Günnis Reviews

Monat: April 2025

Ully Arndt / Gunter Baars – Larry: Total verrockt!

Die anthropomorphe Ratte Larry kannte ich noch aus der „Bravo“, wo sie eine Weile als eine Art Maskottchen fungierte und, wenn ich mich recht entsinne, ihre Comic-Geschichten Anfang der 1990er abgedruckt wurden. Diese stammen von Zeichner Ully Arndt und Texter Gunter Baars, die vor allem für ihre „Ottifanten“ bekannt sind. Die „Larry“-Abenteuer kompilierte der Kieler Semmel-Verlach im Jahre 1992 zu diesem ausgesprochen hübschen, vollfarbigen, rund 50-seitigen Hardcover-Album, das, wie die eingekreiste „1“ auf dem Titel verrät, eigentlich den Auftakt zu einer Reihe bilden sollte, zu der es aus mir unbekannten Gründen aber nie kam. Bei diesem Band handelt es sich um einen glücklichen Flohmarktfund.

Larry ist ein arbeitsscheuer Frauenheld, der auf laute Rockmusik steht und zudem die einzige anthropomorphe Figur in seiner Welt, worüber sich aber keiner der Menschen wundert. Die fünf wichtigsten Figuren – neben Larry sind dies dessen netter, aber auch langweiliger Mitbewohner Eberhard, der ein Medizinstudium absolviert, Larrys Freundin Babsie, Hausmeister Klotzig und Eberhards Mutter Frau Bockmüller – werden einführend vorgestellt. Bei den Comics handelt es sich dann um vergnügliche, einseitige, jeweils in sich abgeschlossene Funnys. Das Motiv des Babys, auf das Larry aufpassen muss, erstreckt sich jedoch über mehrere Seiten; Running Gags sind das leidige Treppenputzen, dem Larry eigentlich nachkommen müsste, es aber so gut wie nie tut, sowie der Umstand, dass er stets unabsichtlich wie ein Sittenstrolch erscheint, wenn Eberhards Mutter zu Besuch kommt.

Arndt zeichnete sich einen Gastauftritt und lässt Larry einmal die vierte Wand durchbrechen, aber alles spielt sich geordnet innerhalb einer sehr übersichtlichen Panelstruktur ab. „Larry“, als Jugendcomic konzipiert, karikiert typische Generationskonflikte und damit einhergehende Klischees auf unterhaltsame, sympathische Weise. Ein paar Rechtschreibfehler haben sich eingeschlichen und leider verzichtete der Verlag erneut auf Seitenzahlen, aber das sind nur Randnotizen.

Larry Konterfeit zierte ab der zweiten Hälfte der 1980er auch eine Tonträgerreihe, die sich jedoch auf aktuelle Pop- und Dancefloor-Charthits fokussierte und damit wenig zum in den Comics vermittelten Bild passt.

Guido Sieber – Des Engels letzter Fall

Nachdem die ersten beiden Alben des Berliner Illustrators, Zeichners und Malers Guido Sieber innerhalb der Thurner „Edition Kunst der Comics“ erschienen waren, wechselte er für sein drittes Werk „Des Engels letzter Fall“ zum Kieler Semmel-Verlach, der es im Jahre 1992 veröffentlichte. Mit seinen 144 Seiten fällt dieser im Innenteil komplett in Schwarzweiß gehaltene Hardcover-Band wesentlich wuchtiger aus als Siebers vorausgegangene Arbeiten.

Aufgeteilt auf 14 Kapitel, erzählt Sieber eine gewohnt misanthropische, wilde und tabulose Comic-Mischung aus asozialem Hardboiled-Detective-Krimi, Höllenvision und Blasphemie in seinem ihm eigenen Zeichenstil inklusive verwarzter, grotesker, unförmiger Körper, reichlich Geschlechtsorganen, ein bisschen Ekelsex und einigem Sadismus. Gut zu wissen: In der Hölle gibt’s einen Punkschuppen – nur Sid Vicious sollte man besser nicht anrotzen. Der Humor ist tiefschwarz, der Inhalt abstoßend und anziehend zugleich.

Leider finden sich keinerlei Seitenzahlen und haben sich einige fiese Rechtschreibfehler eingeschlichen. Wer Sieber mag, wird natürlich dennoch seine fragwürdige Freude an diesem Teil haben – ich zumindest hatte ihn und freue mich schon auf seinen vierten Comic.

Comic Spiegel Extra: Erotische Geschichten 2

In den Jahren 1985 und 1986 erschienen im Reiner-Feest-Verlag zwei „Comic Spiegel“-Sonderausgaben als Softcover-Alben. Die erste Ausgabe ist mir unbekannt; die 40 Seiten umfassende zweite hingegen nimmt man schon mal mit, wenn sie einem der Comichändler quasi hinterherwirft und einen das schöne cyberpunkige Cover anspricht.

Das Editorial informiert darüber, dass es sich um einen Bonus zur ersten Ausgabe handelt, was auch erklärt, weshalb keine weiteren dieser Sonderausgaben erschienen. Die erste Geschichte lautet „Die Thailänderin“ und stammt von Dethorey und Giroud, die es bei semirealistischen Schwarzweißzeichnungen belassen, aber eine sehr zweckdienliche, dynamische Panelstruktur verwenden. Inhaltlich geht es um den in einem asozialen Milieu angesiedelten Versuch einer Gruppenvergewaltigung einer Thailänderin, der grandios scheitert – gefällt! Schwarzweiß geht’s auch mit Krugs „Autobahn-Blues“ weiter, einer abgefahrenen, nicht auf Anhieb verständlichen Geschichte um Homosex auf einem Raststättenklo und eine Vergewaltigung, die nicht abgebildet wird. Erotische Sexzeichnungen, meist heterosexueller Natur, illustrieren die großflächigen Panels in ihrem dunklen, realistischen Stil zusätzlich. Farbe kommt in Vatines und Cléments „Offenbarungen“ in Spiel, einem noch abgefahreneren Mystery-Erotikdrama um einen Aktfotografen, der sich plötzlich selbst auf den Fotos der Modelle wiederfindet – und um tödliche Eifersucht. Den realistischen Zeichenstil innerhalb der aufgebrochenen Panelstruktur dominieren kalte Blau- und satte Rottöne.

