Nachdem es uns letztes Jahr erstmals nach Potsdam verschlagen hatte, hatten uns die ehrenwerten Zeitgenossinnen und -genossen der Brigada-Caoz-Konzertgruppe direkt zur Teilnahme am zweitägigen Festival eingetütet. Als es konkreter wurde, einigten wir uns auf den Freitag in illustrer Runde. Per Miethobel ging’s dann am frühen Nachmittag zu viert mit sämtlichem Gepäck auf die Autobahn, Ole reiste im eigenen Boliden, Sandy ebenfalls, Flo kam per Bahn nach, Oles Freundin Chrissi + ‘ne Bekannte tauchten auch noch irgendwann überraschend im Archiv auf. Zunächst hielt der Highway to Hell aber einen fiesen Stau für uns bereit, ließ uns aber dennoch so zeitig eintreffen, dass wir zu den Ersten gehörten – alles entspannt also, erst mal in Ruhe Roby & Co. begrüßt, ‘n Sterni geköpft und natürlich lecker gespeist! Es handelte sich um ein Soli-Festival für die „No Border Kitchen Lesvos“-Initiative und auch wir bekamen ordentlich zu futtern: Kartoffelsuppe mit Räuchtertofu, Baguettebrot, Karottensalat, Kuchen mit Puddingfüllung, diverses Obst, Knabbergebäck… Hach, die Vorzüge des „Künstlerdaseins“… Eigentlich sollten wir als Dritte spielen, aber da Friedi & Co. es aufgrund des nach hinten verzögerten Beginns zu spät geworden wäre, ließen wir die Running Order noch mal rotieren und durften so bereits als Zwote ran. Im Hinterkopf hatten wir noch, dass die Sause eigentlich ‘ne Freiluftveranstaltung werden sollte, doch das stand wohl nur anfänglich ganz kurz zur Diskussion. Dafür war diesmal wieder die eigentliche Bühne im Innenraum des großzügigen Archiv-Komplexes bespielbar, letztes Mal zockten wir noch exakt gegenüber auf ebenem Boden. Vorm Beginn und in den Umbaupausen lief übrigens die meiste Zeit ein DIE-ÄRZTE-Tribut-Sampler mit einigen bemerkenswerten Eigen- und Uminterpretationen…
Den lokalen Vorreiter machten schließlich MINDFALL mit einer moderneren Hardcore-Variante, bischn Melodie, viel Wumms, breitbeinige Klampfer und viel Gebrüll – ging klar.
MINDFALL übergaben das Zepter an uns. Nachdem wir eine Position höhergerutscht waren, gab ich bischn Gas beim Trinken, um rechtzeitig auf Temperatur zu kommen, unterschätzte jedoch ein wenig die Wirkung und musste Flos mir nach dem Gig gestellte Frage, ob ich betrunken gewesen sei, mit ja beantworten. Sie kennt mich eben gut. Aber der Reihe nach: Der Zeitplan drückte, der Umbau ging daher schnellstmöglich vonstatten und Zeit für einen ausführlichen Soundcheck gab es nicht. Wir haben kurz „On The Radio“ angespielt und ich bat daraufhin darum, einfach meinen Gesang so laut wie möglich auf den Monitor zu bekommen. Tusch, „Brigitte Bordeaux“, „Total Escalation“ – und direkt versungen. Da merkte ich, dass ich Oles Leadgitarre dann doch auf dem Moni brauche und bekam sie auch. Mir wurde aber auch klar, dass ich nun zwei Möglichkeiten habe: Entweder nach jedem Song meinen Monitor nachjustieren lassen, bis ich den perfekten Bühnensound habe, oder einfach darauf scheißen und dem Affen Zucker geben. Ich entschied mich natürlich für letzteres, sprang wie in alten Tagen auf und ab, bis mir der Schweiß in die Augen floss und ignorierte die Mitteilungs- und Dialogversuche der Saitenfraktion, da ich sie sowieso akustisch nicht verstand. Für viel Gelaber war ohnehin keine Zeit, zu kuriosen Unterbrechungen kam es dennoch: Zwischen zwei Songs öffnete sich plötzlich die Tür hinter der Bühne, ein Mann kam herein, legte den Finger auf die Lippen, zischte „Psssst!“, womit er uns und das Publikum zur Ruhe aufforderte, fummelte irgendetwas Technisches herum und verschwand nach einiger Zeit wieder, woraufhin’s weitergehen konnte. Auch nicht schlecht war, dass wir „Red Lips“ gleich 3x anzählen mussten, bevor wirklich alle bereit waren. Zu keiner Unterbrechung führte, dass Christian ein komplettes Bier über seinem Amp verkippte. Alles andere lief aber erstaunlich pannenfrei; erstaunlich deshalb, weil wir die Bolanow-Buddeln nicht nur ins Publikum reichten, sondern sich meine Bandkollegen auch selbst fleißig an ihnen labten. Keith, der seinen dritten Gig mit uns absolvierte, war im Gegensatz zum Auftritt auf dem Hafengeburtstag aber topfit und die Bude war gut voll. Unterm Strich ein rotzigerer und alkoholisierterer Gig als zuletzt, nach dessen Schlussakkord ihn Keith aber prompt zu seinem bisherigen Favoriten erklärte – was also weiß ich schon?
