Die Qual der Wahl: Zu WHISKY PRIESTS im Monkeys? Zur HARBOUR-REBELS-Release-Party in die Fanräume? Oder zur NOTGEMEINSCHAFT PETER PAN ins Gängeviertel? Die PRIESTS hätten mein Budget gesprengt; letztlich wurd’s ein Stechen zwischen den Fanräumen und dem von Beyond Borders organisierten Konzert im Gängeviertel, das aus einem Bauchgefühl heraus den Zuschlag bekam. Es sollte der Tourabschluss der NOTGEMEINSCHAFT sein, die mit ihrem neuen selbstbetitelten Album durch die Lande getingelt war. Da war ich schon ein bisschen neugierig. Als wir in der geräumigen Fabrique eintrafen, hatten DR. ULRICH UNDEUTSCH gerade begonnen. Die Sachsen hatte ich letztes Jahr an selber Stelle erstmals gesehen und war damals nicht sonderlich angetan von ihrem spröden, monotonen HC-Punk. Diesmal allerdings traten die Helden in Strumpfhosen mit zwei Gitarren an, was dem Sound mehr Druck verlieh. Generell schien man mir diesmal deutlich mehr auf die Kacke zu hauen. Zwar ist mir das auf Dauer immer noch etwas zu gleichförmig, aber ich war durchaus positiv überrascht. Beim vorletzten Song fiel leider der Bass aus und die letzte Nummer war wohl ein Coversong, den ich nicht erkannt habe.
Die Ösis von MISSSTAND waren mir schon länger nicht mehr vor die Flinte gekommen; an ihren gemeinsamen Gig mit den SHITLERS im Menschenzoo dereinst hatte ich grundsätzlich gute, jedoch nur noch arg verschwommene Erinnerungen. Diese wurden mit dem Vorschlaghammer aufgefrischt, denn MISSSTAND legten mit Vollgas los. Manchmal etwas arg plakativer, ansonsten aber veritabler „Deutschpunk“, wenn man’s denn so nennen will: Schnelle Songs, gutes Aggressionslevel, ausreichend Melodie, um sich festzukrallen und Refrains, die sich gut mitbrüllen lassen. Die ausgiebige Tourerfahrung merkte man der extrem souveränen Band an, da saß jeder Ton. Der Drummer fiel mir mit einigen geilen Fills auf, NPP-Stemmen musste zwischendurch als Drum-Technician einspringen. „Sag mir wo!“ erinnerte mich thematisch stark an COCK SPARRERs „Where Are They Now?“. Das aktuelle Album „I Can‘t Relax In Hinterland“ kenne ich noch gar nicht, der Quasi-Titeltrack „Hinterland“ wurde als vorerst letzter Song gespielt und ließ mich zweifeln: „Es gibt kein ruhiges Hinterland“ lässt sich natürlich prima mitsingen, hat mit der Realität aber nichts mehr zu tun, die Nazis haben schon lange breite Landstriche für sich erobert. „Heimat zu Asche“ wurde dann noch als Zugabe kredenzt und zwischendurch gab’s gesangliche Unterstützung von Stemmen und RilRec/Plastic-Bomb/Filmemacher-Lars. MISSSTAND hatten es geschafft, für Bewegung zu sorgen, die ein sich unwirsch durch die Reihen pflügender Typ anfangs noch zu erzwingen versucht hatte. Schön aufstachelnder Gig!
