Günnis Reviews

Autor: Günni (page 49 of 107)

30.10.2015, Kopernikus, Hannover: LES ORDURES IONIQUES + DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS + CRACK IT!

ordures ioniques, les + disillusioned motherfuckers + crack it! @kopernikus, hannover, 20151030

Nachdem wir im Frühjahr bereits die Ehre hatten, in der legendären Hannoveraner Kopernikus u.a. mit OI POLLOI zu zocken, waren wir uns mit den Veranstaltern einig, gern mal wiederzukommen, beispielsweise fürs Sommer-Open-Air auf dem Hof des Gebäudes. Das hatte dann leider nicht geklappt, dafür standen wir aber Gewehr bei Fuß, als man uns im Oktober noch einmal einlud. Im Vorfeld wussten wir nicht genau, was uns erwarten würde; noch war man sich anscheinend uneins, ob man das Konzert in der Kopernikus oder im Stöcken-Wohnprojekt stattfinden lassen würde und wenn in der Kopi, ob im engen Konzertraum oder tatsächlich trotz längst wieder kühlerer Witterung an der mehr oder weniger frischen Luft. Letztendlich entschied man sich zu meiner Freude für letzteres. Vor Ort angekommen, konnten wir uns an schmack- und nahrhaftem „Reis mit Scheiß“ (wie man so zu sagen pflegt, ist nicht abwertend gemeint) stärken und erfuhren wir, dass ausgerechnet an diesem Tag die Hamburger Kollegen von ARGH FUCK KILL zeitgleich das Stumpf beehrten, eine andere Hannoveraner Konzert-Location, so dass sich das potentielle Publikum gewissermaßen aufteilte. Davon ließ sich aber natürlich niemand ins Bockshorn jagen und so wurde sich mit den bayrischen CRACK IT!, die sich gerade mit einem Aushilfs-Bassisten auf Tour befanden, bekannt gemacht und die Bühne aufgebaut. Das hochgelegene Gelände hat ein klasse Ambiente, es befindet sich quasi unmittelbar an den Bahnschienen und so sah man immer wieder Züge vorbeirauschen. Den Anfang machten dann CRACK IT! aus Altötting, die großartigen melodischen HC-Punk mit angepissten und kämpferischen englischen Texten, vorgetragen von heiseren, rauen Stimmen, in Vierer-Besetzung mit zwei Klampfen boten. Prägnante Songs, ’ne Extra-Portion Energie und teils mehrstimmige Refrains – passt! Geiler Scheiß und ich hoffe, dass man von der Band noch viel hören wird. Ich fand’s jedenfalls so gut, dass ich mir den bisher einzigen Tonträger, ’ne 7“-D.I.Y.-EP, mit nach Hause nahm.

Dann waren wir an der Reihe, nachdem wir der Bitte der mittlerweile eingetroffenen und von unserem Bekannten ANTI-CLOCKWISE-Fred kutschierten Frankokanadier LES ORDURES IONIQUES, mit uns den „Slot“ zu tauschen, nicht entsprochen hatten – schließlich hatten wir zu mittlerweile längst vorgerückter Stunde schon damit zu kämpfen, nüchtern genug für den Gig zu bleiben und halten uns eisern an unseren Schwur aus Ennepetal, uns nicht mehr ans Ende durchreichen zu lassen. 😉 Halb zwölf war’s, als wir unsere Hassklumpen herauszuspeien begannen und waren die Folgen des Alkoholkonsums bereits bei unserer Ankunft manch Besucher deutlich anzumerken, hatte ich das Gefühl, dass nun ein nicht ganz ungefährer Anteil gar nicht mehr so richtig wusste, was hier eigentlich los war, wer spielte und warum überhaupt. Draußen verstreut sich im Gegensatz zum Mini-Konzertraum das Publikum dann doch wesentlich stärker auf die verschiedenen Sitz- und Lieggelegenheiten und so war’s nicht ganz einfach, den Mob zu motivieren. Unsere Bemühungen dankte man uns jedoch beispielsweise mit einer Wrestling-Einlage auf der Bühne. Leider waren wir erneut nur zu viert, also mit nur einer Klampfe am Start, weil Eisenkarl ausgerechnet am kommenden Samstag wieder schwer malochen musste. Die verbliebenen Motherfucker machten ihre Sache aber ordentlich, lediglich bei „Elbdisharmonie“ haperte es zu Beginn, so dass der einfach noch mal angefangen wurde. Meine Stimme allerdings war noch etwas von der Probe am Abend zuvor angeschlagen, dafür bekam ich aber so gut Luft wie lange nicht mehr – die Vorteile eines Open Airs! – und musste mich trotz herbstlicher Temperaturen nach ein paar Songs meiner Jacken entledigen, kam also gut auf Temperatur. Als ich mir später allerdings Videomitschnitte unseres Gigs ansah, konnte ich nur hoffen, dass mein „Gesang“ nicht wirklich vor der Bühne so dermaßen furchtbar laut über allen Instrumenten lag…

ordures ioniques, les + disillusioned motherfuckers + crack it! @kopernikus, hannover, 20151031_000132

Kai Motherfucker

Nach getaner „Arbeit“ floss das Herrenhäuser, wie sie dort ihr Bier nennen, schon wesentlich entspannter und vor allem besseren Gewissens die Kehle herunter und wir konnten uns LES ORDURES IONIQUES aus Montréal anschauen – und sahen uns bestätigt, dass diese unbedingt als Höhepunkt des Abends als Quasi-„Headliner“ spielen mussten: Die sich ebenfalls auf Tour befindende Band rüttelte mit ihrem schnellen und melodischen Street-/HC-Punk noch so manch einen wach und lockte den einen oder anderen hinter der Feuertonne hervor, denn was sie mit ihrem männlich-weiblichen Wechselgesang da auf der Bühne zelebrierte, war die pure Spielfreude und trat noch mal so richtig Arsch! Die französischsprachigen Songs kamen allesamt direkt auf den Punkt und setzten das letzte Adrenalin frei, so dass auch Kai und ich uns noch vor der Bühne herumschubsten. C’est fantastique!

 

Und als wäre das noch nicht genug gewesen, lud man alle Bands in Stöcken zur Aftershow-Party, wo man noch das eine oder andere Stündchen in großer Runde zusammensaß und sich den einen oder anderen Absacker inmitten eines heillosen Sprachwirrwarrs gönnte. Was die lokalen Punks da sonst noch so im Brauserausch trieben, werde ich hier nicht vertiefen, war aber amüsantes Küchengespräch beim und nach dem Frühstück nach für den einen kürzerer, für den anderen längerer Nacht. In der Stöcken-Küche ließe sich generell prima eine Art rustikale Doku-Soap drehen und wer neugierig geworden ist, muss beim nächsten Mal einfach selbst mitkommen. 😉 Noch mal danke für die Einladung und die fantastische Gastfreundschaft – Hannover war wieder mal ein klasse Abenteuer für große Buben! Grüße auch an beide Bands und ich hoffe, unsere Wege werden sich noch mal kreuzen!

24.10.2015, Störtebeker, Hamburg: ORÄNGÄTTÄNG + SCHROTZ + CRASS DEFECTED CHARACTER

orängättäng + schrotz + crass defected character @störtebeker, 24.10.2015HC-Punk-Gig im schwer sympathischen und altehrwürdigen Störtebeker und ich hatte a) es rechtzeitig vernommen und b) sogar Zeit! Natürlich war ich wieder viel zu früh, so dass ich noch in Ruhe etwas essen gehen und mit Valentin über Kitsch im Metal diskutieren konnte. Der Andrang war dann irgendwann groß, als die lokalen CRASS DEFECTED CHARACTER die Bühne betraten und, verdammt, derart souverän hatte ich die bisher noch nicht gesehen! An Selbstbewusstsein mangelte es dem Trio überhaupt nicht mehr und das zu Recht, bei den HC-Punk-Songs ihres vor einigen Monaten veröffentlichten Debüt-Albums „…an der Zeit“ saßen jeder Griff, jedes Break, jeder Fill. Die Soundqualität war zudem derart gut, dass die deutschsprachigen Texte der größtenteils vom Gitarristen mit reichlich Nachdruck dargebrachten Stücke prima zu verstehen waren und sich so jeder Anwesende vom gleichsam provokanten wie kapitalismuskritischen Inhalt überzeugen konnte. Da es keine klassischen „Vorbands“ gab, konnten CDC quasi ihr komplettes Set zocken und auch die Gesangseinlage einer jungen Dame, die leicht an selige RIOT-OF-RATS-Zeiten erinnerte (wenn auch nicht ganz so schrill), kam gut. Klasse Gig!

Die Rostocker SCHROTZ wiederum schlugen in eine musikalische etwas andere Kerbe, das aber brachial. Derbes Crust-Geballer und -Geröhre brachten das Störte zum Erbeben, wozu der Sänger durch die vorderen Publikumsreihen tingelte und mit Nachdruck Körperkontakt suchte. Der Auftritt polarisierte aber auch, so dass sich die Reihen etwas lichteten; die, die blieben, fanden’s aber richtig gut und feierten es auch gebührend ab, während ich mich ehrlich gesagt zwischendurch auf ein Bierchen und etwas Klönschnack vor die Tür und ins Onkel Otto verzog. War nicht so wirklich meine Mucke, zu kalkuliert auf pure Härte getrimmt und damit mir zu eindimensional, Anhänger des kompromisslosen Crust-Punks dürften aber auf ihre Kosten gekommen sein.