Da Friedemann für sein Akustik-Set im Kneipenbereich aufgebaut hatte, ging’s dort im direkten Anschluss weiter, sodass ich einiges verpasste, während wir noch mit dem Abbau beschäftigt waren. Der Auftritt stellte sich jedoch als ideal heraus, um erst mal wieder herunterzukommen. Ich setzte mich zwischen das Publikum, das es sich bequem gemacht hatte, und lauschte den Weisen des Rüganers, der diesmal mit zwei weiteren Gitarristen (u.a. seinem COR-Sidekick Matze) sowie einem Percussionisten angereist war. Auf seinem Singer/Songwriter-Solo-Trip scheint Friedemann das zu verarbeiten, was zu COR weniger passen würde, leisere Zwischentöne, kleinere Geschichten. Klare Worte verschaffen sich jedoch ebenso Gehör, u.a. wenn er zu weniger Plakativität und mehr konstruktiver Tat aufruft, wobei im Rahmen der Ansage auch ein Hamburger Modelabel einen mitbekam… Andere Song betonen den D.I.Y.-Aspekt und den Mut zum Ausprobieren oder auch Scheitern, nehmen Konsumwahn aufs Korn oder verorten Friedemann selbst in einer Rolle, in der Stolz, Selbstironie und Demut sich die Waage halten. In Kombination mit originalem MeckPommer Charme und gelebter Authentizität erreicht er damit die Hörer ganz unmittelbar und vielleicht auch tiefer als manch Drescher plakativer Parolen. Und das ganz ohne Hippie- oder Intellektuellen-Mief, sondern weiterhin schön schnoddrig.
AUSSCHREITUNG aus Lauchhammer (Alter, wat’n Ortsname!) haben gerade ihr Debüt-Album „Gegen den Strom“ veröffentlicht. In Vierer-Besetzung gab’s volle Breitseite das, was ich als so etwas wie klassischen Deutschpunk bezeichnen würde, auch wenn ich sonst meist versuche, diesen Begriff zu vermeiden. Hier haste aber halt echt einfache, aber supereingängige Akkorde, deutschsprachige Texte zwischen Systemkritik und Klischee und mehr Midtempo als HC-Punk-Geballer. Der Klargesang des durchtrainierten Sängers hat mich bischn irritiert, da würde ich mir mehr Mut zu Gift, Galle und Rotz wünschen. Und musikalisch gern öfter mal die Handbremse lösen und bischn mehr arschtreten. Ich kapiere natürlich, worauf die Band hinauswill und in Sachen Texte, Arrangements, Melodien, Chöre, sogar Gitarren-Soli sind ziemlich gute Ansätze da, die flotten Songs kicken dann auch ordentlich, aber insgesamt würde der Band ‘ne Kelle Aggression, Dreck und Hass gut zu Gesicht stehen, sie spontaner, emotionaler und generell lebendiger wirken lassen, wobei dem Sänger ohnehin die Bühne zu eng wurde und er auch die physikalische Nähe zum Publikum suchte. Als Gruß an die Heimat habe ich schließlich das „Bullenwagen klaun und die Innenstadt demolieren“-Cover empfunden – ein Dauerbrenner, nicht nur in Hamburg.
