Günnis Reviews

Autor: Günni (page 9 of 107)

28.02.2024, Markthalle, Hamburg: U.D.O. + PRIMAL FEAR

Udo Dirkschneider, „der kreischende Tarnanzug“, gastierte im Rahmen der Tour zum neuen Album „Touchdown“ in der Markthalle. Ich bin ja Fan der klassischen ACCEPT-Alben mit Udo am Mikro seit seligen Kindheitstagen, hatte aber nie die Gelegenheit, die Band in dieser Konstellation live zu sehen. Ein richtiger Fan seines Soloprojekts, mit dem er es mittlerweile auf sage und schreibe 19 Studioalben bringt, war ich hingegen nie so ganz, wenngleich das Debüt ein Knaller war und sich auch auf den Folgealben manch Hit findet, der in meinen Playlists gelandet ist. Nebenbei hat der umtriebige Mann auch noch weitere Projekte laufen – da lebt jemand ganz für die Musik, und das in Vollzeit. Den Tarnanzug hat er schon lange abgelegt, seine charakteristische Reibeisenstimme hingegen nicht.

Dass auf einem Mittwochabend die Show bereits lange vorher ausverkauft sein würde, hat mich dann aber doch überrascht. Also bin ich auf gut Glück nach Feierabend einfach mal hin. Die Schlange am Einlass staute sich fast bis zur Kreuzung, jeweils flankiert von Leuten, die ebenfalls Karten suchte. Als ich vom anderen der Ende der Schlange bereits wieder auf dem Rückweg war, vernahm ich ein „Braucht noch jemand ‘ne Karte?“ aus der Menge und ich traute meinen Ohren kaum. Ich rief: „Brauchen? Oder Suchen?“„Brauchen!“, schallte es zurück, und der Verkäufer stand sofort direkt vor mir. Sein Kumpel sei leider krankgeworden, daher habe er eine Karte über. Würde er mir für ‘nen Zwanni überlassen. Bei einem ursprünglichen Preis von 40 Öcken! Da er nicht anders auf meinen Schein herausgeben konnte, wurden zwar noch 25,- daraus, ich habe mich aber natürlich trotzdem tierisch gefreut – danke noch mal!

Also auf in die volle Bude und erst mal der Vorband lauschen: PRIMAL FEAR aus BaWü, liebevoll „die Primeln“ genannt, seit Ende der 1990er am Start. Gegründet wurde die Band von Mat Sinner (SINNER) und Ralf Scheepers, der zuvor bei TYRAN‘ PACE (kenne ihn als Sänger daher ebenso wie Udo im Prinzip seit meiner Kindheit) und GAMMA RAY gesungen hatte. Es heißt, er habe GAMMA RAY verlassen, um bei JUDAS PRIEST vorzusingen, die damals nach Rob Halfords Ausstieg auf Sängersuche waren. Das eigentlich Kuriose daran ist, dass er nicht genommen wurde, denn der Mann mit der Schiffschaukelbremserstatur kommt Halfords Gesangsstil doch ziemlich nah und beherrscht auch die höchsten Kopftöne spielerisch. Wie auch immer, ‘90er-Jahre-Power-Metal ist nicht mein Ding und sonderlich intensiv beschäftigt habe ich mich mit PRIMAL FEAR bisher nicht. Aufhorchen lassen hatte mich aber das vorletzte Album „Metal Commando“ aus dem Pandemie-Jahr 2020, das eine ganze Reihe starker Songs aufweist, wie sie auch mir gefallen. Leider ist Mat Sinner von seiner schweren Erkrankung offenbar noch nicht wieder so weit genesen, dass er zu touren in der Lage wäre, sodass er live am Bass ersetzt wird. Der Sound war zunächst mies – vermutlich der im Gegensatz zum Soundcheck vollen Halle geschuldet –, wurde aber bald besser. Als Opener peitschte man den dreisten JUDAS-PRIEST-Rip-Off „Chainbreaker“ durch, der immerhin ordentlich Dampf machte. Im weiteren Verlauf war mir das dann ehrlich gesagt zu viel Teutonen-Stampf-Metal zum Mitklatschen – wozu die Band auch immer wieder animierte. Scheepers hatte ‘ne Extraportion Hall- und Echoeffekte auf seinem Gesang, lieferte aber – wie die gesamte Band – souverän ab. Von meinen persönlichen Hits des „Metal Commando“-Albums wurde leider gar nichts gespielt, und „Another Hero“ von der aktuellen Langrille mag ich trotz gelungener Gesangsmelodie nicht mitsingen, denn wenn nach einem Erlöser verlangt wird, der uns den Weg aus dem Chaos weist, schaudert’s mich. Nach ca. 75 Minuten war dann Schluss, ohne dass ich zum Fan mutiert wäre.

Aber ich war ja wegen U.D.O. hier! Udo konnte seine Band jüngst um seinen alten ACCEPT-Kollegen Peter Baltes, einen weiteren Helden meiner frühen Metal-Sozialisation, verstärken, und der ist unlängst in einen Jungbrunnen gefallen – der Mann altert einfach nicht. Der Rest der Band ist deutlich jünger. Udos Sohnemann Sven an der Schießbude ist ein richtig geiler Drummer geworden, der zudem permanent die Stöcke hochwirft oder zwischen den Fingern wirbelt. Die beiden Gitarristen sahen in ihren Outfits und mit ihren Frisuren zwar etwas gewöhnungsbedürftig aus, waren spielerisch aber über jeden Zweifel erhaben und wurden für ihre auch mal ausgedehnteren Soli stets nach vorn in die Bühnenmitte gelassen, während Udo sich zurückzog, um ihnen die Show zu überlassen. Die Lightshow tauchte die Bühne immer mal wieder in das kühle Blau vom Artwork des aktuellen „Touchdown“-Albums, was schon schnieke aussah. Und die Mucke? Klang, ähnlich wie bei der Vorgruppe, beim ersten Song „Isolation Man“ noch gar nicht mal so gut, wurde aber schnell nachgeregelt. Von „Touchdown“ schafften es noch drei weitere Nummern ins Set, wobei der Titelsong sich auch live als veritable Abrissbirne entpuppte. Mit „Animal House“, dem balladesken „In The Darkness“ und „They Want War” waren drei Stücke des von mir favorisierten Debüts vertreten. Insgesamt fanden 20 Songs von 14 Alben Berücksichtigung, darunter als letzte Zugabe QUEENs „We Will Rock You“, das Udo für seine Solo-Scheibe gecovert hatte, in einer Mischung aus der schnellen und der populäreren Version. Von meinen persönlichen U.D.O.-Hits fand sich insgesamt eher wenig, dafür habe ich aber zum Beispiel „Pain“ durch die Live-Darbietung für mich entdeckt. Und dass man keine ACCEPT-Songs mehr live spielen würde, hat man offenbar ernstgemeint. Geht für mich klar, über ein „Balls to the Wall“ hätte ich mich aber trotzdem nicht beschwert. Alles in allem war’s eine schöne Erfahrung, olle Udo sogar zusammen mit Peter mal live zu sehen – und das begeisterte, nicht nur Refrains, sondern auch die eine oder andere Melodie von Udo dirigiert mitsingende und altersmäßig gut durchmischte Publikum dürfte es ähnlichgesehen und -gehört haben.