Das kam ich schließlich bei ORÄNGÄTTÄNG, die ich erst zwei Wochen zuvor so richtig im Rahmen des Hamburg-Inzest-Abstechers nach Kiel für mich entdeckt hatte. Pfeilschnelle HC-Punks-Riffs zerschnitten die stickige Luft im nun wieder eng gewordenen Club, hektischer und aggressiver Gesang stachelte die Meute an und das versierte Powerdrumming des Schlagwerkers dürfte locker zum Besten zählen, was in diesem Bereich gerade in der Hansestadt zu bekommen ist. Die Stimmung war ausgelassen und lud auch mich zum Tänzchen; erweitert wurde der Gig wieder um diesmal wegen der großen Nachfrage gleich zwei Gastgesangseinlagen eines Typen, der zum OÄ-Sound nasal bedeutungsvolle Texte von Notizzetteln ablas und zum aufmerksamen Zuhören riet, immerhin gehe es um medizinisch-psychologische Untersuchungen, die uns allen noch bevorstünden… Später sprangen noch zwei Mädels auf die Bühne und unterstützten das Trio mit Gesang und Tanz und nach dem ersten chaotischen Abgang der Band folgte der erste Zugabenblock, auf den sogar noch ein zweiter folgte. GG ALLINs „Don’t Talk To Me“ durfte dabei nicht fehlen und irgendwann war dann leider wirklich Schluss. Mich laust der Affe, ein grandioser Gig!

Ähnlich klasse übrigens das Publikum inkl. einiger alter Bekannter, denen ich auf dem Hinweg zufällig über den Weg lief, die meinen Konzerttipp dankend annahmen und ebenso wenig enttäuscht wurden wie ich. Schade nur, dass der Abend für eine junge Punkette reichlich unschön endete, als sie – wenn ich das richtig mitbekommen habe – mit einem Asthmaanfall vom Notarzt abgeholt werden musste, weil ihr Spray verschwunden war. Davon einmal abgesehen war der Heiermann bestens investiert und ich hoff e, dass sich bald wieder die Gelegenheit für einen Abstecher ins Störtebeker ergibt.

 

17.10.2015, Menschenzoo, Hamburg: NOTGEMEINSCHAFT PETER PAN + MISSSTAND

notgemeinschaft peter pan + missstand

PETER PAN SPEEDROCK NOTGEMEINSCHAFT PETER PAN sind ja auch so’n Phänomen, nämlich eines, das ich wie so manch Hamburger Band bisher konsequent, aber unabsichtlich verpasst hatte. Ist Hamburg einfach zu groß? Wie auch immer, an diesem Abend sollte ich die Band, die ich bisher nur vom Antesten des einen oder anderen Songs im Netz (Stichwort „Elbdisharmonie“, mit dem unser DMF-Song nichts zu tun hat – der entstand unabhängig davon, heißt aber witzigerweise genauso) und aus ‘nem Plastic-Bomb-Interview kannte, endlich livehaftig kennenlernen. Als ich den Menschenzoo betrat, war’s noch recht übersichtlich, doch als die Österreicher MISSSTAND zum Beginn bliesen, war die Hütte voll. Das Trio vom Wörthersee spielte flotten, deutschsprachigen HC-Punk mit plakativer Antifa-Attitüde, bezeichnet sich selbst als „politischen Deutschpunk“. Der Gig jedenfalls war musikalisch durchaus ansprechend, wobei dem Hauptgesang angesichts der Affenhitze im Zoo die Anstrengung bisweilen durchaus anzuhören war. Textlich ist sicherlich noch Luft nach oben, was sich mir jedoch erst erschloss, als ich hinterher mal per Bandcamp hineinhörte – ein Mitgrölrefrain wie „Ihr habt die Schwierigkeit unterschätzt!“ erscheint mir dann doch etwas seltsam. Die jugendliche anmutende Energie aber kam gut rüber und riss den Mob ordentlich mit. Am Schluss wurde dann noch „Grüne Haare“ von KNOCHENFABRIK gecovert, womit man dann doch auch etwas Humor bewies. Dann also die NOTGEMEINSCHAFT PETER PAN, die sich dem Kampf gegen Faschismus, Sexismus und, nach Vorbild des Namensgebers, das Altern verschrieben hat. Seit einiger Zeit nun mit festem Drummer (den ich tatsächlich mal beim Saufen im Menschenzoo-Vorgänger Kraken kennengelernt und seine Band „leicht“ angedüselt permanent PETER PAN SPEEDROCK genannt hatte, haha…), seit Jahresmitte aber ohne den ehemaligen Sänger, der anscheinend auch für einen Großteil der Texte verantwortlich zeichnete. Als Trio macht man weiter – glücklicherweise, möchte ich meinen, denn der sehr eigenständige Sound zwischen ruppigem, kompromisslosem HC-Punk und Post-HC-Nummern (ich glaube, ich verwende erstmals diese Bezeichnung und bin mir nicht sicher, ob die hier wirklich greift) mit sehr nachdenklicher, melancholischer, bisweilen gar düsterer Note ließ mich aufhorchen. Vor den verdammt ausgefeilten deutschen Texten, die den Spagat zwischen deftiger Systemschelte und persönlichem Seelenstriptease problemlos beherrschen, ziehe ich ebenfalls meinen Hut, wenn ich auch nicht mit allem vorbehaltlos einverstanden bin: So halte ich es z.B. generell für problematisch, einzelnen Staaten ihr Existenzrecht abzuerkennen oder ein ganzes Volk über einen Kamm zu scheren. Als Punk-Provokation mag das aber noch durchgehen und soll an dieser Stelle auch gar nicht vertieft werden, deshalb zurück zum Gig: Der Gesang wurde hauptsächlich vom Gitarristen übernommen und das ziemlich gut, inklusive einiger Ausbrüche in richtig aggressive Gefilde, was für Monotonie erst gar keinen Platz ließ. Zusammen mit der melodischen Seite der Band ergab sich so für mich, der ich mich hier erstmals wirklich mit der Band befasste, ein spannendes, abwechslungsreiches Konzert, das den Nerv sehr vieler Anwesender traf, wie die Action vor der Bühne bewies. Sympathischer Auftritt und auch die D.I.Y.-Attitüde, mit der die NOTGEMEINSCHAFT unterwegs ist, weiß zu gefallen. Schönes Ding für alle verlorenen Jungs (und Mädchen) und solche, die es werden wollen und ich werde die mal im Auge behalten.

DJane Eddelbüttel sorgte im Anschluss dann noch für geschmackvolle Beschallung aus der Konserve, was noch das eine oder andere Stündchen lang zum Verweilen und manch Tänzchen lud…

10.10.2015, Alte Meierei, Kiel: Hamburg Inzest kotzt in Kiel

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Hamburg ist nicht nur eine Stadt der ebenso qualitativ hochwertigen wie schnelllebigen Punk- und HC-Bands, sondern auch eine des Band-Inzests: Seitdem dieses Phänomen vor einiger Zeit aufgefallen war, tourt ein Inzucht-Klüngel, der sich dadurch auszeichnet, dass alle Bands irgendwelche personellen Überschneidungen aufweisen, immer mal wieder durch die Lande und verursacht Angst und Schrecken. Bisher war es mir nie vergönnt, mir die Mischpoke selbst einmal reinzuziehen, was sich jedoch am 10. Oktober endlich änderte: Ich nahm Platz in einem der zwei gekaperten Reisebusse, die beide fast voll wurden und zum Spottpreis zur Fahrt ins gar nicht mal so weit entfernte Kiel luden. So traf man sich um 15:30 Uhr am Proberaumkomplex, drehte direkt wieder zum nahegelegenen Edeka um, weil der Kiosk gegenüber dichtgemacht hatte und versorgte sich mit Getränken, bevor es mitsamt allen Bands und all ihrem Krempel gen Kiel ging. Die Fahrt verlief überraschend gesittet und zwischenfallfrei, Organisator Flo hielt eine kurze Ansprache und legte anschließend guten alten Punkrock auf und während der einzigen – dann allerdings ausgiebigen – Pinkelpause reparierte unser topfitter Fahrer sogar noch die Bustoilette, so dass diese dann auch zur Benutzung freigegeben werden konnte. Superpünktlich trafen beide Busse vor Ort an der Alten Meierei ein, einem selbstverwalteten Veranstaltungszentrum, das keine Wünsche offen lässt. Gestärkt wurde sich in der Vokü an zur kalten Temperatur wunderbar passendem Kartoffelgulasch mit Fladenbrot und lecker 1312-Bier oder Astra floss die Kehlen hinunter. Am großen Merchandise-Stand konnte man sich mit Tonträgern und Klamotten aller Bands eindecken, während der ausgiebige Soundcheck mit den TRÜMMERRATTEN stattfand, jener Hamburger Nachwuchshoffnung, die, wenn ich das richtig mitbekommen habe, sich am Inzest zwar nicht beteiligt, also keine Bandmitglieder in Zweitprojekten involviert sind, musikalisch aber dennoch einwandfrei dazu passt. Die Zeit ließ sich prima zum Meet & Greet mit alten, teilweise länger nicht mehr gesehenen Bekannten nutzen (Grüße nach Barnstedt!) sowie zum Knüpfen neuer Kontakte.

