Hannes‘ und meine Geburtstagsparty im Gängeviertel, die dritte… Bei der ersten Ausgabe war ja alles noch ganz entspannt für mich: Hannes hatte sich um alles gekümmert und ich brauchte mich nur mit meiner Band auf die Bretter zu wuchten. Beim zweiten Mal hatte ich schon bischn mehr umme Ohren, zudem war’s alles andere als einfach, meine Kapelle zusammenzubekommen: Eisenkarl fiel aus, weshalb wir kurzfristig Pulvertoastie Holler als Interimsbassisten anlernen mussten, Kais Teilnahme stand schließlich auch auf der Kippe und ich hatte mir zu allem Überfluss auch noch derbe einen aufgesackt. In der Ausweich-Örtlichkeit aufgrund der Gängeviertel-Renovierung lief letztlich – warum auch immer – aber doch alles glatt. Dieses Jahr war ich nun involviert wie nie zuvor und vornehmlich damit beschäftigt, das Band-Aufgebot zusammenzustellen. Und das gestaltete sich alles andere als einfach: CRACKMEIER standen eigentlich schon fest, allein schon, weil deren Drummer Martin dann auch gleich seinen Geburtstag hätte mitfeiern können – fielen dann aber doch flach, weil einer der Gitarristen lediglich am Freitag, nicht aber Samstag gekonnt hätte. Außerdem fehlte eine Art Headliner. Ich hab‘ Gott, Satan und die Welt gefragt, doch jedes Mal war irgendjemand unabkömmlich. Dennoch ist’s mir irgendwie gelungen, dann doch gleich drei mehr oder weniger lokale Acts zusammenzutrommeln und damit ein verdammt schlagkräftiges Line-Up aufzufahren. Dass die alle aus der Nähe kommen und LAST LINE OF DEFENSE in Kürze ohnehin schon wieder im Gängeviertel auftreten – geschenkt. Der Vorteil nämlich war, dass es ein Treffen mit Freunden und guten Bekannten wurde.

Doch, oh Graus, nach den Erfahrungen des vergangenen Jahrs hätte ich gewarnt sein müssen: In der Woche entwickelte Kai eine derart hartnäckige Rückenmuskelblockade, dass er sich nicht mehr bewegen konnte und im Krankenhaus behandelt werden musste. Es sah verdammt schlecht aus. Und damit nicht genug: Eisenk(r)alle zertrümmerte sich am Donnerstag eine Fingerkuppe. Irgendjemand hatte unsere Voodoo-Puppen mal wieder im vollen Würgegriff… Der schmerz- und furchtlose Kalle meldete zwar Vollzug und war nach kurzer Behandlung wieder zu allem bereit, doch als mir Kai am Freitagmorgen mitteilte, dass es bei ihm wohl nichts werden würde, suchte ich halbherzig und erfolglos nach möglichem kurzfristigsten Ersatz, war jedoch bald mit meinem Latein am Ende. Gänzlich unverhofft meldete er sich am Freitagabend noch einmal und berichtete, dass sein Schmerzmittelcocktail endlich angeschlagen habe und er mittels Seniorengymnastik gerade ganz langsam zum zumindest gebückten Gang zurückfände. Damit war unser Gig auf dem letzten Drücker gerettet. Respekt an Kai, den alten Wemmser und zukünftigen Ausgleichssportler – solch eine Aufregung brauche ich aber echt nicht noch mal… Am frühen Nachmittag war übrigens noch bekannt geworden, dass sich der LAST-LINE-OF-DEFENSE-Gitarrist seine Achillessehne geschrotet hat und mit Hocker auf die Bühne muss. Die LIQUOR SHOP ROCKERS wiederum hatten Meniskus + Ischias + Grippe anzubieten und THEM-FALLS-Gitarrist/-Schreihals Stülpo klagte über Verrotzung. Die Veranstaltung wurde kurzerhand in „Hannes‘ und Günnis Invaliden Birthday Disaster“ umgetauft, glücklicherweise würde mit LLOD-Eloi ein Sanitäter anwesend sein…

