Der umtriebige Medienschaffende Christian UImen versuchte sich mit „Für Uwe“ (wenn ich richtig informiert bin erstmals) auch als Belletristik-Autor. Im Mittelpunkt des rund 220-seiten starken, im Juli 2009 bei Rowohlt erschienenen Taschenbuchs steht Ulmens Kunstfigur Uwe Wöllner, ein zurückgebliebener Erwachsener, den er ursprünglich für die humoristische Reality-TV-Serie „Mein neuer Freund“ gespielt hatte und auch im Nachfolgeformat „ulmen.tv“ mit viel Inbrunst verkörperte. Das in 22 Kapitel plus Pro- und Epilog sowie ein Bonuskapitel und Danksagungen aufgeteilte Buch schreibt Ulmen aus Uwes Perspektive, schlüpft also einmal mehr in die Rolle.
Es handelt sich um eine Art verspätete Coming-of-age-Geschichte, denn nachdem Uwes Mutter infolge eines Unfalls unerwartet gestorben ist, zieht das „Muttersöhnchen“ 31-jährig aus dem Elternhaus in Hannover-Garbsen aus bzw. wird ausgezogen: Sein Vater möchte, dass Uwe endlich lernt, auf eigenen Beinen zu stehen, drängt ihn dazu, dessen kleine Eigentumswohnung in Berlin zu beziehen und besorgt ihm einen Job – Uwes ersten überhaupt – bei einem Bestatter.
Zu Beginn bringt Ulmen einige Zitate aus und Referenzen auf „Didi, der Doppelgänger“ unter, einem der Lieblingsfilme Uwes (sein Zweitlieblingsfilm ist „Ghostbusters“). Ulmen versucht, Sprache und Satzbau einfach zu halten, trotzdem wirkt vieles out of character. Das beginnt damit, dass Uwe niemals ein Buch schreiben würde und dass, wenn er es täte, er kein Wort wie Okularen für Augen verwenden würde und vermutlich auch keinen Genitiv. Damit es flüssig lesbar bleibt, hält sich Ulmen mit Uwes typischem Duktus zurück, beschränkt sich weitestgehend auf „goil“ und die charakteristischen „Herrn“- und „Herr“-Verwechslungen. Ein gutes Beispiel für die Vermischung von Uwe-Duktus und für Uwe arg unrealistische Schreibweise findet sich auf S. 54:
„Ich wollte Herr Weiß zu erkennen geben, dass ich von dem Antlitz der Hinterbliebenen genauso erschüttert war wie er. Und so grimassierte ich ihm meinen Ekel entgegen, als sich Herr Ringiers übelst unansehnliche Tochter umdrehte, um uns in Haus zu führen. Herrn Weiß blieb ungerührt.“
An diese Stil-Mixtur muss man sich gewöhnen, was jedoch recht schnell gelingt. Uwe bezieht seine soziale Intelligenz aus dem Privatfernsehen, u.a. Trash-Talkshows, und erwähnt interessanterweise wiederholt Collien Fernandes, mit der Ulmen kurz nach Veröffentlichung des Buchs zusammenkam. Wie mein Chef bringt Uwe Sprichwörter und Redewendungen durcheinander. Ganz beiläufig erhält man Kenntnis von diversen Fremdschammomenten, aber auch eigentlich sehr Traurigem aus Uwes bisherigem Leben.
„Den Heiratsdokumenten entnahm ich die genaue Anschrift meiner Frau.“
Als Leserin oder Leser begleitet man also einen 31-jährigen Zurückgebliebenen, der nicht weiß, dass er zurückgeblieben ist und sich selbst völlig normal findet, beim Erwachsenwerden, was für Uwe bedeutet: Er freundet sich in Berlin mit Pubertierenden aus prekären Lebensverhältnissen an und verliebt sich unsterblich in die rumänische Prostituierte Malina, die ihn in die zwischenmenschliche Sexualität einführt und irgendwann erkennt, dass sie ihn ausnutzen kann, was er jedoch nicht kapiert. Bei „ulmen.tv“ war Uwe ein geistig Behinderter, der zugleich ein empathieloser Arsch war, was Ulmen als Grundlage für so etwas wie Sozialexperimente nutzte. Dies steht hier nicht so sehr im Vordergrund, Uwes Besuch einer Prostituierten gegen Ende von „ulmen.tv“ dafür umso mehr. Denn im Finale des Buchs wird deutlich, was es für ihn bedeutete, als der, der er ist, überhaupt einmal Sex zu haben, womit ein gesellschaftliches Tabuthema angeschnitten wird, für das Ulmen aber auch keine Patentlösung präsentiert. Die Beschreibungen sind übrigens sehr explizit und würden als Film keine Jugendfreigabe erhalten. Die feine konservative Gesellschaft, der Uwes Vater angehört, bekommt ein paar Seitenhiebe zu spüren, ihre Bigotterie wird aber leider nur angerissen. Malina wiederum wird nicht als durchtrieben und böse charakterisiert, allein schon, weil sie es für Uwe nicht ist – und für Ulmen offenbar auch nicht.
Das Bonuskapitel wollte der Verlag (laut Uwe) angeblich nicht haben, konnte aber ins Buch geschmuggelt werden. Ein paar wenige kleine Rechtschreibfehler sind dem Korrektorat durchgerutscht und wenn mal ein Konjunktiv falsch ist, weiß man eben nicht so genau, ob das Uwe- oder Ulmen-Duktus ist. Ein sehr unterhaltsames, überraschend lesenswertes Buch, das in Hinblick auf seine behandelten Themen zum Mit-, Nach- und Weiterdenken einlädt.

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