In beinahe farbfotorealistischem Stil zeichnet Andreas Marschall „Um Mitternacht“, eine fast wortlose Vampirparty und Pointe, die mit der Zeitumstellung von Sommer- auf Winterzeit zusammenhängt. So wirken Teile der vier Seiten wie eine Fotocollage. In äußerst detailverliebten, dem Realismus verhafteten Schwarzweißzeichnungen innerhalb die Größen betreffend flexibel, letztlich aber doch streng angeordneten Panels erzählt Males „Die kleine Prinzessin“, eine im New Orleans der 1920er-Jahre spielende Geschichte: Ein Mann verliebt sich in eine Prostituierte, nimmt sie mit nach New York, wird aber Opfer der Eifersucht eines anderen. Die eigentliche Pointe ist der Schlussmonolog ihres… Hurensohns. Fonts schwarzweißer Schraffurstil in „Die Erotic-Sisters“ wirkt detailliert und verschmutzt zugleich, was zur Wildwest-Story passt: Ein Kerl (wohl ein Gangster oder Sträfling, dies wird leider nicht klar) riskiert alles, um einem Auftritt der „Erotic Sisters“ in einem Stadtsaloon beiwohnen zu können. Dass er all die Mühen für letzteres, also etwas vergleichsweise Unbedeutendes, auf sich nimmt, ist die aberwitzige Pointe.

Mouniers „Der Apfel“ bildet den Abschluss dieses Albums, eine eigenartige, etwas seltsam konstruierte Fortsetzung der Paradiesvertreibungsgeschichte aus der christlichen Mythologie in Fonts Stil nicht unähnlichen Zeichnungen. Alles in allem also ein bunter Mix mit eher wenig echter Erotik, aber einem interessanten Überblick über damalige, unterschiedliche Herangehensweisen ans Thema, in dem sowohl Gewalt als auch Wehrhaftigkeit eine Rolle spielen. Mit dem Cover hat aber leider keine der Geschichten etwas zu tun.

11.04.2025, Lobusch, Hamburg: SOCIAL DECLINE + GIF

Fox von ABRUPT feierte ihren Geburtstag mit einem Wochenende in Hamburg und hatte meine Liebste gefragt, was so los sei. U.a. schlugen wir diesen Gig vor, der ihren Zuschlag bekam. Also hin da. GIF kannte ich schon von der THRASHING-PUMPGUNS-Record-Release-Party im Sommer letzten Jahres, die Dänen SOCIAL DECLINE hingegen noch nicht. ‘nen alten Kumpel, der gerade aus der Schweiz auf HH-Besuch war, lockte ich auch noch dorthin. Obwohl zahlreiche Parallelveranstaltungen aus dem Punkbereich stattfanden, fand sich reichlich Volk ein, das es etwas deftiger mochte.

GIF machten exakt da weiter, wo sie aufgehört hatten, und ballerten konsequent hookbefreiten, dafür mit Breaks und ein paar Tempo- bzw. Rhythmuswechseln versetzten Hardcore ins Gebälk. Der Shouter legte, unterstützt von Gitarrist und Drummer, seine meist deutsch, mal englischsprachigen Texte über negative Facetten menschlicher Existenz darüber und befand sich dauerhaft vor statt auf der Bühne, wo er mit dem Publikum tanzte (weshalb er auf keinem Foto ist). Und das hatte Bock, haute kräftig, aber fair auf die Kacke und ließ sich die Lauscher durchpusten. Die Band spielte präzise statt chaotisch und ließ sich zu zwei Zugaben überreden. Der Shouter war noch gar nicht ganz fertig, da baute seine Band schon ab. Wat ‘ne Hektik!

Die im Jahre 2019 gegründeten SOCIAL DECLINE aus Kopenhagen waren musikalisch dann doch ganz anders geartet und lieferten vor allem Riffs, Riffs, Riffs aus zwei Klampfen. Der Thrash Metal des Quartetts wies ein paar Hardcore-Einflüsse auf, erinnerte mich aber vor allem an SACRED REICH und ähnlich klingende Bands. Kontrollierter, wuchtiger Abriss zum Headbangen also, weniger überdrehter Stoff à la MUNICIPAL WASTE und Konsorten. Der Sound hatte Druck, für meinen Geschmack hätte es aber gern etwas weniger Mid-, dafür mehr Uptempo sein dürfen – das flottere Zeug lief mir verdammt gut rein, aber generell machte der Auftritt Laune. Ein neuer, bisher unveröffentlichter Song war auch dabei und vor der Zugabe gab’s ‘ne etwas längere Ansage, in der man sich gegen dänische wie deutsche Faschoparteien und Menschenfeindlichkeit allgemein auskotzte. Die Band hinterließ einen sympathischen Eindruck und mit Sicherheit den einen oder anderen Nackenmuskelkater.

Schöner Konzertabend zum schmalen Eintrittskurs im gewohnt herrlich rustikalen DIY-Umfeld!

05.04.2025, Volksbad, Flensburg: OI!STURM ASOZIAL+ HEROES 2 NONE + BOLANOW BRAWL

Wie hier bereits vermerkt, bekamen wir die Möglichkeit, aufgrund des kurzfristigen Ausfalls der SPARTANICS einen Tag nach unserem ersten Auftritt in neuer BOLANOW-BRAWL-Besetzung einen zweiten Gig an der Grenze zu Dänemark dranzuhängen, also die von uns besungene „Two Day Session“ draus zu machen. Kurzentschlossen sagten wir zu und machten uns am frühen Samstagnachmittag auf den Weg nach Flensburg – ein Teil im Auto, ein Teil per Bahn (die sogar pünktlich war). Das Volksbad ist eine richtig geile Location, in der verschiedenste Veranstaltungen stattfinden und in die sich die Skinhead Crew Flensburg mehrmals im Jahr für ihre „Kleinstadtwahnsinn“-Konzertreihe einmietet. Witzigerweise hatte unser Gitarrist Christian Teile der Crew erst eine Woche vorher in Bad Oldesloe auf einem Konzert getroffen, wo man über ein mögliches Konzert ins Gespräch kam – das dann unverhofft rasch stattfand. PR-mäßig waren die auch auf zack, die Online-Flyer wurden rasch aktualisiert.

Wie tags zuvor im Bambi brauchten wir auch hier nur das Nötigste mitzubringen, was die Anreise sehr entspannte, und auch hier erwartete uns eine richtig fette Anlage mit sogar vier Monitorboxen am vorderen Bühnenrand. Backstage hatte man mehr als üppig für uns aufgefahren – ein riesiges Buffet, das nie und nimmer komplett verzehrt wurde, und Bier in zig Sorten, darunter sogar das ostdeutsche Kult-Arbeiterbier Sternburg Export, das die Thüringer OI!STURM ASOZIAL sich gewünscht und die Veranstalter tatsächlich kistenweise herangekarrt hatten, nachdem sie es im Bad Oldesloer Netto-Markt ausfindig machen hatten können. Der Soundcheck fand unter professionellen, entspannten Bedingungen statt und so bekamen auch wir einen amtlichen Sound zusammengemischt. Und auch hier waren Monitorboxen im Einsatz, die einfach ihren Dienst taten, ohne herumzuzicken oder nervige Rückkopplungen zu erzeugen. Ein Traum!