Die Equipmentfrage klärte sich dafür umso unkomplizierter: Jeder brachte bischn was mit, THEM FALLS dankenswerterweise die Boxen, nur LAST LINE OF DEFENSE blieben außen vor, weil die arbeitsbedingt ohnehin erst später kommen konnten – was somit zu keinem Problem wurde. Wir baten die drei anderen Bands um 17:00 Uhr zum Gängeviertel, weil wir nicht damit gerechnet hatten, dass alle derart pünktlich sein würden, denn das Equipment-Puzzle wollte ja erst noch zusammengesetzt werden. Doch falsch gedacht: Als ich mit Dr. Tentakel und Kalle vorfuhr, waren THEM FALLS und LIQUOR SHOP ROCKERS bereits vor Ort und hatten den Großteil bereits aufgebaut. Vorbildlich! Also ersma die große Hallo-Runde, Bier kaltstellen, das erste köpfen, dem regen Treiben zusehen, Merch-Plünnen auseinanderfriemeln – und die Kür vor der Pflicht: übers Buffet hermachen. Hannes‘ Bruder Martin hatte Salade de pâtes kredenzt, mit hohem Gemüseanteil für die Volksgesundheit und Tofuwürfeln fürs Tierwohl, dazu Baguette und Crème d’ail gereicht. Dekorativ hatte Hannes zudem reichlich Obst dazugelegt. Noch bevor mich jemand hätte bitten können, den Vorkoster zu machen, genoss ich bereits die Haute Cuisine und vergab  Feinschmecker-Sterne. Davor war mir der wegen absoluten Schleppverbots ohne Umweg über den Proberaum direkt ins Gänge4tel gekommene Kai bereits über den Weg „gelaufen“, als er, gestützt von seinen beiden Pflegerinnen, seine Krücken wegwarf, euphorisch „Kann wieder gehen!“ ausstieß und sich mit einem großen Satz strategisch direkt am Tresen positionierte – auf einem rückenfreundlich gepolsterten Barhocker, versteht sich. Mit sich führte er Geschenke, für die sich meine werten Motherfuckers nicht hatten lumpen lassen: Ein nur leicht manipuliertes Bandfoto mit persönlicher Widmung sowie ein endstylishes Skeletor-T-Shirt. Boah, wie geil – werde ich auf dem HOA einweihen!

Beim Soundcheck war ich dann froh, dass nicht wir, sondern THEM FALLS auf der Bühne standen: Der zog sich nämlich arg, weil es Probleme mit dem Gesang auf den Monitoren gab. Insbesondere der Bassist und Co-Brüller konnte sich partout so gut wie gar nicht hören und durch die x-maligen Versuche liefen beide Sänger Gefahr, bereits zu diesem Zeitpunkt heiser zu werden. Wir hätten vermutlich schon längst „Scheiß drauf!“ gesagt, doch THEM FALLS, die an diesem Abend ihre Live-Premiere absolvieren sollten, wollten verständlicherweise das Optimum herausholen und hielten tapfer durch, bis nach reichlich Knöpfchengedrehe und Mikrowechseln – sowie einem zwischenzeitlichen Stromausfall! – endlich alles annehmbar klang. Der Song, den sie dafür immer wieder angespielt hatten, war für alle Anwesenden mittlerweile zum Ohrwurm geworden. Gegen 20:00 Uhr wurde die Bude dann offiziell geöffnet, nun wurd’s spannend: RAZORS + RESTMENSCH im Menschenzoo, weitere Konzis im Störtebeker und in den St.-Pauli-Fanräumen – wie viele würden sich bei tropischen Temperaturen ins Gängeviertel verirren?

Oh, so einige. THEM FALLS konnten pünktlich um kurz nach 9 anfangen, ohne dabei vor leerer Kulisse zu stehen, im Gegenteil: Ihr Live-Debüt stieß auf reges Interesse und offene Ohren. Das aus den Trümmern von RODHA hervorgegangene Trio spielt Sludge-Metal mit kehligem Gesang und fetten Effektkoffern, an der Gitarre mein Tätowierer Stülpo, der für fast alle Abziehbildchen auf mir verantwortlich zeichnet, und an der Schießbude ebenfalls ein alter Bekannter: Lynn, der parallel bei UPPER CRUST singt und damit zum dritten Mal in Folge auf Hannes‘ und meinen Geburtstagspartys auf der Bühne stand! Die Aufregung merkte man der überaus konzentriert auftretenden Band nicht an, sehr souverän zog sie ihren Stiefel durch und erfüllte das Gängeviertel mit verdammt schweren Sounds und düsterer Atmosphäre. Im April haben THEM FALLS ihre ersten Aufnahmen auf Bandcamp veröffentlicht, was mir völlig entfallen war, weshalb ich sie hier nachreiche: https://themfalls.bandcamp.com/releases Schönes Ding und ich bin ein bisschen stolz, dass wir die ersten waren, bei denen sie zum gediegenen Schwof aufspielten. Und danke auch an Lynn für die beiden Röhrchen Gelo Revoice!

