Mein letzter Besuch des Sozialen Zentrums Norderstedt lag Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurück, wobei die Entfernung und nicht ganz ideale Verkehrsanbindung natürlich eine Rolle spielten. Daran änderte auch der vor ein paar Jahren vollzogene Umzug in neue Räumlichkeiten wenig, die ich an diesem Samstag erstmals betrat. Ausschlaggebend war, dass es MURUROA ATTÄCK – von denen ich gar nicht wusste, dass es sie noch gibt – dorthin im Rahmen einer Geburtstags- oder Jubiläumsfeier verschlagen hatte und zudem die lokalen Haudegen von CRACKMEIER den Support besorgten (eigentlich war noch eine weitere Band geplant, aber es hatte sich dummerweise niemand gefunden… Wir wären gern mit DMF eingesprungen, leider war bei uns aber auch jemand verhindert). Die Anreise erfolgte mit Bahn und Bus und für die Rückfahrt wurde grob ein Taxi anvisiert, denn ein Bus würde nachts nicht mehr fahren… Das (nun auch nicht mehr sooo) neue SZ kann sich sehen lassen, die Bude ist recht geräumig und verfügt über einige Sitzmöglichkeiten, ein Klavier (von dem ich nicht weiß, ob es nur als Deko dient oder auch mal gespielt wird) und Ratsherrn für arbeitnehmerfreundliche einsfuffzich, lediglich die Toilettenanzahl ist etwas knapp bemessen. Und man raucht gern und viel in Norderstedt, sodass man die Luft in Teerblöcke schneiden und zum Straßenbau hätte verwenden können, der temperaturtechnische Wintereinbruch verhinderte ausgiebiges Lüften.
Seit ich CRACKMEIERs erstem Gig im März beiwohnte, nehmen sie alles an Auftrittsmöglichkeiten mit, was sie kriegen können und kommen schon ganz gut rum. Das sei ihnen gegönnt, denn ihr harter, ungeschliffener HC-Punk mit deutschsprachigen Texten ist herrlich angepisst und brutal. Shouter Jesche nutzte den Raum vor der Bühne für seine Hasstiraden, während er und seine Kollegen an den Saiten sich von Drummer Martin antreiben ließen, der die Songs in Rekordgeschwindigkeit durchpeitschte. Bass-Böller hielt tapfer mit, gab hinterher jedoch zu Protokoll, dass ihm beinahe die Hand abgefallen wäre. Von seinem schön fiesen Background-Gebölke ließ er sich davon nicht abbringen. Zwei Gitarren sind für HC-Punk nicht unbedingt üblich, das Duo Fokko und Jerome ist gut aufeinander abgestimmt und sorgt für zusätzlichen Druck. Jerome übernahm bei einer Nummer den Hauptgesang, leider war sein Mikro zu leise (noch auf Background gepegelt). Geiler, für die Band sichtlich anstrengender Gig, dem trotz Forderungen leider keine Zugabe folgte – wobei sich CRACKMEIER ihren Feierabend aber redlich verdient hatten. Und endlich wurde gelüftet!
Dass ich MURUROA ATTÄCK (aus OWL, Hannover und HH) das bisher einzige Mal live sah, lag tatsächlich schon sechs Jahre zurück! Damals wurde ich so geflasht, dass ich beschlossen hatte, mir deren Gesamtwerk zuzulegen, was mittlerweile längst geschehen war. Statt wie seinerzeit aufsehenerregenderweise zwei Bassisten hat man nun „nur“ noch einen, ist also zum Quintett zurückgeschrumpft. Als Intro zog der kehlig brüllende Shouter Holger durchs Publikum und sang die Titelmelodie der schwedisch-deutschen Anarchofilmreihe um „Michel aus Lönneberga“. Auf der Bühne allerdings gab’s dann in Form rasanten und aggressiven deutschsprachigen HC-Punks kräftig aufs Fressbrett! Die seit den 1990ern aktive Band ist keine BPM- oder Phonstärke altersmilde geworden, sondern bügelt einem mittels kontrolliertem Krachinferno die Falten aus dem Arsch. Wütende und sarkastische Texte decken die Bereiche Politik-, Gesellschafts- und Weltenhass sowie persönliche Kämpfe und negative Erfahrungen ab, während die Soundwand immer mal wieder durch Trompeteneinlagen des Bassers, melodische Riffs/Läufe, Breaks etc. aufgebrochen wurde. Zu meiner Überraschung gibt’s ‘ne nigelnagelneue Platte, eine Split-LP mit (Achtung, der Name kommt gebückt:) VOLKER DAS STROPHE & DIE UNTERGÄNG, von der auch wat gespielt wurde, zu meiner Freude fand sogar die erste 7“ noch im Set Berücksichtigung. Das lautstark eingeforderte „Klimperkastenlied“ hob man sich bis zum Schluss auf. Nach den ersten Songs hatte sich ein Pogopit vor der Bühne gebildet, der sich immer mal wieder beruhigte und wieder an Fahrt aufnahm, Holger, gesanglich kräftig von einem der Gitarristen unterstützt, zog es ab und zu von der Bühne durch die Reihen davor, irgendwas war immer los und in Bewegung. Der Aufwand, mal wieder nach Norderstedt zu kommen, hatte sich definitiv gelohnt, MURUROA ATTÄCK hatten geliefert wie bestellt. „Aloha Mururoa!“
Nach ein, zwei letzten Runden Pils bei ansprechender musikalischer Untermalung durch den DJ ging’s per Großraumtaxi zusammen mit Madame und CRACKMEIER direkt auf den Kiez, die Rückfahrt gestaltete sich also nicht nur komfortabel, sondern auch noch preisgünstig. Der Fahrer steuerte die Tortuga-Bar an, wo wir uns den Rest gaben – und am nächsten „Morgen“ war ich stolz wie Bolle, dass ich’s tatsächlich geschafft hatte, meine neu erworbene Split-LP ohne einen Kratzer oder Knick nach Hause zu bringen. Hat man so was schon erlebt?!
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