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S.O.R.B. aus dem Flecken Harsefeld (bei Buxtehude) sind wieder aktiv und feierten gleich mal ihr 25-jähriges Jubiläum mit drei befreundeten Bands mitten auf dem Hamburger Kiez. Als Ort der Sause hatte man den Clochard auserkoren, eine berüchtigte 24-Stunden-Asi-Kneipe auf der Reeperbahn, die seit einiger Zeit auch regelmäßig Gratis-Konzerte veranstaltet. Ich hatte die Kaschemme seit gefühlt 100 Jahren nicht mehr betreten, das Konzert dort war für mich somit ein Novum. Freier Eintritt ist natürlich angenehm, die Getränkepreise liegen etwas über denen beispielsweise des Menschenzoos und das Ambiente ist rustikal-siffig. Über allem liegt der Geruch von Klostein, gegen den es an einem Abend wie diesem kräftig anzurauchen und -zuschwitzen gilt. Ein nettes Alleinstellungsmerkmal ist die Dachterrasse, auf der man frische Luft inhalieren kann und die mit einem Netz gegen Flaschenwürfe o.ä. gesichert wurde. Als AUSVERKAUFT, die sich anscheinend aus verschiedenen niedersächsischen Örtchen rekrutieren, pünktlich um 22:00 Uhr loslegten, war die Bude ratzfatz gerappelt voll. Eine Sitzbank trennte den Bühnenbereich vom Publikum und diente in erster Linie dazu, zu verhindern, dass ständig jemand in Band oder Equipment/P.A. fliegt. Vom ersten Akkord an hatten AUSVERKAUFT den Pöbel auf ihrer Seite, der ausgelassen tanzte und feierte. Geliefert wurde ungezwungener Gröl-und-Sauf-Dorf-D-Punk von der Basis für dieselbe, wie er glücklicherweise allen musikalischen und szeneinternen Trends zum Trotz nicht totzukriegen ist und mit seinem bisweilen etwas naiven Asi-Charme all denjenigen Laune macht, die SCHLEIM-KEIM für eine der besten Bands halten, gern mit Kasenknoter und Billigfusel in Fußgängerzonen rumhängen und Staat und Gesellschaft mehr so suboptimal finden – Menschen wie dir und mir also. Nach einer ganzen Reihe eigener Songs wurde der Cover-Koffer geöffnet und so erklangen LOIKAEMIEs „Good Night White Pride“ ebenso wie die LANDSER-Verballhornung „Mein Opa war Suppenkoch bei der RGF“, THE EXPLOITEDs „Sex and Violence“ und KNOCHENFABRIKs „Filmriss“ (der glaube ich direkt 2x hintereinander gespielt wurde). Zwischendurch kam der Drummer nach vorn und sang irgendeine extrem alberne Nummer und ein Quoten-Offbeat-Song hatte sich auch noch eingefunden. Letztendlich zockten AUSVERKAUFT über eine Stunde und sollten bis zum Schluss die euphorischsten Reaktionen eines Publikums hervorrufen, das sich im weiteren Verlauf des Abends dann doch spürbar ausgepowert zeigte.

UPPER CRUST waren wieder vollzählig mitsamt Shouter am Start. So weit, so gut und ich hab‘ in der Vergangenheit ja schon mehr als genug zur Band geschrieben, die an diesem Abend leider arge Probleme mit dem Sound hatte. Der Gesang bewegte sich zwischen den Polen schemenhaft wahrnehmbar und hoffnungslos übersteuert, so dass UPPER CRUST nicht den besten Abend erwischt hatten. So ganz ihr Publikum war das dann auch nicht, doch wer mit dem Material der LP vertraut war, konnte trotzdem Kracher wie „Leeres Zimmer“ oder „Hypochonder“ feiern.

