Günnis Reviews

Monat: November 2020

Katja Berlin / Peter Grünlich – Was wir tun, wenn der Aufzug nicht kommt: Die Welt in überwiegend lustigen Grafiken

Der „Graphitti-Blog“ „erklärt die Welt in überwiegend lustigen Grafiken“ und erfreut sich großer Beliebtheit bei allen, die diese Art Web-Humors zu schätzen wissen: In einfachen Diagrammen werden augenzwinkernd diverse Alltagsphänomene humoristisch aufbereitet. Diese sehen auf den ersten Blick meist aus wie beliebigen PowerPoint-Präsentationen entsprungen, womit bereits die Form der Humorvermittlung karikierenden Charakters ist, scheint sie doch die Diagrammflut aufs Korn zu nehmen, die um sich greift, seit mit Standard-Bürosoftware mittels nur weniger Klicks für Jedermann kunterbunte Diagramme erzeugbar geworden sind, die, ob im Berufsleben oder in der Uni-Vorlesung, meist mehr Inhalt und Erkenntnisse suggerieren, als sie tatsächlich transportieren. Diese „überwiegend lustigen Grafiken“ sind dafür prädestiniert, im Büroalltag zwischendurch immer mal wieder angeklickt zu werden, eine Kurzweiligkeit, die jedoch auch dazu verführen kann, noch schnell die nächste anzugucken, und die übernächste usw.

Wer nicht so viel im Web unterwegs ist bzw. sein kann oder auch solche Späßchen nach wie vor in gedruckter Form bevorzugt, hat seit dem Jahre 2012 die Möglichkeit, zu einer Art „Best of“ des Graphitti-Blogs in Buchform zu greifen: Für ‘nen Zehner bietet der Münchner Wilhelm-Heyne-Verlag dieses rund 200-seitige querformatige Taschenbuch an, das überwiegend, aber nicht nur aus bunten Tortendiagrammen besteht – dem beliebtesten Diagrammtyp, aus dem bezeichnender- und konsequenterweise bereits das Vorwort besteht. Abgebildet werden „das alltägliche Leben, vor allem aber gefühltes Wissen, Meinungen, Vorurteile und Ahnungen“, wofür viel mit Klischees gespielt wird, aber auch zahlreiche selbstironische und durchaus hintersinnige Gags ins Buch fanden.

Auch beim Durchblättern ist man kaum vorm Suchtfaktor gefeit, sodass man es in der Regel recht rasch durchhaben sollte. Ob einem dieser Spaß 9,99 € wert ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Als vergnügliche Strand- oder (Gäste-)Klolektüre ist das Büchlein jedenfalls ähnlich gut geeignet wie als kleine Aufmerksamkeit für Mitmenschen, von denen man nicht weiß, was man ihnen sonst schenken könnte – oder auch, wie in meinem Falle, als Gratisfund im Tauschschrank.

Mittlerweile sind sechs dieser Bücher erschienen – Berlin und Grünlich scheinen eine echte Erfolgsrezeptur gefunden (bzw. von ähnlichen Vorbildern adaptiert) zu haben.

Sören Olsson / Anders Jacobsson – Berts heimliche Katastrophen

Die schwedischen Vettern, Lehrer und Schriftsteller Sören Olsson und Anders Jacobsson sind die Autoren der fünfzehnbändigen Jugendbuchreihe um den pubertierenden Bert Ljung, die dessen Leben vom zwölften bis zum 17. Lebensjahr skizziert. Von 1987 bis 1999 im schwedischen Original und von 1990 bis 2005 ins Deutsche übersetzt bei der Hamburger Verlagsgruppe Friedrich Oetinger veröffentlicht, scheint allen Bänden gemein, dass sie ausschließlich aus Berts Tagebucheinträgen bestehen – Olsson und Jacobsson versuchen sich also in die Psyche eines Schuljungen hineinzuversetzen und seine Erlebnisse aus seiner subjektiven Sicht im intimen Rahmen eines Tagesbuchs zu schildern.

