Günnis Reviews

Monat: Juni 2020

Charles M. Schulz – Die Peanuts: Werkausgabe, Bd. 4: 1957 – 1958

Band 4 der „Peanuts“-Werkausgabe des Hamburger Carlsen-Verlags bringt es zwischen den Hardcover-Deckeln im Schutzumschlag auf knapp 330 matte Kartonpapierseiten, die die Jahre 1957 und 1958 der Reihe mit all ihren täglich in diversen Tageszeitungen erschienenen Comicstrips inkl. der Sonntagseiten in deutschen Übersetzungen enthalten. US-Schriftsteller Jonathan Franzen wurde diesmal die Ehre des Vorworts zuteil, der auf vier Seiten Analogien zwischen den Erlebnissen der Comicfiguren und der Biographie ihrer Schöpfer herstellt und sich sogar – durchaus lesenswert – ein wenig an einer Art Psychogramm Schulz’ versucht. Gary Groths auf den obligatorischen Stichwortindex folgende Nachwort-Doppelseite indes scheint nun jeden Band identisch abzuschließen.

Das Cover gehört diesmal Snoopy, der so häufig wie nie zuvor im Zentrum der Strips steht. Nach wie vor imitiert der Beagle mit Vorliebe andere Tiere (Highlight: der Geier!) und tanzt leidenschaftlich zu Musik, hat es nun allerdings auch verstärkt auf Linus’ Schmusedecke abgesehen – immer wieder macht er sich einen Spaß daraus, sie ihm zu mopsen. Und eine weitere seiner vielen Marotten hält Einzug: Erstmals versucht er sich daran, auf dem Dach seiner Hundehütte zu schlafen. Linus wiederum spricht längst normal, scheint also kaum reifeverzögert – kann sich jedoch einfach nicht von seiner Schmusedecke trennen, die ihm heilig geworden ist. Seine große Schwester Lucy ist mittlerweile sogar eine preisgekrönte Nörgelliese und damit offiziell anerkannt, worauf sie mächtig stolz ist. Und Musikus Schroeder hat seinen musikalischen Horizont erweitert, sodass er vermehrt auch Stücke anderer Komponisten als Beethoven spielt.

Charlie Brown hingegen versucht sich weiterhin erfolglos als Comiczeichner, versagt beim Drachensteigenlassen und – weitaus schlimmer! – beim Baseball, hat nun aber einen Brieffreund, dem er sein Leid klagen kann. Auch seine Beziehung zu seinem Hund Snoopy wird vertieft, ab dem Frühjahr 1957 scheint er dessen Gedanken lesen zu können. Damit, seinen Wassernapf im Sommer als Kühlbecken für den Kopf zu benutzen, tritt Snoopy gar einen kleinen Trend los. Pig-Pens Schmutzaffinität wird immer absurder und dadurch witziger, Violet etabliert 1958 „Mein Vater“-Angebereien als Running Gag, Linus versucht im selben Jahr mehrmals, sich beim Weihnachtsmann einzuschleimen und am 1. September 1958 erfährt man sogar, was Charlies Vater von Beruf ist: Frisör. Sicherlich einer der Höhepunkte dieses Bands: Linus übt eine Existenz als Fanatiker!

Sowohl die philosophisch auslegbaren Dialoge als auch die menschliche Verhaltensmuster karikierenden Gags haben im Zeitraum 1957/’58 an Prägnanz zugenommen und die Comics damit an Gehalt gewonnen. Zahlreiche popkulturelle Anspielungen, dankenswerterweise wieder im anhängenden Glossar erläutert, machen das Buch darüber hinaus zu einer Zeitreise in die US-Gesellschaft jener Jahre. Die Erwachsenenwelt bleibt rigoros ausgeklammert und wird, statt selbst zu Auftritten zu kommen, von den Kinder persifliert. Charles M. Schulz war es erneut fabelhaft gelungen, kleine Geschichten in seinen jeweils lediglich vier Panels umfassenden Daily-Strips zu erzählen, die umso mehr Spaß machen, je mehr neben der Evolution der Peanuts-Figuren die konsequente Reduktion auf ein selbstauferlegtes Regelkonzept sichtbar wird, dessen fortwährende Variation im festgezurrten Rahmen immer wieder für Pointen und Überraschungen sorgt – oder eben durch den Perspektivwechsel, die kindliche Weltsicht, das Erwachsenendasein hinterfragt. Auffällig ist, dass die Strips zwar alle Jahreszeiten und Feiertage abdecken, aber niemand mehr Geburtstag feiert – hat Schulz damit bewusst das weitere Altern seiner Figuren gestoppt?

