weniger konnte ich das aus seinem Aufruf herauslesen, sich gut einzucremen und Kopfbedeckungen mitzubringen. Etwas schade ist das trotzdem, aber sei’s drum. Dass lokales Industriebier zu Champagner-Preisen verkauft wird, kannte ich schon vom Rock-Hard-Festival und hatte ich zähneknirschend einkalkuliert. Statt WC-Wagen mit fließend Wasser Dixis und Pisspilze, auch ok. Händewaschen wäre schön, muss aber nicht… Dass man Valiumpatienten in die Bierbuden stellte, war dann aber schon ein Wermutstropfen. Dass sich die großspurig angekündigte Gratis-Trinkwasser-Ausgabestelle Überlieferungen zufolge (ich habe sie gar nicht gesehen, geschweige denn gesucht) als Schlauch mit genau einer Öffnung herausstellte, vor dem sich lange Schlangen bildeten, ist hingegen nicht nur ein Witz, sondern Verarsche. Wenn’s nach mir ginge, wäre es Pflicht (statt Gnade), seinen Gästen bei Freiluft-Veranstaltungen im Hochsommer Trinkwasser kostenlos zur Verfügung zu stellen, wenn man die Mitnahme eigener Getränke unterbindet oder stark rationiert. Muss dafür auch erst ein Gesetz her oder kapiert ihr das vielleicht doch noch selbst? Dass man aus Sicherheitsgründen die Veranstaltung abbricht, war sicherlich richtig. Die zigtausend Leute dann aber ohne jeden Evakuierungsplan mitten in ein heftiges und langanhaltendes Gewitter hinauszupferchen und sich selbst zu überlassen, dabei nicht einmal die Shuttle-Busse bereitzustellen, ist hingegen eine Frechheit sondergleichen. Sein Wucherpfand hat dabei mit Sicherheit auch nicht jeder zurückerhalten. Da war sie wieder, diese Gewissheit, dass man als Fan und Gast nicht mehr ist als eine Cash-Cow, die gemolken wird, bis nichts mehr geht, und sich anschließend möglichst schnell zu verpissen hat. Danke für nichts!

Das bringt mich aber auch zu generellen Überlegungen hinsichtlich Open-Air-Veranstaltungen in Zeiten des Klimawandels. Zumindest hierzulande scheint es mittlerweile ja eher die Regel denn Ausnahme zu sein, dass es im Sommer ständig Wetterextreme gibt: Schwüle Affenhitze und heftigste Niederschläge oder Gewitter. Die Veranstaltungsbranche sehe ich zunehmend in der Pflicht, dies einzukalkulieren und entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Anderenfalls dürfte manch einem nachhaltig die Lust auf solche Veranstaltungen vergehen. Beim „Klash of the Ruhrpott“ wurde die Leidensfähigkeit des Publikum jedenfalls wieder einmal auf eine harte Probe gestellt – und ich für meinen Teil bin, wenn sich nicht grundlegend etwas ändert, eine solche Scheiße ein für alle Mal leid.

Abschließend noch ein paar versöhnliche Worte: Dies gilt keinesfalls für die Bands, die allesamt gute bis sehr gute Shows gespielt haben, und dies gilt auch nicht für die Soundcrew, die, abgesehen von ein paar kleineren Schwächen wie dem zu leisen Gesang bei SODOM, wenn man eher seitlich stand, oder den bei DESTRUCTION zeitweise im Vergleich zur Snare überproportional lauten Toms und der Bassdrum im Vergleich zur Snare, einen für meine tauben Ohren amtlichen Job machte. Natürlich ist auch mir daran gelegen, dass möglichst viele, die an einem solch besonderen Happening teilnehmen wollen, auch die Möglichkeit dazu bekommen. Immerhin kamen hier Fans aus ganz Deutschland und dem Ausland zusammen. Für Veranstaltungen dieser Größenordnung wäre es aber erstrebenswert, Organisatoren und Orte zu finden, für die bzw. in denen dies auch ohne all die von mir beschriebenen negativen Begleiterscheinungen möglich ist. Oder wat?

P.S.: Der Fairness halber sei noch angemerkt, dass die Bahn es auf der Rückfahrt mitunter etwas spannend machte, ob die Anschlüsse erreicht werden, letztlich aber alles reibungslos lief.

