

+ Disi… who?
Am 05.08.2016 (dem Weltbiertag!) bekamen wir die einmalige Gelegenheit, den „Chaos Sound“-Abend im edlen Monkeys zu eröffnen; nachdem zunächst lediglich die US-Bands THE CASUALTIES und TOTAL CHAOS bestätigt waren, kamen sogar noch die Australier TOPNOVIL dazu – volles Programm also. Doch Hamburg wäre nicht Hamburg, hätte nicht auch an diesem Tag ein wahres Überangebot um die Gunst subkulturell interessierten Publikums gebuhlt. So feierte zeitgleich das Hafenklang sein 20-jähriges Bestehen mit einer gleich zweitägigen Party mit Mörder-Line-Up bei freiem Eintritt, lud der Rondenbarg ebenfalls für umme mit seinem allsommerlichen Open Air usw. usf. Ich sah uns als Vorvorband also schon vor leerer Kulisse den Anheizer machen, zumal ausnahmsweise sogar das Wetter mitspielte und sicherlich eher dazu einlud, sich während des lokalen Supports an der frischen Luft zu verlustieren, statt sich unsere Trümmercombo anzutun. Doch der Reihe nach: Überraschend entspannt war Monkeys-Ralf, der unser um eine Stunde verzögertes Erscheinen problemlos abnickte und vor Ort wusste ich auch, warum: Während der eine oder andere Iro- und Nietenkaiser der fremdkontinentalen Kollegen noch den Toilettenbereich zum Kosmetik- und Frisierstudio umfunktionierte, zog Soundmann Steven unseren Soundcheck in Rekordgeschwindigkeit durch, so dass mir noch genügend Zeit blieb, aufgeregt hin und her zu laufen und vorzuglühen. Für die Punkszene unfassbar diszipliniert bot sich bereits pünktlich zum Einlass ein illustres Bild vor der Tür, zahlreiches Volk hatte sich unlängst versammelt und freute sich auf den Krawallabend.

Organized chaos
Zu den Klängen von seit Stefs Ausscheiden als Live-Intro benutzten „Les Rebelles“ stieß ich nicht minder pünktlich um 21:00 Uhr auf der Bühne hinzu, an der bereits der riesige THE CASUALTIES-Banner angebracht worden war. Den ausgelutschten Gag, uns daher als die Hauptband vorzustellen, ließ ich dann aber doch in der Gifttüte und wir ließen in unserem auf eine halbe Stunde gekürzten Kompaktset vornehmlich die Songs sprechen. „Victim of Socialisation“ und „Montag der 13.“ waren rausgeflogen, alles andere wurde von meinen Mit-Motherfuckers ziemlich souverän rausgepeitscht, deren Shouter (dat bin ich) sich nur einmal kurz verhaspelte und ansonsten mit dem Mikrokabel tanzte. Wir hatten einen Bombensound auf der Bühne, welch ungewohnter Luxus so’ne hochwertige Monitoranlage doch ist… Meine eingangs erwähnte Befürchtung bestätigte sich glücklicherweise nicht; wir blickten auf eine für unsere Verhältnisse (und vermutlich für die vieler als lokaler Support für drei Hochkaräter auftretenden Nachwuchsbands) stattliche Anzahl Interessierter, die sich offenbar gern unsere Auffassung von Remmidemmi in die Löffel blasen ließen und sich irgendwann sogar zu bewegen begannen! Sachen gibt’s…
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Disillusioned Motherfuckers