Michele Avantario / Klaus Sieg / Thomas Henning – Das schwarze Hamburg-Buch. Mord, Skandal, Gewalt und Schrecken in der schönsten Stadt der Welt

Das 2016 im Hamburger Junius-Verlag erschienene „Schwarze Hamburg-Buch“ der freien Hamburger Journalisten Avantario und Sieg, illustriert von Arbeiten des Hamburger Fotografen Thomas Henning, konzentriert sich auf rund 180 schwarzen Seiten aus mattem Kartonpapier auf die dunklen Seiten der allseits beliebten Hansestadt-Metropole in Deutschlands Norden. Rund 60 ein bis drei Seiten kurze und um ein seitenfüllendes Foto ergänzte Einträge gehen dahin, wo es wehtut – und beschränken sich mitnichten auf das wohl düsterste Kapitel deutscher Geschichte, die NS-Diktatur: Mord und Totschlag, Polizei- und Justizwillkür, Sadismus, Terror, Umweltverbrechen, Sklavenhandel und Dergleichen mehr ziehen sich (auch durch die jüngere) Stadtgeschichte, an vieles erinnere ich mich selbst nur zu gut: Sei es, als der geisteskranke Rechtspopulist Ronald Schill durch die Stimmen von Hamburgerinnen und Hamburgern ins Rathaus gewählt wurde, sei es die Schande des Eppendorfer Universitätsklinikums, als die rassistische Hamburger Polizei den des Drogendealens verdächtigen Achidi John in Komplizenschaft mit einer Medizinerin mit einem Brechmittel zu Tode folterte, oder sei es auch, als Scharlatane der Alster-Klinik das Pornosternchen „Sexy Cora“ alias Carolin Wosnitza mit der x-ten Busenvergrößerung aus Geldgier ins Grab brachten. Andere aufsehenerregende, aber sich vor meiner Zeit zugetragen habenden Fälle wie die abscheulichen Verbrechen Fritz Honkas gehören längst zur Hamburger Folklore, so einiges war mir aber tatsächlich neu oder wurde zumindest noch einmal ins Gedächtnis gerufen. Klar, eine Millionenmetropole bringt auch viele Sozio- und Psychopathen hervor – und dieses Buch beweist eindrucksvoll, dass sich Hamburg diesbezüglich nicht zu verstecken braucht. Mit seinen Ortsangaben empfiehlt es sich in seinem schnieken matten Einband auch als morbider alternativer Stadtführer, zumal auch stets auf etwaige Mahnmale, Gedenktafeln u.ä. hingewiesen wird. „Das schwarze Hamburg-Buch“ hält die Erinnerung an eine ganze Reihe spektakulärer, widerwärtiger und erschreckender Taten und Ereignisse aufrecht und hat diese zu einer meist gut (statt reißerisch) geschriebenen, präzise pointierten und somit seinen Themen zum Trotz angenehm zu lesenden Sammlung verdichtet, die eine echte Alternative zu den oberflächlichen Hochglanzprodukten der Tourismusindustrie darstellt. Und wäre dieses Buch nur wenige Monate später erschienen, hätte es mit dem völlig irrsinnigen, brutalen Durchboxen des G20-Gipfels durch die damalige versammelte, ebenso größenwahnsinnige wie unzurechnungsfähige Hamburger Faschistoidenschar aus „König“ Olaf Scholz, Hartmut Dudde, Andy (Verbote-)Grote und ihren Handlangern Stoff für mindestens ein weiteres Kapitel gehabt.

Fabien Sanglard – Game Engine Black Book: Wolfenstein 3D (1st Edition)