Als es dann irgendwann losging, läuteten die TRÜMMERRATTEN den musikalischen Teil des Abends mit ihrem aufs Wesentliche reduzierten Pogo-Punk mit auf den Punkt gebrachten deutschen Texten ein, wie immer humorvoll und charmant. Lieder übers Schwarzfahren, die GEZ und die Bullen auf St. Pauli, bestechend unprätentiös und mit schöner „Leck mich“-Attitüde, kompetent dargereicht von drei Jungs und einer Dame, die die Schießbude verprügelte. Einer der Mitgereisten zog sich auch diesmal wieder sein Rattenkostüm über und verteilte Gratis-Pfeffi. Ein gelungener, feuchtfröhlicher Einstieg!

Auf ORÄNGÄTTÄNG war ich besonders gespannt, da ich mich überhaupt nicht mehr erinnern konnte, wann ich die das letzte Mal live gesehen hatte. Da scheint es wahrlich mit dem Teufel zuzugehen, ständig verpasse ich das Hamburger HC-Punk-Trio!? Dass das verdammt uncool ist, bewies die Band, die aufgekratzten, beinahe hyperaktiven HC-Punk mit Trash-Kante und stellenweise geil-fetten Riffs arschtight in den Mob peitschte, deren Shouter/Gitarrist und Bassist die englischen Texte gern mit archaischen Lauten abschmeckten und insgesamt an gute alte Bands erinnerte, die nicht länger als zwei Minuten pro Song brauchten, um Ekstase und Exzess zu entfachen und ihren Humor nicht im Backstage-Raum ließen. Zwischendurch betrat ein ein wenig neben sich zu stehen scheinender Herr die Bühne und freestylte zum ÄTTÄNG-Sound irgendetwas Unverständliches, ein herrlich bizarre Einlage. Insgesamt sehr knorkes Brett, so dass man auch die Großstadt-Orang-Utans nicht ohne Zugabe(n) davonkommen ließ; eine war die GG-ALLIN-Nummer „Don’t Talk To Me“. Fast an Nötigung grenzte es, wie vehement das NEUE-KATASTROPHEN-Cover „Reeperbahn“ gefordert wurde, das dann in einer besonderen Version, nämlich mit ex-NK-jetzt-RESTMENSCH-Sänger Alex, zur Befriedigung der Massen zelebriert wurde. Es lohnt sich definitiv, sich diese Band öfter anzuschauen.

In eine ähnliche, aber nicht ganz so ungestüme Kerbe schlugen dann die inoffiziellen NEUE-KATASTROPHEN-Nachfolger RESTMENSCH mit ihrem durchdachten, doch nicht verklausulierten deutschsprachigen HC-Punk, der erhöhten Wert auf seine textlichen Aussagen legt und dabei gern mit einem nicht ungefähren Sarkasmus spielt. An der Schießbude hat man mit FAUSTMÖRDER-Philipp jemanden, der das Ganze mit einem selbst für diese Mucke außergewöhnlich harten Punch unterlegt. Sänger Alex mit seinem energischen und akzentuierten Gesang erinnert angenehm an TOXOPLASMA und Konsorten und verleiht den Texten Ausdruck. Flo nimmt derweil ordentlich die Klampfe durch und so stimmt das Gesamtbild meist recht kurzer Songs, für die dann und wann zwecks Auflockerung aber auch mal das Tempo etwas gedrosselt wird. Am besten gefallen mir RESTMENSCH, wenn sie ihre Refrains mit kleinen Melodien zu wütenden Singalongs machen. Zu Recht eine der auf ihrem Gebiet hoch gehandelten Hamburger Combos zurzeit!

Reichlich Melodien bekam ich dann von S.O.S., die ebenfalls lange Zeit an mir vorbeiliefen, bis wir mit DMF mit ihnen auf dem diesjährigen Gaußfest die Bühne teilten. Eine Sängerin mit Ausstrahlung für zwei, doppelte Gitarre – an einer davon der ORÄNGÄTTÄNG-Gitarrero und der Basser derselben an der Schießbude, an der zweiten Klampfe eine weitere Dame und am Bass der RESTMENSCH-Tieftöner. Dieses Quintett rotzte in bester ’77-Tradition astrein tanz- und partytauglichen Punkrock durch die Kieler Gemäuer und scheute sich so gar nicht vor geilen Melodien und eingängigen Ooho-Chören, dass es die reinste Freude war. Ich bat darum, die Leadgitarre aufzudrehen und ergötzte mich fortan in ausgelassener Grobmotorik vor der Bühne am großartigen Sound und Stil dieser Band, die damit – ich nehme es vorweg – zu meinem persönlichen Gewinner des Abends wurde, eines Abends wohlgemerkt, der ausschließlich Gewinner hervorgebracht hat. Gecovert wurde – na klar – „S.O.S.“ von ABBA und wie es dieser Band gelang, Rotz und Feingeist miteinander zu kombinieren, muss man ihr erst mal nachmachen. Geile Scheiße, würde ich gern mal mit BOLANOW BRAWL mit zusammen spielen!

Mittlerweile war’s schon recht spät, dementsprechend machte sich der Alkoholpegel bei den meisten bemerkbar und viele schienen auf die THRASHING PUMPGUNS gewartet zu haben, um noch mal so richtig zu eskalieren. Der Raum vor der Bühne füllte sich nun am stärksten und auf den Hardcore-Punk/Thrash-Metal-Crossover-Sound konnten sich so ziemlich alle einigen. Wieder auf der Bühne fanden sich RESTMENSCH-Flo, der auch hier eine der Klampfen bedient sowie der ORÄNGÄTTÄNG-Drummer, um auch hier kräftig loszuknüppeln. Die kurzen Songs scheppern einen ordentlich durch – wo andere verpuffen, explodieren die PUMPGUNS grob im Stil ganz alter D.R.I. und Artverwandter. Frontsau Rolf, diesmal im Asi-Joggingbuxen-Look, ist dabei die Souveränität in Person und sorgt auch für einen ordentlichen Spaßfaktor. Dies tat auch jemand, der während des Sets auf die Bühne sprang, lauthals mitsang und sich per Stagedive wieder verabschiedete – was wohl nicht ganz verletzungsfrei vonstattenging. Weniger aus Sicherheitsgründen, vielmehr als Zeichen meiner Erschöpfung zu fortgeschrittener Stunde beobachte ich das Geschehen aus gewissem Abstand und ließ mir den hektischen „Krach“ ebenso schmecken wie mein Bierchen, bis dann irgendwann der offizielle Teil des Abends vorbei war.

Ironischerweise war bis auf die Organisatoren von ROTTEN SPROTTEN ENTERTAINMENT so gut wie kein Kieler anwesend, aber der Abend hat bewiesen, dass man im Prinzip auch keine braucht, wenn man mit zwei Reisebussen angekarrt kommt. Positiv hervorzuheben ist in jedem Falle der Top-Sound, den jede einzelne Band hatte, da verstand jemand sein Handwerk am Mischpult. Wermutstropfen waren, dass …AND THE RED BUTTONS, ‘ne recht neue Combo mit alten Bekannten, verletzungsbedingt ihren Gig absagen musste und dass gleich beide Mitmenschen, die die Reise mit mir zusammen antreten wollten, dann doch anderweitig eingespannt waren, wenn auch aus verständlich Gründen. Zurück in Hamburg wusste ich, dass diese etwas verpasst hatten, nämlich viele klasse Stunden mit fitten Leuten , und dass Hamburg noch nicht ganz verloren ist, solange es noch Bands wie diese hervorbringt – ob nun per Inzest oder sonstwie.

P.S.: Danke an ORÄNGÄTTÄNG + Freunde für den Großteil der Bilder!