Nachdem ich einst über eine Handvoll aus einer Bibliothek ausgemusterte Bände der Reihe gestolpert war und mir nach einigem Zögern aus Neugierde auf Coming-of-Age-Jugendliteratur den fünften Band durchgelesen hatte, verging viel Zeit, bis mir dann doch der Sinn danach stand, mir Band 6, „Berts heimliche Katastrophen“ aus dem Jahre 1992 (Originalausgabe) bzw. 1996 (deutsche Übersetzung), als Urlaubsstrandlektüre vorzunehmen. Auf rund 150 relativ groß geletterten Seiten inklusive einigen die Figuren karikierenden Schwarzweiß-Illustrationen Sonja Härdins knüpft man nahezu nahtlos an Berts Erlebnisse aus Band 5 an. Die Handlung erstreckt sich über den Zeitraum 15.01. bis 07.06. (die „Tagebucheinträge“ sind einzeln datiert), Bert besucht die achte Klasse und ist 14 bzw. später 15 Jahre jung.

Im Mittelpunkt steht Berts Beziehung zu seiner Freundin Emilia, die sich plötzlich für Berts besten Freund Arne zu interessieren beginnt – und ihn mit Arne betrügt, weshalb die Liebesbeziehung in die Brüche geht. Wurden pubertäre Wechselbäder der Gefühle und Krisen in Band 5 noch weitestgehend ausgespart, versucht man hier zumindest, sich an sie heranzutasten. Bert wird von massiven Selbstzweifeln geplagt und verliert sein Selbstwertgefühl. Dass er weiterhin mit Arne befreundet bleibt und Zeit verbringt, erscheint jedoch etwas sehr seltsam und unwahrscheinlich, zumal der Konflikt zwischen den beiden erst relativ spät und dann auch nur marginal wieder aufgegriffen wird. Jugendlicher Gefühlswelt wird man damit leider kaum gerecht. Die übrigen Geschichten wurden zugunsten ihres Unterhaltungswerts ebenfalls wenig authentisch gestaltet, wobei zumindest Berts Erlebnisse auf Klassenfahrt recht witzig sind. Eine ernstere Auseinandersetzung mit den angerissenen Themen wird generell eher vermieden, es bleibt oberflächlich und oft albern.

Die meist zielgruppengerecht kurzen Sätze wirken erneut kaum wie die eines 15-Jährigen, verfügen aber über ein paar witzige Formulierungen – und enthalten bisweilen sehr eigenartige „Jugendsprache“, die indes der Übersetzung geschuldet sein kann. „Molchen“ für Rummachen habe ich aber bisher ebenso wenig gehört wie „priemen“ im Zusammenhang mit Jugendpartys. Überraschend offensiv (und damit eigentlich nichts ins Buch passend) ist dann folgende Pädophilieanspielung: „Wenn man in die Achte geht, Moped fährt und fünfzehn ist, hat man sich nicht für kleine Gören zu interessieren. Das kann warten, bis man vierzig ist.“ Hintergrund ist, dass Bert sich in eine Sechstklässlerin verknallt, was die Autoren glücklicherweise nicht zum Anlass nehmen, etwaigen perversen Fantasien freien Lauf zu lassen. Mit einer Art Cliffhanger in die Sommerferien enden „Berts heimliche Katastrophen“, deren einzelne Kapitel (= Tagebucheinträge) wieder stets mit einem sinnfreien kurzen Reim wie „Jippije – mein großer Zeh“ enden, wofür ich tatsächlich ein wenig Fremdscham angesichts der missglückten Versuche der Autoren, einen 15-jährigen Tagebuchschreiber zu imitieren, empfinde. Und ich fürchte, so wäre es mir auch gegangen, hätte ich mich selbst noch in diesem Alter befunden und dieses Buch gelesen…

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