Eigentlich wollten wir als Zweite spielen, ließen aufgrund der angeschlagenen Gesundheit ihres Drummers Toni aber den LIQUOR SHOP ROCKERS aus Altona den Vortritt. Die Bude war mittlerweile voll, die Temperaturen waren weiter gestiegen und spätestens jetzt wurde die ganze Nummer hier auch für mich zum Saunaabend mit Hopfenaufguss. Weste, Nina, Needlz und Toni verfügen zusammen über ungefähr 150 Jahre Live-Erfahrung in anderen illustren Combos und haben sich vor einiger Zeit zusammengetan, um kräftegebündelt wieder derbe auf die Kacke zu hauen. Die HC-Sozialisation des einen oder anderen Bandmitglieds lässt sich nicht verleugnen und schimmert in ihrem Stil immer wieder stark durch. Ein brachiales Gebräu aus HC-Punk, Streetpunk und klassischem Punkrock, mal frech, mal prollig, nie leise oder subtil, sondern immer mit dem Kopf durch die Wand, vereint gegen den Rest der Welt. Fuck-you-Attitüde trifft auf juvenile Spielfreude trifft auf abgezockte Erfahrung. Needlz scheint an seiner Klampfe oftmals förmlich zu explodieren, Ninas Bass klingt nicht selten fast wie ‘ne zweite Gitarre, Weste hält gern gleich beide Mittelfinger lässig dirigierend in die Luft und Toni hält die Chose präzise und mit entschlossenem Punch zusammen. Das ist die grobe Kelle, die dennoch manch sich festkrallende Melodie offenbart und echt mal auf Vinyl gehört. Folgerichtig stehen demnächst Studioaufnahmen an – hoffentlich bleibt ihnen das Dreckige, Urwüchsige, Ungezähmte erhalten!

Wäre ich als Gast hier gewesen, hätte ich mich längst gehengelassen und heillos betrunken. Es galt ja aber noch einen Job zu erledigen. Paar Bierchen gekrallt, rauf auf die Bühne, Line-Check und ab dafür: „Pogromstimmung“, „Tales of Terror“ und „Menschenzoo“ ohne Tüdelüd hintereinander wech, zum zweiten Mal überhaupt die „Spaltaxt“ kreisen gelassen, geschwitzt wie ein Schwein, nachgekippt, zehn weitere Songs durchgeprügelt, Danksagungen, tschüß. So in etwa fühlte sich der Gig an, der wie im Rausch an mir vorbeizog. Ich weiß nicht, ob ich es THEM FALLS zu verdanken habe, aber ich hatte einen  astreinen Gesangssound auf den Monitoren. Alles lief weitestgehend glatt, sodass es zu keinen Zwangspausen kam. Kai hielt sich wacker und Kalle schien die funktionsunfähige Fingerkuppe tatsächlich nicht zu beeinträchtigen. Pokerface Dr. Tentakel hielt zudem die Drumzügel fest in der Hand, haderte lediglich mit der Enge in der Schlagzeugbucht, die seines Erachtens gegen geltende Mindeststandards zur artgerechten Drummerhaltung verstoßen. Klar hatten sich ein paar Fehler eingeschlichen, aber nichts Gravierendes, keine Texthänger o.ä. Nach ‘ner Band wie LIQUOR SHOP ROCKERS auf die Bühne zu müssen, hielt ich für keine dankbare Aufgabe, aber offenbar hatten viele auch Bock auf uns, waren neugierig oder blieben  aus Höflichkeit, weil ich Geburtstag hatte 😉 Nee, das war schon unseren Ansprüchen genügend abgeliefert und die Resonanz war sehr positiv. Allerdings hörte ich danach bis spät in die Nacht hinein überhaupt nicht mehr zu schwitzen auf und goss mir zum Ausgleich ein Bierchen nach dem anderen rein.