26.09.2015, Fabrik, Hamburg: DIE KASSIERER + EMSCHERKURVE 77

kassierer, dieDie mächtigen KASSIERER – früher war ich regelmäßig Gast ihrer Shows, doch wurde irgendwann das Publikum immer breiter, damit die Läden größer und teurer, dagegen die Shows recht repetitiv – bis auf Details eigentlich immer dasselbe Programm. Deshalb verlor das Ganze vor einigen Jahren seinen Reiz für mich, wenngleich ich den Wacken-Auftritt 2010 oder 2011 noch mitgenommen hatte – wenn man schon mal da ist… Nun jedoch stand ein Auftritt in der altehrwürdigen Hamburger Fabrik auf dem Plan und durch glückliche Umstände (danke, Katharina!) stand ich sogar auf der Gästeliste. Nachdem ich zuvor noch in einer netten Kneipe Zeuge wurde, wie der HSV dem FC Schalke unterlag, war eigentlich schon klar, dass der Abend ganz im Zeichen des Ruhrpotts stehen würde. So war die geräumige Fabrik dann auch komplett ausverkauft und das KASSIERER-typisch völlig durchgemischte Publikum tummelte sich in Massen vor und in der Bude, als EMSCHERKURVE 77 aus Oberhausen den musikalischen Teil des Abends eröffneten. Die hatte ich auch ewig nicht mehr live gesehen – hatte ich überhaupt schon einmal das Vergnügen? Ich erinnere mich eigentlich nur noch an den Akustik-Gig in der Bochumer Straßenbahn, damals noch mit Böhle am Gesang. Die aus dem RWO-Umfeld stammende Band hatte mit ihrem melodischen, deutschsprachigen Working-Class-Punkrock leichtes Spiel, denn das längst ordentlich angeheiterte Publikum war ein dankbares. Mit aus dem Leben gegriffenen, gern mal augenzwinkernden Texten wie dem Hit „Wir haben den Punk verstanden“ und der Absage an überpolitisierte Internet-Hetzer „Eure Szene“ heizten sie die gute Stimmung weiter an, den ins Set zurückgekehrten „König der Kneipe“ widmete man FAST-SLUTS-Sängerin Alex und der gute, satte Sound trug zusätzlich zum Vergnügen bei. Hier und da wurd’s mir dann vielleicht doch etwas zu schunkelig, aber alles in allem war’s ‘ne ziemlich unterhaltsame Nummer – auch dank Sänger Spiller, der richtig gut drauf war, viel Humor bewies und sich auch nicht von ‘nem herbeifliegenden Bierschwall irritieren ließ. Doch, hatte was, würde ich mir auch noch mal im Monkeys oder Menschenzoo angucken.

DIE KASSIERER aus Wattenscheid boten dann ihre intellektuell-künstlerische Auseinandersetzung mit Themen wie Arbeitslosigkeit, Genussmittelmissbrauch, Sexualanatomie, Pädagogik, Sexismus und Quantenphysik, was sich in Liedern wie „Mir ist alles piepe“, „Besoffen sein“, „Mein Glied ist zu groß“, „Sex mit dem Sozialarbeiter“, „Mach die Titten frei, ich will wichsen“ und, äh, „Quantenphysik“ widerspiegelte. Immer mal wieder wurde auch musikalisch wie optisch auf den besonders wohlgeformten Hodensack des seine Texte routiniert von Zetteln ablesenden Sängers Wölfi hingewiesen, „Ich fick dich durch die ganze Wohnung“ befasst sich im Subtext kritisch mit Wohnraumknappheit und eine lautmalerische Agitation wie „Kuckuck!“ kam sogar ohne Wölfi, der kurz zuvor beinahe Bochumer Bürgermeister geworden wäre, aus – ebenso der zur KASSIERER-Show wie das Amen in die Kirche gehörende Kabaretttheater-Block, in dessen Rahmen Drummer Volker Kampfgarten versuchte, mit seinem Schädel in den Anus des Gitarristen Nikolaj Sonnenscheiße einzudringen – wofür sich gleich beide untenherum freimachten. Dabei verwendete Utensilien landeten zur Freude desselben anschließend im verzückten Publikum, das seinerseits mittels lautstarker „Ausziehen! Ausziehen!“-Bekundungen immer wieder avisierte, sich entkleiden zu wollen, es letztlich aber schuldig blieb – wie Wölfi irritiert zur Kenntnis nahm, wenn er sich nicht gerade darüber freute, in der „Fabrik in Bochum“ spielen zu dürfen. Mich persönlich so richtig beeindruckt hat die Wattenscheider Avantgarde jedoch mit der von Bassist und Leichtmatrose Mitch Maestro fast schon prahlerisch eingeleiteten Zurschaustellung der Nacktkopfrechenkünste von Mathegenie Kampfgarten, der die komplexe Berechnung von 25 hoch 27 in Sekundenbruchteilen durchführte – folgerichtig quittiert von begeisterten „Mathegenie! Mathegenie!“-Ovationen des frohlockenden Publikums. Dass der eigene Horizont nicht an den Grenzen Bochums oder Deutschlands, nein, nicht einmal denen von Mutter Erde endet, bewies „U.F.O.“, das ein Szenario der Begegnung mit extraterrestrischer Intelligenz aufzeichnet, welches in bester „Akte X“- und Erich-von-Däniken-Manier nachdenklich stimmt – und mit gesungenen Bläsern das Improvisationstalent der Musiker unter Beweis stellte.

Ja, tatsächlich hatte man seit meinen letzten KASSIERER-Besuchen Show und Setlist soweit variiert, dass sie wieder spannend und unberechenbar wurden, das Gehirnvolumen aller Anwesenden spürbar vergrößerten und Hochkultur vom Feinsten boten. Diese Erfahrung sowie Katharinas Geburtstag wurden anschließend auf der Aftershow-Party im nur wenige Schritte entfernten Monkeys noch bis in die Puppen bei hochgeistigen Getränken und einer kreuzgenialen Punkrock-Karaoke-Band gefeiert, die eine Vielzahl an Stücken einstudiert hatte und mich zusammen mit UPPER-CRUST/STAHLSCHWESTER-Lars SLIMEs „Alptraum“ zum Besten (?) geben ließ. Ob der vielen intellektuellen und kulturellen Eindrücke verschwimmen da jedoch auch so langsam aber sicher die Details, doch eines ist gewiss: Das war mit Sicherheit eine der gelungensten Partys des da noch jungen Herbsts!

19.09.2015, Menschenzoo, Hamburg: IN VINO VERITAS + CURB STOMP

in vino veritas + curb stomp @menschenzoo, hamburg, 19.09.2015IVV-Mastermind Ladde feierte seinen Geburtstag nach und lud dazu in die neueste Punk-Spelunke Hamburgs, in der doch so viel beim Alten ist: Die Rede ist natürlich vom Menschenzoo, der Anfang des Monats die Nachfolge des Skorbuts und des Kraken angetreten hatte. Der Großteil der bereits geplanten Konzerte wurde schlicht übernommen und so auch diese schon lange feststehende Sause. Für’n Fünfer gab’s Einlass in die gute Stube und ich erschien pünktlich um 22:00 Uhr, wenige Minuten vor Beginn. Obwohl die IVV-Jungs sich vor der Pforte noch über mangelnden Andrang beklagten, bestand dazu kein Anlass, denn aus sämtlichen Himmelsrichtungen versammelte sich plötzlich das Volk vor der Bühne und füllte den Zoo beachtlich! Hatten wir bei unserem Auftritt noch einen, äh, „suboptimalen“ Sound und technische Probleme, hörte sich das heute schon ganz anders an: Die Instrumente waren differenziert wahrnehmbar und Laddes bellendes Shouting sogar zeitweise zu verstehen. So gab’s eine räudige Oi!-Punk-Splitterbombe nach der anderen, natürlich alle Stücke der EP bei Klabautermann Rec., dazu alte Weisen wie „Blackjack und Nutten“ und mittlerweile auch nicht mehr ganz so junge Schoten wie „Knospen“ oder Laddes Schlosser-Tribut, dessen Namen ich immer vergesse. Eine Zwangspause gab’s, als der gern mal fast im Stile eines Jazzdrummers frei nach Schnauze spielende Al das Snarefell durchhaute. Hier und da rumpelte es noch etwas, aber wie immer durchaus mit Charme. Ansonsten präsentierte sich die nach Klimpers Rückkehr wieder vollständige Band aus einem Guss, Gesangseinlagen Simons und Klimpers sorgen für Abwechslung. Schade nur, dass die Zugabenrufe unbeantwortet blieben, weil man all sein Pulver bereits verschossen hatte und ganz alte Gassenhauer wie „Mit ohne Stolz“ es wohl nie mehr ins Set schaffen werden.

CURB STOMP teilten bereits öfter die Bretter mit IN VINO VERITAS, beide Bands verbindet eine Freundschaft und mit BOLANOW BRAWL zockten wir sogar schon mit beiden am selben Abend zusammen – womit ich sehr schöne Erinnerungen verbinde. Nun bekam ich endlich die Gelegenheit, die Dortmunder Skins wieder live zu erleben. Anfänglich gab es ein paar Soundprobleme, die man jedoch schnell in den Griff bekam. Unverständlicherweise hatten sich die Publikumsreihen ein wenig gelichtet, der Großteil jedoch wurde Zeuge eines klasse Gigs, bei dem neben den Songs von der EP weitere deutschsprachige Oi!-Punk-Kracher dargeboten wurden. Ernstere Songs gefolgt von spaßigen, obligatorisches Schalke-Bashing inklusive (was ich nicht unbedingt gutheißen kann), aber auch klare Bekenntnisse zur SHARP-Bewegung. Dazu passend hatte man anstelle eines Bandbanners ein großes „Refugees Welcome“-Transparent aufgehängt und bezog eindeutig Stellung. Daumen hoch dafür, wie auch für den gesamten Gig, der von der ersten bis zur letzten Sekunde Laune machte – so sehr, dass ich glatt vergaß, auch von den Ruhrpottlern Fotos zu machen. Am Schluss wollten die mitgereisten Curb-Stomperinnen sogar noch Unterwäsche für die Flüchtlingshilfe versteigern (?) … Endlich hab‘ ich mir dann auch die EP am Merch-Stand gekauft, natürlich in Schalke-Farben. 😛

Fazit: Ein gelungener Abend mit zwei sympathischen Combos, gern mehr davon, gern auch auf Vinyl! Auf der Aftershow-Party mit DJ Wasted Noise konnte ich leider nicht länger bleiben, dafür trat ich am nächsten Tag endlich meinen wohlverdienten Mittelmeer-Urlaub an – welch geniales Wochenende!