Ach, und da ich bei der Sause mit vier lokalen Underground-Bands im Bambi am Wochenende zuvor gesundheitsbedingt passen musste, war das dann tatsächlich mein erstes Konzert des noch jungen Jahres…

Klassiker der Comic-Literatur: Volker Reiche – Strizz

Die F.A.Z. – liest man nicht, aber kennt man: Politisch reaktionäres Käseblatt mit jedoch einem ambitionierten Feuilleton, dessen Redakteure Patrick Bahners und Andreas Platthaus erklärte Freunde der neunten Kunst und sogar Donaldisten sind, sodass Comics, einst Alptraum des deutschen Spießers, dort einen guten Leumund genießen. Dies ging so weit, dass der F.A.Z.-Verlag in den Jahren 2005 und 2006 eine 20-bändige Reihe ausgewählter Comic-Klassiker kompilierte und mit anspruchsvollen Vorworten versehen als preisgünstige Taschenbücher veröffentlichte. Bei für mich interessanten Titeln – und das waren gar nicht so wenige – griff auch ich seinerzeit zu, verfasste aber leider noch keine Besprechungen für Blog oder Forum.

Mit Band 6 hatte man sich einen schlanken Fuß gemacht, denn für diesen griff man auf rund 260 mal unkolorierten, mal farbigen Seiten elf Themenkomplexe mit Geschichten aus den Jahren 2002 bis 2004 lang auf das Eigengewächs „Strizz“ zurück, das Volker Reiche exklusiv für die F.A.Z. zeichnete. Andreas Platthaus‘ vorangestelltes Vorwort umfasst zehn Seiten und vermittelt den Eindruck, er sei selbst der größte Fan seines Angestellten. Auf diesen „Strizz“-Band glaubte ich seinerzeit verzichten zu können, doch die Ausgabe 93 des Comicfachmagazins „Comixene“, die ich, soweit ich mich erinnere, aus einem ganz anderen Grunde erworben hatte, widmete sich in ihrer Titelgeschichte ganz dem Œuvre Volker Reiches – und machte mich neugierig, sodass ich mir antiquarisch auch diesen Band zulegte.

Reiche, eigentlich ein alter ‘68er, hatte einst den traditionellen „Mecki“-Comic in der Fernsehzeitung „Hörzu“ übernommen und lange gezeichnet, bis ein neuer Chefredakteur ihn herauswarf (typischer Springer-Arschloch-Move) und er Schwierigkeiten hatte, sich finanziell über Wasser zu halten. Also bewarb er sich mit einem Konzept für im Alleingang gezeichnete und getextete, inhaltlich tagesaktuelle (!) Comics bei der F.A.Z., wo man ihn mit Kusshand anstellte. „Strizz“, die Comicreihe um den titelgebenden lebenslustigen, aber naiven Büroangestellten aus Frankfurt am Main war geboren und erschien von 2002 bis 2010 täglich in der F.A.Z. (und seit 2015 einmal wöchentlich). Kurioserweise wurde Reiche zeitlich für „Mecki“ zurückgeholt und machte seinerzeit kurzerhand beides.

Trotz vorgegebener politischer Ausrichtung der F.A.Z. beteuert Reiche, völlig freie Hand zu haben. Tatsächlich beginnt diese Zusammenstellung arbeiternehmerfreundlich, wird jedoch rasch arbeitgeberfreundlich, dabei leider trotzdem witzig. Dies scheint in der Natur des Kapitels „Strizz und sein Chef“ zu liegen, denn Strizz versteht es, seinem Vorgesetzten Leo auf die Nerven zu fallen. Die zwischenmenschliche Komponente mit seiner Freundin Irmi wiederum ist vorbehaltlos klasse; wie so oft handelt es sich bei ihr um die wesentlich bessere Hälfte der Beziehung. Das Kind Rafael ist Strizz‘ Neffe und bereits ein großer Philosoph, zudem ein neunmalkluger, sehr belesener und doch kindlicher Junge, der an Politik und Zeitgeschehen interessiert und um keine Ausrede verlegen ist, wenn es gilt, sich vor „niederer Arbeit“ zu drücken. Die enthaltene Fortsetzungsgeschichte klärt, wer eigentlich Rafaels Eltern sind.

Irmis schlicht Omi genannte Mutter hingegen ist konservativ und wirkt in ihrer hier enthaltenen Einführung wie eine Erbschleicherin, evtl. gar Mörderin mehrerer vermögender Ehemänner – inwieweit dieser Effekt von Reiche beabsichtigt war, sei einmal dahingestellt. Besondere und ganz individuelle Rollen nehmen jedoch die Vertreter der Haustierwelt ein: Tassilo ist eine tiefenentspannte Bulldogge mit Nietenhalsband, die damit wesentlich gefährlicher aussieht, als sie ist. Der Kater Herr Paul gehört Strizz‘ Chef Leo, trägt den gleichen Bart wie dieser und ist ein ausgemachter Fiesling und Kapitalist, sogar reaktionärer Hurra-Patriot – weil es unter den Menschen niemand sein durfte? Der Sinnspruch „Wie der Herr, so’s G’scherr“ liegt hier nahe – ein genialer Schachzug Reiches! Vielleicht lässt sich Gesellschaftspolitisches und Weltanschauliches im Funny-Comic einfach besser durch Tiere verkörpern und diskutieren.