Anschließend gab’s lecker Mampf, wobei ich – und mein Umfeld – vom Aioli noch gefühlt drei Tage etwas hatten. Respekt! Inklusive ‘ner zweiten Koffeindosis und Konterbier half das, meinen leichten Kater vom Vortag zu bekämpfen. Mit dem Einlass füllte sich die Bude rasch und wir fingen pünktlich um 21:00 Uhr an. Unser Set war identisch zum Vorabend, der uns hier und da noch etwas in den Knochen steckte. Meine Sorge, dass meine mit aufeinanderfolgenden Gigs keinerlei Routine aufweisende Stimme versagen könnte, erwies sich aber als unbegründet. Dummerweise hatte sich Christian seine Klampfe am Vortag geschrottet, weshalb er auf ein völlig ungestimmtes Ersatzexemplar zurückgriff, dessen Saiten er nach jedem zweiten Song in Panik vor schiefen Tönen komplett durchstimmte. Das nahm etwas den Fluss aus unserer Darbietung, die Zwangspausen überbrückten wir mit dem üblichen debilen, alkoholgeschwängerten Gesabbel. Das Publikum meinte es nichtsdestotrotz gut mit uns. Vor der Bühne waren stets ein paar Leute am Tanzen und die Flucht ergriff niemand. Zwei Viertel der COCK-UPS, mit denen wir am Vorabend gespielt hatten, waren sogar eigens nach Flensburg nachgereist, um uns noch mal zu sehen. Völlig bekloppt, aber geil – herzliche Grüße! Der OI!STURM-Drummer hatte uns freundlicherweise sein Getränkehalterstativ zur Verfügung gestellt, sodass ich diesmal nicht ständig versehentlich mein Bier umtrat oder mit dem Mikrokabel zu Fall brachte. Feuchte Kehle, aber trockene Bühne! So’n Ding will ich jetzt immer. Den ganzen Abend wurden übrigens professionelle Fotos geschossen, die aber anscheinend erst noch entwickelt werden. Gibt aber ein, zwei Livevideos:

Die HEROES 2 NONE stammen aus dem dänischen Aarhus und setzen sich offenbar aus (ehemaligen) Mitgliedern dänischer Oi!-/Streetpunk-Bands wie LAST SEEN LAUGHING, THE GUV’NORS (mit denen wir mal in Kiel gespielt hatten) und THE OUTFIT zusammen, sind Teils etwas älteren Semesters und zocken ‘ne unterhaltsame, gut in Ohren und Beine gehenden Mischung aus klassischem Oi!-Punk, Punkrock, aber auch Pubrock mit durchgehend englischsprachigen Texten. Die Band hat ‘ne verdammt sympathische Ausstrahlung und kam bestens an. Anfänglich sprang der Bassist ins Publikum, um kurz mitzupogen, woraufhin sich die Tanzfläche immer stärker füllte und die Band gebührend abgefeiert wurde, während ich zwischen Merchstand, Schmauchen vor der Tür, Bier holen und -wegbringen mäanderte, also nicht den ganzen Gig auf die Band fixiert verfolgte. Auch von diesem existieren Videos:

Mehr als am Vortag sah ich aber vom Headliner Oi!STURM ASOZIAL, allein schon aufgrund der wesentlich breiteren Fläche vor der größeren Bühne.  Das Quartett packte die gröbere Kelle aus und zockte sich durch seine Trinker- und Szenehymnen und musikgewordenen Mittelfinger an Gesellschaft, Spießer und Faschos. Die Band hat die Kraft der zwei Gitarren, sechs Basssaiten, sechs Sternikästen und acht Eier – und sorgte für eine vor der Bühne im Vergleich zu Hamburg nicht ganz so körperliche, harte, sich dafür über mehr Reihen erstreckende Ekstase. Ich erinnerte mich daran, am nächsten Tag gar nicht so viel vorzuhaben, und gab mir nun auch wider jede Vernunft die Kante, indem ich ihnen das Export wegsoff und mich irgendwann vor der Bühne den einen oder anderen Refrain mitskandierend wiederfand. Songs wie „Spinnennetz“, „Erzähl mir was“ oder auch das besonders prollige „Drecksau“ setzten sich als hartnäckige Ohrwürmer fest, gecovert wurden zeitlose Hits wie „74.000“ der GEWOHNHEITSTRINKER und „Filmriss“ von KNOCHENFABRIK, und immer mal wieder lockerte die Posaune den aggressiven, rauen Oi!-Punk-Sound mit seinem heiseren Gesang und den kräftigen Chören auf. In den vorderen Reihen spritze man euphorisiert mit Bier, die Stimmung war auf ihrem Höhepunkt und total mitreißend. Gegen Ende befanden sich noch zwei Leute mehr auf der Bühne, weil einer von ihnen Geburtstag hatte und mitsingen sollte oder so… Kriege ich nicht mehr 100%ig zusammen.

Irgendwann verschwimmen dann meine Erinnerungen und ohne Christians wesentlich bessere Hälfte Sandy, die einen Teil von uns völlig selbstlos nach Hause und mich sogar bis vor die Haustür brachte, wäre ich mit meiner Oi!STURM-LP unterm Arm wohl nicht mehr nach Hause gekommen. El Christian und Don Raoul hingegen schlugen sich noch die Nacht in Flensburg um die Ohren. Ach ja, und Christian nickte alles ab, sogar den Arsch vom OI!STURM-Drummer im Takt zur Reggaemusik (kleiner Insider) 😉 Sonntag lagen zwei feucht-fröhliche Konzertabende hinter uns, die uns angefixt haben. An beiden hat man uns überaus freundlich empfangen und aufgenommen, es hat uns an nichts gemangelt! Im Bericht vom Vortag schrieb ich ja bereits, dass mich OI!STURM ASOZIAL an den Sound des Oi!-Revivals in den ‘90ern erinnern. In Flensburg kamen stilecht die zwischenzeitlich ja fast ausgestorben gewähnten bunten aufgestellten Iros und Domestosjacken hinzu – und, und das ist wahrscheinlich das Schönste: gar nicht so wenig Jungvolk. Von der so oft beschworenen Überalterung der Szene war hier nicht viel zu sehen.

Danke an die Skinhead Crew Flensburg für die leidenschaftliche, liebevolle Organisation, den Volkshaus e.V., Sandy und Sheila, Oi!STURM ASOZIAL und HEROES 2 NONE sowie alle Konzertbesucherinnen und -besuchern – das hat geflenst!