12.09.2015, Wohlwillstraßenfest, Hamburg: FISCHMARKT

fischmarkt @wohlwillstraßenfest, hamburg, 20150912_202915

Das Wohlwillstraßenfest in den Hinterstraßen des Hamburger Kiez gehört zu den sympathischsten seiner Art, und zwar aufgrund seines unkommerziellen Charakters – statt massenweise überteuerter Standard-Fress- und -Saufbuden bereitzustellen, stellen die Anwohner hier selbst etwas auf die Beine. Tagsüber ist der Flohmarkt das Herzstück, zu dem ich diesmal rechtzeitig kam, um reichlich in Sachen Tonträger fündig zu werden. Das Wetter war auch bestens und so war dies für diejenigen ein angenehmer „place to be“, die den Neo-Nazis, deren geplanter Hamburg-Aufmarsch an diesem Tag zum absoluten Debakel geriet, nicht mehr hinterher zu reisen versuchten, die von einer der Demos kamen oder die etwas später aufgestanden waren und aufgrund der Sperrung des Bahnverkehrs (immerhin das hatten sie erreicht) kaum noch eine Chance hatten, zügig zum Hauptbahnhof zu gelangen. Als ich am frühen Abend pünktlich zur Sportschau in mein Altonaer Wochenend-Domizil zurückkehrte und so nebenbei durchs Fratzenbuch scrollte, las ich glücklicherweise noch Arnds Nachricht, dass er gleich mit seiner Oi!-Punk-Combo FISCHMARKT auf eben jenem Straßenfest spielen würde. Also nach dem Abendessen wieder flugs rein in die Puschen und erneut dorthin. Ich hatte diese Band bisher nur einmal gesehen, und zwar auf genau diesem Straßenfest, seinerzeit in der B5. Der Auftritt war der absolute Hammer, doch seither habe ich die Gigs mit unschöner Regelmäßigkeit verpasst. Heute also endlich wieder einmal die Gelegenheit, erneut an der B5 – diesmal jedoch als Open Air, als Bühne fungierte ein umfunktionierter Anhänger. Reichlich Volk hatte sich dort versammelt, darunter viele übliche Verdächtige, die den Gig als Auftakt zum Konzertabend nutzten und anschließend noch weiterzogen. Erst mal stand der Soundcheck an, bei dem es etwas irritierte, dass man Arnd offenbar gebeten hatte, zu singen, obwohl sein Mikro noch gar nicht an war – was zu Erheiterung im Publikum sorgte. Nach einiger Zeit ging’s dann aber inkl. Stimme los, Lieder über Urlaub (in Barmbek), Fußball (FC St. Pauli), Subkultur (Skinheads, Ultras und Hooligans) Saufen (Bier) etc., proletarisch und feierwütig, kämpferisch und konsequent, schnörkellos und auf die Zwölf, heiser vorgetragen vom fäustereckenden Frontmann, dessen Stimme den gesamten Gig über leider etwas zu leise abgemischt worden war und die gegen Ende technisch bedingt sogar einmal komplett ausfiel. Trotz dieser Pannen war’s wieder ein großartiger Gig einer schwer unterhaltsamen Band, wenn auch die Leute angesichts des harten Aphalts und der hohen Bühne nicht so mitgingen wie seinerzeit in der B5, als es eng und drängelig war und man sich Auge in Auge gegenüberstand. Die Melodien gehen ins Ohr, Hennings rasantes Bassspiel ohne Plektrum ist klasse anzuschauen und Arnd beweist mit seinen Ansagen auch zwischen den Songs Entertainer-Qualitäten. Als Zugabe gab’s noch mal „Europapokal“ und ich glaube, im Gegensatz zum letztjährigen Gig hatte man keine TESTOSTERON-Coverversionen mehr im Programm, vermutlich, weil man mittlerweile genügend eigenes Material hat, oder? Die anschließende Metal-Band verfolgte ich beim letzten Bierchen des Abends nur noch mit halbem Ohr, kann daher im Prinzip lediglich zu Protokoll geben, dass sie ’nen etwas moderneren Stiefel spielten und eine Sängerin hatten. Es hat sich gelohnt, sich noch einmal auf den Weg gemacht zu haben – am witzigsten war aber, dass ich mich in Begleitung einer Rostockerin befand, die überhaupt nicht wusste, was sie erwartet… 😛

11.09.2015, Menschenzoo, Hamburg: ANTI-CLOCKWISE + BOLANOW BRAWL

bolanow brawl + anti-clockwise @menschenzoo, hamburg, 20150911Einst gab es das legendäre Skorbut, das wurde irgendwann zum Kraken, welcher wiederum kürzlich an einen neuen Inhaber übergeben wurde: Dominik, Wirt der legendären „Silbersack“-Kneipe, führt die Punk-Kneipe in der Hopfenstraße im Herzen des Kiez unter dem Namen „Menschenzoo Punkrock-Spelunke“ weiter, behält das Grundkonzept weiter, aber lässt sich ein paar neue Ideen und Feinheiten einfallen. Beruhigend zu wissen, dass der Laden in gute Hände gefallen ist und mit Einsatz und Herzblut weitergeführt wird – dies galt es im Rahmen der Pre-Opening-Party am 11.09. feierlich zu begießen! „Pre-Opening“ deshalb, weil noch längst nicht alles fertig war, was man sich vorgenommen hatte. Was es schon zu sehen gab, z.B. die leicht vergrößerte Bühne und die umgebaute, sich jetzt dem Namen entsprechend hinter Gittern befindende Kicker-Ecke, wussten aber ebenso wie manch schniekes Detail zu gefallen. Als Zoo-Attraktionen eingeladen hatte man sich die Montpellier-Hamburg-Connection ANTI-CLOCKWISE und uns (BOLANOW BRAWL) sowie DJ Wasted Noise; der Einlass war bereits für 19:10 Uhr angesetzt und dementsprechend früh fanden wir uns vor Ort ein. Der Aufbau der komplett neuen Bühnentechnik nahm jedoch weit mehr Zeit für die Soundtechniker Norman und Wurzel in Anspruch als erhofft und je später der Abend, desto mehr Flüche waren aus dieser Ecke zu vernehmen. Mehr als nur provisorisch stand aber irgendwann alles und die ersten Gäste hatten sich bei freiem Eintritt bereits eingefunden, als beide Bands ihre Soundchecks durchführten. Der Bass wurde noch nicht abgenommen, drang aber trotzdem genügend durch, die Gesangsjustierung bereitete anscheinend noch etwas Probleme und wir hatten trotz neuer Technik wieder mit dem enervierenden Rückkopplungs-Fiep-Terror zu kämpfen, der auf wundersame Weise mit Christians Gitarre zusammenhängt. Chilli-con- und -sin-Carne-gestärkt bliesen wir dann zu vorgerückter Stunde vor ca. halbvoller Kulisse zum Brawl und feuerten unser komplettes Set ab. Wir hatten Laune, alles schien gut zu laufen und ich ließ es mir nicht nehmen, den Gig zwischendurch dem Anfang des Jahres leider verstorbenen Szene-Unikat „Feindhammer“ Karsten zu widmen, dessen Geburtstag der 11. September ist, was mich dann doch hin und wieder nachdenklich stimmte. Ansonsten herrschte aber ausgelassene Stimmung, Menschenzoo-Namensgeber und Disillusioned Motherfucker Kai beschränkte seine Grabsch- und Brustwarzen-Kneif-Attacken dankenswerter auf ein Minimum und da es keine Monitore gibt, höre ich auf dieser Bühne in erster Linie den Bühnensound und die P.A., deren Boxen sich links und rechts von mir befinden. Das klang für meine Ohren eigentlich alles ganz gut; umso überraschter war ich, als man uns hinterher eröffnete, dass a) das Fiepen derart stark gewesen sei, dass es sogar während des Gitarrenspiels störend wahrgenommen wurde und b) der Sound allgemein nicht der Hit gewesen, besonders mein Gesang zu leise gewesen sei. Zumindest in Bezug auf den Gesang bestätigte sich das leider auch bei ANTI-CLOCKWISE, während deren Gigs Freds Stimme nicht so recht die Soundwand durchstoßen konnte. Der Stimmung tat das aber keinen Abbruch, eine gute Handvoll „Zoobewohner“ ließ sich anfüttern und gab sich einem zünftigen Pogo hin. ANTI-CLOCKWISE klangen diesmal noch härter als auf dem Gaußfest für meine Ohren, statt nach hartem Streetpunk fast nach reinrassigem HC-Punk. Ein ordentliches Brett, nach dem es sich von selbst verstand, dass sie noch mal für die eine oder andere Zugabe ranmussten. Als Rausschmeißer kredenzte man das ADICTS-Cover „Viva la Revolution“, wofür eines der Mikros ins Publikum gereicht wurde und sich Teile des Mobs schließlich revolutionär auf dem Fußboden wälzten. Trotz semiguten Sounds richtig geile Scheiße, so dass niemand das Gefühl haben musste, von Affen mit Kot beworfen zu werden. Was unser Fiepen betrifft, wurden übrigens neue Hypothesen aufgestellt: Aufgrund einer besonderen Eigenart von Christians Gitarre würde diese mit den speziellen Lampen an dieser speziellen Bühne reagieren. Das klingt so abenteuerlich, dass ich meine Theorie von Voodoo und schwarzer Magie für wesentlich wahrscheinlicher halte, lasse mich aber gern eines Besseren belehren. Wir werden das prüfen! Im Anschluss feuerte DJ Wasted Noise sein Hitfeuerwerk ab, wozu die Gäste die Kneipe halbleer soffen: Tatsächlich war das Holsten irgendwann alle. Ich als Astra-Trinker wasche meine Hände in Unschuld. Ein gelungener Einstand und hoffentlich nur der Startschuss für viele weitere grenzgeniale Partys im Menschenzoo mit artgerechter Trinkerhaltung!