Sonderlich provokant wird Reiche in seinen „Strizz“-Comics jedoch nicht, manches spielt sich innerhalb des zeitgemäßen und sympathischen Humors eher subtil ab. Die aufs politische Tagesgeschehen bezugnehmenden Comics sind jedoch in dieser Zusammenstellung auch eher rar gesät, verständlicherweise lag der Fokus auf zeitloseren Geschichten. Panel-Anordnung und Zeichenstrich sind Zeitungscomic-typisch übersichtlich und klar – und das Blättern in gewissermaßen urdeutschen Zeitungscomics, die den ganz normalen bürgerlichen Alltag humorig aufarbeiten und dabei inhaltlich immer mal wieder (beinahe – was sind schon 20 Jahre Abstand?) aktuelle Themen aufgreifen, hat sich derart anheimelnd angefühlt, dass ich mich an jene Zeiten erinnerte, in denen ich Comicseiten und -streifen aus den Zeitungen der Erwachsenen ausschnitt und mich an den bunten Bildchen und lustigen Geschichten innerhalb der ach so seriösen Bleiwüsten erfreute.

Ich glaube, „Strizz“ ist in Ordnung.

Wolfgang Sperzel – Kabelbrand im Herzschrittmacher

Wie bereits erwähnt, war ich nach Flohmarktfund und Lektüre von Funny-Comiczeichner Wolfgang Sperzels zweitem Album „Rast(h)aus“ derart angetan, dass ich mir auch sein Debüt, das im Jahre 1989 im Semmel-Verlach erschienene, rund 50-seitige Softcover-Album „Kabelbrand im Herzschrittmacher“ besorgte.

Auf schwarzweiß und farbig gestalteten, leider seitenzahlenlosen Seiten geht es auf zeichnerischem hohem Funny-Niveau schwarzhumorig bis satirisch und provokant zu, häufig ohne Text – die Bilder sind selbsterklärend. Im Gegensatz zu „Rast(h)aus“ handelt es sich um keine durchgehende Geschichte, sondern um eine von einpaneligen/-seitigen Gags bis mehrseitigen Kurzgeschichten reichende Sammlung. Das jeweilige Panelkonzept variiert, bleibt aber stets klar strukturiert, bietet dem slapstickreichen Treiben einen festen Rahmen. Abgefahrene Kettenreaktionen scheinen Sperzels Spe(r)zialität gewesen zu sein; sie treten in gleich drei Geschichten auf und nehmen damit vorweg, was zu einem Merkmal von „Rast(h)aus“ werden sollte – am Rande taucht sogar schon die Rüsselzwergsau auf.

So geht es unter anderem um den Straßenverkehr, olympische Winterspiele und Freiluft-Musikveranstaltungen, inhaltlich weniger gelungen aber auch um einen „Gewaltvideos“ glotzenden Jungen. Leider ist die mir vorliegende Erstauflage fehlerhaft, circa die Hälfte des Inhalts ist doppelt, anderes dürfte dafür fehlen. Hrmpf. In der Zweitauflage soll dieses Problem behoben worden sein. Auf der Albumrückseite adelte Sebastian Krüger übrigens den Zeichner mit einer seiner unnachahmlichen Karikaturen.

Francisco Ibáñez – Clever & Smart – Fußball-WM-Comic-Sonderband Nr. 7: Den Ball gehetzt… und weggefetzt!

Die anarchischen, agentenparodistischen Slapstick-Funnys des Spaniers Francisco Ibáñez um die TIA-Agenten Fred Clever und Jeff Smart existieren seit 1958 und erschienen hierzulande ab 1972 im Condor-Verlag als Softcover-Alben und Taschenbücher, unter anderen Namen aber sporadisch auch bei anderen Verlagen. 2018 übernahm der Carlsen-Verlag die Reihe, 2023 verstarb Ibáñez leider. Als Kind habe ich sie geliebt, im Gegensatz zu anderen Comics habe ich sie aber als Erwachsener nicht „wiederentdeckt“. Als ich sah, dass ein Sonderband zu einer meiner Lieblings-Fußballweltmeisterschaften, der WM 1986 in Mexico, existiert, musste der aber her. Das Album bringt es auf 50 computergeletterte, vollfarbige Seiten mit dynamischer Panelanordnung (also alles wie gehabt).

Das gewohnte Konzept, dass Fred und Jeff von ihrem Vorgesetzten Mister L Aufträge erhalten, die sie versemmeln und ständig in tödliche Gefahren geraten, verprügelt, in die Luft gesprengt, überfahren etc. werden, ohne dass sie dadurch dauerhafte Schäden davontragen würden, kommt natürlich auch hier voll zum Zuge, ebenso Freds Verwandlungskünste. Die Fußball-WM ist nicht die einzige Bezugnahme auf reale Ereignisse und Phänomene, weitere sind beispielsweise der britische Ausschluss aus dem Europapokal wegen gewalttätiger Vorfälle, das rassistische südafrikanische Apartheitsregime, der Irak-Iran-Krieg, der Kalte Krieg und das militärische Wettrüsten.

Auffallend sind die Verwendung überzeichneter rassistischer Stereotype und das Fatshaming in Bezug auf die mitreisende Sekretärin Ophelia (die dieses aber stets schlagkräftig quittiert). Zumindest ersteres wirkt mittlerweile (glücklicherweise) arg überholt und, ja, zuweilen unangenehm. Spaßiger sind die als Skins gezeichneten englischen Fußball-Rowdys. Emotionen sind bei Clever & Smart stets am Anschlag oder darüber, ständig fährt jemand aus der Haut und eskaliert es. Ibáñez‘ Humor ist überaus laut. Wiederholt wird das König-Fußball-Lied zitiert, am Ende sogar DÖF – da wäre es interessant zu wissen, was da wohl im Original stand. Die inhaltlich mehr oder weniger zu vernachlässigende Handlung strotzt bewusst nur so vor Chaos und ist sehr pointenreich, was den Clever-&-Smart-Humor nun einmal ausmacht. Und so nostalgisch der Mexico-’86-Kontext und das Blättern in einem Clever-&-Smart-Comicalbum aus den ‘80ern auch stimmen mögen – ich merke, dass selbst ich alter Kindskopf diesem Humor tatsächlich entwachsen bin.

