Noch vor der großen ‘80er-Jahre-Retrowelle, genauer: im Jahre 2007 veröffentlichte der Kölner Verlag Naumann & Göbel (NGV) Markus Caspers gebundenen großformatigen und kommentierten Bildband mit abwischbarer Oberfläche und auf festem, hochwertigem Papier: Rund 260 Seiten stark, mit über 400 Bildern. Böse Zungen behaupten, die ‘80er hätten auch eine abwischbare Oberfläche gehabt, verkennen dabei aber, dass unterkühlte Neo-noir-Ästhetik und synthetische Musik Ausdruck eines Zeitgeists und eines Lebensgefühls waren (und sind), das sich aus verschiedenen Faktoren zusammensetzte und entwickelte – und gern an konformistischen, konsumorientierteren Oberflächlichkeiten kratzte.

Die ‘80er reichen auch hier von 1980 bis 1989 statt von 1981 bis 1990, die ‘80er also nicht als Dekade, sondern als Zeitraum von Jahren mit einer 8 an der Zehnerstelle und somit der verbreiteten umgangssprachlichen Definition folgend. Anspruch Caspers war es – so sein Vorwort –, die Leserinnen und Leser in jene Zeit zurückzuversetzen. Unterteilt hat er seine Zeitreise in die Kapitel Politik, Konsum, Momente, Style, Jugend, Pop, Kunst, Fernsehen, Design, Mode, Sport und Film, von denen einige eine eigene Einleitung erhalten (fünf Euro ins Alliterationsschwein…). Mit der Politik zu beginnen, ist eher ungewöhnlich und zeugt von einer anderen Herangehensweise als sie beispielsweise fünf Jahre zuvor das Bravo-Sonderheft an den Tag legte. Der Blick auf die Politik ist indes sehr BRD-zentriert. Neben der Bundespolitik geht es um Nachrüstung, Atomkraftwerke und Proteste, bevor es mit Glasnost internationaler wird. Das Kapitel endet mit der Öffnung der innerdeutschen Grenze am 9. November 1989.

Weniger Seiten stehen fürs Kapitel Konsum zur Verfügung, auf denen es neben durchaus auch kritischen Worten zu Produktion & Umwelt, Essen & Trinken und dem Geschäft damit viel um den Einzug der Computer und des Digitalen in die Haushalte geht. Der bundesdeutsche Blick fällt im Kapitel „Momente“ erneut auf, wenn es um den ersten Westdeutschen im All, die Rote-Armee-Fraktion, Matze Rust, Hitlers vermeintliche Tagebücher, Rösner & Degowski und Ramstein geht. Aber auch Prinz Charles und Lady Di, Grace Kellys Tod und die Explosion der Challenger werden aufgegriffen. Im Style-Kapitel schreibt Caspers statt von der Postmoderne von Ekklektizismus [sic] sowie vom Ende des Funktionalismus zugunsten eines bunter werdenden Alltags und einer ästhetischen Radikalisierung. Damit fasst er gut zusammen, was die ‘80er-Ästhetik ausmachte – wenngleich das Jahrzehnt dazu noch genuin Eigenes recht dominant addierte (stärker als spätere Dekaden).

Über Stilmix, Styling und Design geht es schließlich zum Kapitel Jugend, in dem – einem späteren separaten Kapitel zum Trotz – der Mode-Aspekt dominiert und Jugendsubkultur leider lediglich (aber immerhin!) in Form von Punk stattfindet. Dafür schaffte es auch die DDR-Jugend auf zwei Seiten. Der Übergang zum Kapitel Pop ist folgerichtig und bemüht sich, bis hin zur Klassik möglichst viele Richtungen abzudecken, wobei die Neue Deutsche Welle den Löwenanteil abbekommt. Das (kurze) Kunstkapitel, das sich der bildenden Kunst widmet, gibt es woanders nach meinem derzeitigen Kenntnisstand nicht einmal so ähnlich. Schade nur, dass statt der Kunstwerke (aus urheberrechtlichen Gründen?) Fotos der Künstler abgedruckt sind…

Das Fernsehkapitel deckt erwartungsgemäß TV-Serien und -Shows ab, endet aber leider mit MTV und „Die Privaten kommen“ – wenngleich letztere seit 1984 sendeten und zumindest das Fernsehen der zweiten Hälfte des Jahrzehnts maßgeblich mitprägten. Obwohl das Kapitel mit einem doppelseitigen Foto aus „Alles nichts, oder?!“ eröffnet, erfährt man darüber leider nichts. Das Kapitel „Design“ knüpft auf sehr interessante Weise quasi direkt ans Style-Kapitel an, sodass mir nicht klar ist, weshalb man diese nicht zusammenfasste (zumal unter „Style“ ein Abschnitt mit „Design“ überschrieben ist). Verschiedene Stilrichtungen vom Haushaltsgegenstand bis zur Architektur werden beim Namen genannt, was über übliche ‘80er-Retrospektiven angenehm hinausgeht. Das Modekapitel hingegen liefert den einen oder anderen guten Ansatz, bietet aber leider hauptsächlich wenig repräsentative, gestellte Fotos aus extravaganten Katalogen oder von weltfremden Designern.

Im Sportartikel versucht Caspers, möglichst viele relevante Sportarten abzudecken, nimmt dabei aber wieder eine fast ausschließlich deutsche Perspektive ein und verzichtet zu meinem persönlichen Bedauern auf die Herren-Fußball-EM 1988, obwohl diese in Deutschland stattfand. Berücksichtigt werden dafür die Weltmeisterschaften 1982 (Spanien) und 1986 (Mexico) sowie viel Olympia und Tennis. Abschließend stellt das Filmkapitel nach einigen bedeutsamen deutschen Werken das Jahrzehnt prägende internationale Produktionen vor, spart aber auch extrem viel aus, allem voran die Horrorsparte. Und nicht einmal Schwarzenegger wird mit einer Silbe erwähnt.

Diese Oberflächlich- und Unvollständigkeit ist symptomatisch für das ganze Buch, das es dennoch versteht, gezielt einzelne Schlaglichter zu setzen und Ereignisse, Phänomene, Produkte oder Menschen exemplarisch herauszustellen. Caspers führt nicht aus, er skizziert. Größtes Pfund des Buchs sind seine tollen Fotos, die man noch nicht unbedingt von woanders her kennt. Zudem verfügt Caspers über einen recht elaborierten Sprachstil, jedoch auch über eine mitunter etwas eigenwillige Zeichensetzung (beispielsweise fehlt öfter das Komma hinter Einschüben). Seine im Buch hervortretende Affinität zu Style und Design erklärt sich aus seinen Tätigkeiten über die Schriftstellerei hinaus: Er ist Professor für Gestaltung und Medien und Dozent für Designtheorie.

Als Grundlage ist „Die 80er – Alles so schön bunt hier!“ gut geeignet, um von hier aus tiefer in die jeweilige Thematik (oder auch ganz allgemein ins faszinierende Jahrzehnt) einzusteigen. Oder man begnügt sich damit, die Fotos zu betrachten, denn die Bilderwahl ist, wie erwähnt, überwiegend sehr gelungen. Im Hinterkopf sollte man dabei jedoch stets die bundesdeutsch geprägte Perspektive und den großen Mut zur Lücke dieses Werks behalten.