Das neue NPP-Album hatte ich bisher genauso wenig gehört wie den aktuelles MISSSTAND-Dreher, man kommt ja zu nix. Umso gespannter war ich, wie viele neue Songs man spielen und wie sich diese ins Set einfügen würden. Mit „Helikoptereltern“ griff man ein eher Punk-untypisches Ärgernis auf, vermutlich der erste Punksong über dieses Phänomen überhaupt – und zwar ein durchaus gelungener, der live auch gut zündete. „Steuertrick 17“ über die Steuerflucht von Konzernen und Superreichen war ein weiterer, textlich sehr stimmiger Song der neuen Langrille, ebenso „Kleben und kleben lassen“ über Walter Josef Fischer, zu dem man laut Sänger/Gitarrist Stemmen in Hamburg nicht erklären müsse, um wen es sich handelt: natürlich niemand Geringeren als Graffiti-Legende OZ. Eine schöne Hommage mit angenehm provokantem Text. Apropos Text: Stemmen hatte anfangs angekündigt, diesmal nicht so viel zu quatschen und machte auch einen – vermutlich tourbedingt – leicht abgekämpften Eindruck. Nach den ersten Songs war davon jedoch nichts mehr zu merken und alsbald fand er auch wieder zum gewohnten Redefluss zurück. Egal ob neues oder bekannteres Material, die Notis waren supertight und gaben sich keinerlei Blöße. Vor der Bühne herrschte stets beste Stimmung, wie es bei einem Heimspiel nicht anders zu erwarten war. Etwas zu kurz war mir die diesmal gespielte „Kellerkinder“-Version, umso feierlich wurd’s aber bei „Kleine Motivationshilfe“, jenem neuen Song, mit dem man sich vor denjenigen verneigt, die durch ihre außerparlamentarische, politisch antifaschistische Arbeit die Welt ein wenig besser machen. Diverse Freundinnen und Freunde bzw. Verwandte der Band gesellten sich – angelockt von ‘nem Gratis-Pfeffi – auf der Bühne dazu und sangen im Chor lautstark mit. Irgendeine Nummer fiel mir laut meinen knappen Notizen noch mit seinen Oho-Chören positiv auf, einem Stilmittel, auf das die Band m.E. gern öfter zurückgreifen dürfte. Gegen Ende coverte man einen MISSSTAND-Song zusammen mit MISSSTAND und die eine oder andere Zugabe gab’s auch noch. Trotzdem verging die Zeit wie im Flug, was sowohl fürs musikalische Abwechslungsreichtum der Band als auch den inhaltlichen Gehalt von Stemmens Ansagen und Statements spricht. Und wie gut Drummer Mario die Gesangs-/Schlagzeugspiel-Doppelbelastung meistert, rang mir mal wieder Respekt ab. Der sich zwischen ihm und Stemmen abwechselnde Hauptgesang macht mit den Reiz dieser sich stets sehr engagiert, politisch hellwach und aktionistisch gebenden und um positive Ausstrahlung bemühten Band aus, die ein gewohnt starkes Konzert gespielt hat, das durch die Hinzunahme diverser neuer Songs auf mich etwas gezügelter wirkte als vergangene Gigs. Zwischen jenem Abend und diesem Bericht habe ich es immerhin einmal geschafft, mir das neue Album anzuhören. NPP versuchen sich damit an einem gewagten Spagat zwischen Radikalität und Provokation auf der einen und der Erweiterung ihres Publikums durch das explizit politisch motivierte Ansprechen der Mittelschicht via niedrigschwelligen, an Vernunft und Menschenverstand appellierenden Texten, an die sich leicht anknüpfen lässt und die dadurch eine höhere Reichweite erlangen könnten, auf der anderen Seite. Inwieweit das von Erfolg gekrönt sein wird, bleibt abzuwarten; zumindest ich bin zu desillusioniert, um derartige Hoffnungen zu hegen und fühle mich vom einen oder anderen Song kaum angesprochen. Glücklicherweise finden sich auch diverse Höhepunkte auf der Platte, ein paar habe ich bereits erwähnt – und da das hier keine Plattenrezension werden soll, breche ich an dieser Stelle ab, hoffe, dass das Aftershow-Austrinken der Jupibar meine Erinnerungen an den Konzertabend nicht allzu sehr getrübt hat und freue mich, in einer gerade etwas arg fordernden und stressigen Phase meines Alltags zwischen Lohnarbeit und Studium endlich diesen Tagebucheintrag niedergeschrieben zu haben.
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