Den Sonderband zur Fußball-WM 1990 in Italien würde ich mir trotzdem greifen, sollte er mir auf einem Flohmarkt für ‘nen schmalen Taler unterkommen…

P.S.: In der Auflistung aller Bände in der deutschen Wikipedia steht zu diesem Album (sowie zu einigen anderen) „Band ist nicht von Ibáñez.“ Bedeutet dies womöglich, es handelt sich um eine Art Lizenzarbeit seinen Stil nachahmender Zeichner/Autoren?

Chester Brown – Fuck

Die Graphic Novel „Fuck“ (im Original „I Never Liked You”) des kanadischen Comiczeichners Chester Brown erschien ursprünglich von 1991 bis 1993 als Fortsetzungsgeschichte in seiner Heftreihe „Yummy Fur“. Mir liegt die deutschsprachige Ausgabe aus dem Reprodukt-Verlag vor, die dort im Jahre 2008 als rund 200-seitiges, unkoloriertes Taschenbuch erschien.

„Fuck“ ist eine autobiographische Coming-of-age-Geschichte Browns, die sein Aufwachsen in einer kanadischen Kleinstadt zum Inhalt hat. Er ist der introvertierte Sohn einer gottesfürchtigen Mutter, die später körperlich schwer erkrankt. Sein Vater ist so gut wie nie zu sehen und sagt nie ein Wort – außer gegen Ende, bei den schrecklichen Krankenhausszenen. Über ihn erfährt man nichts. In bewusst reduziertem Stil mit karikierendem, jedoch nicht humorigem Strich und unter Gebrauch von Zeitsprüngen, Wiederaufnahmen und Parallelmontagen (denen sich aber stets gut folgen lässt) entwickelt Brown ein unvollständig bleibendes Familienporträt sowie eine Reflektion seiner selbst, insbesondere in seiner Unfähigkeit, zwischenmenschliche Beziehungen zuzulassen. So spielen – natürlich – Mädchen eine große Rolle, ihr unterschiedliches Verhalten ihm gegenüber, ebenso sein Versagen im Umgang mit ihnen.

Herauslesen lässt sich mittels einfacher psychologischer Abstraktion eine gewisse seelische Verkümmerung eines Jungen, dessen Vater nie für ihn da war und dessen Verhältnis zu seiner Mutter derart gestört ist, dass sie ihn irgendwann auch auf der Gefühlsebene nicht mehr erreichte. In einer späteren Arbeit offenbarte Brown, dass seine Mutter schizophren gewesen sein. Seine Panelaufteilung gestaltet Brown sehr flexibel; die Kapitel lässt er meist mit nur einem Panel auf einer Seite beginnen und enden, wobei diese nicht die großformatige Funktion eines Establishing Shots übernehmen, sondern lediglich rund ein Sechstel der Seite einnehmen und dort beinahe verloren wirken. Inhaltlich betreibt Brown einen äußerst intimen Seelenstriptease, bei dem er aber wortkarg und reserviert bleibt, als werde er selbst noch nicht ganz aus sich schlau – oder als sei er eine Art „Gefühlsspastiker“. Sein Umfeld skizziert er dafür umso präziser.

Ein besonderer Independent-Comic, der in der Comicszene viel Zuspruch erhielt.

22.12.2023, Indra, Hamburg: St. Pauli Punk Festival #3 mit PSYCH OUT + DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS + G31 + BULLSHIT BOY

Diese Veranstaltung stand unter keinem wirklichen guten Stern. Während die ersten beiden von Bitzcore-Juergen durchgeführten Ausgaben mit großen Namen oder einer kultigen Oldie-Punk-Fraktion auftrumpfen konnten, wirkte das Indra diesmal leicht überdimensioniert. Der Vorverkauf war schleppend und als kurzfristig auch noch ASTRA ZOMBIES und – noch kurzfristiger – RESTMENSCH absagten und auch BULLSHIT BOY von der krass grassierenden Krankheitswelle erwischt wurden, stand das Ding sogar komplett auf der Kippe. Als Hoffnungsschimmer erwies sich, dass PSYCH OUT von einem Tag auf den anderen als Ersatz gewonnen werden konnten und BULLSHIT BOY sich bereiterklärten, statt als Trio kurzerhand als Duo aufzutreten. Die Parole lautete also: Durchziehen!

Beim Ausloten, wer wann spielen soll, erinnerten wir uns an unseren Schwur, uns nicht mehr bis nach hinten durchreichen zu lassen und verteidigten damit zumindest den dritten Slot. Eine Premiere für uns war, wie alle Bands dieses Abends über Kemper-Amps zu zocken, den Gitarren- und Basssound also aus fertigen Simulations-Presets auszuwählen, statt den erprobten Klang am eigenen Verstärker einzustellen. Dieser wurde dann auch nicht wie üblich über Bühnenboxen abgenommen, wir hatten also lediglich Monitore auf der Bühne. Einer der Gründe hierfür war, dass alle Auftritte auf 24 Spuren mitgeschnitten und den Bands anschließend zur Verfügung gestellt wurden. Eigentlich sollte nur die erste Band ‘nen richtigen Soundcheck machen und die anderen lediglich ‘nen Line-Check direkt vorm jeweiligen Gig bekommen. Da die erste Band aber nur aus zwei Leuten (Gitarre/Schlagzeug) bestand, ging der Plan nicht ganz auf.

