Die Bewohner Hamburgs hatten für diesen Dienstag zum hedonistischen Massencornern aufgerufen, um der durch die perverse Machtdemonstration namens G20 übertriebenen Bullenpräsenz etwas entgegenzusetzen und zu zeigen, wem eigentlich die Stadt gehört.  Auch nicht aktiv in die Anti-G20-Bewegung Involvierte, jedoch dennoch Interessiere bzw. Couragierte hatte der ganze faule Gipfelzauber bereits mehrere Tage auf die Straße getrieben, so z.B. am 29.06., als ein Brutalo-SEK morgens in zwei Privatwohnungen randaliert und mit Maschinenpistolen herumgefuchtelt hatte, was eine abendliche Spontandemo auf der Reeperbahn nach sich zog – nicht zu vergessen der in kritische Redebeiträge eingebettete Irie-Révoltés-Gig einen Tag später in der Roten Flora, der so unfassbar viele Leute anzog, dass sich die Einlassschlange bis in die Querstraße bog und natürlich ratzfatz die Bude voll und für uns kein Hineinkommen mehr war. Da hatten wir trotzdem noch eine ganze Weile draußen im Regen ausgeharrt, wo das Konzert auf einer Leinwand übertragen wurde, bis es uns dann doch ins O-Feuer zog, um dem U21-EM-Finale beizuwohnen. Im Anschluss war die Straße noch immer voll, die Stimmung war feierlich, ein Feuerwerk trug sein Übriges dazu bei.

Die Corner-Sause jedenfalls zog sich über die üblichen Viertel in Altona/Ottensen, St. Pauli sowie der Schanze und roch nach netter Freiluft-Party bei gutem Wetter und Bier vom Kiosk. Also nach Feierabend erst mal am Ottenser Pansenplatz vorbeigeschaut, den die Bullen zurückhaltend „bewachten“. Das neue Symbol des Widerstands, ein Zelt, wurde in der Mitte des Platzes aufgestellt und da sich niemand zum Pennen hineinlegte, provozierte es auch keinen Knüppeleinsatz der Dudde-Dödel. Von einer Bühne lärmte Technoschrott; der Platz füllte sich mit der Zeit beachtlich, jedoch waren eher wenige bekannte Gesichter auszumachen.

Mit einem Besucher floh ich nach den ersten Kannen Bier in erster Linie vor der Plastikmucke in Richtung Kiez, wo ich mich an der Ecke Wohlwill-/Thedestraße mit weiteren Menschen bei schon besserer Musik und fröhlicher Stimmung traf, die jedoch kippte, als von der Räumung des nahegelegenen Camps im Gählers-Park berichtet wurde. Dort angekommen hatten die Bullen ihr destruktives Werk anscheinend gerade beendet und ließen sich unter kaum misszuverstehenden Ausrufen der hedonistischen Camp-Sympathisanten aus dem Park hinauskomplimentieren, was natürlich schön anzusehen war, jedoch schnell den Verdacht nahelegte, dass man dadurch zwecks Einkesselung in den Park gelockt werden sollte. Dem war glücklicherweise nicht so, die Staatsmacht hatte anscheinend schlicht ihren Einsatz beendet und erst mal nichts mehr zu tun.

Außer natürlich, ohne Sinn und Verstand irgendwelche Straßen zu blockieren, indem sie sich vermummt, martialisch und bewaffnet postierte.  Eine der noch freien Straßen jedoch führte dann über kurz oder lang an die Schanze-Kiez-Grenze, den Arrivati-Park am Neuen Pferdepark – und, siehe da: da spielten SPIKE vor beachtlicher Kulisse. Wir platzten mitten ins Set, sahen eine gewohnt stimmgewaltige und diesmal in feinem Zwirn barfuß auftretende Sängerin mit ihrer Pokerface-Band und hörten ihren Punkrock mit viel Melodie, mal ruhiger, mal wilder, stets dominiert von der weiblichen Ausnahmestimme. Der Sound hatte diesmal nicht ganz so viel Wumms, man konnte sich noch gut dabei unterhalten – offenbar ging es weniger darum, klassische Konzertatmosphäre zu schaffen und alles zu dominieren als mehr um eine etwas offensivere Form der Volksfestbeschallung. Der letzte Song wurde unterbrochen, weil jemand eine Durchsage zur aktuellen Entwicklung des Bullenterrors machte und uns darüber informierte, dass sich in unserem Rücken bereits wieder eine ganze Schergenschar aufgebaut hatte. Anschließend unterschätzte Beastar kurz die Länge seines Gitarrenkabels, als er sich Richtung Publikum bewegte, but the band played on und das Ding war schnell wieder eingestöpselt. Coole Nummer, der Gig, vor allem endlich mal GUTE MUSIK an diesem Dienstag! Geht doch.

