Günnis Reviews

Monat: November 2023

Derber Trash #1

Es wurde wirklich mal Zeit, mich mit den Erzeugnissen des deutschen Weissblech-Comics-Verlags zu beschäftigen. Dieser gründete sich, zunächst als Hobby-Projekt, in den 1990ern und lehnte sich hommagenartig an den US-amerikanischen Kultverlag „EC“ an – entsprechend kürzt er sich „WC“ ab… Und dort würde manch Sittenwächter(in) sicherlich auch gern dessen Heftchen hinunterspülen, allen voran vermutlich solche, wie sie in diesem, sich an eine erwachsene zumindest volljährige Leserschaft richtenden Sammelband aus dem Jahre 2010 um eine Rahmenhandlung herum neu aufgelegt wurden.

Der 100 Schwarzseiten umfassende Softcoverband in halber Albengröße beherbergt die Heftchen „Drogengeile Teenieschlampen“, „Wenn Sexmonster auf Erden wandeln“ und „Zombie Terror“ aus der Anfangszeit des Verlags, die von verschiedenen Zeichnern und Textern verbrochen wurden. Das bedeutet: Bewusst auf geschmacklos getrimmte Sex- und Monstergeschichten, wie man sich für sie ab einem bestimmten Alter zu interessieren beginnt, dargereicht mit dem typischen selbstironischen Augenzwinkern des kalkulierten Schunds und mitunter inklusive Kommentaren zu Zeitgeist und Gesellschaft im Subtext. So wird in „Drogengeile Teenieschlampen“ u.a. die Loveparade aufs Korn genommen, bietet „Wenn Sexmonster auf Erden wandeln (mit enorm großen Geschlechtsteilen)“ exakt das, darüber hinaus aber auch eine Parodie auf propagandistische US-Comics, wenn der Weltkommunismus bekämpft wird, indem „kommunistische Raketenweiber vom Planeten Z“ besiegt werden, und versucht eine redaktionelle Non-Comic-Bildungsseite die Frage „Sexmonster – Mythos oder Wirklichkeit?!“ zu beantworten. In „Zombie Terror“ finden sich neben der Origin Story des merkwürdigen Fischjungen Storys mit neugierig machenden Titeln wie „Fäule in der Lederhose“ oder „Nazizombies gegen Mangagirlies“, denen man nun ebenfalls wirklich keinen Etikettenschwindel nachsagen kann. Pubertäre bis anarchische Späße ohne jede Selbstlimitierung, die zumindest zeichnerisch ein gewisses Niveau nie unterschreiten (also keine Kritzeleien oder dahingerotzten Kleckse).

Flankiert wird all das von der Rahmenhandlung um Herrn Dreck und den merkwürdigen Fischjungen, die auf dem Weg zum garstigen, kapitalistischen Verleger sind, um an ihre Tantiemen zu kommen. Historische Abrisse zur Verlagsarbeit, knappe Reflektionen dieses alten Quatschs (wobei auch die im Original belassenen Rechtschreibfehler bemerkt werden) und die zuvor unveröffentlichte, aus dem Papierkorb gefischte „Xena“-Parodie „Kena und die Labertasche“ strecken den Spaß auf die 100 Seiten und stellen auch für Besitzer(innen) der Originale interessantes Bonusmaterial und somit einen Kaufanreiz dar.

Man merkt manch Geschichte an, dass zunächst der Titel feststand und erst dann versucht wurde, eine Stimmige Handlung dazu zu entwerfen, und die Limitierungen auf nur wenige Seiten pro Story tragen ihren Teil dazu bei, dass diese Comics eine Art Äquivalent zu kruden, billigen B-Movies vergangener Zeiten darstellen, bei denen mit reißerischen Plakatmotiven auf Geldgebersuche gegangen wurde, um überhaupt mit dem Verfassen des Drehbuchs beginnen zu können. Wer ein Herz für Schund hat, ist hiermit also gut bedient. Ich jedenfalls hatte meinen Spaß – und mit Sicherheit nicht meinen letzten Weissblech-Comic in der Hand.

11.11.2023, El Dorado (Gaußplatz), Hamburg: INBREEDING CLAN + DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS

Von INBREEDING CLAN hatte ich schon länger nichts mehr gehört, bis im Sommer die Anfrage kam, ob wir ‘nen kleinen Soli-Gig mit ihnen in der Gaußplatzkneipe zocken würden, um ein paar Penunsen für einen alten, von Lukaschenkos Regime drangsalierten Kumpel in Belarus zu sammeln. Klar hatten wir das. Als Termin wurde ein Samstagabend mit Schnapszahl eingetütet. Kurioserweise hatten wir zuletzt an einem 12.12. zusammengespielt, nämlich im Jahre 2015, um unseren damaligen Basser Stef (R.I.P.) gen Frankreich zu verabschieden.