Egal, die für diesen Abend zum Duo geschrumpften BULLSHIT BOY machten vor mittlerweile dann doch gar nicht so rar erschienenem Publikum den Anfang und mussten auf ihre Bassistin verzichten. Sängerin/Gitarristin Sabine und Drummer Carsten begannen mit ‘ner coolen Instrumental-Surfnummer, dem das punk’n’rollige „The World is on Fire“ folgte. Mit ‘nem Song über (keine) Mandelhörnchen auf Helgoland kann ich persönlich nun weniger anfangen, mit dem BLONDIE-Cover „One Way or Another“ dafür schon mehr, ebenso mit dem schön aggressiven „The Pressure is on“ von der noch zu veröffentlichenden Single. Der größte Hit war vermutlich „Pretty Boy“ und am Schluss gab’s mit „Bodies“ von den SEX PISTOLS ‘ne weitere Coverversion. Der Mix aus deutsch- und englischsprachigen Punkrocks-Songs machte Laune, war ein guter Opener – wenn auch die Abwesenheit des Basses sich in einem zeitweise etwas dünnen Sound bemerkbar machte. Aber wat willste machen?

G31 um Sängerin Mitra und „Mind The Gap“-Fanziner Captain haben bereits ihr zweites Album „Die Insel der versunkenen Arschlöcher“ veröffentlicht, flogen bisher aber weitestgehend unter meinem Radar. Gesehen hatte ich sie bisher nur einmal kurz bei der Jede-Band-spielt-nur-Fünf-Minuten-Sause im Störtebeker und das ist schon wieder verdammt lange her. Damals konnten sie mich nicht überzeugen, was sich heute Abend ändern sollte. Mittlerweile hat sich die Band um Peter von u.a. ANTIKÖRPER, LEISTUNGSGRUPPE MAULICH und zahlreichen weiteren HH-Punkbands verstärkt und zockt mit zwei Klampfen schöne Pogoriffs und eingängige Licks, die die Rhythmussektion gut nach vorne peitscht. Mitra legt mit ihrem kräftigen Organ melodischen Gesang zwischen klar und rotzig darauf, der durchdachte, deutschsprachige Texte mit durchaus klischeefreien, originellen Ansätzen formuliert, bewegt sich dazu zum Tanz auffordernd bis lasziv und kokettiert mit ihrem selbstbewussten weiblichen Charme. G31 brachten gut Stimmung in die Bude und haben mich sehr positiv überrascht, wenn auch Monitorprobleme der Band zu schaffen machten und der Bass bis zum Schluss leider viel zu leise war.

Nun galt es, meine nicht mehr ganz nüchternen Bandkollegen zusammenzutrommeln, den Umbau möglichst rasch hinter uns zu bringen und Mischer Andy möglichst noch ‘nen Soundcheck unterzujubeln. Das klappte so semi, denn während des Gigs in ungewohntem Bühnenaufbau (s.o.) stellte sich bald heraus, dass ich anscheinend der Einzige war, der mit seinem Monitorsound wirklich gut klarkam. Die Konsequenz waren über den Gig verteilte verpatzte Einsätze und Asynchronitäten, die uns sicherlich weit mehr auffielen als denjenigen, die vor der Bühne für Bewegung sorgten; immerhin waren wir angetrunken genug, uns davon nicht verunsichern zu lassen. Während „Wænde“ bei seiner Premiere auf dem Gaußplatz noch gut flutschte, verkackten wir ihn diesmal doch ziemlich. Nachdem wir ihn direkt nach dem Einstieg abbrechen mussten, höre ich mich auf der Aufnahme sagen: „So, das war das Intro. Jetzt kommt der eigentliche Song. Kurze Trinkpause. Prost.“ Einfach das Beste daraus machen! Bei „Elbdisharmonie“ schleuderte ich versehentlich mein Mikro von der Bühne, „Spaltaxt“ klang etwas arg schräg usw… Besser liefen da „Blutgrätsche“, den wir bei G31-Peter kürzlich für einen geplanten HH-Punk-Sampler im Studio aufgenommen haben und bei dem er uns auf der Bühne gesanglich unterstützte, sowie die ebenfalls recht neue Nummer „Phoenix aus der Flasche“. Die im unmittelbaren Anschluss – und damit als Abschluss – geplante Livepremiere eines brandneuen Songs sparten wir uns daher besser und räumten die Bühne für PSYCH OUT. Auch wenn die Leute offenbar ihren Spaß hatten, als Fazit für uns nehmen wir mit: Kemper-Amps einmal und nie wieder, und wenn wir schon keine Bühnensound-Boxen haben, müssen wir uns die Zeit für ‘nen ordentlichen Monitor-Soundcheck nehmen.

Völlig wumpe war all dies PSYCH OUT um HH-Punk-Urgestein Holli, Stoffel von YACØPSÆ (und seit einiger Zeit auch RAZORS) sowie den rauschebärtigen Shouter Lars, die knapp 20 Songs in gefühlt genauso vielen Minuten durchschrubbten, bei denen es Lars eher selten auf der Bühne hielt. Auch diese Band kannte ich eigenartigerweise bisher lediglich vom Fünf-Minuten-Gig im Störtebeker anno schießmichtot. Ultrapräzise ballernder Fast- und Oldestschool-US-Hardcore erfreute Kenner(innen) und Genießer(innen) der groben Kelle, die fortgeschrittene Stunde hingegen schien den/die eine(n) oder andere(n) Besucher(in) vertrieben zu haben; die Reihen hatten sich jedenfalls leider gelichtet. Songs wie „Take This Shit And Burn It Down“, „Fuck Your Scene”, „Humanity/Bullshit” oder das HASS-Cover „Ihr Helden” waren für mich der perfekte Abschluss des Abends, der noch bei ein, zwei Bierchen im Backstage-Bereich ausklang.

Danke an alle, die den Abend unter (in erster Linie krankheitsbedingt) widrigen Umständen doch noch zu ’ner geilen Party gemacht haben sowie an Dr. Martin für die Fotos unseres Gigs! Und ‘n Extraküsschen aufs Nüsschen an unseren Ex-Drummer Dr. Tentakel, der unser Merch betreute!

Walt Kelly – Pogo

Im Jahre 1974 veröffentlichte der Melzer-Verlag innerhalb seiner „Brumm Comix“-Reihe die erste und bis dato anscheinend einzige deutsche Übersetzung der „Pogo“-Comicstrips Walt Kellys, die der US-Amerikaner von den 1940ern bis in die 1970er hinein vorrangig für eine Vielzahl von Tageszeitungen anfertigte. Der Band im Taschenbuch/Softcover-Album-Zwischenformat muss leider ohne Seitenzahlen auskommen, dürfte aber auf um die 100 bis zu sechs Panels umfassende Schwarzweißseiten kommen. Wenn ich mich nicht verzählt habe, sind hier 14 Geschichten abgedruckt.

