Der alljährlich zelebrierte Hamburger Hafengeburtstag steht neben enormem Besucherandrang gern mal im Zeichen von Schmuddelwetter und Suff, vor allem aber von einem innerhalb zahlreicher Live-Musik-Angebote breit aufgestellten subkulturellen Programm auf mittlerweile gleich drei Bühnen: der offiziellen, großen Jolly-Roger-Bühne sowie der kleineren Onkel-Otto-Bühne am Störtebeker und der vor ich glaube zwei Jahren hinzugekommenen Bühne an der Hafen-Vokü. Alle sind recht nah beieinander gelegen, so dass es problemlos möglich ist, sich innerhalb dieses Dreiecks aufzuhalten und den Rest der Massenveranstaltung weitestgehend zu ignorieren. Auf der Jolly-Bühne wird satte drei Tage lang Programm geboten, auf den anderen beiden Freitag und Samstag – alles umsonst und draußen! Freitag konnte ich’s zeitlich noch nicht einrichten und hab’ dadurch glatt spannende Bands wie FAST SHIT, PLATZANGST, THE BABOON SHOW und MOSCOW DEATH BRIGADE verpasst, aber Samstag war ich rechtzeitig zum spontan auf der Onkel-Otto-Bühne als Opener eingesprungenen PROJEKT PULVERTOASTMANN am Start. Ca. 17:30 Uhr dürfte es gewesen sein, als ich zu den Klängen des ersten Songs das Areal betrat. Nach und nach versammelten sich dort immer mehr Leute und wurden Zeugen eines fantastischen Auftritts. Der Sound stimmte und donnerte brutal, Shouter Snorre gab absolut ALLES, bis seine Birne zu platzen drohte und der doch ziemlich individuelle Mix der Pulvertoasties aus Streetpunk, Hardcore und dem, was man auch gern mal als Deutschpunk bezeichnet, wurde von mir vermutlich noch nie in solch nüchternem Zustand rezipiert, bestand diese Herausforderung aber selbstredend spielend! Besonders gefreut hat mich, dass es nach längerer Zeit mal wieder klappte, denn solch eigentlich unverzichtbare Veranstaltungen wie die Record-Release-Party etc. hatte ich zuletzt regelmäßig versäumt.
Anschließend ging’s die Treppe runter zur Jolly-Roger-Bühne, wo die SHITLERS aus Bochum ihren satirischen Punkrock auf ein verdutztes Hamburger Publikum niederprasseln lassen wollten. Das Trio auf einer solch großen Bühne zu sehen, war ein reichlich ungewohnter Anblick. Noch eigenartiger jedoch wurde es, als man sich die Gesichter genauer ansah: Entweder hatte sich Gitarrist Martin Shitler einer Ganzkörpertransplantation unterzogen oder er wurde durch jemand anderen ersetzt. Wir wussten, dass er am Abend zuvor einen Solo-Auftritt im Kraken hatte, bei dem ich zum Glück nicht anwesend war. Was war passiert? Hatte ihn ein aufgebrachtes Kneipenpublikum erschlagen? Oder lief der Abend derart erfolgreich, dass er kurzerhand beschloss, solo Karriere zu machen und bei den SHITLERS auszusteigen? Oder wurde er schlicht Opfer eines fiesen Attentats? Vor der Bühne lagen eine herrenlose Tasche ebenso wie ein vollkommen unbeachteter Pullover. Waren es Martins Sachen, der längst auf dem Grund der Elbe lag? Wir waren in großer Sorge und konnten uns kaum auf das anspruchsvolle Programm der Band konzentrieren. Dies schien diese zu bemerken und erklärte die Bedeutung von Songs wie „Oi! und Rap“ noch einmal, tat jedoch auch so, als würde sie unsere Fragen nach Martin nicht hören. Ansonsten gaben sie sich wieder betont spackig, Frank sprang gar barfuß auf der Bühne herum wie der letzte Hippie und die Irritation des Hamburger Publikums war perfekt. Glücklicherweise waren dann doch einige dazwischen, die die Band und ihren Humor kannten und ob ihrer Reaktionen dem unwissenden Rest vermitteln konnten, dass man damit durchaus Spaß haben darf. Später erfuhr ich dann, was wirklich mit Martin geschehen war: Vor, während und vor allem nach seinem Solo-Auftritt hat er sich anscheinend so dermaßen die Kirsche zugehauen und die Nacht um die Ohren geschlagen, dass seine Bandkollegen verzweifelt eine Kneipe nach der anderen auf der Suche nach ihm abklapperten, ihn schließlich in desolatem Zustand aufgriffen und glücklicherweise ihren Aushilfsgitarristen dabei hatten, der Martin bereits einmal während längerer Abwesenheit vertreten hatte und dafür Sorge trug, dass der Gig nicht abgeblasen werden musste. Damit hat sich Martin den goldenen Ehrenkronkorken verdient und ich verneige mich in Ehrfurcht vor so viel Attitüde, die ich einem SHITLER gar nicht unbedingt zugetraut hätte.
