„Es gibt keine schwerere Bürde als großes Potenzial!“ – Linus, 22. März 1963

Sämtliche aus je vier Panels bestehenden Zeitungsstrips sowie großformatigen Sonntagsseiten der „Peanuts“-Reihe Charles M. Schulz‘ aus den Jahre 1963 und ’64 in ihrer deutschen Übersetzung umfasst chronologisch sortiert der siebte Band der gebundenen Hardcover-Werkausgabe im Schutzumschlag aus dem Hamburger Carlsen-Verlag. In der vierseitigen Einführung berichtet diesmal Bill Mendelez, Regisseur der „Peanuts“-Filme, davon, wie es die Reihe ins Fernsehen schaffte, und schwärmt von der Zusammenarbeit mit Schulz. Wie gewohnt finden sich im Anhang des rund 330 Seiten starken Bands Gary Groths Nachwort, ein Stichwortindex sowie das Glossar mit Erläuterungen zu zeit- und kulturbedingt nicht unbedingt selbsterklärenden Comicstrips.

„Ich sollte nicht draußen spielen…“ – Charlie Brown, 31. Dezember 1964

Was also war damals los bei Charlie Brown und Konsorten? Nun, erwartungsgemäß Charlies Unvermögen, einen Drachen steigen zu lassen, in immer neuen Variationen, seine tiefsitzende Verunsicherung in Bezug auf das kleine rothaarige Mädchen, das er sich nicht einmal anzusprechen traut, und natürlich die von Pleiten geprägte neue Baseball-Saison, die im März beginnt. 1964 bekommt er gar einen Baseball-Arm und Radierophagie. Der Running Gag um Lucy und den Football, den Charlie treten soll, ist längst ebenso obligatorisch wie Lucys Schwärmerei für Schröder (sie beginnt sogar mit Klavierunterricht, um ihn zu beeindrucken), ihr „Job“ als Psychiaterin und die Schmusedeckenmanie ihres kleinen Bruders Linus. Dieser will Anfang 1963 doch tatsächlich Rinderzüchter werden, hadert aber damit, im Frühjahr nicht Klassenbester geworden zu sein. An Halloween steigert er sich auch immer mehr in seinen Glauben an den „großen Kürbis“ hinein. Als seine Anti-Schmusedecken-Oma immer öfter zu Besuch kommt, ist Holland in Not.

„…ich sollte ,Gullivers Reisen‘ lesen und eine Buchbesprechung schreiben…“ – Charlie Brown, 31. Dezember 1964

Der Hitchcock-Film „Die Vögel“ stört Snoopys Verhältnis zu seinen gefiederten Freunden und seine Ohren müssen mehrmals als Antennenmetapher herhalten. Frieda wird nicht müde in ihren Versuchen, aus Snoopy einen Karnickeljäger zu machen, doch seine Reaktion darauf ist großartig (oh, dieser Satz klingt wie eine Clickbaiting-Überschrift). Im Sommer 1963 muss der Gute ins Krankenhaus, das er jedoch vollständig genesen verlassen kann. Nach wie vor schleift er Linus bei seinen Schmusedeckendiebstahlsversuchen über Stock und Stein. Seine Hundehütte wird grundgesäubert, renoviert und ein Fresko an seiner Decke angebracht. Bemerkenswert, was er so alles in seiner Hütte zu horten scheint: Fernseher, Radiowecker, einen Van Gogh, einen Billardtisch im Keller und noch vieles mehr… Kein Wunder, dass so gern Vögel bei ihm vorbeikommen, u.a. um Bridge zu spielen.

Als Reaktion auf die Einführung der Postleitzahlen in den USA führt Schulz den von seinen Eltern nummerierten Jungen „5“ als kurzlebige Figur innerhalb der Reihe ein. Darüber hinaus wimmelt es wieder vor Anspielungen auf historische wie zeitgenössische Persönlichkeiten, u.a. eine Biologin. So denkt Schröder nach seinem Fauxpas im vorherigen Band nun wieder brav an Beethovens Geburtstag und veranstaltet 1964 im Vorfeld besonders viel Brimborium um ihn. Am 21. Juni 1964 feiert Schulz auf einer Sonntagsseite den Vatertag und im Spätsommer erlaubt er sich eine Persiflage auf Protestbewegungen und deren Symbole. Einer der Höhepunkte ist Linus‘ Bewerbung als Schülersprecher, die zu einer Parodie auf politische Wahlkämpfe avanciert. Linus‘ im Herbst 1962 eingeführte Brille ist hingegen kein Thema mehr, diese Idee scheint Schulz schnell wieder fallengelassen zu haben. Auch imitiert Snoopy diesmal keine anderen Lebewesen mehr, möglicherweise war dieser Gag auserzählt und er bereitete sich gerade auf seine Paraderolle als roter Baron vor.

Diese beiden Jahrgänge scheinen den festen Figurenstamm, die einzelnen Rollen und die mit ihnen verbundenen Gags in erster Linie konsolidiert zu haben. Hier und da schimmert Schulz‘ Skepsis gegenüber Politik und ihren Lautsprechern durch, weltbewegende Ereignisse wie die Ermordung John F. Kennedys bleiben jedoch ausgespart. In erster Linie verharrt man im liebgewonnenen Mikrokosmos von Kindern, von denen das eine oder andere viel zu erwachsene Probleme mit sich herumträgt und in seinen Umgang damit sowie seinen Erfahrungen zu einer köstlichen Karikatur menschlichen Miteinanders in der US-Gesellschaft Mitte der 1960er-Jahre wird. Das macht neugierig darauf, inwieweit sich die gesellschaftlichen Veränderungen der Folgejahre in den weiteren „Peanuts“-Abenteuern niederschlagen werden.