P.P.S.: Sicher gibt es bessere Fotos, aber dies sind die meinigen (Schnappschüsse mit dem Fon). Im Netz gibt’s aber reichlich sehr gute und professionelle Fotos. Wer sich dafür interessiert: Am besten mal in den asozialen Netzwerken umgucken!

12.07.2024, Lobusch, Hamburg: THRASHING PUMPGUNS + GIF

Die Hamburger THRASHING PUMPGUNS luden zum Record-Release-Gig ihres nach „The Lord is Back“ aus dem Jahre 2014 (echt schon zehn Jahre her?!) zweiten Albums in die Lobusch. Das konnte natürlich nur gut werden. Als Vorband hatte Shouter Rolf die seit letztem Jahr existierenden JPEG PNG GIF verhaftet, nachdem er sie auf dem Gaußplatz live gesehen hatte. Verständlich, denn das sich, wenn ich richtig informiert bin, aus Mitgliedern von ATTACK OF THE MAD AXEMAN und KSM40 zusammensetzende Quartett spielt musikalisch einwandfreien, schnörkellosen und vom Drummer mit flottem, wuchtigem Punch vorangetriebenen Hardcore, zu dem der vor statt auf der Bühne agierende Shouter überwiegend deutschsprachige, prägnant auf den Punkt gebrachte Texte herausschreit, die sich kritisch mit den Begleiterscheinungen von Kokainkonsum („König Kunde“), dem Klimawandel („Anthropozän“) oder auch zynischem Gelächter („ROFL“) auseinandersetzen. Mit „Tot geboren“ coverte man BLITZKRIEG bzw. BOSKOPS, „Es Mentira“ war ‘ne spanischsprachige Nummer und weil vehement Zugaben gefordert wurden, zockten GIF noch „Löschkalk“ und „Friedensnobelscheiß“, bis dem Gitarristen ‘ne Saite riss. Nach gut 30 Minuten war Schluss. Geiler Gig, geile Band – geht absolut klar! GIF haben ein Tape draußen, anhören kann man es sich auch auf Bandcamp: https://gifpunk.bandcamp.com/album/das-lachen-der-hyaene

Beim HC-/Thrash-Crossover-Sound der THRASHING PUMPGUNS rappelte es dann so richtig in der mehr als gut gefüllten (und an diesem Sommertag entsprechend temperierten) Kiste. Man zockte einen bunten Mix aus Klassikern und neuem Material, das zwar auf Vinyl erhältlich war, aber zumindest Stand heute noch nicht im Netz zu finden ist. Wie schon bei GIF war der P.A.-Sound schön druckvoll, und hier kamen auch die beiden Gitarren relativ differenziert durch. Erstmals sah ich die Band mit meinem Bandkollegen Holler am Bass, der seine Sache absolut souverän zu meistern schien. Die beiden ehemaligen Bandmitglieder Flo und Oli befanden sich im Publikum und alle hatten Bock auf Party, die die Band mit Entertainer Rolf am Mikro dann auch wie bestellt abfackelte. Nach wenigen Songs war vor der Bühne gut was los, die speedigen Riffs flogen einem nur so um die Ohren und manch launige Ansage sorgte für zusätzliche Kurzweil. Vic an den Drums haute kräftig auf die Pauke und schwitzte sämtliche Klamotten durch. Der MANOWAR-Diss-Track „Girlowar Not Manowar“ hat das Zeug, die True-Metal-Fraktion zu vergrätzen, aber die war gar nicht da. Was von der Decke tropfte, war übrigens kein Schweiß, sondern Rolfs Rotze, die er dort verteilte, bis sie sich wie glibberige Stalaktiten abseilte… Wie viele Songs genau gespielt werden würden, hatte sich laut Holler erst während des Gigs entschieden; dafür gab’s dann wie üblich bei den PUMPGUNS keinen Nachschlag in Form einer klassischen Zugabe, immerhin aber noch ‘nen kleinen Jam. Astreines Oldschool-Crossover-Geschrote, das demnächst wohl auch quer durch die Republik getragen werden wird. Viel Erfolg mit der neuen Platte (die ich mir mangels verbliebenem Kleingeld in der Tasche noch nicht direkt mitnahm – aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben) und hoffentlich auf bald mal wieder!

Danke an den eigens aus dem hohen Norden angereisten Rohrpost-Torben, auf dessen Fotofundus ich zurückgreifen durfte – alle mit „Foto: TR“ markierten Bilder stammen von ihm!

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