25 jahre yacøpsæAn diesem Samstag überschlugen sich die Hamburger Konzertveranstalter mal wieder: YACØPSÆ feierten ihr 25-jähriges Jubiläum mit einem fetten Aufgebot in der Markthalle, THE ADICTS tobten durch die Fabrik, OXO 86 verkauften das Monkeys aus, VLADIMIR HARKONNEN und weitere verwandelten die Lobusch in ein Pulverfass, zudem zockte irgendwer im Menschenzoo und eigentlich sollten auch noch MOTÖRHEAD die Sporthalle zerlegen, fielen jedoch aus – diesmal nicht wegen Lemmy, sondern wegen Gitarrist Phil Campbell, der unverhofft ins Krankenhaus und deshalb auch schon den Berlin-Gig am Freitag absagen musste. In Anbetracht des Markthallen-Programms, das mit HOLY MOSES eine Band enthielt, die ich noch nie live gesehen hatte, jedoch gesteigertes Interesse bei mir hervorrief, entschied ich mich für das YACØPSÆ-Jubiläum. Die Hamburger hatten eine Menge befreundeter Bands geladen, mit ihnen zu feiern und dabei wieder einmal bewiesen, keinerlei Berührungsängste vor stilistischer Vielfalt zu haben. Das schlug dann im Vorverkauf auch mit satten 25 Eiern (inkl. Wuchergebühren) zu Buche – aber wat mutt, dat mutt.

Am Ort des Geschehens angelangt erst mal das übliche Meet & Greet; mit Friedel war sogar ein Exil-HH-Punk gekommen, den ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte. Einlass und Kasse hatte man auf die Treppe verlegt, die Garderobe in einen separaten Eingang und den Raucherraum abgeschafft, dafür das Gebiet vor der Eingangstür zur Raucherzone erklärt und mit Windschutz versehen. Der Opener RESTMENSCH war spontan für die aus Krankheitsgründen verhinderten ZZZ HACKER eingesprungen und begann pünktlich um 18:30 Uhr. Noch verlor sich das Publikum im großen Saal doch ziemlich und, Hölle, was war das für ein beschissener Sound?! Dem Namen des Orts gerecht werdend sehr hallig und der Bass bretzelte alles andere weg, war zeitweise sogar lauter als Philipps Powerdrumming. Sänger Alex ging völlig unter. Man sagte mir, dass der Basssound nicht über die P.A., sondern von der Bühne käme, doch entsprechende Hinweise an den Bassisten brachten nur wenig Besserung des Gesamtsounds. Ein Unterschied wie Tag und Nacht zum Auftritt im Gun Club zuletzt, die Qualitäten der klasse HC-Punkband kamen auf diese Weise leider kaum zur Geltung.

Aber dann: CRIPPLE BASTARDS! Ich bin ja kein großer Grindcore-Fan und glaubte bisher, mit den Frühwerken von NAPALM DEATH und TERRORIZER auszukommen, doch die Italiener lehrten mich eines Besseren: Waren sie mir bisher nur namentlich bekannt, lieferten sie eine musikalische Visitenkarten ab, die es in sich hatte. Der Sound war nun absolut top, die Songs alles andere als, wie befürchtet, monoton, sondern angereichert mit Hardcore-, Thrash- und Mosh-Parts, dazu unfassbar tight, akzentuiert und brutal. Shouter Giulio hielt sein Mikro ständig wie ein Schwert überm Kopf oder auch mal woanders, wenn er nicht gerade hineingrunzte oder -kreischte. Sein irrer Blick war durchaus respekteinflößend, ebenso seine Kondition – zumal die Band sich nur alle x Songs mal eine kurze Pause erlaubte. Ansonsten wurde innerhalb von einer Sekunde zwischen den Stücken der jeweils nächste Songtitel gekeift und weiter ging der Rundflug. Die Halle hatte sich mittlerweile ganz gut gefüllt und vornehmlich Langhaarige veranstalten vor der Bühne ihre Party. Im Gegensatz zu ihrem Publikum sehen die CRIPPLE BASTARDS übrigens erstaunlich normal und unauffällig aus, keine Tattoos, irren Frisuren o.ä. Die Verwandtschaft zum Metal-Bereich (hinter der Schießbude saß wohl ein ex-ICED-EARTH,-jetzt-MASTER-Drummer) machte sich auch darin bemerkbar, dass die Band eben in erster Linie eine wortwörtliche Show durchzog, ihre Bühnenrollen den gesamten Gig über nicht verließ. Mit dem deutsch betitelten „Stimmung!“ gab’s am Ende sogar so etwas wie Singalong-Chöre, dann war irgendwann Schluss und ich fühlte mich akustisch amtlich verprügelt. Gibt’s ’ne empfehlenswerte Best Of oder eine Live-Album mit ordentlichem Wumms?