Im Anschluss also S.O.R.B., die ich Ende der ‘90er mal im Fundbureau (keine Erinnerung mehr dran) und Anfang der 2000er auf dem Buxtehuder Birkenhain gesehen haben dürfte. Mehr als die Split-7“ mit LINKSABBIEGER (1996) und die 7“-EP „Kotz nicht“ (2002) hat man meines Wissens bis heute auch gar nicht veröffentlicht und sich lange Zeit extrem rar gemacht. Jüngst spielt man aber wieder live; inwieweit das Bandjubiläum dafür Anlass war, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Bandmitglieder hatten sich in Schale, sprich: Anzug und Krawatte geschmissen, derer sie sich jedoch im Laufe des schweißtreibenden Gigs nach und nach entledigten. S.O.R.B. rotzten ihren Uptempo-HC-D-Schrammelpunk herunter und vor der Bühne war wieder mehr los. Kurze, nicht dumme Ansagen boten Einblicke in die Textinhalte zwischen Spaß und bitterem Ernst, „Meiern bis wir reihern“ kannte ich von einem der „Sicher gibt es bessere Zeiten…“-Sampler und „Kotz nicht“ musste auch noch mal als Zugabe herhalten. Da kamen vermutlich sämtliche Songs aus 25 Jahren Bandkarriere zu Live-Ehren, Teile davon durch die Flüstertüte gesungen und ich meine, ein BLACK-FLAG-Cover herausgehört zu haben („Nervous Breakdown“?). Alles in allem ‘ne feine Sache, zumal ich bis vor kurzem nicht geglaubt hätte, S.O.R.B. überhaupt noch mal zu Gesicht zu bekommen. Dank vorgerückter Stunde, gestiegenem Pegel und der ebenfalls nicht ganz gewöhnlichen Dauer des S.O.R.B.-Gigs machten sich mit der Zeit dann aber doch gewisse Abnutzungserscheinungen bei mir bemerkbar.

Schon nach halb drei war’s, als die Buxtehuder TOBSUCHT zur Tat schrieten. Die HC-D-Punk-Band besteht aus alten Bekannten von mir und so war das livehaftige Wiedersehen und -hören nach verdammt langer Zeit natürlich eine Freude. Shouterin Babette rüpelt sich rotzig durch das authentische, pogotaugliche Material und wird dabei von einer Background-Sängerin am Bühnenrand begleitet, weiterer Aktivposten ist Gitarrist Tierchen, der sich neben dem genretypischen Schrammelsound auch gern mal das eine oder andere feiste Metal-Riff aus den Hüften leiert und damit ebenso für Abwechslung sorgt wie mit kurzen, eruptiven, von ihm gegrowlten Songs. Bassist Sven setzte sein Pokerface auf, während er den Tieftonteppich ausrollte und der Beat stammte von der im geschmackvollen VENOM-Leibchen gewandten Drummerin Kim, die seit einiger Zeit den ehemals vakanten Posten am Schlagzeug besetzt – und für mich die Überraschung des Abends war, da sie weit weniger rumpelt als ihr Vorgänger. Diese Band macht sich ebenfalls recht rar, mein letzter TOBSUCHT-Gig ist locker vier Jahre her, aber diese Entwicklung ist erfreulich. Leider war ein größerer Teil des Publikums nach S.O.R.B. bereits abgewandert, doch genug Hartgesottene waren geblieben. Diese wurden nach einigen Songs Zeuge gewisser Unstimmigkeiten auf der Bühne, die verhinderten, dass es planmäßig mit „Bullenstaat“ weiterging und Tierchen kurz zum Alleinunterhalter machten, doch nachdem die Bühne durch ein beherztes Verschieben der Bank vergrößert worden war und das Publikum mittlerweile ungeduldig eben jenen „Bullenstaat“ eingefordert hatte, erschallte auch dieser Song und die Band agierte wieder vollzählig. Der Plan sah, wie ich es von vergangenen TOBSUCHT-Gigs bereits kannte, offenbar vor, alle >30 Stücke darzubieten und das Publikum mürbe zu spielen, weshalb ich mich gegen 4:00 Uhr oder so dann doch höflich verabschiedete und damit für mich ein Punk-Konzert endete, das Erinnerungen an alte Zeiten weckte und sich tatsächlich einmal irgendwie ganz anders anfühlte.