Das Wohlwillstraßenfest heißt jetzt (oder schon länger?) Wohlwill-/Paulinen-/Brigittenstraßenfest und deckt damit auch im Namen all jene sympathischen Kiezseitenstraßen ab, in denen es seit jeher stattfindet. Lange war ich nicht mehr dagewesen, aus bekannten Gründen hatte es einige Jahre auch gar nicht stattgefunden. Diesmal war ich pünktlich am Start, um noch den recht großen und um Verzehr- und einige antifaschistische Infostände angereicherten Flohmarkt mitzunehmen, der wie üblich direkt zur Anhängerbühne auf dem Paulinenplatz führt, wo sich diverse Underground-Bands aus Hamburg und dem Umland umsonst und draußen ein Stelldichein geben. Als am Nachmittag THE GENTS den Reigen eröffneten, lieferten sie damit zunächst den Soundtrack zu den letzten Metern meines Flohmarktbummels, bis ich mich gegen Ende des Sets an der Bühne einfand. Garage- bzw., in Anlehnung an einen ihrer Songs, Carport-Punk war angesagt, was nicht unbedingt zu meinen favorisierten Subgenres zählt und mich auch nicht so ganz erreichte. ANNIE ANYWAY zockten anschließend melodischen Punkrock in Triogröße, wobei Gitarristin, Bassistin und Drummerin alle mal singen durften. Mit den flotteren, ruppigeren Stücken konnte ich mehr anfangen als mit dem langsameren, für meine tauben Ohren eher gen Emo tendierenden Songs. Zwischendurch riss eine Saite, doch dank HARBOUR-REBELS-Dennis‘ Hilfe konnte es alsbald weitergehen. Obwohl mittlerweile doch so einiges an interessiertem Publikum zusammengekommen war, war der Abstand zwischen eben jenem und der Bühne noch immer immens, was bei diesem Straßenfest nicht unüblich ist, aber irgendwie doof aussieht und ein Indiz dafür sein könnte, dass für die meisten die Musik eher Hintergrundbeschallung zum Freundetreffen, Sabbeln und Trinken ist, so ehrlich gesagt auch bei mir. Ach ja, leckeres preiswertes Essen vom Grill gab’s auch noch, das Sojaschnitzel im Brötchen war haute cuisine!

Das Duo SPARCLUB war als nächstes an der Reihe und hatte letztes Jahr auf dem Schanzenfest irgendwie mehr gebockt als hier und heute, wo es ein wenig verloren wirkte und nur zu zweit soundtechnisch nicht sonderlich viel Druck erzeugen konnte. Nach ein paar Songs war ich aufgrund eines Zwischenfalls eine Weile unabkömmlich (direkt am Spielplatz herumliegende Sprühdosen sind nur bedingt ‘ne gute Idee…) und bekam somit nicht mehr allzu viel von diesem Gig mit. Auf THE MUTTNICKS verzichtete ich dann zugunsten eines Tipps, der per Mundpropaganda die Runde machte: Man solle unbedingt in die unweit gelegene Jägerpassage kommen, dort spiele eine Hammerband. Wovon redeten wir? Eine geheime EIGHT-BALLS-Reunion? SLIME in Originalbesetzung? Nicht ganz, ging dann doch „nur“ um FAT FLAG, die sich nicht etwa als BLACK-FLAG-Coverband entpuppten, sondern als schön rotzig nach vorne gehender Punkrock mit deutschen Texten von ein paar Herrn im besten Alter und in Feinripp-Unterhemden. In der wohligen Hinterhof-Charme ausatmenden Passage zwischen zwei Wohnhäusern war eine Bühne aufgebaut worden, über die offenbar auch hier ein buntes Programm ging. Ein Getränkestand versorgte einen mit Cocktails und Bier, eine Gemeinschaftstoilette im Haus stand allen zur Verfügung. Geiler Scheiß, der sogar besser angenommen wurde als die Paulinenplatzbühne, wobei es durch die schlauchförmige Enge hier zudem wesentlich drängeliger und gemütlicher wurde und der Mob bis ganz vorn zur Bühne reichte. Der Bassist fiel nach ein oder zwei Songs von derselben und im Publikum wurde gegen Ende eine Pyramide à la SCORPIONS gebildet. Rockte like a Hurricane!

Dabei stand der eigentliche Höhepunkt noch bevor: ATOM ATOM! Das Hamburger Trio spielte als letzte Band Paulinenplatz und machte wieder richtig Laune. Im Prinzip ähnlich wie auf dem Affengeburtstag, mit dem Unterschied, dass ich diesmal das Tanzbein schwang. Da ich damit nicht ganz allein war, kam nun auch mehr Stimmung vor der Bühne auf. Durch die Dunkelheit kamen Bühnenlicht und -nebel gut zur Geltung und sorgten für ein Plus an Atmosphäre. Im Prinzip war das der krönende Abschluss eines ausnahmsweise mal wirklich schönwettrigen Hamburger Sommertags, auf den sogleich ein Regenschauer folgte, vor dem man im Jolly Schutz fand. Warum ich mich dort nun noch derart abfüllen musste, dass es beinahe auf allen Vieren nach Hause ging (inklusive mit irgendwo verlustig gegangenem schwarzem Zipper – jemand gefunden? Finderlohn: Bier!), weiß ich hingegen wirklich nicht, besiegelte aber endgültig meine Urlaubsreife, weshalb mein kleiner Tagebucheintrag erst jetzt, nach zwei erholsamen Wochen auf der Insel, nachgereicht wird…