Den als schwierig zu übersetzen geltenden Comics um das titelgebende anthropomorphe Opossum, das im Okefenokeesumpf mit vielen weiteren anthropomorphen Figuren zusammenlebt, wurde ein recht ausführliches Vorwort vorangestellt, das sich jedoch etwas herausfordernd liest, da es viele diesen Strips immanente Wortschöpfungen bereits vorwegnimmt und wie selbstverständlich anwendet.

„Pogo“ ist eine mit spitzer Feder gezeichnete Satire, in der frei von falschem Respekt und unter Zuhilfenahme anarchischen Humors Autoritäten, Politik, Bürokratie, Religion und Umweltverschmutzung aufs Korn genommen werden. Diverse damalige Politiker fanden sich als zumindest in der zeitgenössischen Rezeption deutlich wiedererkennbare Figuren wieder. Eine Eigenart dieser Strips sind die Sprechblasen, denen mehrfach eine besondere grafische Bedeutung zuteilwird, die ihre Figuren zu charakterisieren hilft.

In die Übersetzung haben sich ein paar wenige Rechtschreibfehler eingeschlichen, was nichts daran ändert, wie dankbar man dem Melzer-Verlag sein muss, zumindest ein bisschen „Pogo“ auch nach Deutschland gebracht zu haben. Man scheint sich dabei sinnigerweise weniger auf das damalige politische Tagesgeschehen karikierende als mehr auf allgemeingültigere und -verständlichere Strips konzentriert zu haben. Und diese finde ich in ihrer autoritätskritischen, humanistischen Haltung im wahrsten Wortsinn (wegen Tieren zugeschriebener menschlicher Eigenschaften, gelle?) fabelhaft.

Martin Hentschel – Zitroneneis, Sex & Rock’n Roll: Die deutsch-israelische Filmreihe EIS AM STIEL (1978-1988)

Von alten Sexklamotten, wie sie hierzulande nach der sexuellen Revolution ab Ende der 1960er produziert wurden, geht auf manch Filmfreund eine seltsame Faszination aus, wovon auch ich mich nicht freisprechen kann – illustrieren sie doch nicht zuletzt die Entwicklung des Umgangs mit Themen wie Erotik und Sexualität auf der Leinwand und sind sie nicht selten entlarvende Zeitdokumente. Die ab 1978 produzierte, diegetisch Ende der 1950er angesiedelte deutsch-israelische „Eis am Stiel“-Reihe vermengte Coming-of-Age-Elemente mit Sex und Humor in unterschiedlicher Gewichtung und Qualität, wobei es sich zumindest bei den ersten beiden Teilen um tatsächlich gute Filme handelt. Ausgemachter Fan dieser Reihe ist der Düsseldorfer Schauspieler und Autor Martin Hentschel, der bereits zur Commedia sexy all’italiana sowie zur „Kumpel“-Reihe publiziert hatte und im Jahre 2016 – wie gewohnt im Eigenverlag – dieses rund 380-seitige Taschenbuch zum Thema veröffentlichte.

Markus Hagens Covergestaltung ist ein echter Hingucker und macht Lust darauf, das Buch aufzuschlagen. Bereits das „Eis am Stiel“-Regisseur und -Autor Boaz Davidsons filmische Inspirationsquellen weit über „American Graffiti“ hinaus aufzeigende Vorwort vermittelt viele wertvolle Informationen und ist ein eleganter Einstieg in die chronologische Abhandlung aller „Eis am Stiel“-Teile und -Ableger. Jedes Filmkapitel beginnt mit ausführlichen Stab-Angaben, schildert auf aufschlussreiche Weise die jeweiligen Produktionsumstände, versammelt Inhaltsangaben und Trivia und geht biographisch auf die Schauspielerinnen der jeweiligen weiblichen Haupt- und bedeutenderen Nebenrollen ein, beziffert ferner die Einspielergebnisse und arbeitet die Unterschiede internationaler Fassungen heraus. Und da die Musik in diesen Filmen stets eine große Rolle spielte, wird der jeweilige Soundtrack minutiös aufgelistet und ebenfalls in Bezug auf unterschiedliche Fassungen kommentiert. Darüber hinaus – und das ist es dann auch, was das Buch auf seine stattliche Seitenzahl bringt – druckt Hentschel massenweise Original-Werbe- und Infomaterial sowie zeitgenössische Stimmen und Kritiken ab, jedoch leider oft ohne Beschreibung oder genauer Quellenangabe. Das ist trotzdem grundsätzlich nicht verkehrt, wenn es auch in Farbe noch einmal eindrucksvoller (aber vermutlich im Druck unbezahlbar) wäre und ich mich frage, wem in Hebräisch abgedruckte Originalbriefe ohne Übersetzungen etwas nützen.

Ausgiebig ergänzt wird dieser Hauptteil des Buchs mit einem mehrseitigen Exkurs zur Produktionsfirma Cannon Films, ausführlichen Biographien der männlichen Hauptdarsteller und einer genaueren Inaugenscheinnahme im Fahrwasser des „Eis am Stiel“-Erfolgs entstandener Epigonen. Innerhalb der Biographien schweift der Autor mitunter aber stark ab, im Kapitel über Zachi Noy beispielsweise geht es plötzlich um Dolly Dollar und Klaus Lemke. Nichtsdestotrotz handelt es sich um eines der stärksten Kapitel des Buchs. Yftach Kazurs und Jonathan Sagalls Biographien enthalten gar sehr informative, exklusive Interviews, die Uwe Huber mit ihnen führte und in denen es nicht nur um „Eis am Stiel“ geht.

In all seinen Kapiteln bleibt Hentschel betont sachlich, persönliche Meinungen bringt er nicht ein und Kritik, wenn überhaupt, nur in Form von Zitaten anderer an – mit zwei Ausnahmen: Der Film „Russian Roulette – Moscow 95“, in dem Zachi Noy mitspielt, ist anscheinend selbst für Hentschel eine Nummer zu abstrus, wie er auf S. 307 zu Papier bringt. Und auch mit dem „Eis am Stiel“-Rip-Off „Hometown U.S.A.“ alias „California Graffiti” konnte er nichts anfangen, wie er einen wissen lässt. Zur politisch-kulturellen Dimension der Filmreihe bzw. dessen Gattung im Allgemeinen hält er sich leider auch vollständig bedeckt. Wer kontextualisierende Filmanalysen sucht, wird hier demnach nicht fündig.

