Hartmann von Aues „Erec“ entstand, so vermutet man, gegen Ende des zwölften Jahrhunderts und gilt, wenn auch basierend auf dem französischen „Erec et Enide“ aus der Feder Chrétien de Troyes’, als erster deutscher Artusroman, also jenem Kanon ritterlicher Sword-&-Sorcery-Fantasy-Sagen um den König mit seiner berühmten Tafelrunde. Geschrieben wurde diese Adaption im Versmaß in heute wie eine Fremdsprache anmutendem Mittelhochdeutsch. Die Studienausgabe aus dem Reclam-Verlag bietet sowohl die originale mittelhochdeutsche Schrift als auch eine neuhochdeutsche, also lesbare, Übersetzung, für die die Reime des Versmaßes ignoriert werden, in der Prosaform jedoch das Versmaß insofern beibehalten wird, dass Zeile für Zeile übersetzt wird, also stets Original und Übersetzung direkt gegenüberstehen. Ferner umfasst der über 700 Seiten starke Band im Taschenbuchformat einen umfangreichen Anhang, mit Hintergrundinformationen zur Überlieferungssituation und der Arbeit an dieser Ausgabe, einem ausführlichen Kommentar, Literaturhinweisen und einem Nachwort.
Erec, der Sohn des Königs Lac, hat noch keine „Aventüre“ bestanden und muss deshalb zurückbleiben, als fast alle anderen zur Jagd ausreiten. So begibt er sich auf einen Ausflug mit der Königin Ginive und ihren Hofdamen, währenddessen man einen von einem Zwerg und einer Dame begleiteten Ritter am Horizont erblickt. Die Königin möchte wissen, um wen es sich handelt, und schickt eine Hofdame vor, um dies in Erfahrung zu bringen. Doch der Zwerg lässt sie nicht zu seinem Herrn durch und schlägt sie gar mit seiner Peitsche, als sie weiter zum Ritter vordringen möchte. Gedemütigt kehrt sie zurück, woraufhin der unbewaffnete Erec zum Zwerg eilt und sich ebenfalls seinen Geißelschlag abholt. Diese Entehrung will Erec nicht auf sich sitzen lassen und verfolgt den Ritter, der sich als Iders entpuppt, samt dessen Gefolge bis zur Burg Tulmein des Herzogs Imain. Er findet eine Unterkunft beim verarmten Coralus, der mit seiner schönen Tochter Enite zusammenlebt, und beschließt, auf Tulmein im Sperberkampfturnier gegen Iders anzutreten. Er versichert Coralus, Enite im Falle eines Turniersiegs zur Frau zu nehmen. So geschieht es, Iders muss nach einem erbitterten Kampf gegen Erec klein beigeben und Erec heiratet Enite am Artushof.
Erec und Enite ziehen auf den Hof Garnant seines Vaters, wo er die Herrschaft übernehmen soll. Erec und Enite ziehen es jedoch vor, im Bett zu bleiben, worüber Erec seine Pflichten vernachlässigt und zum Gespött seiner Untertanen wird. Daraufhin verlässt er den Hof auf der Suche nach Abenteuern und verbietet seiner ihn begleitenden Frau das Wort. Um ihren Mann vor Angreifern zu warnen, verstößt sie jedoch mehrmals gegen sein Gebot, woraufhin er sie wie eine Sklavin behandelt und zum Führen der den Angreifern abgenommenen Pferde verdonnert. Erec muss sich im weiteren Verlauf zahlreicher weiterer Gefahren erwehren, kämpft gegen Gauner und Edelmänner, rettet jemanden unter Einsatz seines eigenen Lebens vor zwei brutalen Riesen und wird schwerstverletzt. Zu Enite wird er später sagen, dass sein ihr auferlegtes Sprechverbot lediglich ein Test ihrer Aufopferungsbereitschaft und Treue sein sollte. Im Finale schließlich bezwingt er als erster Held überhaupt den Hünen Mabonagrim, der das Leben zahlreicher Edelmänner auf dem Gewissen hat. Am Ende geht er zurück nach Garnant und herrscht dort mit Enite gerecht, ohne Fehl und Tadel, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Soweit zum Inhalt dieses unbestritten historisch unheimlich bedeutsamen Artusromans. Die neuhochdeutsche Übersetzung stellt einen annehmbaren Kompromiss aus Beibehalt der Versstruktur und allgemeinverständlicher Lesbarkeit dar, die, so mein Eindruck, auch nicht ganz so übertrieben/gezwungen altertümlich zu klingen versucht wie andere solcher Übersetzungen. Auch wenn man sich nicht sonderlich für Artusromane interessiert, lässt sich das Buch relativ stolperfrei und rasch rezipieren. Ob es sich um einen formvollendeten Genuss handelt, dem sich immer mal wieder als solcher zu erkennen gebenden und seine Zuhörer(innen) bzw. Leser(innen) direkt ansprechenden Erzähler bei seinen Ausführungen zu folgen, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Er versichert die Glaubhaftigkeit der Geschichte, die er von einem Freund erfahren haben will und lediglich weitergäbe. Wer dieser Freund sein soll, verrät er nicht, stellenweise räumt er aber ein, wie phantastisch das alles klingt und zitiert sogar sein imaginäres Publikum! Heutzutage wissen wir, dass das billige Taschenspielertricks sind, ähnlich dem Hinweis „basierend auf wahren Begebenheiten“ manch Genrefilm-Schlockers.