Mit dem Bollerwagen karrten wir unsere Plünnen in die ofenbeheizte, muggelige Kneipe, Aufbau und Soundcheck mit Technikchef und Mischer Wurzel waren weitestgehend entspannt. Nach und nach trudelte der CLAN ein und die ersten Bierchen kreisten. Auch mit Gästen füllte sich das Etablissement langsam, aber sicher, was gar nicht so selbstverständlich war, da am selben Abend mindestens vier weitere Punkkonzerte in Hamburg stattfanden. Als INBREEDING CLAN gegen 20:30 Uhr ihr Scum-Rock-Fass aufmachten und zu derangierten Südstaaten-Hillbillys mutierten, waren jedenfalls genügend neugierige Augenpaare auf die Performance gerichtet, die Sänger Flo beim Grimassieren, Tanzen, Stampfen und ungesund klingenden Krächzen der aus dem Leben eines Inzucht-Clans gegriffenen Texte beobachteten, begleitet von einer bewusst zurückgenommenen Instrumentierung und gelegentlichen Backing Vocals. In seinen Ansagen schimpfte Flo auf JOHNNY CASH, um dann später doch „Ghostriders in the Sky“ zu covern, mal verrutschte er in der Setlist oder verballhornte den KKK, bevor „Riding with the Clan“ angestimmt wurde. Auch das GG-ALLIN-Cover „Fuck Off, I Murder“ wurde im CLAN-Sound kredenzt. Fanden sie seinerzeit in der Lobusch kein Ende, boten sie diesmal ein kompaktes Set von ca. 45 Minuten, während derer sie den Gaußplatz in die subtropischen Sümpfe Louisianas verwandelten. INBREEDING CLAN sind so was wie ein sich stets irgendwie neben der Spur bewegendes Gesamtkunstwerk. Ich find’s großartig. Sollen endlich mal ‘ne Platte aufnehmen!

Wir bildeten anschließend einen musikalischen Kontrast, profitierten aber wie der CLAN von einem anscheinend ziemlich geilen P.A.-Sound, der zudem so gut mit dem Bühnensound abgestimmt worden war, dass ich keinerlei Monitor brauchte, um mich selbst shouten zu hören. Für so etwas lohnt es sich dann eben doch, auch in einem vergleichsweise kleinen Raum alle Instrumente einzeln abzunehmen. Unser Set hatten wir ein wenig umgestellt, das von Basser Holler mitgebrachte PROJEKT-PULVERTOASTMANN-Cover „ACAB“ deutlich vorgezogen und das ebenfalls anwesende Geburtstagskind Snorre – Sänger des Originals – mit sanftem Druck dazu überredet, die Nummer mit mir zusammen zu schmettern. Bezeichnenderweise entfiel uns beiden im Eifer des Gefechts die dritte Strophe, sodass wir zusagten, sie später nachzureichen… Die Stimmung war prächtig, vor der Bühne einige Bewegung und unsere Live-Premiere „Wænde“ funzte überraschend fehlerarm. „Cop Killing Day“ widmeten wir wie immer Stef, der die Nummer von SCHÖNES GLATTES FELL nach deren Auflösung im Entwurfsstadium zu uns mitgebracht hatte. Nach 15 Songs gab’s dann noch mal „ACAB“ im Duett mit Snorre, diesmal inklusive abwechselnd gesungener dritter Strophe, und weil man uns weiter nötigte, einfach noch mal „Blutgrätsche“. Feierabend!

Nachdem zuvor bereits der Hut rumgegangen war, wurde nun noch eine restaurierte E-Gitarre, die INBREEDING CLAN zur Verfügung gestellt hatten, für den guten Zweck versteigert, sodass insgesamt anscheinend tatsächlich ein hübsches Sümmchen zusammenkam. Ich hielt mich noch ‘ne Weile am Veltins fest und ging, als ich Gesichter nur noch verschwommen wahrzunehmen begann. Ein gelungener Abend! Danke an alle, die sich eingebracht oder beteiligt haben, insbesondere die Kollegen von INBREEDING CLAN und das Gaußplatz-Team um Wurzel & Co.!

P.S.: Danke auch an Flo(rentine) für die Schnappschüsse unseres Gigs!

Das Riesen-Ferien-Buch

Als ich dieses rund 200-seitige Softcover-Album aus der Carlsen-Qualitätscomicschmiede in einer Wühlkiste auf der Comic- und Manga-Convention in der Hamburger Fabrik entdeckte, fühlte ich mich wohlig an meine Kindheit erinnert, als ich mich immer freute, ein extradickes Ferien-Comicsonderheft auf dem Flohmarkt zu finden und es genüsslich während des Sommers zu verschlingen. Also sackte ich den im Mai 1996 veröffentlichten, vollfarbigen, auf mattem Qualitätspapier gedruckten Wälzer ein und vergrub mich auf meinem Urlaubsflug nach Mallorca darin.

Die vielen eingestreuten, sich an eine kind- und jugendliche Leserschaft richtenden Rätsel interessierten mich dabei weit weniger als das äußerst gelungene, kurzweilige Sammelsurium frankobelgischer Funny-Comics von „Spirou und Fantasio“ über die Gesetzeshüter-Karikatur „Dein Freund und Helfer“ (dessen Protagonisten ich seinerzeit über Kauka und Moewig als „Bully Bouillon“ kennengelernt hatte), den Krankenhaus-Irrsinn „Die kranken Schwestern“, die Abenteuer des Kfz-Mechanikers Isidor oder des Grundschülers Cedric bis hin zur Touristen-Animateure-Parodie „Cactus Club“, wovon mir das meiste zuvor unbekannt war. Erstmals las ich so auch das „Spirou und Fantasio“-Prequel-Spin-Off „Der kleine Spirou“, das mit seinem Humor und seiner Niedlichkeit heraussticht. Makaberer geht’s beim Totengräber Pierre Tombal zu; durchaus schwarzhumorig auch beim „Höllenspaß“, der Gags an der Himmelspforte mit Rätseln kombiniert. Zumindest zum Teil tut dies auch der Satansbraten „Die kleine Lucie“. Fast alle Reihen sind mit mehreren Geschichten vertreten, deren Umfang von Einseitern bis zu mehrseitigen Erzählungen reicht.

„Das Riesen-Ferien-Buch“ bietet somit auch einem erwachsenen Publikum einen sehr unterhaltsamen, abwechslungsreichen Überblick über frankobelgische Funnys und drängt sich damit als lockerer Einstieg in die Urlaubslektüre geradezu auf.

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