Eigentlich hatte die Beyond-Borders-Konzertgruppe an diesem Abend MARCY D’ARCY zusammen mit WREST. und HC BAXXTER ins Gängeviertel gelockt, doch einige Tage zuvor wurde klar, dass erstgenannte nicht würden auftreten können. Fragen, ob wir superkurzfristig einspringen könnten, bekomme ich mit meinen Bands ja öfter und i.d.R. ist das leider zu spontan für uns. Diesmal war die Vorlaufzeit aber etwas größer und es passte tatsächlich mal alles: Unser zweiter Gig im Gängeviertel stand an. Das Line-Up stand also, doch ein Problem gab’s trotzdem: Um die Backline stellen zu können, hätten wir ein bis zwei Autos gebraucht, die wir auch oftmals zur Verfügung haben, nur diesmal leider kein einziges. Mit Beyond Borders konnten wir aber ausmachen, dass man uns ein Lastentaxi bezahlen würde. Letztlich kam dann doch alles bischn anders: Ole bog unerwartet mit seiner Karre um die Ecke und das war auch ganz gut so, denn nachdem wir im Schweiße unseres Angesichts das ganze Gelöt aus dem sechsten Stock heruntergeschleppt hatten, wurde klar, dass ein richtiges Lastentaxi arschteuer wäre, ein Großraumtaxi hingegen zu unterdimensioniert. Also haben wir Oles Vehikel vollgepackt und den Rest auf ein herkömmliches Taxi verteilt. Vor Ort flugs ausgeladen und aufgebaut, alles entspannt. Die Jungs hatten Hunger und warfen sich irgendwo vermutlich irgendeinen Müll ein, statt sich etwas zu gedulden, gegen 19:00 Uhr sollte es schließlich Essen geben. Es muss sich um ein Fünf-Gänge-Menü gehandelt haben, denn die kamen gar nicht wieder und mussten von mir herbeizitiert werden, als der Soundmensch langsam ungeduldig wurde. Wieder vereint konnten wir kurz vor knapp einen vielversprechenden Soundcheck durchführen, woraufhin ich mich in die Cuisine begab, mir ‘ne Riesenportion Sellerieschnitzel mit köstlichem Nudelsalat auffüllte und gierig verschlang. WREST. gesellten sich dazu und zahlreiche Komplimente an die Köchin wurden ausgesprochen.
Während der Kollege vom SCHRAIBFELA-Videofanzine ein Interview mit WREST. durchführte, konnte ich mich endlich warmtrinken. Der Rest meiner Bandkollegen war schon wieder verschwunden, denn wann immer wir ‘nen Gig haben, verfällt Christian in eine seltsame Art Touristenrolle, wähnt sich selbst bei lokalen Auftritten in fremdem Ambiente, in der es erst mal diverse Sehens- und Trinkenswürdigkeiten abzuklappern gilt, und schleift mit seiner einnehmenden Art alle, die nicht so willensstark sind wie ich, kurzerhand mit. Diesmal verschlug es sie in eine Cocktailbar und ins Hofbräuhaus (!), bis es Keith zu bunt wurde und er sich daran machte, unser Freibierkontingent auszunutzen. In der Sonne auf dem Gängeviertelhof ließ es sich wunderbar entspannt rumgammeln, trinken und quatschen. Im Tauschschrank habe ich sogar eine alte OZZY-OSBOURNE-VHS (Bark at the Moon!) einheimsen können – geil!