„Eine kleine Amerikaner…“

Der texanische Spielehersteller id software um Tom Hall, John Romero sowie Adrian und John Carmack revolutionierte Anfang der 1990er die Spielewelt mit seinem Kultspiel „Wolfenstein 3D“. Der Name ging zurück auf „Castle Wolfenstein“ aus dem Jahre 1981, einem zweidimensionalen Spiel von Muse Software. Vor „Wolfenstein 3D“ hatte id software im Jahre 1991 bereits die Titel „Hovertank 3D“ und „Catacombs 3D“ veröffentlicht, die bereits einiges vom typischen Wolf3D-Gameplay vorwegnahmen: In „Hovertank 3D“ steuerte man einen Panzer aus der Ego-Perspektive, in „Catacombs 3D“ schlüpfte man in die Rolle eines Zauberers, der aus seiner Hand Feuerbälle auf Dämonen, Orks und ähnliche Fantasy-Gestalten abfeuerte. Doch der erste echte, die 256 Farben umfassende Palette der VGA-Grafikkarte ausreizende First-Person-Shooter und damit Vorläufer solch populärer Spiele wie „Doom“, „Quake“ (beide ebenfalls von id) bis hin zu „Call Of Duty“, „Counterstrike“ und Konsorten war das 1992 veröffentlichte „Wolfenstein 3D“, in dem man sich als Naziperforator B.J. Blazkowicz in gerenderten Dungeon-ähnlichen Katakomben durch eine Vielzahl Nazi-Soldaten metzelt und schließlich gar gegen Hitler persönlich antritt. In Deutschland war man davon behördlicherseits gar nicht begeistert und beschlagnahmte das Spiel, doch natürlich verbreitete der als Shareware vertriebene Spaß sich in Windeseile in der PC-Gamer-Szene. PC? Ganz recht: Bereits damals setzte id software auf den PC als Haupttechnologie, obwohl er so viele Jahre gegen wesentlich stärker auf die Bedürfnisse von Spieleentwickler(inne)n und Spieler(inne)n zugeschnittene Heimcomputer wie den C64, den Atari ST oder den Amiga den Kürzere gezogen hatte. In technischer Hinsicht änderte sich dies Anfang der 1990er mit der Etablierung der 386er-Prozessoren und dem Siegeszug der VGA-Karten. Auch dies war ein Grund für die revolutionäre Wirkung von „Wolfenstein 3D“.

Der Franzose Fabien Sanglard liebt es, sich mit den Quelltexten alter PC-Spiele auseinanderzusetzen, sie auf Herz und Nieren zu analysieren und zu verstehen. Dies tat er auch mit dem „Wolfenstein 3D“-Code, den id software einige Jahre nach Veröffentlichung des Spiels freigegeben hatte. Die Ergebnisse hat er im 2017 im Print-on-Demand-Verfahren herausgegeben „Game Engine Black Book: Wolfenstein 3D“ auf über 310 Seiten in einfacher, allgemeinverständlicher englischer Sprache zusammengefasst. Und das Tolle ist: Man muss kein(e) Programmierer(in) sein, um an diesem Buch seine Freude zu haben. Sanglard konnte id-Entwickler John Carmack zur Mitarbeit gewinnen und nimmt einen nach dessen Vorwort mit auf eine wohlstrukturierte Zeitreise ins PC-Jahr 1992. Nahezu jedes Kapitel beginnt mit einer Einführung, die den damaligen Stand der technischen Möglichkeiten skizziert und computerhistorisches Wissen aufbereitet. In Kombination mit zahlreichen, teils herrlich nerdigen Trivia und humorvollen Anekdoten Carmacks erhält man einen ebenso spannenden wie unterhaltsamen und lehrreichen Einblick in die hürdenreiche Pionierarbeit, die damals in Sachen PC-Spiele geleistet wurde. Wer sich bereits anno ‘91/‘92 mit Heimcomputern beschäftigt hat, wird einiges wiedererkennen – auch ohne selbst Entwickler(in) gewesen zu sein. Zahlreiche Screenshots aus dem Spiel, vom Quelltext, aus Entwicklungstools und von der DOS-Ebene, Abdrucke von README.TXT-Dateien sowie Fotos historischen Equipments und des id-Teams haben also auch denjenigen jede Menge Retro-Lesevergnügen und -Augenschmaus zu bieten, die nicht in die tiefgehenden Quelltextanalysen miteinsteigen können oder wollen.

Wer es doch tut, dürfe in den Kapiteln, die von der Prozessorverarbeitung und der Speichernutzung über Grafik- und Sound-Entwicklung/-Ausgabe bis hin zu den verschiedenen Eingabegeräten alles abdecken und um zahlreiche Skizzen und Tabellen ergänzt werden, glücklich werden und vermutlich gerade auch als Anfänger viel über die Funktionsweise von PCs und ihre Programmierung lernen können. Gerade für Retro-Gamer hochinteressant dürfte auch das Kapitel über die Portierung des Spiels auf andere Plattformen bis hin zu Arcade-Automaten und jüngst das iPhone sein. Mit seinem Themenumfang geht dieses „Game Engine Black Book“ also wesentlich tiefer als es Hintergrundartikel in entsprechenden Zeitschriften könnten und rechtfertigt damit letztlich auch seinen stolzen Special-Interest-Preis von 40,- EUR. Als etwas lieblos empfand ich lediglich eine offenbar unüberarbeitet/-lektoriert übernommenen Nachricht Carmacks oder eines anderen damals Involvierten, die ich beim raschen Durchblättern aber ehrlich gesagt nicht mehr wiedergefunden habe. Möglicherweise wurden dieser und der eine oder andere Schnitzer in aktuelleren Ausgaben ohnehin ausgemerzt.

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