Bier gab’s im gut frequentierten Grünen Jäger, wo man auch auf Toilette gehen konnte, oder eben weiterhin an den Kiosken, vor denen die Hedonisten mittlerweile in langen Schlangen anstanden, als befände man sich 1985 in der DDR und es gäbe Bananen. Manch Kioskbetreiber machte vermutlich den Umsatz seines Lebens. Ob die dadurch evtl. pro-G20 wurden…? 😉

Nach einer kurzen Umbaupause betraten ein paar Herrschaften mittleren Alters die Bühne, der Frontmann inkl. Magier-Umhang: DIE HANDLUNG sah bizarr aus und spielte bluesigen Heavy-Rock mit eigentümlichen Texten z.B. über Kastratensänger TINY TIM, der auf der Bühne gestorben sei, jedoch lediglich möglicherweise. Meinem Besuch beschrieb ich die Band scherzhaft als „German BLACK SABBATH“ und tatsächlich erinnerte der erste Song ein wenig an „Sabbath Bloody Sabbath“. In der Folge wechselten sich wohl launige Ansagen, in denen man z.B. den permanent überm Viertel kreisenden Hubschrauber als eigens für den Gig anberaumtes, sauteures Hintergrundgeratter ausgab, mit weiteren eigenwilligen Songs ab, während die Laune allgemein ziemlich gut war, ich aber viel mit Getränkenachschub, Klogängen und Gequatsche beschäftigt war. Mich gar nicht mehr der Band widmen konnte ich dann, als die Bullen sich um ihre Show betrogen fühlten und sich plötzlich auf der großen Kreuzung am Park mit einem Riesenaufgebot positionierten und damit nicht nur den Straßenverkehr zum Erliegen brachten, sondern auch sämtliche Aufmerksamkeit auf sich und Schaulustige anzogen. Und als sich nach Polizeimeinung schließlich zu viele Menschen auf der Kreuzung aufhielten, fotografierten, quatschten, weitertranken etc., war man der Meinung, die Straße sei nun besetzt worden, weshalb man endlich mal die protzigen neuen Wasserwerfer zum Einsatz bringen konnte. Dass der Verkehr vor der eigenen Abriegelung normal floss, interessierte da natürlich nicht mehr – so sieht Hamburger Einsatzplanung unter Klobürsten-Dudde aus, diesem vielleicht dämlichsten aller selbstverliebten Vollpfosten, die seine Position im Nachkriegs-Hamburg besetzten, aus. Innerhalb seiner Truppe hat er sich permanent hochgeputscht, ist für seine schräge Rechtsauffassung bekannt, wird ständig von Gerichten zurückgepfiffen und hatte nun – nach wochenlangem unverhältnismäßigem Generve der Hamburger Bürger und vor allem dem widerrechtlichen Einschreiten gegen G20-Kritiker-Camps – die Stimmung abermals sinnbefreit hochgekocht.

Nachdem wir das Schaulaufen und Gespritze zusammen mit den mittlerweile immer größer gewordenen Menschenmassen – schließlich wollte jeder mal gucken, was da los ist – bei ein, zwei Absackern lange genug beobachtet hatten, machten wir uns auf den Heimweg. Die Provokationen schienen zur Kenntnis genommen worden zu sein, doch um deshalb durchzudrehen o.ä. bestand seitens der Trinker kein Anlass. Ganz so leicht lässt man sich den Spaß in Hamburg eben nicht verderben.