Danke an Katharina und DJ Wasted Noise für die Schnappschüsse! Schade, dass von ANTI-CLOCKWISE keine dabei sind, aber die hätte ich auch ruhig mal selbst machen können…

05.09.2015, JUZ Alte Post, Emden: ROCK GEGEN RASSISMUS II (2. Tag)

rock gegen rassismus II @juz alte post, emden, 04.09.2015rock gegen rassismus II @juz alte post, emden, 05.09.2015

Emden, Ostfriesland, die Heimat von Otto Waalkes und Karl Dall! Ich erinnere mich an eine klasse funktionierende Ostfriesland-Hamburg-Connection in den 2000ern: Rock’n’Rolf (heute bei THRASHING PUMPGUNS) lud seine spätere Band SMALL TOWN RIOT auf seine Geburtstagsparty ein, wo sie u.a. zusammen mit den TYPHOON MOTOR DUDES das Jugendzentrum Alte Post rockten. Diverse geniale Konzerte wurden organisiert, BROILERS in Hage, die EIGHT BALLS und LOIKAEMIE ebendort und davor in Emden etc. pp – Bustouren von Hamburg nach Ostfriesland wurden organisiert und umgekehrt waren Ostfriesen gern gesehene Gäste in Hamburg, bis der eine oder andere selbst herzog. Man feierte große Partys, haute ordentlich auf die Kacke und es war gut was los. Dies hatte ich im Hinterkopf, als uns (BOLANOW BRAWL) Ostfriese Karsten von Klabautermann Rec. einlud, nach einer Bandabsage am zweiten Tag des zweiten Rock-gegen-Rassismus-Festivals in der Alten Post zu spielen. Dass diese meine Erinnerungen anscheinend nicht rock gegen rassismus II @juz alte post, emden 01mehr viel mit der heutigen Realität zu tun haben, musste ich leider an eben jenem Abend erfahren, doch der Reihe nach: Das Benefiz-Festival, für das bis auf die „Headliner“ alle Bands ohne Gagen o.ä. auftraten, um gemeinsam ein Zeichen gegen Rassismus angesichts laut Karsten immer mehr an Zulauf gewinnender rechter Strukturen vor Ort zu setzen, stand offenbar unter keinem guten Stern. Obwohl (oder vielleicht auch weil) eigentlich seit vielen Monaten geplant, wurde das Bandaufgebot immer wieder durcheinandergewürfelt, die einen lösten sich auf, die anderen sagten ab usw… Für Ersatz war aber stets schnell gesorgt. Vor dem Hintergrund eines stockenden Kartenvorverkaufs und eventuell Publikum ziehender „Konkurrenzveranstaltungen“ (in anderen Orten wohlgemerkt) fragte Karsten einige Wochen vorm Festival öffentlich, ob er es nicht besser abblasen solle. Der Zuspruch jedoch ermutigte ihn, es durchzuziehen und über 300 Zusagen per Facebook, wo neben örtlicher Presse etc. ordentlich Werbung gemacht wurde, ließen hoffen – dass allerdings in der Nacht der Tresor mit dem Geld aus dem Vorverkauf von Einbrechern gestohlen wurde, war nur ein weiterer Stein im Pannenmosaik. Am Freitag kamen dann trotz Bands wie TAUSEND LÖWEN UNTER FEINDEN und COR lediglich 45 zahlende Gäste, was das erste riesige Loch in die Budgetplanung riss, denn 100 pro Abend hätten es schon sein müssen, damit sich das Festival trägt. Unsere Kollegen von IN VINO VERITAS spielten ebenfalls, außerdem PUNX ’N POETS und EAT THE BITCH. Fünf interessante Bands also, darunter mit TAUSEND LÖWEN… ein gefeierter Newcomer und mit COR alte Hase, deren Konzerte in anderen Ecken Deutschlands an den nächsten beiden Tagen bereits im Vorfeld ausverkauft waren, die in Emden – einer mit Konzertangeboten dieser Art nicht gerade gesegneten Gegend – aber irritierenderweise nicht genügend Publikum zogen. War es ihm keine 12,- EUR wert? Die Aftershowparty mit Ostfrieslands wildestem Plattendreher, DJ Wasted Noise, wurde von ganzen fünf Konzertbesuchern aufgesucht…

rock gegen rassismus II @juz alte post, emden 02Nun oblag es also dem zweiten Abend, das Ruder rumzureißen und das Festival doch noch zu einem Erfolg zu machen. Wir kamen problemlos und flott auf der Autobahn durch, so dass wir überpünktlich gegen 16:00 Uhr eintrafen, gerade rechtzeitig zur Vorführung des Films „Sad But True“, für die kein Eintritt gezahlt werden brauchte. Reichlich verloren wirkten jedoch die Filmmacher, denn tatsächlich interessierte ihr Film keinen einzigen Ostfriesen, es war schlicht niemand gekommen! Also fiel die Vorführung aus. Ok, möglicherweise kannten ihn schon alle… Wir trafen neben Ätzer von VIOLENT INSTINCT Al und Klimper von IN VINO VERITAS mitsamt Fahrer Michi, die kurzerhand nach dem gestrigen Auftritt dageblieben und – natürlich bis auf den Fahrer – schon wieder in Trinklaune waren. Zusammen schauten wir uns Emden an, stellten zu unserem Bedauern fest, dass das Otto-Huus dicht hatte, aßen Fisch (immerhin bestellte ich mit Knoblauchmatjes mit Zwiebeln die ultimative Geruchsoffensive) in labberigen Brötchen für zahnlose Gesellen und wurden Zeuge eines 30-ledig-Fegen-Rituals am Kanal. Die einen gingen Getränke kaufen, Ole, der feine Herr, checkte mit seiner Lady im Hotel ein und wieder andere suchten eine Kneipe, labten sich am „Friesengeist“ und schickten mir Bilder davon, um mich zu erschrecken – denn wer am frühen Abend schon Schnaps trinkt, meist später auf der Bühne abstinkt. Ich erfuhr, dass unsere Unterkunft, das Europahaus, sich nicht etwa in Fußnähe, sondern ganz im Gegenteil im 30 km entfernten Aurich befand – und holte telefonisch Taxipreise ein… Kein Ding, kriegen wir hin, ich war noch immer frohen Mutes, handelt es sich doch bei der Alten Post um ein sehr komfortables Jugend- und Veranstaltungszentrum mit toller, professioneller Bühne inkl. Drum-Raiser, viel Platz, großen Backstage-Bereichen, einem Bistro mitsamt Kicker, Billard, Playstation, Sofaecke etc. Wenn hier auch noch diverse Punk- und HC-Bands aufspielen, müssen doch die Leute kommen!

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Jan von Musikapparillo

Dann die nächste Panne: Wie ich erfuhr, hatten die OFFENDERS, immerhin der Headliner des heutigen Abends, kurzfristig abgesagt. Nun wurde improvisiert: Als erster Act des Abends betrat gegen 20:40 Uhr ein gewisser Jan die Bühne, nur mit Akustikklampfe bewaffnet, und coverte vor einem Publikum, das in erster Linie aus Bands und Organisatoren bestand, einige Singer/Songwriter-Stücke, spielte etwas eigenes Material, von dem mir eine Schnulze dann doch zu jammerig war, bekam aber extrem gut wieder die Kurve, als er dazu überging, Songs seiner Mundart-Punkband MUSIKAPPARILLO solo zu spielen, natürlich auf friesischem Platt. Das war so gut, dass er nicht ohne Zugabe davonkam und auch seine Ansagen zwischendurch, in denen er auch mal Bezug auf das Motto der Veranstaltung nahm, waren geprägt von Humor und Scharfsinn. Klasse Nummer, vor soviel Spontaneität ziehe ich meinen Hut!

