„Bilder aus 50 Jahren Weltmeisterschaft“, verlautbart der golden schimmernde, ballrunde Aufkleber, der auf meinem Exemplar dieses rund 400 Seiten starken, auf hochqualitativem Papier gedruckten Cofeetable-Books prangt und dabei Teile von Stefan Reuters und Pierre Littbarskis Armen während ihres Jubels über Andreas Brehmes Siegtreffer im WM-Finale 1990 in Rom verdeckt. Das Buch im Panorama-Format erschien2005 anlässlich der bevorstehenden hiesigen Herrenfußballweltmeisterschaft im Münchener Knesebeck-Verlag. Was der Aufkleber noch verschweigt, offenbart sich beim Aufblättern: Neben zahlreichen Bildern enthält der Band auch Texte des Autors Christian Eichler, Mitglied der ausgezeichneten Sportredaktion der ansonsten häufig politisch so fragwürdigen F.A.Z. Es handelt sich um Eichlers zweite Veröffentlichung in Buchform, im Jahre 2002 erschien bereits sein (mir unbekanntes) „Lexikon der Fußballmythen“.

Nach einem sechsseitigen Vorwort zur Geschichte des Fußballs und seiner Weltmeisterschaften steigt Eichler mit dem 1954er Turnier in der Schweiz ein, das Deutschland seinen ersten Weltmeistertitel bescheren soilte. Für jeden Tag eines Jahres wird eine Doppelseite aufgewendet, von denen die erste knapp über das Turnier informiert und die zweite die Spielergebnisse präsentiert. Die jeweiligen (gerade in der Vergangenheit meist sehr künstlerischen) offiziellen Plakatmotive werden ebenso abgebildet wie die jeweiligen Maskottchen (beispielsweise Tip und Tap von der WM in der BRD 1974). Größten Anteil am Buch haben dann aber die vollflächigen historischen Fotos aus verschiedensten chronologisch angeordneten WM-Partien, anfangs noch schwarzweiß und jeweils auf der linken Hälfte jeder Doppelseite um eine Bildunterschrift (bzw. Bildnebenschrift) ergänzt. Unter überflüssigen gestrichelten Linien, die dem Buch den Anstrich eines Kalenders mit Raum für Notizen verleihen sollen, nimmt Eichler jeweils im Fließtext Bezug auf die jeweilige Begegnung und weiß so einige bemerkenswerte, kuriose, allgemein bekannte oder auch in Vergessenheit geratene, anrührende und tragische Geschichten aus knapp 50 Jahren WM-Geschichte zu erzählen – oft durch eine weitere, kleine Fotografie am linken Seitenrand ergänzt. In Zeiten riesiger hochauflösender Bildersammlungen, permanent im World Wide Web verfügbar, locken diese briefmarkengroßen Fotos natürlich niemanden mehr hinterm Ofen hervor, die großflächigen Bilder jedoch sind schöne Beispiele für das geschickte Handwerk der Sportfotografie. Sie kombinieren sich perfekt mit Eichlers wunderbar formulierten Texten, die viel Leidenschaft für Sportberichterstattung sowie Gefühl für besondere Momente und ihren jeweiligen Zauber speziell in Bezug auf Fußballweltmeisterschaften erkennen lassen und dazu beitragen, vergangene Turniere nachzuempfinden oder sich die Ereignisse wieder ins Gedächtnis zu rufen sowie einladen, zu schmunzeln, den Kopf zu schütteln, zu staunen oder in eigenen Erinnerungen zu schwelgen. In seiner Anekdotensammlung kommt mir lediglich die WM 1990, die bei mir immer einen ganz besonderen Stellenwert genießen wird, etwas zu schlecht weg. Das Turnier in Japan und Südkorea 2002 ist das letzte von Eichler hier behandelte. Eichlers Buch erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern beweist Mut zur Lücke, ist eine bewusst subjektive Auswahl kleinerer und größerer Momente – die sich keinesfalls vornehmlich auf die deutsche(n) Mannschaft(en) konzentriert, sie stattdessen gleichberechtigt zu den internationalen Teams behandelt. Es lässt den besonderen Geist von Weltmeisterschaften, der sich aus dieser eigenartigen Mischung aus kollektiven und individuellen emotionalen Erinnerungen sowie internationalem Flair und interkulturellen Begegnungen speist (oder speisen sollte), aufleben, zitiert bisweilen sogar auf elegante Weise Fußballphilosophen, macht Lust darauf, es entgegen seines Kalenderkonzepts am Stück durchzublättern und ist als Vorbereitung auf die nächste WM oder ihr Begleiter hervorragend geeignet – für stumpfe „Party-Patrioten“ hingegen nicht. Seinem Erscheinungsjahr ist geschuldet, dass von Deutschlands gekaufter WM, jüngeren Fifa-Skandalen und hirnrissigen Vergaben an Katar, die seither ihren Schatten über das größte Fußballturnier legen, noch keine Rede ist.

Ich würde gern mehr von Eichler lesen.