Wie komme ich jetzt auf den Genrefilm? Weil mir die Artusromane so etwas wie der Ursprung der Sword-&-Sorcery-Fantasy zu sein scheinen, der viel Sword und immerhin ein bisschen Sorcery bietende Erec also so etwas wie der Urahn Conan des Barbars und Artverwandter (Ator z.B. – allein deshalb hier erwähnt, weil der so viel lustiger ist als Conan) sein dürfte. Bei diesen handelt es sich zwar um Barbaren, die sich in ihrem Verhalten jedoch nicht maßgeblich von dem der ach so edlen Ritter unterscheiden. Beiden Gattungen (wenn man sie denn so nennen will) ist gemein, dass der jeweilige Held, ob nun Ritter, Barbar oder wer auch immer sich durch mittelalterliche Fantasy-Welten schwertschwingend schlagen muss, einfach immer das entscheidende Quäntchen versierter, besser, stärker als sein oft scheinbar übermächtiger Gegner ist. Ein echter Supermann eben – und damit ein recht stumpfer Topos. Darum scheint es bei Erec jedoch gar nicht unbedingt vorrangig zu gehen, bzw. fungieren diese Heldenepisoden als Aufhänger für Verhandlungen von Ehrhaftig- und -losigkeit, Scham und Pein, Gewalt und Gnade und letztlich für Erecs Entwicklung vom übermütigen Jungspund zum vorbildlichen Ritter und verantwortungsbewussten Ehemann und Herrscher, die sich möglicherweise auch als symbolträchtige Allegorie auf den Lebensweg oder zumindest Teile dessen der Normalbevölkerung lesen lässt, als eine Art Lebensratgeber gewissermaßen (Übermut tut selten gut, kämpfe mit Verstand und lass Gnade walten, ruhe dich nicht auf deinen Lorbeeren aus, stelle dich den Herausforderungen des Lebens und übernimm Verantwortung, it’s a long way to the top usw.).
Erecs Verhalten gegenüber Enite, der, wie der Erzähler nicht müde wird zu betonen, allerschönsten aller schönen Frauen, rechtfertigt das dennoch nicht und irritiert nachhaltig – so sehr, dass weder Enite, die ihr Leben dem Erecs vollständig unterordnet, noch Erec als Identifikationsfiguren vollumfänglich taugen. Und wie auch im Nibelungenlied enthält „Erec“ einige Stilistik, die heutzutage nicht ohne Grund als schlechter Stil gilt, beispielsweise heillos übertrieben detaillierte Beschreibungen besonders wertvoller Gegenstände oder schier endlose Aufzählungen, ganz zu schweigen von diversen schwarzweißmalerischen Idealisierungen. Was damals wahrscheinlich für basses Erstaunen gesorgt hat, wirkt heute eher ermüdend. Dennoch: Kann man auch außerhalb eines ÄdL-Seminars ruhig mal gelesen haben – allein schon, um festzustellen, wie wenig sich klassische Topoi – ob nun in Form der „Heldenreise“, im Fantasy-Kitsch oder in Ästhetik und Inhalt sog. Epic-Metal-Bands – bis heute geändert haben.
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