Auf das unsägliche Namenswirrwarr der Hauptfiguren in den deutschen Fassungen, bei dem die deutsche Synchronarbeit auf beschämende Weise versagte, geht der Autor seltsamerweise erst im Kapitel zu „Hasenjagd, 2. Teil“ ein, obwohl es sich um eine verwirrende Kuriosität handelt, die fast ein eigenes Kapitel verdient gehabt hätte. Das Buch enthält zudem einige Anzeigen, die nicht immer als solche gekennzeichnet wurden, aber dennoch klar als solche erkennbar sind. Beim Foto auf s. 258 ging offenbar etwas schief, das ist fast nicht zu erkennen. Ansonsten macht „Zitroneneis, Sex & Rock’n Roll“ bis auf ein paar Zeichensetzungsfehler und die oben erwähnten fehlenden Quellenangaben zum die Filmaufführungen begleitenden Material aber für das, was es ist und offenbar sein will, einen ordentlichen Eindruck. Es bietet einen schönen Rundumschlag zum Thema und einen guten Überblick über die durchwachsene Filmreihe, wenn eben auch ohne analytischen Tiefgang oder Diskussion mit den Filmen verbundener Kontroversen. Und nicht zuletzt liest es sich im Sommer am Strand angenehmer als sich das Klicken durch etliche Internetlinks beim Versuch gestalten würde, die in diesem zusammengetragenen harten Fakten aus dem Netz zu fischen.

10.12.2023, Bambi Galore, Hamburg: CHRIS HOLMES + HARSH

Blind in Billstedt

In letzter Zeit habe ich irgendwie dann doch (wieder) Spaß an den alten Gassenhauern der US-Sleaze-Show-Metaller W.A.S.P. gefunden, vor allem, seit ich mir kürzlich das „Live at the Lyceum, London“-Video mit einer frühen Liveshow aus der Mitte der glorreichen ‘80er angesehen habe. Die Band existiert noch immer, wenngleich es sich seit geraumer Zeit eher um ein Soloprojekt das Bandkopfs Blackie Lawless handeln dürfte. Auf ein Konzert des unlängst zum „wiedergeborenen Christen“ mutierten Lawless, sprich: auf Playback in irgendwelchen Kackläden, habe ich trotzdem keinen Bock. Manchmal schätze ich die Encyclopaedia Metallum doch sehr für ihre ebenso einfachen wie präzisen Angaben. So findet sich bei W.A.S.P. der Eintrag: „Sex, Party (early); Society, Anti-religion (mid); Christianity, Politics (later)” – das fasst das Œuvre der Band gut zusammen. Eine Show des ehemaligen Gitarristen Chris Holmes, mittlerweile sein Soloprojekt betreibend und auch schon 65 Lenze zählend, reizte mich da schon eher, zumal mir setlist.fm im Vorfeld verriet, dass er üblicherweise eine ganze Reihe alter W.A.S.P.-Kracher zockt. Als ich sah, dass er an einem Sonntag im gemütlichen Billstedter Metal-Club gastieren würde, besorgte ich mir ein Ticket für ‘nen fairen Zwanni und war gespannt, was mich erwarten würde.

An diesem feuchten Adventsabend schienen sich zunächst einmal nicht allzu viele Freundinnen und Freunde der verzerrten E-Gitarre aufzuraffen und so war es beim Opener HARSH aus Frankreich noch sehr übersichtlich. Vor über’n Daumen gepeilt 20 Nasen (inkl. meinem Bandkollegen Holler und meiner Wenigkeit) erfüllten sich meine Befürchtungen: Vier Poser, von denen insbesondere der Frontmann das Haupthaar „schön“ hatte, zockten schlüpferstürmenden Glam-Hardrock/-Metal, von dem ungefähr die Hälfte von Skid Row, Guns N‘ Roses und wat weiß ich wem zusammengeklaut klang. Trotz Vorband-Status lieferten sich beide Klampfen zwischendurch ein Solo-Battle und zusammen mit jemandem, der sich später als Chris Holmes‘ Sänger und Bassist herausstellen sollte, als Gast-Duettpartner coverte man MICHAEL SEMBELLOs ‘80er-Pop-Klassiker „Maniac“. Gegen Ende des Sets wanderte das HARSH-Frisurenwunder mit seiner Klampfe durchs Publikum und gab sich als Plüschrocker zum Anfassen. Der Gig war insofern ok, als man sich nicht die Ohren zuhalten musste; außerdem dürfte sich heutzutage kaum noch jemand aus geschäftlichen Gründen diesem einst kommerziell so einträchtigen Stil verschreiben, sondern mit einer gewissen ehrlichen Leidenschaft agieren – nur macht das die Mucke leider nicht besser. Not my cup of pee. Umso überraschter war ich vom letzten Song, einem besonders auf der Gitarre und an den Drums sehr kompetent gezockten „Johnny B. Goode“-Cover. Gut, auch daraus haben JUDAS PRIEST in den ‘80ern noch etwas Eigenes gemacht, ein versöhnlicher Abschluss war’s dennoch.

