Nach dem „Campus-Wörterbuch“ sowie den Jahrzehnts-Retrospektiven „Die Goldenen Siebziger: Ein notwendiges Wörterbuch“ und „Petting statt Pershing: Das Wörterbuch der Achtziger“ arbeiteten die Braunschweiger Autoren Gerald Fricke und Frank Schäfer erneut für ein (auf den ersten Blick vielleicht nicht gleich als solches erkennbares) humoristisch zurückblickendes Buch zusammen: Der 290-seitige Schmöker „Für alles gibt’s ein erstes Mal. Das Buch der Bahnbrecher, Vordenker und Neutöner“ ist im Jahre 1999 bei Hoffmann und Campe als Paperback erschienen.

Die fünf Hauptkapitel „Alltag“, „Technik und Entwicklung“, „Kunst und Kultur“, „Politik und Ökonomie“ und „Eros“ werden jeweils in drei Unterkapitel aufgeteilt, die wiederum die jeweiligen Abschnitte zu irgendwann einmal neugewesenen Erfindungen, Ereignissen oder Phänomenen anordnen. Jedem Hauptkapitel ist ein Vorwort vorangestellt, ein Literaturverzeichnis und tabellarische Schnellübersichten finden sich im Anhang. Natürlich handelt es sich um keine knochentrockene, seriös-lexikalische Faktenanhäufung, sondern um eine mit (vor allem geschichtlicher) Bildung und Wortgewandtheit der Autoren prahlende Sammlung voll süffisantem und sarkastischem Humor, die sich gern vergessener Kuriositäten annimmt oder diese möglicherweise gar selbst erschwindelt (‘tschuldigung, „erfindet“) und eine ironische bis satirische Perspektive einnimmt, um das jeweils Beschriebene durch den Kakao zu ziehen, überspitzt zu ehren, zu kommentieren oder auch zu dekonstruieren oder gar kurzerhand zum Anlass zu nehmen, eigentlich über etwas ganz anderes zu schreiben (und gegenwartsbezogene Kritik zu üben, beispielsweise an der SPD). Unter „Die erste Midlife-Crisis“ wird einem sogar eine Nick-Hornby-Buchkritik untergemogelt.

Das ist anfänglich mitunter gewöhnungsbedürftig und man muss sich etwas durchbeißen, um sich in diesen Stil einzufinden, macht aber Spaß, hat man sich erst einmal eingegroovt. Dass Fricke u.a. für die „Titanic“ schrieb, verwundert da wenig. Zudem lädt die Unterteilung in kurze, in sich abgeschlossene Abschnitte dazu ein, sie häppchenweise zu konsumieren, wobei sich jedoch schnell das „Einer geht noch, na gut, noch einen, wenn noch einer muss…“-Phänomen einstellt – ein bisschen wie in der Kneipe also. Ausnahmen bestätigen die Regel; so gerät „Die erste Daily-Soap“ zu einer mehrseitigen Abhandlung über Kaiser Wilhelm II. Beim ellenlangen Essay über George Washington als Kind muss die Frage „Wahn oder wahr?“ erlaubt sein. Und der Abschnitt zum Promotionsrecht für Ingenieure avanciert zu einer fünfseitigen, hochinteressanten Rückschau auf ein elitäres, schöngeistiges, wohlfeiles und weltfremdes Bildungsbürgertum – und damit ein Stück weit auch auf die Rollen, die die Autoren hier einnehmen.

Diese äußern sich u.a. in der seinerzeit bei Schäfer noch so beliebten Verwendung möglichst unverständlicher Fremdwörter wie „pantagruelisch“ (deftig), „petillierenden“ (S. 173, scheint man sich selbst ausgedacht haben – oder mir ist ein Wortspiel entgangen) oder „Gravamina“ (LK Geschichte: Beschwerden gegen die katholische Kirche anno dazumal). Damit übertreibt man es glücklicherweise nicht, stellt sich in dieser Hinsicht dagegen sogar selbst mal ein Beinchen: Es heißt „Pommes rot-weiß“, nicht „Schranke rot-weiß“ (das wäre redundant), der „Flotte Teens und heiße Jeans“-Regisseur heißt Tarantini, nicht „Tarantino“ (mit Verlaub, aber das ist jemand anderer), Nando Ciceros Film mit Edwige Fenech ist „Die Bumsköpfe“ betitelt, nicht „Die heiße Lehrerin“ (so nannten ihn Fricke, Schäfer & Co. vielleicht damals auf dem Schulhof), aus Regisseur Giuliano Carnimeo wird „Carmineo“ gemacht und aus Marino Girolami „Mariano“. Einige Abzüge in der B-Note also für den Abschnitt über die Commedia sexy all’italiana, über den ich mich als delirierender Italophiler dennoch gefreut habe. Eines noch: Der Vorspann der „Sendung mit der Maus“ ist zweisprachig, nicht der Abspann.

Etliche Texte dieses Buchs sind kreative Hochleistungen voll im Saft stehender junger Autoren, deren diebische Freude am Schreiben deutlich hervortritt. Wo man sich stark von andere hat inspirieren lassen bzw. zitiert hat, sind entsprechende Literaturverweise den Texten angefügt. Darunter findet sich manch kuriose Quelle oder auch mal jemand aus dem eigenen Bekanntenkreis Frickes und Schäfers (Gerhard Henschel auf S. 121). Schade, dass man beim Cornflakes-Artikel die Chance versäumte, herauszustellen, welch derangierter Typ John Harvey Kellogg eigentlich war und welche Ansichten er vertrat (knapp zusammengefasst: Cornflakes sollten ohne Zucker serviert werden und scheiße schmecken, um die Menschen vom Masturbieren abzuhalten). Das wäre eigentlich prädestiniert für eine satirische Verarbeitung gewesen. Nicht alle Texte in „Für alles gibt’s ein erstes Mal“ sind Volltreffer, aber die Trefferquote ist recht hoch und wer Freude an originellem Infotainment, auch mal herausfordernderer Satire und spitzzüngigem Humor mit Herz und Blick für Kuriositäten hat, dürfte mit diesem Buch seine Freude haben – auch wenn der Fabulierdrang Frickes und Schäfers in Zeiten von Propagandakriegen, Faktenchecks, Aufmerksamkeitsökonomie und in Sekundenbruchteilen erfassbarer Memes wenig zeitgemäß wirkt. Oder auch deshalb gerade doch.