04.04.2025, Bambi galore, Hamburg: OI!STURM ASOZIAL + BOLANOW BRAWL + COCK-UPS

Der gute Rolf vonne THRASHING PUMPGUNS hatte mich gefragt, ob ich jemanden wüsste, der für die Thüringer Oi!-Punk-Band OI!STURM ASOZIAL im Billstedter Bambi galore Support machen könnte – und in von mir ungewohnter Geistesgegenwart antwortete ich: „Wir!“ Womit ich BOLANOW BRAWL meinte, denn mittlerweile waren wir, so unsere Selbsteinschätzung, in der neuen Besetzung mit Urko am Bass und Jogi an der Leadgitarre endlich wieder fit für die Bühne. Als dritte Combo brachte ich die COCK-UPS ins Spiel, womit das Line-Up stand. Das Bambi weist die perfekte Kombination aus Underground-Club-Charme und Professionalität auf und sah mich schon häufig als zahlenden Gast. Nun also selbst mal auf der Bühne.

Als wir vor Ort eintrafen, gefiel uns der Gedanke, OI!STURM ASOZIAL seien mit dem auf dem Parkplatz stehenden protzigen Nightliner angereist, doch die waren noch gar nicht da und das Gefährt gehörte dann wohl doch eher zur parallel im großen Saal stattfinden und fast ausverkauften Death-Metal-Sause mit BENEDICTION, MASTER und JUNGLE ROT. Aufgrund der vorhandenen Backline mussten wir nur „kleines Besteck“ mitbringen, was meist von Vorteil ist. Trotz relativ kleiner Bühne war Platz für drei Monitorboxen am vorderen Bühnenrand, die ungewöhnlicherweise keinerlei Anstalten machten, rückzukoppeln oder sonstwie rumzuzicken, sodass wir uns einen vielleicht etwas übertrieben lauten Monitorsound einstellen ließen. Mehr ist nun mal mehr! Anschließend ging’s im ebenfalls zum Gebäude gehörenden Restaurant lecker essen, aufgrund der angenehmen Frühlingstemperaturen konnten wir in der Außengastronomie platznehmen. Wie so oft, wenn wir irgendwo spielen, steuerten wir auch diesmal eine Einheimischenkneipe vorm Gig an, um ein Gefühl für, äh, Land und Leute zu bekommen. Unsere Wahl fiel aufs „Zum Prösterchen“. Auf dem Hinweg ließ Urko wissen, Bock auf ‘nen Ouzo zu haben. Und was lief, als wir die Kneipentür öffneten und eintraten? „Ich trink Ouzo, was trinkst du so“. Ein Zeichen! Doch damit nicht genug. Bekannte von mir riefen mir aus der hinteren Ecke „Hey Günni!“ entgegen und entpuppten sich als regelmäßige Besucher dieses Etablissements, das sowohl mit HSV- als auch FCSP-Fahnen geschmückt ist und noch Teile der Weihnachtsdeko aufgebaut hatte. Ein paar trinkfreudige Freunde hatten sich uns angeschlossen und glühten mit uns vor.

Ich drang aber recht bald auf den Rückweg, da ich die COCK-UPS nicht verpassen wollte. Als wir losgegangen waren, war es auf dem Gelände aufgrund der parallelen Veranstaltungen bereits sehr voll, wobei sich langhaarige Metaller mit dem Punk- und traditionell eher kurzhaarigen Oi!-Publikum vermischten. Im Bambi hatten sich mittlerweile auch reichlich Interessierte zusammengefunden, die sich von den COCK-UPS aufwärmen ließen. Ein einzelner Typ hatte sofort Bock zu tanzen und versuchte mitunter derart ungestüm, andere zum Rempelpogo zu animieren, dass es mich ein bisschen wundert, dass er sich damit keine fing. Dafür sah seine Vorwärtsrolle sehr elegant aus und dauerte es auch nicht allzu lange, bis tatsächlich Bewegung in die Meute kam. Die COCK-UPS mit ihrem UK-’82-Sound hauten gut einen raus und wurden umso aufstachelnder, je entfesselter der Gitarrist den treibenden Groove und Punch der tighten Rhythmusfraktion um melodische Licks und Leads ergänzte. Sänger Sven shoutete und knurrte sich derweil durch die englischsprachigen Texte, übernahm die Kommunikation mit dem Publikum und hinterließ uns einen wunderbar aufgewärmten und -gelockerten, gut gefüllten Laden.

So herrschte dann auch von Beginn an beste Stimmung; es wurde getanzt, gejohlt und applaudiert, wie man es sich nach derart langer Bühnenabstinenz nur wünschen kann. Das übertrug sich natürlich zu uns auf die Bühne. Wir spielten ein zwölf Songs umfassendes Set von „Alcoholic Heart“ über „Where Is My Hope?“ bis „Total Escalation“, Jogi riss ‘ne Saite, hatte aber schon eine Ersatzklampfe bereitgestellt, auf der Bühne bildeten sich Lachen aus am Bühnenrand abgestellten, verschütteten Getränken, vor der Bühne gab’s Glasbruch (der dankenswerterweise sofort beseitigt wurde) und Christian quatschte mir in meine Ansagen rein und übte sich in schlechten Witzen, was offenbar als Entertainment aufgefasst wurde… Unser Bühnensound klang zwar irgendwie ganz anders als noch beim Soundcheck und zumindest unsere Frontmonitore bliesen uns regelrecht weg; sich derart gut selbst zu hören, war aber eine Wohltat. Urko und Jogi spielten das Material, als hätten sie nie etwas anderes gemacht, und waren im Vorfeld weitaus weniger aufgeregt als ich. Einstand geglückt, würde ich in aller Bescheidenheit behaupten wollen. Geil!