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Zum Sound der sympathischen Aussies von TOPNOVIL war das ein nicht zu knapper Kontrast. Ich hatte die Band vorher gar nicht auf dem Schirm, mir vorm Gig aber mal zwei Alben angehört. TOPNOVIL scheinen, grob umrissen, so etwas wie die RANCID aus Down Under zu sein, wobei es bei ihnen jedoch wesentlich homogener partykompatibel zugeht, während RANCID ja auch gern mal paar schwer melancholische Nummern oder Downer auf ihre Platten hauen. Bereits im vergangenen Jahr beehrten sie das Monkeys, Support durften seinerzeit die großartigen VIOLENT INSTINCT machen. Spätestens seitdem haben TOPNOVIL offenbar eine nicht ungefähre Fan-Basis in Hamburg, die den Gig vom ersten Akkord an zur Party machten – u.a. die berüchtigte Fucktard Crew, die kurzerhand ihr Banner über das des Headliners hängte. Die Band hatte ihre Amp-Koffer am Bühnenrand postiert und balancierte auf ihnen herum, sprang über die Bretter und zeigte generell viel Bewegungsfreude, setzte Energie frei. Der Drummer bewies ‘nen zünftigen Wumms und der Lead-Gitarrist legte feinste Melodien auf das Riff- und Rhythmusgerüst. Der Pöbel dankte es mit Ausdruckstanz und Ovationen. Ungeachtet Angry Andersons aktueller politischer Verwirrtheit coverte man ROSE TATTOOs „Nice Boys“ und ich sach ma: Wenn das heutzutage noch jemand darf, dann Australier. Dem singenden Gitarrero ging zwischendurch die Klampfe kaputt, so dass ein paar Songs mit nur einer Sechssaitigen auskommen mussten, was ihm jedoch wiederum noch mehr Bewegungsfreiheit eröffnete. Ein die Stimmung hochkochender, aufpeitschender Auftritt einer Band, der man sowohl ihre Live-Erfahrung als auch die unbändige Spielfreude zu jeder Sekunde überdeutlich anmerkte. Respekt!

Vanessa Cetin
Es dürfte die etwas längere Pause bis zum TOTAL-CHAOS-Auftritt gewesen sein, als ich mich übers reichhaltige Buffet hermachte – welches mich wiederum daran erinnerte, dass das ursprünglich mal Hauptintention für mich war, eine Band zu starten 😉 An den Monkeys sind verdammt gute Köche verloren gegangen, am besten parallel ‘nen Imbiss eröffnen! Im Pub-Bereich hatte es sich übrigens VANESSA CETIN eingerichtet, die mit ihrem Akkordeon zum Schunkeln einlud. TOTAL CHAOS aus L.A. überraschten Mitte der ‘90er damit, auf dem Epitaph-Label keine US-typische Punkrock-Richtung einzuschlagen, sondern den guten alten UK-82-HC-Punk-Sound aufzugreifen und in klangtechnischem zeitgemäßem Gewand zu reanimieren. 1996 erschien mit „Anthems From the Alleyway“ indes ein Album, das deutlich Richtung Streetpunk tendierte und die weitere Entwicklung hatte ich gar nicht wirklich mitverfolgt, doch hat man offenbar auf den seitdem fünf Alben zum eigenen Härtnersound zurückgefunden, ihn verfeinert und ausgebaut. Shouter Rob Chaos scheint die Angepisstheit komplett verinnerlicht zu haben und war schließlich auf der Bühne in seinem Element, als die Band vor allem erst mal eines erzeugte: Druck, Druck, Druck! Bei perfektem Klang wurde das Monkeys von einer infernalischen Aggro-HC-Punk-Walze förmlich überrollt, die einen regelrecht an die Wand drückte. Keine Studioaufnahme kann konservieren, was hier live passierte, welche Atmosphäre hier erzeugt wurde und ihren Widerhall in entfesselten Publikumsreaktionen fand. Die zahlreichen, an den D-Beat gemahnenden Beckenschläge strapazierten Nacken und Ellenbogen, das Uptempo mit seinen sägenden Riffs ging durch Mark und Bein und das heisere Gebelle des Shouters machte keine Gefangenen. Zwischendurch sprang ein merklich angeschossener Typ auf die Bühne und okkupierte das Mikro des Claude-Oliver-Rudolph-Lookalikes am Bass, der ihn gewähren ließ. Das war ungeschliffener HC-Punk as fuck, der eine Aura der Zerstörung entfaltete und bewies, wie wichtig es ist, dass dieser Sound weiterlebt und live auf den Bühnen dieser Welt stattfindet. Danach war ich dann eigentlich auch durch.
