Wie die Wende-Comics „Grenzfall“ und „Treibsand“ wurde auch der Comic-Band „Berlin – Geteilte Stadt. Zeitgeschichten“ mit Bundesmitteln von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur subventioniert. Es handelt sich nach „Grenzfall“ um das zweite Werk zum Thema aus den Federn Susanne Buddenbergs und Thomas Henselers. Das rund 100-seitige Buch erschien 2012 im Avant-Verlag.
Noch zielgerichteter als „Grenzfall“ wurde „Berlin – Geteilte Stadt“ als Unterrichtsmaterial konzipiert. Erzählt werden fünf Geschichten, chronologisch von Mauerbau bis Mauerfall sortiert, von denen es im Paratext heißt, dass sie auf wahren Begebenheiten beruhten. Das Autoren-Team hat Zeitzeugen befragt und ihre Geschichten nachgezeichnet. In „Wie der Mauerbau fast mein Abitur verhindert hätte“ berichtet Regina Zywietz, wie sie vorm Mauerbau im Osten Berlins lebte, jedoch im Westen zur Schule ging – und wie ihre Lehrer ihr nach dem Mauerbau zur Flucht in den Westen verhalfen. Ursula Malchow erzählt in „Das Krankenhaus an der Mauer“ von ihrer Arbeit im Lazarus-Krankenhaus an der Bernauer Straße, also unmittelbar an der Berliner Mauer. Dort wurden u.a. verletzte Flüchtlinge behandelt, Querschläger aus den Schusswaffen der Grenzschützer schlugen ins Mauerwerk ein. Der Ostberliner Ernst Mundt wollte die Mauer überqueren, wurde jedoch 1961 das fünfte Todesopfer an der Mauer. In „Mit der Seilbahn über die Mauer“ gelingt Familie Holzapfel eine spektakuläre Flucht in den Westen. Detlef Matthes beschreibt in „Die andere Seite“ sein damaliges Hobby, die Grenzanlagen (verbotenerweise) zu fotografieren sowie seine Verhaftung im Rahmen einer Jugendrevolte vor dem Hintergrund des „Concert for Berlin“ 1987, das in Westberlin in unmittelbarer Nähe der Mauer stattfand. Aufgrund der zahlreichen Fotoaufnahmen, die bei ihm gefunden wurden, hielt man ihn für einen Spion. Im Zuge der Amnestie für politische Gefangene kam er vorzeitig frei, stellte einen Ausreiseantrag und durfte die DDR auf offiziellem Wege verlassen. Und Jan Hildebrandt lässt in „Mein 18. Geburtstag“ schließlich eben jenen am 9. November 1989 Revue passieren, an dem er plötzlich von der Maueröffnung erfuhr und einen unvorhergesehenen Ausflug nach Westberlin unternahm.
Lediglich der Einband wurde zum Teil farbig gestaltet, der Inhalt ist, wie in „drüben!“ und „Grenzfall“, in Schwarzweiß gehalten. Der Zeichenstil ist gewohnt naturalistisch, die Panelstruktur sehr strikt – erneut soll keine künstlerische Expression vom Inhalt ablenken. Jede Geschichte wird mit einem prominent auf ihrer ersten Seite platzierten, einzelnen charakteristischen Gegenstand eingeführt, ihren Abschluss bildet jeweils eine Lexikon-ähnliche Doppelseite mit Erläuterungen. Sprechblasen werden wenig eingesetzt, es dominieren Off-Erzählungen im Blocktext. In die Zeichnungen wurden authentische Fotos eingebettet und Bildzitate (nachgezeichnetes Fotomaterial) verwendet, diverse topographische Karten vermitteln intertextuell Wissen. Zudem finden sich weitere Authentisierungsmittel in Form von Zeitungsartikeln und historischen Dokumenten sowie paratextuell (neben dem eingangs erwähnten Verweis auf wahre Begebenheiten) Angaben zu Fotoquellen, ein Literaturverzeichnis sowie Danksagungen an Zeitzeugen und Fachberater. All dies kann jedoch über die Subjektivität der Auswahl nicht hinwegtäuschen, die es vermeidet, detaillierter auf die Gründe des Mauerbaus und den besonderen Status der innerdeutschen Grenze als jene große Grenzen zwischen den Systemen und den weltweit größten Militärbündnissen, der Nato und des Warschauer Pakts im Kalten Krieg, einzugehen. Dazu gesellen sich Ungenauigkeiten wie die der idealtypischen Darstellung des „Mauerspechts“ in „Mein 18. Geburtstag“, die so nicht stattgefunden haben kann. „Berlin – Geteilte Stadt“ bleibt sehr einseitig und beschränkt, seine fünf Geschichten suggerieren mehr Perspektiven, als der Comic letztlich bietet. Wenig comickünstlerisch bewegt sich der Band irgendwo zwischen politischer Aufklärung und Propaganda und wirkt in seiner Abstraktion mehr wie ein Lehrbuch für Kinder denn wie ein spannendes Stück Zeitgeschichte auch für ein erwachsenes Publikum.
Dennoch fühle ich mich von „Berlin – Geteilte Stadt“ eingeladen, Berlin einmal als Museum zu erkunden – hier greift das pädagogische Verfahren der Spurensuche. Damit geht das Konzept Buddenbergs und Henselers auf, dass ihr Comic auch als historischer Stadtführer nutzbar sein soll: Sie hatten Wert darauf gelegt, dass die authentischen Orte der Geschichten noch soweit erhalten sind, dass die in der Vergangenheit liegenden Ereignisse noch gut nachvollziehbar sind. Zudem sollten sie relativ nahe beieinander liegen und gut zu erreichen sein. So bleibt die Hoffnung, dass dieses Buch eine junge Generation anregt, sich selbst auf die Suche zu begeben und dabei vielleicht auf Fragen zu stoßen, die Buddenberg und Henseler nicht beantworten.
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