Vor der Tür herrschte inzwischen ein heilloses Gedrängel, so voll wie an diesem Abend hatte ich das Gelände noch nie erlebt. Anscheinend war das Death-Metal-Konzert bereits zu Ende, und wer die 40,- Öcken dafür abgedrückt hatte, durfte auch auf unsere 20-Euro-Veranstaltung – wodurch’s auch im Bambi noch voller und durchmischter wurde. Nun bliesen OI!STURM ASOZIAL mit Pauken und Posaunen zur Attacke und ihren auf bisher schon drei Alben erprobten Oi!-Punk ins Publikum. Dieses wirkte regelrecht ausgehungert nach diesem Sound, der mich wohlig ans deutsche Oi!-Revival erinnerte, das von den 1990ern bis weit in die 2000er hinein gefeiert wurde, dann aber irgendwann nachließ. Bands lösten sich auf oder änderten mal mehr, mal weniger radikal ihren Sound, die sog. Grauzone aus Bands, die den antifaschistischen Grundkonsens infragestellten oder, vermeintlich unpolitisch, die Szene wieder nach Rechtsaußen öffneten, bildete sich und wurde größer, und mit den grandiosen zweieinhalb EIGHT-BALLS-Alben war für mich in diesem Subgenre dann irgendwann eigentlich auch alles gesagt. Auf die weitere Verprollung der Szene hatte ich keinen Bock mehr und erweiterte meinen musikalischen Horizont, stellte aber irgendwann fest, dass meine Grenze bei Technical Death Metal und sowat überschritten ist, blieb also dem Punk letztlich treu. Jetzt bin ich kräftig abgeschweift – was hat das mit OI!STURM ASOZIAL zu tun? Nun, die klingen, als hätten sie sich nach dem Hören von SMEGMA- und PÖBEL-&-GESOCKS-Platten gegründet, brüllen einem inbrünstig und mit Arbeiterstolz ihre gleichermaßen von Saufen und Party, Selbstverständnis als Subkulturteil und Außenseiter, Gesellschaftskritik und nicht zuletzt Szeneschimpfe geprägten Texte entgegen, dass man sich in vergangene Zeiten zurückversetzt wähnt. Dabei erwecken sie nie den Anschein, hohle Bratzbirnen zu sein, sind, wie sich bei genauerem Hinhören offenbart, auch geistig im Hier und Jetzt unterwegs und wirken auf ihre ungestüm lospolternde Art erfrischend, sympathisch und prollig zugleich. Vor der Bühne ging’s dann auch richtig rund, ruckzuck wurde ‘ne oberkörperfreie Party Gesichtstätowierter daraus, wie sie in manchen spießigeren Kreisen ja seit einiger Zeit irgendwie in Verruf gekommen sind (die Partys, nicht die Gesichtstätowierten). Tatsächlich war das dann auch nicht unbedingt jedermanns Sache und ging’s auch schon mal etwas rüder zu. Ich postierte mich etwas abseits, schaute dem immer chaotischer werdenden Treiben zu und wurde glatt ein bisschen nostalgisch. Mindestens einer musste leider wegen einer scherbenbedingten Schnittwunde verarztet werden, mehr ist mir in dieser Hinsicht aber nicht bekannt. Noch ein bisschen was zum Musikalischen: Der Bassist spielt ‘nen sechssaitigen Angeberbass mit Kapodaster und ‘nem Picking-Ring (oder wie man so was nennt) am Finger – das sieht man auch nicht alle Tage. Die Band zockt mit zwei Gitarren, wobei der Sänger von seiner ab und zu ablässt, um zur Posaune zu greifen. Der Drummer hilft beim Gesang kräftig aus und röhrt von hinten seine kehligen Backgrounds. Der andere Gitarrist trägt u.a. ein KNOCHENFABRIK-Tattoo, von denen dann auch „Filmriss“ gecovert wurde. Ob bereits an diesem Abend (es sollte nämlich noch ein zweiter folgen, dazu später mehr) das geniale „74.000“ von GEWOHNHEITSTRINKER gespielt wurde, weiß ich nicht, da ich nicht permanent zugegen war, es hätte aber zu seinem zweiten Bandtattoo gepasst. So oder so: Hammer-Gig, der das Bambi zum Kochen brachte und bewies, dass nach dieser Musik auch in Hamburg eine hohe Nachfrage besteht! Gut, wenn sie von Bands wie den Thüringern bedient wird.

Danke ans Bambi und das großartige Team dort – als Gast eh einer meiner Lieblingsläden, jetzt auch als Affe auf der Bühne! Apropos Lieblingsläden: Dass zeitgleich im Monkeys ebenfalls ein Oi!-Punk-Abend stattfand und sich beide Clubs damit vermutlich gegenseitig einen Teil ihres Publikums weggenommen haben, ist etwas unglücklich. Mehr hab‘ ich aber auch nicht zu kritisieren.

Die Rückfahrt meiner Liebsten und mir geriet wegen der U-Bahn-Streckensperrung, aber auch meinem Durst und der einen oder anderen Raucherpause zur halben Odyssee, aber immerhin hatten wir Rolf und Jaybee (COCK-UPS) dabei. Zwei Stunden früher inne Heia wäre sicherlich nicht verkehrt gewesen, da es am frühen Nachmittag schon weiter nach Flensburg ging, wo wir für die leider kurzfristig ausgefallenen SPARTANICS eingesprungen sind. Dazu mehr in Kürze hier.

P.S.: Danke an meine Liebste für die Schnappschüsse unseres Auftritts!

Wolfgang Sperzel – Sperz beiseite!

Das dritte Album des deutschen Funny-Comiczeichners Wolfgang Sperzel umfasst erneut rund 50 Seiten im Softcover und erschien im Jahre 1993 im Semmel-Verlach (Neuauflagen bei dessen Nachfolger Achterbahn). Es handelt sich um kein Comicalbum im klassischen Sinne, sondern um eine Zusammenstellung jener Arbeiten, die Sperzel seinerzeit für Werbekunden gezeichnet hatte.

„Sperz beiseite!“ enthält sowohl farbige als schwarzweiße Arbeiten, leider erneut keine Seitenzahlen, aber einen selbstironischen Vorwort-Comic, in dem Sperzel einen Vorgesetzten des Verlags zu Wort kommen lässt und in dem er auch sein Maskottchen, die Rüsselzwergsau, unterbringt. Komplett ohne Text kommt eine sechsseitige irre Kettenreaktion – seine Spe(r)zialität – auf dem Bau aus, die als Pointe eine Endlosschleife suggeriert. Drollig sind die Kalendermotive für die Hamburg-Münchener. Für Modelleisenbahn-Hersteller Märklin fertigte er diverse tolle Arbeiten an und druckte hier u.a. seine Lokomotivskizzen ab. Wer der Auftraggeber war, steht jeweils dabei, so auch bei seinen Mensch- und Tierkarikaturen, die häufig als Wimmelbilder angelegt sind. Auch ein Schallplattencover hat er gestaltet. Am unteren Seitenrand beginnt mittendrin eine witzige, den Alltag in einer Druckerei karikierende Geschichte, die sich bis zum Schluss durchzieht. Das Album schließt mit einem Kurzporträt Sperzels.

Damals, also 1993, hätte ich vermutlich keine 19,80 DM hierfür ausgeben wollen; heute erfreue ich mich umso mehr an diesen liebevoll konzipierten und gezeichneten Beispielen für gelungene Werbung, wie es sie heutzutage leider kaum noch gibt. Als Kind hatte mich so etwas immer sehr angesprochen und das ist auch heute noch so. Danke, dass du die oft so dröge Werbewelt ein bisschen bunter und lustiger gemacht hattest, Wolfgang!