CHRIS HOLMES stieg direkt mit dem W.A.S.P.-Klassiker „On Your Knees“ ein, wie alle Songs seiner ehemaligen Band gesungen von seinem Bassisten (der mit dem „Maniac“-Gastspiel zuvor). Der hat diese Blackie-Lawless-eigene Mischung aus dreckig und klagend zwar nun nicht gerade in der Stimme, ist aber ein wirklich guter, melodischer Sänger, der in den Refrains von Holmes‘ Geknurre unterstützt wird. Beinahe müßig zu erwähnen, dass ich – wie auch bei allen weiteren herrlich eingängigen Refrains des Sets – frohlockend mitsang. Schon nach den ersten drei Songs gönnte sich Holmes‘ einen kleinen Gitarrensolo-Slot, ohne es dabei mit dem Gegniedel zu übertreiben. Die Stimmung stieg und auch vor der Bühne verdoppelte sich die Anzahl der Gäste rasch. Trotz Miniclub und eher spärlichem Sonntagspublikum wirkten Holmes & Co. motiviert – und lieferten ab: Zu geilen Eigenkompositionen wie „The Devil Made Me Do It“ oder „Born Work Die“, von Holmes mit schön dreckiger, rauer Stimme dargeboten, gesellten sich W.A.S.P.-Hits aus der „Sex, Party (early)“-Phase von „L.O.V.E. Machine“ und „Sleeping (in the Fire)“ über „Blind in Texas“, bei dem ich endgültig beschloss, mich zu betrinken (Holmes hingegen hielt sich an einer Wasserflasche gütlich), bis hin zu „Wild Child“ und „Animal (Fuck Like a Beast)“. Das hielt die Party am Laufen und war tatsächlich der große Spaß, den ich mir erhofft hatte. Nur „I Wanna Be Somebody“, einen der größten W.A.S.P.-Hits, hatte ich am Schluss noch erwartet, doch der blieb aus. Möglicherweise ist der gar nicht von Holmes komponiert…? Stattdessen gab’s NEIL YOUNGs „Rockin‘ in the Free World“ als perfekt in die Zeit passenden Abschluss, dem, so meine ich mich zu erinnern, auch ein paar deutliche Worte an die Diktatoren dieser Welt vorausgingen und für den sich Mitglieder von HARSH noch einmal auf der kleinen Bühne einfanden, um mitzuträllern. In dieser Form bleibt uns der dichttätowierte Hüne, der einst wenig vorteilhaft betrunken und dekadent im Swimmingpool innerhalb der „The Decline of the Western Civilization, Part II: The Metal Years“-Doku porträtiert wurde, hoffentlich noch lang erhalten – denn mit dem weltfremd wirkenden L.A.-Rockstar von damals scheint der mittlerweile in Frankreich lebende Holmes nicht mehr viel gemein zu haben – außer dem Gespür für geile Riffs und Licks sowie ins Ohr gehende Singalongs.

P.S.: Den Dokumentarfilm „Mean Man – The Story of Chris Holmes” muss ich mir mal vormerken…

Derber Trash #1

Es wurde wirklich mal Zeit, mich mit den Erzeugnissen des deutschen Weissblech-Comics-Verlags zu beschäftigen. Dieser gründete sich, zunächst als Hobby-Projekt, in den 1990ern und lehnte sich hommagenartig an den US-amerikanischen Kultverlag „EC“ an – entsprechend kürzt er sich „WC“ ab… Und dort würde manch Sittenwächter(in) sicherlich auch gern dessen Heftchen hinunterspülen, allen voran vermutlich solche, wie sie in diesem, sich an eine erwachsene zumindest volljährige Leserschaft richtenden Sammelband aus dem Jahre 2010 um eine Rahmenhandlung herum neu aufgelegt wurden.

Der 100 Schwarzseiten umfassende Softcoverband in halber Albengröße beherbergt die Heftchen „Drogengeile Teenieschlampen“, „Wenn Sexmonster auf Erden wandeln“ und „Zombie Terror“ aus der Anfangszeit des Verlags, die von verschiedenen Zeichnern und Textern verbrochen wurden. Das bedeutet: Bewusst auf geschmacklos getrimmte Sex- und Monstergeschichten, wie man sich für sie ab einem bestimmten Alter zu interessieren beginnt, dargereicht mit dem typischen selbstironischen Augenzwinkern des kalkulierten Schunds und mitunter inklusive Kommentaren zu Zeitgeist und Gesellschaft im Subtext. So wird in „Drogengeile Teenieschlampen“ u.a. die Loveparade aufs Korn genommen, bietet „Wenn Sexmonster auf Erden wandeln (mit enorm großen Geschlechtsteilen)“ exakt das, darüber hinaus aber auch eine Parodie auf propagandistische US-Comics, wenn der Weltkommunismus bekämpft wird, indem „kommunistische Raketenweiber vom Planeten Z“ besiegt werden, und versucht eine redaktionelle Non-Comic-Bildungsseite die Frage „Sexmonster – Mythos oder Wirklichkeit?!“ zu beantworten. In „Zombie Terror“ finden sich neben der Origin Story des merkwürdigen Fischjungen Storys mit neugierig machenden Titeln wie „Fäule in der Lederhose“ oder „Nazizombies gegen Mangagirlies“, denen man nun ebenfalls wirklich keinen Etikettenschwindel nachsagen kann. Pubertäre bis anarchische Späße ohne jede Selbstlimitierung, die zumindest zeichnerisch ein gewisses Niveau nie unterschreiten (also keine Kritzeleien oder dahingerotzten Kleckse).

Flankiert wird all das von der Rahmenhandlung um Herrn Dreck und den merkwürdigen Fischjungen, die auf dem Weg zum garstigen, kapitalistischen Verleger sind, um an ihre Tantiemen zu kommen. Historische Abrisse zur Verlagsarbeit, knappe Reflektionen dieses alten Quatschs (wobei auch die im Original belassenen Rechtschreibfehler bemerkt werden) und die zuvor unveröffentlichte, aus dem Papierkorb gefischte „Xena“-Parodie „Kena und die Labertasche“ strecken den Spaß auf die 100 Seiten und stellen auch für Besitzer(innen) der Originale interessantes Bonusmaterial und somit einen Kaufanreiz dar.

Man merkt manch Geschichte an, dass zunächst der Titel feststand und erst dann versucht wurde, eine Stimmige Handlung dazu zu entwerfen, und die Limitierungen auf nur wenige Seiten pro Story tragen ihren Teil dazu bei, dass diese Comics eine Art Äquivalent zu kruden, billigen B-Movies vergangener Zeiten darstellen, bei denen mit reißerischen Plakatmotiven auf Geldgebersuche gegangen wurde, um überhaupt mit dem Verfassen des Drehbuchs beginnen zu können. Wer ein Herz für Schund hat, ist hiermit also gut bedient. Ich jedenfalls hatte meinen Spaß – und mit Sicherheit nicht meinen letzten Weissblech-Comic in der Hand.

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