Über zwei Jahre hatten wir kein Konzert mehr gegeben, doch unsere „postpandemische“ Konzertsaison sollte beginnen, wie die präpandemische endete: mit den HARBOUR REBELS. Obwohl, eigentlich sollten wir für RED BRICKS eröffnen, die ohne Sänger zurzeit jedoch aufgeschmissen sind. Dankenswerterweise sprangen HARBOUR REBELS umgehend und unkompliziert ein. Konspirativ näherten wir uns an diesem lauen Frühlingsnachmittag in Kleingruppen dem Itzehoer Freiraum, der sich etwas versteckt, weil unausgeschildert hinter Industriegebäuden auf einem ehemaligen Areal für Bahnmalocher befindet. Vor ein paar Jahren hat die Freiraum-Crew um Melissa und Dietmar im Schweiße ihres Angesichts dort alte Bahngleise aufgeschüttet und ‘ne muggelige Veranstaltungsbude etabliert, in der nun regelmäßig Subkulturelles stattfindet. Im Inneren verbindet ein schnieker Tresen den Backstage- mit dem Bühnenbereich, zu trinken gibt’s u.a. kaltes Ratsherrn (mein Lieblingspils!) und im Gartenbereich kann man sich in Liegestühle fallenlassen, aus denen man in meinem Alter nur schwer wieder hochkommt. Dass ich überhaupt zu diesem Gig hochkommen würde, stand die Woche über auf der Kippe, da mich – erstmals seit Jahren! – ausgerechnet jetzt ‘ne miese Erkältung erwischt hatte. Freitagmittag aber hatte ich entschieden, die Nummer durchzuziehen und mir mein Kamillosan-Rachenspray (Tipp!) eingepackt. Nachdem alles aufgebaut und der Sound gecheckt war, gab’s lecker Mampf vom Orientimbiss.

Wenige Falafelfürze später ließen wir unser neues Intro aus der Konserve erklingen und stiegen wie gewohnt mit „Total Escalation“ in unser Set ein. Boah, geil – endlich wieder live zocken! Ein warmes Gefühl der Euphorie überkam mich. Dass es Probleme mit der Monitoranlage gab und ich mal wieder dazu neigte, dagegen anzuschreien, mich selbst auf der Bühne kaum zu hören: geschenkt. Immerhin hielt meine Stimme größtenteils durch, offenbar klang ich schlicht rotziger als sonst. Neben unseren üblichen Songs war auch wieder „Cliché“, unsere zweitjüngste Nummer, im Set, und unser betäubungsmittelmissbrauchskritischer „Saufen ist geiler als koksen“-Song „Not My Thing“ feierte seine Livepremiere. Die wohl so knapp 30 Menschen im Publikum tanzten paar Runden, verließen aber auch in Teilen die Bude, weil es ihnen zu laut gewesen sei (?!), und lauschten vor der geöffneten Tür weiter – Kippe in der einen, Mische in der anderen Hand –, oder alberten vor der Bühne herum und schossen Selfies. Zu fünft auf derselben war’s ganz schön eng, sodass ich beim Gestikulieren immer mal wieder versehentlich in Keith‘ Bass grabschte, was die eine oder andere Unterbrechung zum Instrumentenstimmen nach sich zog. Fast alles wie früher also! Etwas gewöhnungsbedürftig hingegen das überwiegend purpurne Licht, das ab und zu kurz unvermittelt wechselte, um sich schnell wieder irgendwo zwischen rosa und lila einzupendeln. Nach zwölf Songs inklusive Zugabe war für uns Feierabend.

Diesen versüßten uns die HARBOUR REBELS mit ihrem oft deutsch-, aber auch mal englischsprachigen Streetpunk voller Ohrwurmmelodien und von Sängerin Jules kräftiger Stimme geschmetterten Mitsingrefrains, der sich thematisch zwischen der eigenen Szene, Fußball, Kritik an der Gesamtscheiße und auch Persönlicherem, Ernstem wie einem Song über Depressionen bewegt. Jule führte mit launigen Ansagen durchs Set, das von gleich drei Coverversionen – „Because You’re Young“ (COCK SPARRER), „Skinhead Times“ (THE OPPRESSED) und „Nich‘ mein Ding“ (HAMBURGER ABSCHAUM, Gitarrist Dennis‘ ehemalige Spielwiese) – abgerundet wurde. Nachdem Benny eine Gitarrenseite gerissen war, konnte Christian mit seiner Klampfe aushelfen, sodass eine längere Pause vermieden wurde und die gute Stimmung nicht absank. Der Laden war nach wie vor nicht gerade überfüllt, aber alle schienen ihren Spaß zu haben. Selbst beim St.-Pauli-Skinheads-Song nahm die Band entwaffnend jegliche Verbissenheit heraus, indem man ein Bandmitglied als HSVer „outete“ und man den anwesenden Hansa-Rostock-Anhänger in ein nettes Pläuschchen verwickelte. Anschließend tranken wir alle (außer Ole, der mit eigener Karre wieder nach Kiel zurück und deshalb bedauerlicherweise trockenbleiben musste) gemeinsam den Kühlschrank leer und manch einer feierte noch die erlesene Musikauswahl des nun auflegenden DJs ab, die von GIANNA NANNINI über NEW ORDER bis DRITTE WAHL reichte.

Itzehoe war ein idealer Warm-up für zukünftige Livegigs sowie eine schöne Gelegenheit, mal wieder aufs platte Land um Hamburg ‘rum herauszukommen und der Dorfpunkkultur zu frönen. Lediglich die Idee, den Merchstand im Backstage-Bereich aufzubauen, den daraufhin kaum jemand findet, wäre eventuell zu überdenken, haha… Behaltet den Freiraum e.V. ruhig mal im Auge, am 25. Mai spielen dort z.B. LOS FASTIDIOS mit ZOI!S. Danke an dieser Stelle noch mal dem Freiraum-Team sowie den HARBOUR REBELS für alles, Sandy dafür, mit gebrochenem Fuß als Fahrerin fürs Schlagzeug und zwei Fünftel unserer Band eingesprungen zu sein, sowie der Dame, die den Rest unserer HH-Delegation kurzerhand zum Itzehoer Bahnhof chauffierte, von wo aus wir feuchtfröhlich die Heimreise antraten und diverse Babytauben zu sehen bekamen…

P.S.: Nicht zuletzt danke an Ben German und Sandy für die Fotos (und Videos fürs Privatarchiv) unseres Gigs!