Dennis Diel / Marco Matthes – Gonzo. Die offizielle und autorisierte Biografie von Matthias Röhr

Die knapp 400 Seiten umfassende Biografie des Gitarristen Matthias „Gonzo“ Röhr erschien als Paperback im Jahre 2019 im Hannibal-Verlag. Gonzo schrieb nicht selbst, sondern stand Dennis Diel und Marco Matthes Rede und Antwort, die aufmerksam zuhörten, mitschrieben und das Ergebnis anschließend von Gonzo autorisieren ließen. Es ist die erste Buchveröffentlichung der beiden.

Auch auf die Gefahr hin, den einen oder anderen zu überraschen: Ich halte große Stücke auf Gonzos Gitarrenspiel; er war derjenige, der in den rauen, chaotischen und nicht immer wohlüberlegten Anfangszeiten (um es vorsichtig auszudrücken…) der bis heute nicht unumstrittenen Band Böhse Onkelz den Unterschied machte und sich feine Melodien aus dem Ärmel schüttelte, wo der Rest der hiesigen Konkurrenz noch eher schrubbte und schrammelte. Seither hat er sich immer weiterentwickelt, über Metal-Riffs und Soli hin zu einem eigenständigen Hardrock-Stil, der zahlreiche internationale Einflüsse aufgreift und verarbeitet.

Im von Gonzo geschriebenen Vorwort des in achtzehn Kapitel aufgeteilten Buchs fragt er allen Ernstes, ob es tatsächlich genügend zu erzählen gebe. Das ist entweder ein Understatement-Versuch oder aber ein Indiz für meine Theorie, dass den Onkelz bis auf Stephan ihre Bedeutung für so viele Fans gar nicht vollumfänglich bewusst ist. Im anschließenden Prolog reißt Diel, ausgehend von der Beschreibung eines Moments während eines Konzert auf Schalke, kurz seine eigene Entdeckung der Band an und skizziert, nicht frei von Pathos, eben jene Bedeutung derselben, verteilt Medien-, System- und Gesellschaftsschelte und stimmt auf den Inhalt ein.

Jedes Kapitel beginnt mit einer ganzseitigen Schwarzweiß-Illustration, wobei Gonzo (oder einer der Autoren?) gleich im ersten dem Gerücht anheimfällt, beim Bandnamen Kiss handle es sich um eine Abkürzung von „Knight in Satan’s Service“. Laut Kiss-Bandmitgliedern sei dies völliger Unfug, der im US-Bible-Belt kolportiert worden sei und sich anschließend weiterverbreitet habe. Aber das nur am Rande. Man erfährt von Gonzos ersten musikalischen Schritten mit den Bands Headliner und Sinner – und wie er wirklich zu seinem Spitznamen kam. Headliner-Bandkollege Norbert kommt ebenso zu Wort wie Gonzos jüngerer Bruder Martin. Musikalisch war Gonzo seinerzeit noch sehr ‘60er-Jahre-sozialisiert, wurde dann aber vom Virus der nach Deutschland schwappenden Punk-Welle infiziert. Ein einschneidendes Erlebnis war der folgenschwere Umzug mit seiner Familie aus einer Mittelstandsgegen in die Frankfurter Bonames-Ghettos. Sein jüngerer Bruder Karsten wurde dort depressiv und drogenabhängig. Die Böhsen Onkelz lernte er als Gast bei deren ersten Gig im Bockenheimer Jugendzentrum kennen – und gründete daraufhin erst einmal seine eigene Band Antikörper.

Bald jedoch folgten der Einstieg bei den damals noch völlig dilettantischen Onkelz und nicht lange darauf die Metamorphose vom Punkrocker zum Skinhead, der nächsten Jugendsubkultur, die von England aus Deutschland erreichte. Unabhängig davon stets allgegenwärtig: die Gewalt. Gonzo behauptete sich auf hartem Pflaster. Während des Wehrdienstes wurde er Matrose bei der Marine. Interessantes Detail: Der damals für die Subkultur so wichtige Song „Stolz“ wurde von Gonzos englischer Freundin Michelle geschrieben und von Gonzo ins Deutsche übersetzt. Positive Einflüsse auf Gonzo hatten Trimmi, ein enger Vertrauter der Band, sowie seine spätere Ehefrau Verena, die ebenfalls zu Wort kommt. Die Onkelz landen beim Ein-Mann-Label „Metal Enterprises“ und kommen damit vom Regen in die Traufe. Ein schöner Diss gegen die Nazideppen-Band Kahlkopf darf dabei nicht fehlen. Seinen Horizont erweitert Gonzo auf einer fünfwöchigen USA-Reise mit Onkelz-Bandkopf Stephan und dessen Frau Pia im Frühjahr 1988.

Unschöne Kapitel sind Onkelz-Frontmann Kevins beginnende Drogenabhängigkeit und Trimmis Tod. Die Band wechselt erfolgreich zu Bellaphon und spielt für diese auch ihr erstes Livealbum „Live in Vienna“ ein. Köstlich sind dabei die Anekdoten aus Wien, davon hätte man gern mehr gelesen – generell hätte etwas mehr Humor dem Buch sicherlich nicht geschadet. Leider endet die Erzählung noch vorm Gig abrupt. Gonzo scheint dem Livealbum – meinem damaligen Einstieg ins Œuvre der Band – nicht sonderlich viel Bedeutung beizumessen. Zugegeben: Angesichts der Qualitätssteigerungen auf späteren Livezeugnissen kann man es ihm nicht verdenken. Meine Auffassung, dass die Band mehr als die Summe ihrer Teile ist, bestätigt er dafür indirekt. Mittlerweile schreiben wir Anfang der 1990er, weitere Stationen des Buchs sind – natürlich – die nächsten Alben, der Charterfolg, die Pressekonferenz mit Cohn-Bendit, die (Jahre zu spät kommenden) Vorwürfe aus Politik und Medien, die die Band zusammenschweißen, und leider auch die zunehmenden Probleme mit Kevin. Erfreulicher als diese: Die Virgin-Phase, die Hochzeit und der Nachwuchs. Und Platz 1 sowie Gold binnen 48 Stunden für das Album „Viva los tioz“.