Nach einem kurzen Abstecher in meine „Wochenendwohnung“ auf dem Kiez ging’s dann wieder zur Onkel-Otto-Bühne, wo ich endlich einmal RODHA, die Band meines Stammtätowierers, live sehen konnte. Obwohl’s die nun schon seit ein paar Jährchen gibt, war es mir bisher nie vergönnt. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass es nicht 100%ig meine Mucke ist: Doomiger Metal-Sound mit tiefgestimmten Gitarren und schweren Riffs, worüber der Sänger infernalisch kreischt. Sowohl technisch als auch körperlich ist das aber überaus respektabel, dem guten Stülpo steht so’ne Klampfe ausgezeichnet und was der Shouter da leistet, ist absolut unmenschlich! Krasse Nummer und daher meinen Respekt. Weniger ASHPIPE als vielmehr ein Treffen mit weiteren Freunden zog mich wieder vor die Jolly-Roger-Bühne, wo es dann auch richtig feierlich wurde: Zu mittlerweile fortgeschrittener Stunde traf man reichlich bekannte Gesichter und konnte sich dem einen oder anderen Gedankenaustausch (und sei es nur ein „Prost!“ – „Prost!“) hingeben, während ASHPIPE den Soundtrack dazu lieferten. 2010 bekam ich mal eine Platte der Band zugeschickt, zu der ich schrieb: „Bei ASHPIPE handelt es sich um eine italienische Band, die Streetpunk mit Folk- und Offbeateinflüssen auf englisch sowie in Landessprache mit zwei Sängern kredenzt und dabei einen recht ordentlichen Eindruck hinterlässt.“ Der Funke sprang musikalisch an diesem Abend jedoch nicht ganz über und so blieb es bei nicht unangenehmer Hintergrundbeschallung. Es war nun aber auch längst mal an der Zeit, der Vokü-Bühne einen Besuch abzustatten, wo ich mich gleich pudelwohl fühlte und dem Gig von STAHLSCHWESTER entgegensah, die nach längerem Auslandsaufenthalt einzelner Bandmitglieder nun wieder live spielen können. Da ging’s dann auch direkt vom ersten Song an richtig rund, nach Erklingen dieses klassischen Punk-Beats und den simplen, aber höchst effektiven Auf-die-Fresse-Riffs gab’s für mich kein Halten mehr und ich schwang erstmals an diesem Abend die alten Knochen. Shouterin Peppels war diesmal gar nicht so dermaßen aufgestylt, sondern gab sich natürlicher, was ihr ebenfalls gut zu Gesicht steht, ihr eindringlicher Alarmgesang ist natürlich derselbe. Ein starker Auftritt und genau das, was ich zu diesem Zeitpunkt brauchte. Das ging natürlich nicht ganz ohne Blessuren ab und so stauchte ich mir den rechten Daumen. Das hat sich indes gelohnt, aber dass ich dadurch THE OPPRESSED, die unten die Jolly-Bühne headlinten, eiskalt verpasst hab’, ist die Kehrseite der Medaille – aber zerreißen kann ich mich ja nun schlecht… Nach dem einen oder anderen Gespräch strich ich die Segel und begab mich in meine „Wochenendwohnung“.
Bis zur BOLANOW-BRAWL-Probe um 14:00 Uhr hatte ich Sonntag noch einige Zeit zur Verfügung, die ich zu einem Frühstück an der Elbe und ausführlichen Spaziergang durch zwar alles andere als menschenleere, nun aber noch nicht überfüllte Straßen nutzte und so erstmals das gesamte Gelände erkundete. Natürlich war es im o.g. Dreieck am besten, wozu entscheidend beitrug – das möchte ich keinesfalls unerwähnt lassen –, dass man eine wunderbare vegane Imbissmeile errichtet hatte, die neben Burgern den mal locker besten veganen Döner, den ich bisher genießen durfte sowie eine geile Currywurst zu fairen Preisen zu bieten hatte und von mir mehrfach frequentiert wurde. Top-Arbeit, die da geleistet wurde, dafür ebenso vielen Dank wie an die Verantwortlichen der drei genannten Bühnen und das jeweilige Drumherum sowie natürlich die Bands! Die sonntägliche Eröffnung der Jolly-Roger-Bühne mittels eines Shanty-Chors sah bzw. hörte ich mir noch an, verneinte die Frage eines angerauschten jungen Punks, ob da gerade „Sieg Heil!“ gerufen worden wäre und fand’s ein bisschen schade, für ATILLA THE STOCKBROKER keine Zeit mehr gehabt zu haben…
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