Zu diesem Gig kamen wir wie die Jungfrau zum Kinde: Am Montag fragte RACCOON-RIOT-André an, ob wir kurzfristig im Schlemmereck auf dem Hamburger Berg spielen könnten, und obwohl Spontanität sonst nicht so unser Ding ist, sagten wir am Mittwoch zu (nicht ohne abzuklären, ob man dort wisse, worauf man sich einlässt). Hintergrund: Nach dem bedauerlichen Ableben des ursprünglichen Schlemmereck-Betreibers, unter dem sich die Speis-und-Trank-Kneipe zum Hauptquartier der Hamburger Turbojugend entwickelt hatte, wurde der Laden zu einer seelenlosen Billigspelunke verunstaltet, bis der neue Besitzer erkennen musste, dass damit kein Staat zu machen ist. Daraufhin übertrag er die Verantwortung Freunden des ursprünglichen Konzepts und ließ ihnen freie Hand, sodass diese – wenn auch unter kieztypisch eher ungünstigen Bedingungen – nun versuchen, den alten Charme im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu restaurieren und wieder Schwung in die Bude zu bringen. Ein hehres Unterfangen, zu dem u.a. der Plan zählt, eine regelmäßige Konzertreihe an jedem dritten Samstag eines Monats zu etablieren. Als der erste Termin, der zudem aufs Reeperbahn-Festival fiel, verdammt nahegerückt war, man jedoch noch nichts organisiert hatte, bat man André um seine Hilfe, der uns schließlich ins Boot holte. Bischn Internet-Propaganda war schnell gemacht und so wurden flugs die letzten Absprachen getätigt, bevor wir uns tatsächlich am Samstagnachmittag auf „die andere Seite“ des Kiezes begaben. Kai war sogar entgegen allen Punk-Klischees so dermaßen überpünktlich, dass er zunächst vor verschlossener Tür stand, wir anderen kamen mit unserem Equipment nach, wie üblich per Taxi. Da André Schlagzeug und Anlage zur Verfügung stellte, mussten wir uns keinen Bruch heben und konnten entspannt zum ersten Bierchen greifen, während er zusammen mit der Schlemmereck-Crew alles aufbaute und verkabelte. Tische und Bänke im hinteren Bereich der Kneipe wurden entfernt und zur Bühne umfunktioniert. Dr. Tentakel vervollständigte das Drumset und Kai sowie Mike schlossen ihre Äxte für erste Soundchecks an. Dabei musste Kai feststellen, sein Effektgerät offenbar geschrottet zu haben, sodass er sich ausschließlich am Amp um einen achtbaren Klang bemühen musste, während Mike einen der Glaslampenschirme der tiefhängenden Leuchten versehentlich per Headbanging zerstörte – woraufhin die verbliebenen Lampen sicherheitshalber höhergehängt wurden („Hängt sie höher!“).
Gemeinsam tüftelte man schließlich den Gesamtsound inkl. Gesängen aus, was nach einem letzten Mikrotausch auch ganz gut zu gelingen schien. Im Endeffekt hatten wir überraschenderweise einen klaren, differenzierten Sound wie vermutlich nie zuvor, man konnte wohl sogar jedes einzelne Wort, das ich so ins Mikro keifte, verstehen. Damit hatte ich nun nicht unbedingt gerechnet. Zeit für ‘ne Pizza aus der gegenüberliegenden Trattoria (die Schlemmereck-Küche war geschlossen geblieben) und ein paar Pilsetten zum Warmtrinken. Das Gratis-Frühkonzert war für 19:30 Uhr angesetzt worden, was wir noch etwas nach hinten verzögerten. Ich war gespannt, wer so alles überhaupt derart kurzfristig etwas von diesem Gig mitbekommen haben würde – und wie viele sich so früh aufraffen würden, um sich pünktlich zum Herbstbeginn eine Dosis Hasspunkkrawall abzuholen. Wurden dann doch so einige, die ihren Weg in den geschmackvoll zwischen rustikal und Rock’n’roll dekorierten Laden fanden. Unter die Klientel, die von uns bisher vermutlich noch nie etwas gehört hatte, mischten sich zu meiner Freude auch einige Waffenbrüder und -schwestern. Kurz nach acht dürfte es gewesen sein, als unser Intro gefolgt von „Pogromstimmung“ erklang, über die üblichen altbekannten Nummern sowie Neuzugang „Spaltaxt“ über die seltener Gespielten „Victim of Socialisation“ und „Montag der 13.“ bis zur Hommage an den sozialistischen Plattenbau „Ghettoromantik“. Lief wohl alles relativ pannenfrei, hier und da holperte es etwas oder ich drohte, übers Mikrokabel zu stolpern, ansonsten keine besonderen Vorkommnisse. Die Connaisseurs im Schlemmereck ließen es sich munden, spendeten Applaus und beschwerten sich meines Wissens hinterher auch nicht beim Chefkoch. Obwohl wir unser komplettes Set gespielt hatten (das für die vorausgegangenen Gigs jeweils hatte gekürzt werden müssen), kam es sowohl uns als auch den Gästen plötzlich verdammt kurz vor, so als einzige Band des Abends… Bis wir genug Material für zweieinhalbstündige Stadionshows haben, müssen wir also noch ein paar Songwriting-Sessions abhalten, vorher sollten wir uns allerdings vielleicht doch mal wieder was für ‘ne potentielle Zugabe überlegen. Vielleicht einen Song über Zugaben? Gibt’s so was schon?
Auch nach dem Gig zeigte man sich seitens des Schlemmerecks stets um unser Wohl bemüht und ein erkleckliches Sümmchen für die Bandkasse kam auch zusammen. Besten Dank für alles! Das Schlemmereck mit verzerrter Stromgitarre zu entjungfern hat Laune gemacht, wenn es auch gewöhnungsbedürftiges, bisher unbetretenes Terrain war. Bleibt zu hoffen, dass sich diese Premiere für alle gelohnt hat und wir niemanden verschreckt haben. Unabhängig davon, wie man zur Turbojugend u.ä. steht, ist das eine empfehlenswerte Kiezbude, die von korrekten Leuten betrieben wird und die man ruhig mal aufsuchen kann – ob nun mit oder ohne Konzert. Für die Zukunft wünsche ich gutes Gelingen! Apropos Zukunft: Mit BOLANOW BRAWL bin ich am Dienstag, 02.10. (dem Abend vorm Feiertag) im Menschenzoo, Mission: Support für die russischen Celtic-Folkpunks und Potsdam-Trinkkumpanen ZUNAME – komma rum da!
P.S.: Danke an Pia, Flo, Anja und Qualle für die Live-Schnappschüsse!
Schreibe einen Kommentar