Da findet sich wieder ein interessantes nerdiges Detail: Mit dem Mix der „Terpentin“-Single ist er unzufrieden. Nicht klar wird, ob dies das ganze Album betrifft – vermutlich ja, der Mix ist schließlich identisch, nur das Mastering evtl. nicht, oder? Die Band hat es jedenfalls endgültig geschafft und zieht kollektiv nach Dublin um, spielt Open Airs mit ihren Vorbildern Rose Tattoo und schreitet zu den Aufnahmen zum „bösen Märchen“. Nach Jahren voller Ablehnung kommt es doch noch zu einer Zusammenarbeit mit MTV, was sich als Fehler entpuppt. Kevin baut seinen ersten schweren, folgenreichen Autounfall, auf Ibiza nimmt man den Gegenpol zum „bösen Märchen“, das sommerliche „Dopamin“, auf, Kevin jedoch schwächelt auf der Tour 2002 zunehmend. Er begibt sich in Entzug und Therapie, aber der Gig im Vorprogramm der Rolling Stones war zu viel für ihn – er vermasselt ihn. Ibiza hingegen hat Gonzo so gut gefallen, dass er dorthin mit seiner Familie umzieht.

Mittlerweile ist der Wälzer verdammt interessant geworden, zumal man sich nun in einem Zeitraum befindet, der von Edmund Hartschs offizieller Band-Biographie „Danke für nichts“ aufgrund ihres Erscheinungsdatums nicht mehr abgedeckt wird. Teils sehr schwierige Themen wie der Entschluss, die Band aufzulösen, werden beackert, sowie das Abschiedsalbum „Adios“ und die zugehörige Tour; Details des Streits zwischen Gonzo und Stephan, zweier starrköpfiger Alphatiere, kommen ans Licht, und Gonzo zweifelt, ob es richtig war, mit der Auflösung eine solch endgültige Entscheidung getroffen zu haben. Mit dem zweitägigen Abschiedsfestival auf dem Lausitzring lässt man’s aber noch mal richtig krachen. Nach dem Split war sogar ein Bandprojekt zusammen mit Kevin und internationalen Musikern geplant, das Kevin aber letztlich absagte.

Weitere Veränderungen im Hause Röhr standen an: Grundstückskauf und Hausbau in Uruguay (!) und die Arbeit am Weltmusik(!)-Soloalbum. Schön, hier seine Begeisterung nachlesen zu können – über die Arbeit mit renommierten internationalen Musikern und die völlige musikalische Freiheit nach Abstreifen des Onkelz-Korsetts. Es folgt die erste Solotour durch Deutschland, bei der man wesentlich kleinere Brötchen backt, und auf seinem zweitem Soloalbum übernimmt er anstelle Charly Huhns gar den Gesang. Mit dem dritten Album leitet er mehr oder weniger überraschend die Rückkehr zum Deutschrock ein, auch die seit dem Onkelz-Split von der Musikindustrie hofierten Kopisten blieben ihm nicht verborgen…

Beispielsweise die Italiener Frei.Wild. Wären gern Deutsche, sind nicht mal Österreicher und nerven trotzdem mit idiotischen nationalistischen Texten über ihr verficktes privilegiertes Südtirol. Insbesondere deren Sänger wanzt sich in der Onkelz-losen Zeit wohl arg an Gonzo heran; dessen Aufdringlichkeit lässt sich zumindest gut zwischen den Zeilen herauslesen. Gonzo freundet sich mit ihm an und arbeitet tatsächlich mit ihm zusammen, was mich damals ziemlich angekotzt hat. Sicher, Gonzo kennt ihn persönlich, ich nicht, aber sein Umgang mit Philipp Burger und Frei.Wild wirkt auf mich sehr naiv und die Band wie ein Versuch, auszutesten, was man Deutschrock-Fans eigentlich so alles vorsetzen kann. All ihre Widersprüche muss man nicht verstehen und auch nicht gutheißen, dass ein Gonzo sich zu Burger herabließ. Zumindest bringt dieses Buch ein wenig Licht in jenes Kapitel und erläutert Hinter- und Beweggründe.

Auf seinem ersten deutschsprachigen Soloalbum war Gonzo noch mit seinem Gesang unzufrieden (ich ebenfalls, gelinde gesagt), das zweite schrieb er zusammen mit Burger. Bei der Buchlektüre ist mein Eindruck, dass so wie Frei.Wild das Methadon für manch Onkelz-Fan war, Burger Gonzos Songwriting-Substitut für Stephan Weidner war. Beruhigend bei alldem:

„Es gab zwar Überschneidungen zwischen Südtirol und Frankfurt, besonders der Umgang mit den Künstlern durch die (mediale) Öffentlichkeit war, aus der Ferne betrachtet, ähnlich. Dennoch, mindestens so deutlich wie die Parallelen schrien einen die Unterschiede zwischen beiden Bands förmlich an.
Dass die Onkelz jeglichen Patriotismus ab 1985 abgelegt hatten, war sicherlich der offensichtlichste. Aber auch, dass sich Matthias, Stephan, Kevin und Pe [die Onkelz – Anm. Günni] nicht als konservative Menschen sahen, die konservative Werte vertraten.
Es gab innerhalb der Onkelz zwar mitunter abweichende Meinungen zu bestimmten politischen Themen, und der eine mochte und konnte sich mehr mit seinen kulturellen und nationalen Wurzeln identifizieren als der andere, aber ihr generelles Weltbild war ein progressives und weltoffenes.“ (S. 348)

Gonzo ist mittlerweile zurück nach Deutschland gezogen, wo der sog. Deutschrock boomt, an dem in diesem Buch immer mal wieder Kritik laut wird. Zum Beispiel:

„Fragwürdige Rumpeltruppen, die das ,Deutsch‘ vor dem ,Rock‘ tatsächlich zu ernst nahmen, wurden über soziale Netzwerke immer größer. Dass deren musikalische und textliche Qualität nicht proportional zu ihrer Popularität mitwuchs, verstand sich von selbst.“ (S. 349)

Nicht nur deshalb scheint es logisch, dass die Band letztlich doch wieder zusammenkommt. Minutiös schildert Gonzo das Zustandekommen der Reunion, seinen Umgang mit Pes initiativer E-Mail und was er dabei fühlte, welche Überlegungen er anstrengte. Er lässt die Leserinnen und Leser an der Planung, bei der die Band das Publikumsinteresse zunächst vollends unterschätzt, ebenso teilhaben wie am Siegeszug mit den gigantischen Open-Air-Festivals, spricht hinsichtlich des Orchester-Klassik-Projekts mit anschließender Tour durch die Orchestersäle von einer weiteren Traumerfüllung und beschreibt die Entstehung des Reunion-Albums „Memento“ sowie die zugehörige Tour, gefolgt von den eigenen „Matapaloz“-Festivals und Stadionauftritten. Das Buch schließt mit der Band auf dem Zenit ihres Erfolgs.