Manch einen schien der Abend ähnlich geschlaucht zu haben, ausgerechnet zum Headliner war leider eine deutliche Publikumsabwanderung zu vernehmen. Für eine lauschige Oldschool-Hardcore-Show mit den jüngst wiedervereinten Wedelern LAST LINE OF DEFENSE mangelte es aber noch lange nicht an Menschenmaterial. Ich war besonders gespannt, denn nachdem ich früher diversen LLOD-Gigs beigewohnt hatte, hatte es sich seit der Reunion noch nicht ergeben. Mit ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel und neuem Gitarristen hat man nichts an Durchschlagskraft eingebüßt. Der Gitarrist musste wie erwähnt den Gig sitzend verbringen, was Shouter Eloi mit erhöhtem Laufpensum vor der Bühne wettmachte. Die Songs der überaus geschätzten EP sowie Material, das es nicht auf sie geschafft hatte, wurden neben jüngeren Stücken und einigen Coverversionen von Bands wie WARZONE oder NEGATIVE APPROACH zum Besten gegeben. Als mir Eloi mit zunehmender Freude das Mikro zum Mitsingen hinhielt, war ich mal mehr, mal weniger textsicher und wurde mir schlagartig bewusst, wie lange ich mir all die Klassiker – ob bandeigen oder weltweit populär – eigentlich nicht mehr gedrückt hatte… Aber so oder so ging mir das Herz auf; astreine Nummer, großartige Songs, ein ebenso genialer wie bescheidener Frontmann und ein sympathisches  Auftreten, was die Band für unzählige weitere Shows qualifiziert, von denen ich hoffentlich so viele wie möglich werde mitnehmen können. Dieser schnörkellose US-Hardcore-Sound der alten Schule in Kombination mit Spaß am Schreiben richtiger Songs, die auch mal länger als 90 Sekunden gehen, hatte echt auf den Hamburger D.I.Y-Bühnen gefehlt. Speziellen Dank an dieser Stelle noch mal an Drummer Wallace, der mir (passend zum Skeletor-Shirt) ein altes MOTU-Magazin und eine Sid-Vicious-Actionfigur geschenkt hat. Nein, wir sind nicht nerdig – wer behauptet so was nur?!

Im Anschluss machten meine liebe Freundin, die während unseres Gigs wieder Fotos geschossen (s.o.) und sogar ein paar Videos gedreht hatte, und ich uns noch (mal) übers Büffet her, das ich Gierschlund mir am liebsten auch noch für Zuhause eingepackt hätte. Und dann war da ja noch die Spendenaktion, zu der wir zugunsten der Mittelmeer-Seenotrettung aufgerufen hatten. Zwischendurch hatte Martin mir bereits mitgeteilt, welch sensationell hohe Summe sich angesammelt hatte. Letztlich wurden’s sage und schreibe knapp 470,- EUR. Unsere paar Taler an Merch-Einnahmen haben wir noch draufgepackt und ich hab‘ aufgerundet auf 500,- EUR, die an den Sea-Watch e.V. gingen. Deshalb ein ganz großes DANKESCHÖN an alle Spender, generell an alle, die mit uns gefeiert haben, an sämtliche, ausnahmslos geilen Bands und natürlich an Hannes, der die Organisation vor Ort übernommen und einen zuverlässigen Stab verdammt fähiger Helferinnen und Helfer vom Sternekoch über den Soundmann bis zur Thekencrew zusammengetrommelt hatte, ohne die an diesem Abend Dunkeltuten gewesen wäre und denen ebenfalls mein tiefster Dank gilt – und zum Besen griff er am Schluss höchstpersönlich, während wir unser Equipment zusammensammelten, ins Taxi stopften und irgendwann gen Altona aufbrachen.

DAS nenne ich mal eine Geburtstagsparty, die mich nun wirklich für alle Komplikationen im Vorfeld entschädigt  hat – nächstes Jahr wieder, oder was?! (Dann gern etwas weniger aufregend, man wird ja nicht jünger…)