So gegen 21:45 Uhr galt es dann abermals, den Rest der Band zusammenzufunken, denn um 22:00 Uhr sollte es losgehen. Dabei war ich mir nicht sicher, ob überhaupt jemand kommen würde, immerhin gab Hamburg in Sachen Parallelveranstaltungen mal wieder alles: Von der „Booze Cruise“ übers „Gott sei Punk!“-Festival bis hin zu Gratismucke in Wilhelmsburg und dem KAMIKAZE KLAN in der Pooca-Bar… Letzteres war besonders kurios, da noch vor uns eben jener KKK gefragt wurde, ob er einspringen könne, dies verneinen musste, dann aber durch eine Verkettung von Umständen doch konnte und die Gelegenheit wahrnahm, auf dem Kiez zu spielen. Letztlich wurden es aber über 60 zahlende Gäste, was echt ordentlich ist. Diese wurden Zeuge unseres ersten Gigs mit Neubasser Keith, bei dem wir keinen Zeitdruck hatten. Das bedeutete vermehrte Stimmpausen mit Überbrückungszirkusmelodie fürs optimale Stereoklangerlebnis und viel Zeit, um Blödsinn zu quatschen. Größte Enttäuschung allerdings: Mein aktueller Lieblingswitz „Was ist die Hauptursache für trockene Haut? – Handtücher!“ schien überhaupt nicht anzukommen, betretenes, peinlich berührtes Schweigen. Schnell versuchte ich, die Kurve zu bekommen, indem ich ihn in eine Ansage überleitete und nach dem Song gab’s dann auch wieder unseren hart erspielten Szenenapplaus. Hart vor allem deshalb, weil die Bude so was von aufgeheizt war, dass mir die Suppe mal wieder aus sämtlichen Poren rann. Obwohl ich keinen eigenen Monitor hatte, konnte ich mich gut zwischen Raouls Drumgeschepper und der unheiligen Klampfendreifaltigkeit heraushören und bis auf einen von den Kollegen vergurkten Songeinsatz lief alles glatt. Dreckig gesungen und doch sauber abgeliefert. Soweit also zum Streetpunk-Teil des bunt gemischten Abends.
WREST. aus Dresden wurden mir als „Trash-Punk“ angekündigt, irgendwo hatte ich auch etwas von Powerviolence gelesen und mich gleich an die Worte unseres Drummers Raoul erinnert, der einst konstatierte, Powerviolence sei sein Lieblingsviolence. Das, was dann da live im Gängeviertel explodierte, würde ich als Hardcore mit schnellen Ballerparts bezeichnen, der eine düstere, verzweifelte Atmosphäre mittels manch Moll-Klängen erzeugt, zu dem die englischsprachigen, von der Shouterin ebenso eindrucksvoll wie eindringlich herausgeschrienen Texte bestens passen. Diese sprang aufgekratzt vor der Bühne umher und brach so sämtliche Distanz zum Publikum auf, das gut mitging und den klasse Auftritt entsprechend quittierte. Da es kein Song über zwei Minuten schaffte, war die anstelle ausschweifender Ansagen mit Audio-Einspielern aus dem Off angereicherte Sause recht schnell wieder vorbei und hinterließ im positiven Sinne verbrannte Erde wie nach einem Überfallkommando.
In dieses stapfte dann HC BAXXTER. Ich befand mich nun erstmals in meinem Leben auf einer Art Techno-Gig. Bisher hatte ich von dieser Musik meist Abstand gehalten, verbinde ich mit ihr doch in erster Linie inhaltsleeren Stumpfsinn, emotionslosen Plastiksound und ein strunzdoofes, komplett geschmacksbefreites Publikum sowie die Hölle der 1990er. Manch in jenem Jahrzehnt sozialisierter Mitmensch scheint jedoch auf Eurodance, BLÜMCHEN-Rave und Proleten-Techno à la SCOOTER hängengeblieben zu sein wie ich auf CYNDI LAUPER, MICHAEL JACKSON und A-HA und feiert bis heute seine Trash-Partys darauf. Nicht so HC BAXXTER. Der Hannoveraner, der nebenbei auch bei der SCHMUTZSTAFFEL tätig ist und seit 2016 sein Solozeug veröffentlicht, nutzt seine Dorfdisco-Tracks, um sie mit bissigen Texten gegen Arbeit, Nation, Staat und Gesellschaft sowie Geschlechterrollenklischees und für Rebellion, Widerstand und selbstbestimmtes Leben in meist deutscher, manchmal englischer Sprache zu versehen und damit durch die D.I.Y.