Die Fliesenleger

Die Fliesenleger

DIE FLIESENLEGER, die eigentlich den lokalen Opener hätten machen sollen, sorgten im Anschluss dann für Punkrock, und zwar deutschsprachigen der Sorte, hmm, TOTE HOSEN? WIZO? So ganz grob die Schiene, würde ich sagen. Die Jungspunde lieferten ein selbstbewusstes, spielfreudiges Set, bei dem mitunter recht düstere textliche Inhalte im Kontrast zur melodischen Mucke standen und das generell aber musikalisch abwechslungsreich genug war, um für Kurzweil zu sorgen. Die BROILERS-Coverversion „An all den Schmutz“ war dann auch das passende Statement zum Festivalmotto. Mischer Frank sorgte zudem für einen klasse Sound. Ein sympathischer Auftritt und dass die Jungs netterweise den Großteil der Backline stellten, möchte ich ebenfalls nicht unerwähnt lassen.

Violent Instinct

Violent Instinct

Aber wo war das Publikum? Obwohl es sogar ein Pärchen aus Frankfurt (!) nach Emden geschafft hatte, das eigentlich wegen der OFFENDERS gekommen war, aber trotzdem das Beste aus dem Abend machte, „glänzte“ es durch Abwesenheit: Gerade einmal 15 (!) zahlende Gäste konnte die Kasse verbuchen und damit war der Drops eigentlich endgültig gelutscht. Wir begegneten dem mit Galgenhumor und ließen uns die gute Laune nicht vermiesen, zumal jetzt Hamburg’s Finest, nämlich die Oi!-Punks von VIOLENT INSTINCT, die Bühne betraten. Diese basteln nach ihrem vollends überzeugenden Demo gerade an einem Album und auch die neuen Songs, die es bereits live zu hören gibt, können alles! Seit man sich um eine zweite Gitarre verstärkt hat, kommt der Sound auch schön satt, Neu-Tieftöner Ätzer (COTZRAIZ, ex-LOST BOYZ ARMY) rollt souverän den Bassteppich aus, das Trommeltier liefert wie immer ’ne Mörder-Show und Sängerin Aga ag(a)iert ohnehin in einer eigenen Liga. Dass Leadgitarrist Dennis bisweilen arg konzentriert auf seine Griffe achtete, erklärte sich später, als er mir eröffnete, nach zwei Saitenrissen nur noch auf vier Saiten gespielt zu haben – Respekt dafür, dass das wiederum gar nicht auffiel! Neben dem wie immer großartig vorgetragenen ANGELIC-UPSTARTS-Cover „Solidarity“ fand ein von Dennis gesungener Song ins Set, vermutlich ein Relikt aus dem VERBAL-INCONTINENT-Projekt, das die Musiker bestritten, als Aga sich eine Zeitlang außerhalb Hamburgs aufhielt. Klasse Gig und ich habe nichts anderes erwartet!

Backstabber

Backstabber

Nun wahren eigentlich wir an der Reihe, doch BACKSTABBER kamen, baten um Vortritt („Wir spielen eh nur 25 Minuten!“), zockten ihren modernen Beatdown-Hardcore (oder so) herunter und hauten wieder ab. So souverän, musikalisch wie gesanglich fit und ordentlich ins Gebälk krachend der Auftritt der Band, die auf Karstens Label eine Platte veröffentlicht hat, auch war, so sehr missfällt mir die Attitüde, dieses ostentative Desinteresse an der ganzen Veranstaltung. Aber, gut, möglicherweise hatten die Jungs noch wichtige Termine…

Nun also endlich wir, die wir eigentlich als Dritte hätten spielen sollen, letztlich aber ganz nach hinten durchgereicht wurden. Mittlerweile hatte sich bei uns eine Scheißegal-Stimmung breitgemacht, Teile der Band hatten längst beachtliche Schlagseite, aber die Instrumente hielt jeder richtigherum. Bei der Justierung des Bühnensounds machte Stulle einmal mehr auf Stand-Up-Comedy und erzählte Ostfriesenwitze. Los ging’s wie immer mit „Total Escalation“ und obwohl wir keinen Soundcheck gemacht hatten, war der Bühnensound astrein, ich ließ mir lediglich Oles Gitarre etwas auf dem Monitor aufdrehen. So machte der Gig reichlich Spaß und wir genossen den Luxus der großen Bühne, zumal das spärliche Publikum nicht nur Interesse, sondern auch Bewegung zeigte. Ok, bolanowbedingt fielen die, nun ja, „Ansagen“ etwas länger aus, es wurde reichlich durcheinandergesabbelt und bis jeder die Steckverbindungen seiner Gitarre immer wieder auf Neue überprüft hatte, verging manch Sekunde. Dass auch mal ein Refrain nur mit einer Gitarre bestritten wurde, weil der anderen die Melodie entfallen war, fiel wiederum gar nicht auf; uns aber fiel durchaus auf, dass das Publikum später weniger wurde. Des Rätsels Lösung: Wer zwischenzeitlich den Saal Richtung Klo oder Tresen verließ, wurde rausgeschmissen und nicht wieder hineingelassen, weil es bereits nach 1:00 Uhr war und man dringend schließen wollte! Ausgehandelt hatten wir 45 bis 50 Minuten und ein Blick auf die Uhr bewies, dass wir keine Minute länger gespielt hatten. Das ist ja noch perfider als Stromabdrehen. Als Lehre aus diesem Gig nahm ich aber in erster Linie die freudige Erkenntnis mit, dass die Brawler mittlerweile auch stark angeschlagen einen über weite Strecken fehlerfreien Gig hinzulegen in der Lage sind und auch als fünfter Act nicht auf allen Vieren auf die Bühne kriechen – was zu beweisen war!

Bolanow und Friesengeist forderten jedoch beim Abbau ihren Tribut, denn als ich dem durch seine Körpergröße dafür prädestinierten Christian zum Bannerabhängen mein Multi-Tool mit ausgeklapptem Messer reichte, probierte er’s mit der Zange und rammte sich dabei das Messer tief in die Hand. Blut spritzte, Verbandsmaterial wurde gereicht und seine Pfote behelfsmäßig verbunden. Daraufhin reichte mir Klimper von IVV sein extrascharfes Messer, mit dem ich an den Kabelbindern herumstocherte, was ebenfalls nicht gänzlich verletzungsfrei vonstatten ging. Die Ironie der Geschichte ist, dass ich alter Öko-Sparfuchs extra wiederverwendbare Kabelbinder besorgt hatte, deren Entriegelungsmechanismus sich aber niemanden von uns mehr erschloss…

Aftershow-Party

Aftershow-Party

Als das ganze Zeug wieder in den Karren verstaut war, brauste Ole samt Lady ins luxuriöse Hotel, während wir Verbliebenen zur Aftershow-Party in die Kneipe „No. 5“ aufbrachen. Natürlich wusste niemand von uns, wo es langging, Karsten, der selbst wieder zu Hause war, morste mir noch die Adresse durch und glücklicherweise trafen wir ein Mitglied der BARROOM HEROES, das uns auf dem arschlangen Weg begleitete. Dieser verlief auch nicht frei von Zwischenfällen, denn wie es immer so ist, wenn man mit einer Gruppe Alkoholisierter unterwegs ist, bilden sich Minigrüppchen von zwei bis drei Personen, die durch etliche Meter voneinander getrennt durch die Wallachei stapfen. So bekam ich auch gar nicht mit, dass der mittlerweile kräftig angesoffene Stulle anscheinend ein paar Russen gegenüber einen Spruch riss, der sofort falsch aufgefasst und mit Aggression bestraft wurde: Einer drückte ihn gegen die Mauer, ein anderer hatte bereits sein Messer gezückt und Christian warf sich mit Verband um die eine und dem Koffer seiner Freundin in der anderen Hand todesverachtend dazwischen, um Schlimmeres zu verhindern. Nachdem das gerade noch mal gut gegangen war, kamen wir zu später Stunde endlich im No. 5 an, bestellten ’ne Runde Pils (es gab anscheinend ausschließlich Veltins – warum auch immer in einer Emdener Spelunke) und begrüßten DJ Wasted Noise, indem wir unmittelbar begannen, seine Songs lautstark durch den Raum mitzugrölen. Wir erzwangen uns quasi unsere Party, indem wir ordentlich aufkackten, die prolligsten Songs sangen, tanzten bzw. auf und ab sprangen und sich der eine oder andere seiner Oberbekleidung entledigte. Von den Festivalbesuchern war erneut so gut wie niemand hier, von Punk- und HC-Szene keine Spur, stattdessen hing offenbar der örtliche Alkiclub am Tresen und manch einer blickte grimmig drein oder übte sich in Provokationen, die jedoch ungehört verhallten. Die mitgereiste Katharina versuchte, den Überblick zu bewahren, vertrieb in uns Gästen von außerhalb zahlungskräftige Kunden wähnende Prostituierte, machte ihnen und ihrem Zuhälter klar, dass niemand von uns ihr Handy gefunden oder gar gestohlen hatte und warnte vor diesem oder jenem unentspannten Kandidaten.