Doch zum Entspannen blieb nicht viel Zeit, immerhin waren THE CASUALTIES aus New York City der Headliner und forderten noch einmal volle Aufmerksamkeit. Anfänglich, gegen Ende der ‘90er, mit ihrer „Chaos-Punk“ getauften räudigen und trinkfreudigen Mischung aus Street-/Oi!- und HC-Punk noch gern von elitären Polit-Punks als Dummbatzen und Iro-/Spikes-Stylo-Abziehbilder verlacht, gelang es ihnen im Laufe der Jahre mit musikalisch immer versierteren Platten, inhaltlicher Weiterentwicklung, konsequenter Punk-Attitüde und leidenschaftlichen Gigs, Respekt auch über die Szene hinaus einzufordern und zu erlangen. Die Folge ist, dass auch oder gerade erst recht 2016 ein CASUALTIES-Konzert eine große Abrissparty ist, wenngleich die ersten Publikumsreihen nicht mehr unbedingt dem Mohawk-/Spike-Einheitslook anhängen. Auch Shouter Jorge Herrera pfiff diesmal auf die Stachelrübe und sah mit seiner liegenden Matte fast aus wie ein Glam-Metaller. Doch von den Brettern ertönte natürlich der berüchtigte CASUALTIES-Sound mit seinen hektischen Highspeed-Riffs und fiesem Gekeife, aufgelockert durch die eine oder andere Lead-Melodie und Singalongs. Der Mob drehte nun endgültig durch, es ging gut zur Sache und das Monkeys brodelte, feierte die Band und sich selbst. Fragt mich bitte nicht mehr nach Details, aber ich erinnere mich, mich besonders über die alte Kamelle „Ugly Bastards“ gefreut zu haben, an eine Bühneninvasion bei „We Are All We Have“ und einen bärtigen Zottel mit Halbglatze und beachtlicher Bierplauze, der plötzlich auf der Bühne auftauchte. Nachdem mir beim Versuch, jemanden im Pit aufzuheben, ein Typ unglücklich gegen die Hand gesprungen war (was sich im ersten Moment wie ein komplizierter Trümmerbruch anfühlte, sich aber schnell als harmlose Stauchung erwies), hielt ich mich auch angesichts meines eigenen Gesamtzustands eher im Hintergrund und begab mich erst später wieder nach vorne, als die Meute zunehmend erschöpft war und sich stärker aufs Mitgrölen konzentrierte. Erst gegen halb zwei verließen die CASUALTIES die Bühne und hinterließen ein völlig ausgepowertes, aber glückliches Publikum, das an diesem Abend ‘ne echte Vollbedienung bekommen hatte.
Mit allen Bands samt Anhängen ließ sich übrigens prima auskommen, auch backstage hatten wir viel Spaß inne Backen und die Monkeys-Crew hat eine Rutsche Bier nach der anderen nachgelegt. Dafür und natürlich für diese Auftrittsmöglichkeit noch mal fetten Motherfuckers-Dank. Ein legendärer Abend! Und für die Hamburger Subkultur spricht dann ja auch irgendwie, dass sich bei einem solchen eingangs erwähnten Überangebot anscheinend doch an den verschiedenen Orten jeweils genügend Volk versammelt, so dass zumindest in dieser Nacht wohl niemand in die Röhre gucken musste.
Up the Monkeys, up the Punx!
P.S.: Danke auch an Katharina für die Fotos unseres Gigs.
Professionelle TOTAL-CHAOS- und CASUALTIES-Fotos gibt’s bei Kevin Winiker.