Einmal mehr versammelt der Hamburger Carlsen-Verlag auf rund 330 Seiten sämtliche je vierpaneligen Zeitungsstrips und großformatigen Sonntagsseiten der „Peanuts“-Comicreihe aus der Feder des US-Amerikaners Charles M. Schulz. Die gebundene Werkausgabe Nr. 8 fasst in chronologischer Reihenfolge die unkolorierten deutschen Übersetzungen der Jahre 1965 und ’66 zusammen und bietet diesmal dem Literaturkritiker Denis Scheck die Vorwortbühne, die er nutzt, um zu erklären, weshalb er die „Peanuts“ gruselig findet und welche Comics er (nicht) mag. Gary Groths Nachwort ist inzwischen ebenso hinlänglich bekannt wie der Stichwortindex und vor allem das Glossar hilfreich sind, erläutert letzteres doch die Inhalte einiger für heutige Mitteleuropäer nicht mehr unbedingt selbsterklärenden Gags und weist es zudem auf Unterschiede zwischen Original und deutscher Übersetzung hin.

Und es war wieder einiges los im „Peanuts“-Kinder-Mikrokosmos: Linus’ bedauernswerte Lehrerin Fräulein Othmar erleidet einen Nervenzusammenbruch, Charlie Brown lernt die Tücken der Prokrastination kennen – und Snoopy die erste Liebe! Leider bereitet die Beagle-Hündin, die man – Parallele zum kleinen rothaarigen Mädchen? – nie zu Gesicht bekommt, ihm tierischen Liebeskummer. Eigentlich eine Winterbekanntschaft, trifft Snoopy sie im Sommer noch einmal wieder. Charlies Drachen steigen genauso schlecht wie im Vorjahr und die neue Baseball-Saison geht genauso kläglich verloren, natürlich fällt er auch wieder auf Lucy herein, die ihm einen Football hinhält, dafür tauchen aber erstmals Skateboards (1965!) auf. Und im Frühjahr (genauer: am 2. Mai 1965) beginnt Charlie wieder über das kleine rothaarige Mädchen zu sinnieren, während Schröder sich mittlerweile Lucys Anwesenheit beim Klavierüben verbittet. Wer hier verliebt ist, ist’s in den oder die Falsche(n).

Snoopy arrangiert ein Familientreffen seines Wurfs und kehrt konsterniert zurück, verlässt gar seine Hütte für ein Vogelpaar, zieht aber bald wieder ein und etabliert mit seinen schriftstellerischen Ambitionen (stets beginnend mit „Es war eine dunkle und stürmische Nacht.“) einen neuen Running Gag. Die Vogelküken auf Seite 65 sehen übrigens erstmals aus wie Woodstock, doch bis zu dessen Debüt muss man noch ein paar Jährchen warten. Am 10. Oktober 1965 beginnt Snoopys Jagd auf den Roten Baron und damit einer der tollsten Standards der „Peanuts“-Historie: Ein Hund mit Helm und Fliegerbrille, der sich auf seiner Hundehütte sitzend in Weltkriegsabenteuer fantasiert. Im Frühjahr 1966 spielt er gar Fremdenlegionär Beau Geste aus dem gleichnamigen Film bzw. Roman nach, wie es – vermutlich später – auch sein „Kollege“ Droopy einst tun sollte. Sogar zum Surfer avanciert der Tausendsassa zwischenzeitlich.

Kein „Peanuts“-Halloween ohne den „Großen Kürbis“, an den Linus nach wie vor unbeirrt glaubt. Sally macht das durch, was früher viele Kinder ertragen mussten, heutzutage aber gänzlich verschwunden scheint: Sie muss eine Zeitlang eine Augenklappe tragen. Als wiederkehrende Figur wird Roy eingeführt, den erst Charlie und später Linus im Ferienlager kennenlernt. Bedeutender ist jedoch Roys Freundin, die am 22. August 1965 auf den Plan tritt und seither aus den „Peanuts“ nicht mehr wegzudenken ist: Peppermint Patty, eine der liebenswürdigsten Figuren des Ensembles! Die Snoopy-Strips ab dem 19. September 1965 haben einen traurigen Hintergrund: So, wie Snoopys Hundehütte ein Raub der Flammen wird, wurden es kurz zuvor Schulz’ Keller und Atelier – einer der vielen interessanten Hintergründe, die das Glossar vermittelt.

Dass ausgerechnet Charlie Brown Schülerlotse wird, ist eine weitere überraschende Entwicklung, die diese zwei Jahre abrundet. Zwei Jahre, in denen entscheidende Weichen auch für die weitere Entwicklung der Reihe gestellt wurden, was sich vor allem im „Roten Baron“ und Peppermint Patty, jener neuen, enorm charismatischen weiblichen Figur, widerspiegelt. Hand in Hand gehend mit Schulz’ angenehmem, oft hintergründigem oder nachdenklichem bis melancholischem Humor bieten all die kleinen und großen Geschichten dieses Bands eine ebenso aufschluss- und erkenntnisreiche wie vergnügliche Comic-Zeitreise, wie gewohnt in optimaler Form von Carlsen dargereicht.