So richtig derbe aufs Mett klopften an- und abschließend die Quedlinburger ISOLATED, die es wohl schon wat länger (seit 1993!?) gibt, die ich aber überhaupt nicht auf dem Schirm hatte. Da gibt’s auch gar nicht so viel drüber zu erzählen: Unprätentiös und abgewichst reichten ISOLATED die grobe Kelle und knüppelten ein Hardcore-Brett herunter, das die meiste Zeit Tempo und Aggression satt bot und so herrlich splitterte, dass ich noch mal so richtig Bock bekam und mich dem kleinen, aber feinen Pit anschloss. Musikalisch mit zwei mächtigen Gitarren wütend, no Posing, no Geprolle, just Prügel. Mittlerweile war’s nach 1:00 Uhr nachts und von dieser Adrenalinspritze wieder herunterzukommen gar nicht so einfach. Die Mädels hatten sich für den Abend Eierlikör besorgt und diesen aus Schokowaffelbechern geschlürft. Die anderen Brawler hingegen hatten sich derweil handwerklich betätigt und eine Art Rollstuhl gebastelt, mit dem sie sich und mich durch die Gegend schleuderten. Am Ende hatten sie eine Schneise in die Schnapsbar gesoffen, Raoul wurde auf dem Tresen liegend fotografiert. Im Nachhinein betrachtet waren wir wahrscheinlich die einzige Band, die so richtig voll war. Meine Ansage zu „Red Lips“ hatte sich bewahrheitet: „Auswärts sind wir asozial…“
Nachdem ich den Merch-Plunder zusammengepackt (und sogar bischn wat veräußert) hatte, ging’s irgendwann – wie viel Zeit dazwischenlag, bekomme ich nicht mehr zusammen – zum nächtlichen Spaziergang Richtung Kojen, natürlich bewaffnet mit flüssiger Wegzehrung und sogar inklusive Zwischenhalt beim Döner-Kalle. So’ne wilde After-Show-Party wie damals mit den Irren von ZUNAME gab’s diesmal dann nicht mehr, Bettenverteilung, Schlummertrunk und Gutenachtsagen gingen irgendwie auch komplett an mir vorbei. Stattdessen hielt ich mich weiterhin an irgendwelchen Bierpullen fest, diskutierte Themen von ganz bestimmt elementarer Bedeutung für Gott und die Welt mit Flo und ließ mein Smartfön irgendwelche Pop-Playlists plärren, bis uns ich glaube jemand von AUSSCHREITUNG auf die Nachtruhe hinwies und um etwas Rücksicht bat. Aufgewacht bin ich jedenfalls am nächsten Morgen gefährlich nah am Rand des Hochbetts, habe jedoch keinen Stunt à la Christian hingelegt. Ich hatte wohl immer noch einen sitzen, aber das Frühstück schmeckte trotzdem und pünktlich weiter mussten wir ja auch: Während der Rest der Bande das Equipment abholte und gen HH steuerte, saßen wir in der Bahn nach Prag, wohlverdienten Urlaub antreten. Das Festival ging am Abend weiter und war wohl nicht mehr ganz so gut besucht, was natürlich schade und auch ein bisschen unverständlich ist. Danke jedenfalls an alle irgendwie Involvierten, uns hat’s mal wieder an nichts gemangelt – schon gar nicht an Spaß, Schabernack, Schnappo und Sterni! War uns eine Ehre!
P.S.: Danke an Flo für die Fotos unseres Gigs unter erschwerten Bedingungen (zappeligem Sänger z.B.) …
P.P.S.: Am nächsten Morgen war mein No-Name-USB-Ladegerät verschwunden, dessen Kabel sich schon teilweise von seiner Isolation befreit hatte, dafür hing mein Fon aber an einem Philips-Markengerät in tadellosem Zustand, das ich dann auch einstecken musste. Falls also wer zurücktauschen will, soll sich der- oder diejenige mal hier melden, kriegen wir hin.
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