Fast zwei Wochen war ich in Homeoffice/Covid-19-Isolation, was mich beinahe in den Wahnsinn trieb. Quasi pünktlich zu den endlich wieder negativen Tests feierte die Beyond-Borders-Konzertgruppe ihr Achtjähriges mit einem zweitägigen Festival im großen Konzertsaal des Gängeviertels, was mir wie gerufen kam. Ich musste endlich mal wieder raus, verbrachte den Freitag aber noch im Erholungsmodus. Samstag jedoch raffte ich mich auf, um den zweiten Tag des Festivals mitzunehmen. Ein bisschen zu Hause vorgeglüht und nebenbei noch paar Dinge erledigt, dadurch die ersten GESTRÜPP-Songs verpasst. Es folgten aber noch einige, sodass ich mir einen ersten Eindruck dieser noch jungen Norderstedter Band aus dem SZ-Umfeld verschaffen konnte. Und dieser war positiv: Mit Kontrabass (gespielt von Szenetausendsassa Holli) und wechselnder Instrumentierung spielen GESTRÜPP recht eigenständigen Punk mit Folkeinflüssen. Die Sängerin, die ich noch von AUS DEM RASTER kannte, tauschte ihre Akustikklampfe zuweilen gegen Querflöte und andere folkloristische Instrumente. Das hatte trotzdem alles gut Schmackes, vor allem aber Stil und Atmosphäre. Hat mir gefallen, und beim nächsten Mal werde ich vielleicht auch pünktlich sein und mich besser auf die Band konzentrieren.

DR. ULRICH UNDEUTSCH aus dem Sachsenland hatte ich bereits zweimal genau hier gesehen. Zuletzt waren sie mit zwei Gitarren aufgetreten und hatten einen schön satten Sound, diesmal trat man wieder als Quartett mit nur einer Klampfe auf. Trotzdem gefiel mir die Band so gut wie nie zuvor – entweder haben sich meine Hörgewohnheiten geändert oder der „Undeutschpunk“, wie sie ihren Stil nennen, hat sich gemausert. Die Gitarre sägte amtlich und der flotte Hardcore-Punk wurde von der Rhythmussektion ordentlich nach vorne getrieben. Alles in allem ‘ne runde Sache und für meinen Geschmack hätte der Gesang gern noch etwas lauter gedurft, damit man vielleicht etwas mehr von den hörenswerten, gesellschafts- und politkritischen Texten aufschnappt.

Dies war nämlich beim Trierer FREIDENKERALARM der Fall, die einen Spitzensound bekamen und fast nach mehr als ‘nem Trio klangen: Von der Gesamtscheiße angepisste deutschsprachige Texte, melodisch mit angerautem Organ gesungen, ein angenehmes, tanztaugliches Tempo und vor allem unaufdringlich eingängige, zupackende Gitarrenmelodien bei stets präsentem Druck. Der erste Song klang hingegen noch völlig anders, schien aber eher Intro-Charakter zu haben. Die Darbietung wusste mich doch ziemlich zu begeistern, bis mir das Gequatsche zwischen den Songs zu viel Preaching-to-the-converted-Charakter annahm. Getoppt wurde das noch, als die Band das Publikum aufforderte, den antirassistischen Kniefall durchzuführen – und bis auf zwei, drei Menschen diesem tatsächlich alle nachkamen. Was als Solidaritätsausdruck auf großen Veranstaltungen oder bei TV-Übertragungen, wenn Millionen Augen auf sie gerichtet sind, absolut Sinn ergibt, erscheint mir vor spärlicher Clubkulisse unter Gleichgesinnten eher als kollektiver Akt der Masturbation. Und davon einmal abgesehen fühlt es sich befremdlich an, wenn antiautoritäre, anarchische Punks auf die Knie fallen, weil jemand von der Bühne aus sie dazu auffordert… Dem Gitarristen gelang übrigens das Kunststück, sich während des Gigs gleich zwei Saiten auf einmal zu zerreißen. Es wurde aber rasch Abhilfe geschaffen.

Dass ich DIE SCHWARZEN SCHAFE zuletzt live gesehen hatte, dürfte nicht nur eine halbe, sondern eine ganze Ewigkeit her gewesen sein. Mit ein paar Songs im Ohr hatte ich mich schon auf dem Hinweg in Stimmung gebracht – und jetzt richtig Bock. Sänger Armin hatte ich gar nicht erkannt, als ich ihn wegen seines blauweißen Brasilien-Trikots neben mir auf dem Klo scherzhaft mit „Schalke!“ oder so anlallte… Ich war überrascht, wie frisch die Herren im mittlerweile etwas fortgeschrittenen Alter (noch? wieder? erstmals?) klingen, zudem bekamen sie einen perfekten P.A.-Sound spendiert. Die Düsseldorfer spielten wirklich all ihre Hits – „Die Weber“, „Neue Rituale“, „So lang dabei“, „Zu spät“, „Nacht“ und wie sie alle heißen – und was mir davon geläufig war, sang ich begeistert mit. Während ich ausgelassen vor der Bühne herumsprang, bekamen erst ich und schließlich auch andere des fröhlichen Pogomobs das Mikro zum Mitsingen einzelner Textzeilen hingehalten, Publikum und Band waren schnell aufeinander eingegroovt und interagierten bestens miteinander. Die Ohrwurmmelodien der SCHAFE erstrahlten gegenüber manch alter Plattenaufnahme in vollem Glanz und wurden von einem supertighten Drummer mit so kräftigem Punch versehen, als sei jeder Schlag eine unmissverständliche Einladung zur grobmotorischen Expression. Ohne Zugabe wurde die Band nicht aus dem Viertel gelassen. Großartiger Gig, punk as fuck, Band in Höchstform, euphorisches Publikum – so muss dat. Wenn die irgendwo in der Gegend spielen: Hin da!

Vermutlich waren am ersten Festivalabend ein paar Besucherinnen und Besucher mehr da und pflegten nun ihren Kater, andererseits haben ja gerade fast alle Veranstalterinnen und Veranstalter mit einem gemessen an präpandemischen Zeiten deutlich zurückhaltenderen Publikum zu kämpfen. Ich vermute jedenfalls stark, dass vor ein paar Jahren noch wesentlich mehr Leute einem Abend wie diesem beigewohnt hätten. Der gelungenen Geburtstagsparty tat dies jedoch keinen Abbruch. Glückwunsch an Beyond Borders zum Achtjährigen!