-Läden der Republik zu tingeln. Textlich macht er dabei keine Gefangenen, da muss jeweils ganz Deutschland dran glauben, das bei ihm ausschließlich negativ konnotiert wird. Differenziert wird da punknaturgemäß wenig, aber gemeint ist in erster Linie die (letztlich natürlich nicht nur) deutsche Tradition kapitalistischer Verwertungslogik „humaner Ressourcen“, die immer wieder in inhumane Entscheidungen und Entwicklungen in unterschiedlichen Ausprägungen mündet bis hin zu staatlicherseits verleugneten rassistischen Anschlägen oder von deutscher Industrie gefertigter Kriegsmaschinerie, die für tausende Tote mitverantwortlich ist. Er nahm sich jedoch auch Zeit für eine sehr persönliche Ansage, in der er beschrieb, wie er zu Schulzeiten diskriminiert wurde, weil er Mitschülern zu „anders“ war. Das empfand ich als bemerkenswert offen und sympathisch. In betont geschmackloses Love-Parade-Outfit gehüllt, sprang er wie ein Flummi in der Mitte der Tanzfläche auf und ab und überraschte mich mit einer wahnsinnigen Kondition. Mit seinem gefärbten Haarschopf erinnerte er mich an Gobo von den Fraggles, was keinesfalls als Beleidigung gemeint ist, immerhin habe ich sämtliche Staffeln im Regal stehen. Um ihn hatte sich ein Halbkreis ekstatisch Tanzender gebildet, vom Rand aus beobachtete ich die Szenerie – und war überrascht, wie unterhaltsam und durchaus gut gemacht ich das alles fand. Gegen Ende sang LOSER-YOUTH-Thommy auch noch einen Track im Duett oder so. Die meiste Zeit über muss ich ein debiles Grinsen im Gesicht getragen haben. Wäre Techno schon immer so gewesen, hätte ich vielleicht keine so ausgeprägte Abneigung entwickelt… Als ich zwischendurch von draußen reinkam und mich an der Meute Richtung Klo vorbeischieben wollte, hielt Hans-Christian mir plötzlich sein Mikro hin, womit ich unangenehmerweise nichts anfangen konnte, weil ich nicht wusste, welcher Song gerade läuft – dieser stellte sich als „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ in einer Elektroversion heraus, und, ja, das schreibe ich jetzt nur, damit niemand glaubt, ich würde diese Nummer nicht kennen. Ein verdammt kurzweiliger Auftritt und der krönende Abschluss eines geilen Abends im Gängeviertel – nach ‘ner letzten Runde verschlug’s uns ins Jolly, wo FAST-SLUTS-Alex auflegte und die rappelvolle Bude musikalisch bestens versorgte. Die sächsischen Gäste wiederum blieben anscheinend im Gängeviertel und soffen noch ein nettes Sümmchen mittels Solischnaps zusammen…
Danke allen Beteiligten, insbesondere Beyond Borders. So viel Laune es auch macht, mit musikalisch ähnlich gelagerten Bands zu zocken, so viel Spaß bereitet es mir gerade auch, in Konstellationen wie diesen aufzutreten, statt sich in der eigenen Subszene abzuschotten. Diesen Gig hätte ich genauso gut mit meiner anderen Band spielen können, die hätte vom Hassfaktor sogar besser gepasst – aber, und daher diese Überleitung, mit der werde ich bereits am 21.07. wieder im Gängeviertel sein, wenn Hannes und ich unseren Geburtstag zusammen mit drei weiteren Bands feiern. Der nächste BOLANOW BRAWL wiederum steigt bereits am Mittwoch im Hafenklang als Support für die australischen HARD-ONS!
P.S.: Danke auch an Sandy für die Schnappschüsse unseres Gigs! Meine sind aber auch nicht übel, oder? ^^
P.P.S.: Hier das SCHRAIBFELA-Video:
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