Ich habe jetzt doch sehr ausführlich den Inhalt wiedergegeben (vielmehr grob umrissen, u.a. um später möglichst rasch ohne Griff ins Regal nachvollziehen zu können, was das Buch enthält und mir zumindest erwähnenswert erscheint), komme nun aber zum Fazit. Zunächst einmal das leidige Thema Rechtschreibung, Fehler und Lektorat, erfahrungsgemäß bei Büchern aus kleinen Verlagen oder auch schlicht bei jungen oder unerfahreneren Autoren manchmal so’ne Sache. Achtung also, jetzt folgt der Klugscheißmodus: Das Kleidungsstück heißt Parka, nicht Parker, Assis sind Assistenten, Asoziale hingegen kürzt man „Asis“ ab (zugegeben: sehr verbreiteter Fehler), die Naziterror-Band hieß Skrewdriver (mit k, nicht mit c) und das ‘83er-Demotape war das dritte (es sei denn, die dilettantischen Proberaummitschnitte aus dem ersten Tape werden nicht mehr mitgezählt). Klugscheißmodus aus. Mehr habe ich – bis auf die Kiss-Falschinfo (s.o.) – nicht gefunden. Nicht nur in dieser Hinsicht geht der Daumen hoch, denn die Schwarte ist auch stilistisch wirklich gut geschrieben; das Team um dieses Buch verstand sein Handwerk. Auch die sich über einige Seiten in der Buchmitte erstreckende Fotostrecke ist gelungen, bietet sie doch viel exklusives Bildmaterial.

Kern des Buchs ist natürlich sein Textinhalt. Aus diesem hätte ich gern mehr darüber erfahren, weshalb ausgerechnet die Frankfurter Punkszene im Vergleich zu anderen Städten eine Weile derart anfällig für die Indoktrination von Rechtsaußen war. Dies bleibt auch hier weitestgehend unbeantwortet. Gonzo bestätigt das Bild eines echtes Musiknerds und nennt beispielsweise Fleetwood Macs „Rumours“ als eines seiner Lieblingsalben (was den einen oder anderen überraschen dürfte). Erfreulich ist der offene Umgang mit falschen Entscheidungen und Fehlern. Die Autoren lässt er unabhängig davon gern auch mal über sich schreiben, was für ein toller und integrer Typ er sei, was er selbst wohl kaum so hätte schreiben können, ohne völlig eingebildet zu wirken. Sonderlich intim wird’s nicht, wozu auch passt, dass das Buch stets – außer bei Zitaten – in dritter Person geschrieben ist. Wichtig war ihm offenbar die Selbstdarstellung als Hasser aufgezwungener political correctness und mahnender Zeigefinger in der Musik, der rebellischen, sich mit Politik und ihren Folgen auseinandersetzenden Songtexten aber überhaupt nicht abgeneigt ist, dem bei Gruppenzwang und von außen an ihn herangetragenen Forderungen aber übel wird. So weit, so nachvollziehbar und  rock’n’roll. Letztlich ist’s mir aber zu viel der Unpolitisch-Litanei – denn, mal ehrlich: Wer, wenn nicht Links, tritt denn bitte wirklich nach oben statt nach unten?

Die Stirn runzeln dürfte die Leserschaft vielleicht auch angesichts der heftigen Absage an die Musikindustrie, derer Gonzo und seine Band selbst ein millionenschwerer Teil sind. Dazu muss man wissen, dass das letzte Label die Virgin war und die Band seither komplett auf eigenen Beinen steht, wenn man so will also die größte Indie-Band Deutschlands ist. Dass das Tuch zwischen Gonzo und Stephan derart zerrissen war, war mir vor der Lektüre nicht bewusst. Der Anlass – ein Artikel im Fanclub-Magazin – scheint etwas eskaliert zu haben, dessen Ursache vermutlich in den Egos jener beiden Alphamännchen zu suchen ist. Dieses Buch bringt Licht ins Dunkel, ohne es vollständig auszuleuchten. Die „Onkelz wie wir…“-Neuaufnahme erwähnt Gonzo mit keiner Silbe, sie fiel wohl noch in die Phase der völligen Funkstille. Ob und wenn ja, wie man tatsächlich ohne jeden persönlichen Kontakt zueinander daran gearbeitet hat, wäre interessant gewesen.

All dies ändert nichts daran, dass es sich um ein lesenswertes Buch handelt. Man muss kein Fan Gonzos oder der Onkelz sein, ein gewisses Interesse sollte ausreichen. Wer als Anhängerin oder Anhänger der Immer-schon-gewusst- oder der Verschwörungstheorienfraktion erwartet, hier nun endlich unumstößliche Belege für die politische Rechtsauslegung Gonzos und der ganzen Band zu finden, wird ebenso wenig fündig wie der/die Romantiker(in), der/die vielleicht gehofft hatte, hier aus jedem Kapitel subkulturelle, antikapitalistische Ideale tropfen zu sehen. Stattdessen ist Gonzo wie so viele große Musiker, die gut von ihrer Musik leben können, einerseits auffallend „normal“ und im Alltag vermutlich gedanklich in erster Linie mit seiner Familie beschäftigt oder auch damit, in welchem Winkel der Erde man vielleicht ein neues Grundstück oder ein neues Haus erwerben sollte, andererseits – und das ist das Schöne – noch immer leidenschaftlich mit den kreativen Prozessen der Erschaffung neuer, den eigenen Ansprüchen gerecht werdender Musik beschäftigt. Nicht zuletzt: Keine Alkohol- oder Drogenabhängigkeiten, stattdessen – neben einer unvergleichlichen künstlerischen Karriere – eine intakte Familie mit Kindern. Das gelingt längst nicht jedem, schon gar nicht denjenigen, die aus dieser Szene kommen, und bekanntermaßen ja auch nicht jedem seiner Bandkollegen. Chapeau, Gonzo!

Weiß man aber wie ich mit den Solo- und den Band-Alben seit der Reunion nicht mehr so viel anzufangen, ist man dem ganzen Onkelz-Zirkus vielleicht auch schon länger entwachsen, stürzt man sich sicherlich nicht gleich wie ein Fanboy auf das Buch, sondern wartet, bis es, ähm, gut abgehangen ist. Und wenn man partout keine Zeit für seine Rezension findet, kann es zusätzlich eine gefühlte Ewigkeit dauern, bis diese endlich fertig ist. Dafür fällt sie dann eben etwas länger aus. Wer’s kürzer und vorurteilsbeladener mag, kann ja auf die Kritik im Ox zurückgreifen…

Copyright © 2025 Günnis Reviews

Theme von Anders Norén↑ ↑