rock gegen rassismus II @juz alte post, emden 11Irgendwann war’s dann aber auch genug und wir beschlossen, uns gen Europahaus aufzumachen. Eigentlich hatten wir auch VIOLENT INSTINCT im No. 5 erwartet, die Schlüssel und Plan der Unterkunft hatten, zudem wollte einer von ihnen in unserem Taxi mitfahren. Die hatten sich aber längst geschlossen auf den Weg gemacht und waren erst gar nicht mehr zur Party erschienen. Egal, schließlich sollte es dort auch einen Nachtwächter geben, der uns schon den Weg weisen würde. Erst mal musste aber ein Großraumtaxi her, was gar nicht so einfach war, da es, wie wir erfuhren, lediglich ein EINZIGES bei City-Car Emden gibt. Als das nach einer Stunde oder so endlich eintraf, gelang es mir irgendwie, ihn trotz anderer Pläne eines bestimmten Mitfahrers an gleich zwei Filialen einer US-amerikanischen Imbisskette vorbeizulotsen und uns am Europahaus auszuspucken. Dort war von einem Nachtwächter keine Spur und alle Türen waren verschlossen. Alle? Nein, glücklicherweise fanden wir einen offenen Eingang irgendwo versteckt auf dem Gelände. Wir wussten nicht, wohin, haben dann alle Zimmertüren im Gebäude ausprobiert, anscheinend VIOLENT INSTINCTs belegte Räume entdeckt und noch genau EIN leeres offenes Zimmer, in das wir uns dann zusammen gezwängt haben. Außer Katharina, die in ’nem offenen Seminarraum pennen wollte, aber nicht konnte, weil kurz darauf ein Seminar dort stattfand… Daraufhin fand sie unser Zimmer nicht mehr wieder und mein Telefon hab‘ ich im Koma nicht mehr gehört, so dass sie sich irgendwie die Nacht bzw. den Morgen um die Ohren schlug. Welch ein Chaos!

rock gegen rassismus II @juz alte post, emden 10Nach wenigen Stunden bog Ole mit der Frische eines Hotelpenners um die Ecke und sammelte uns ein, so dass wir die Rückfahrt antreten und resümierten. Klar, wir hatten im Juz eine gute Zeit. Wir bekamen genug zu trinken, lecker Essen, geile Mucke und lernten nette Menschen kennen. Aus Veranstaltersicht aber war das Festival ein Vollflop. Was war da los? Bzw. was war da nicht los? In einer Gegend, von der die eigene Szene behauptet, dass nicht sonderlich viel los wäre und lautstark Veranstaltungen einfordert, wird ein ROCK-GEGEN-RASSISMUS-Festival vor allem am zweiten Tag mit demonstrativer Ignoranz gestraft, der Veranstalter auf seinen Kosten sitzengelassen. Worin liegen die Gründe? Dass auch bei günstigeren Preisen der Vorverkauf für kleinere Punk- und HC-Konzerte kaum genutzt wird, ist mir klar. Hätte man mit den größeren Bands geringere Gagen aushandeln müssen, um den Abendkassenpreis – 15,- EUR pro Abend – geringer gestalten zu können? Angesichts der Gagen in Zusammenhang mit dem geringen Publikumszuspruch mutete es fast wie ein Glücksfall an, dass die OFFENDERS kurzfristig abgesagt haben, denn so mussten diese nicht auch noch entlohnt werden. Ohne Headliner war der knapp verringerte Eintrittspreis am zweiten Abend zwar nicht gerade günstig, allerdings kam auch gar nicht erst jemand, der sich darüber hätte beschweren können, genauso wenig wie jemand, der angesichts der meines Wissens gar nicht mehr kommunizierten OFFENDERS-Absage auf dem Absatz hätte Kehrt machen können. Gab es zuviel Verunsicherung aufgrund des sich öfter geändert habenden Billings? Wollte der Großteil der Facebook-Zusager zu einer der Bands, wie bereits vor Wochen oder Monaten ersetzt worden war? Sind die Headliner unbeliebt in der Gegend? Oder bekommt man in Ostfriesland allgemein kaum noch den Arsch hoch? Ist die Gegend zu dünn besiedelt und/oder zu strukturschwach für ein solches dann überdimensioniertes Event? Nach dem Festival sah man sich mit fast schon wieder komischen Kommentaren in sozialen Netzwerken konfrontiert, von denen man nur hoffen kann, dass sie nicht repräsentativ für den Zustand der lokalen Szene sind: Da fühlte sich der eine zu alt für ein Jugendzentrum und hatte Sorge, nur von Kids umgeben zu sein – als wäre es ein totales Kuriosum, dass ein Punk-/HC-Konzert in einem Juz stattfindet. Ein anderer wiederum behauptet, am Samstag wäre das Juz geschlossen gewesen und beschwert sich, im Vorverkauf 18,- EUR für beide Tage, also 1,80 EUR pro Band gelöhnt zu haben… Ostfriesenwitze, gewissermaßen. Dass es auch anders geht, bewiesen diejenigen, die den Weg in die Alte Post gefunden hatten. Danke an jeden einzelnen, von denen ich besonders noch einmal die Frankfurter hervorheben möchte. Karsten wünsche ich alles Gute und hoffe, dass er sich nicht dauerhaft demotivieren lässt, aber vielleicht die eine oder andere Erkenntnis daraus zieht. Dass er ohnehin aus der Gegend wegzieht, wird ihm niemand verübeln können. Woanders wird sein Engagement mit Sicherheit auf fruchtbareren Boden fallen.

Ganz sicher ist das Desinteresse kein Indiz für einen etwaigen Rassismus der Emdener Bevölkerung, jedoch hat die Friesenstadt den Eindruck eines sterbenden Dorfs mit einer ebensolchen Szene vermittelt. Schade, denn ich hatte sie anders in Erinnerung.

P.S.: Danke an Karsten und Katharina fürs Bildermachen!

Frank Schäfer – Verdreht

schaefer, frank - verdrehtDr. phil. Frank Schäfer ist nicht nur Musikjournalist und Autor sich immer wieder gern anekdotenhaft mit Hardrock und Heavy Metal auseinandersetzender Werke, sondern auch ein hervorragender Beobachter mit Sinn für Details, der in immer irgendwie autobiographisch wirkenden Geschichten und Geschichtchen den vermeintlich unbedeutenden Kleinigkeiten ebensoviel Platz einzuräumen scheint wie dem Spektakuläreren. Die 2003 im Oktober-Verlag veröffentlichte, rund 170-seitige und in neun Kapitel bzw. Abschnitte unterteilte Sammlung von Beziehungskisten und Alltagsbeobachtungen, von melancholischen Erinnerungen und auch mal witziger Situationskomik, der er den Titel „Verdreht“ vergab, erzählt vornehmlich von einer Jugendparty mit einem Schwerverletzten und später von einem Klassentreffen gealterter Männer und Frauen, dazwischen kürzere, autarke Erinnerungen. Der besondere Kniff ist, dass Schäfer die Haupthandlung um die Party, in der es um Andreas’ Interesse für Birgit geht, immer wieder zugunsten der in ihren Inhalten davon unabhängigen Anekdoten unterbricht, aber mehr als einmal zu ihr zurückkehrt, dabei auch gern nichtchronologisch die Geschichte weiter ausarbeitet. Neben den Empfindungen des Protagonisten in einer undurchsichtigen Gemengelage seines Freundeskreises, der sehr anschaulich skizziert und charakterisiert wird, bezieht sie ihre Spannung aus der Frage, wie genau es zu dem Unfall am Pool kam, der einen jungen Mann ins Krankenhaus brachte. Geht es gegen Ende des Buchs vornehmlich um ein Klassentreffen und das Wiederaufflammen einer alten Liebe, weicht die postpubertäre Stimmung jungmännischer Verunsicherung einer gereiften Melancholie angesichts gescheiterter Lebens- bzw. Beziehungsentwürfe, die Schäfer vor dem Abgleiten in die Desillusion rettet und stattdessen Hoffnung spendet, ohne die Bedeutung jahrzehntealter Kontakte, Freundschaften und Bindungen zu relativieren. Schäfers gern eingestreute pop- und subkulturelle Verweise (Dokkens „Breaking The Chains“ anyone?!) dürfen natürlich genauso wenig fehlen wie seine Vorliebe für obskure Fremdwörter, die er glücklicherweise so gut in den Griff bekommen hat, dass ihr sporadisches Durchscheinen wie ein individuelles Stilelement wirkt, das nicht stört. „Verdreht“ liest sich schnell und gut durch, wird auch durch das Lokalkolorit niedersächsischer Provinz authentisch verortet und geerdet und verleugnet seinen vermutlich ehrlichen, bodenständigen Anspruch nie zugunsten wenig nachvollziehbarer oder erzwungen wirkender Entwicklungen zwecks fragwürdiger Aufmerksamkeitsbuhlerei – konsequenterweise bekommt somit auch nicht alles einen positiven Ausgang. Etwas schade finde ich lediglich, dass er mit „Kirschblüte“ eine Geschichte erneut abdrucken ließ, die bereits aus dem nur ein Jahr zuvor veröffentlichten „Ich bin dann mal weg – Streifzüge durch die Pop-Kultur“ bekannt war.

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