Kontrastreich ging’s weiter und die RAZORS hatten es etwas schwerer, das Energielevel zu halten und das Publikum wieder auf Temperatur zu bringen, aber nach kurzer Zeit konnte auch die Hamburger ’77-Punk-Legende auf eine ordentliche Kulisse blicken und Volk vor der Bühne versammeln. Souverän wie eh und je packten sie möglichst viele Hits in die recht kurze Spielzeit und verabschiedeten sich mit der für den vor einigen Jahren plötzlich und unerwartet verstorbenen Schwabe geschriebenen, wunderbar melancholischen Hymne. Mit altem Eisen haben die RAZORS noch immer nix am Hut, die „Jungs“ sind fit, alive and kicking!

Weit weniger kicking dann die Band mit dem kreativen Namen BLOOD, bei der es sich leider nicht um die britischen Oi!-Punks THE BLOOD handelte, sondern die mir als deutsche Grindcore-Combo angekündigt wurde – und leider bestätigte, was ich bei Bands dieser Richtung oftmals befürchte: Dumpfer, tiefgestimmter Sound lässt die Mucke nach primitivem Death Metal klingen, der Sänger growlt 90% seiner Zeilen und klingt, als habe er einen entsprechenden Effekt auf dem Mikro. Der Gitarrist tritt mit Sonnenbrille auf, was eher so semi- bis uncool wirkt. Ich fand’s ziemlich monoton und langweilig, aber BLOOD, die die Markthalle in rotes Licht tauchen ließ, hatten ihre Fans, die sie kräftig abfeierten und sogar erstmals an diesem Abend eine Zugabe herauskitzelten. Mein Ding isses aber einfach nicht, sorry.

Auf HOLY MOSES war ich am stärksten gespannt. Die deutschen, 1986 mit „Queen of Siam“ debütiert habenden Thrasher standen stets im Schatten der großen drei oder vier deutschen Thrash-Bands, hatten seinerzeit in Person Sabina Classens aber eine Art Alleinstellungsmerkmal vorzuweisen: weiblichen Gesang. Ich hatte HOLY MOSES noch nie live gesehen und bin kein allzu großer Fan, doch in den ’80er und ’90ern hatten sie doch so einige Hits zustande gebracht, mit „Finished With The Dogs“ zudem einen echten Genreklassiker aufgenommen, der in keiner Sammlung fehlen darf. Den Werdegang seit der Reunion in den 2000ern habe ich aber kaum noch mitverfolgt und ging insofern völlig unbeleckt an diesen Gig heran, befürchtete das Schlimmste, war aber bereit, mich positiv überraschen zu lassen. Die Band betrat zunächst ohne Sabina die Bühne und begann direkt, das herrlich knochentrocken groovende „Def Con II“ zu spielen, mit dem Einsatz ihres Gesang kam Sabina dazu. Die klang nicht mehr ganz so töfte wie zu ihren Hochzeiten, dafür saßen bei der Band jeder Griff und jeder Takt. War erst mal ok, vor allem freute ich mich über diesen starken Song zum Einstieg. Um jetzt mal zum Punkt zu kommen: Das Set war angenehm oldschool-lastig, wobei ich mit der Diskographie nicht vertraut genug bin, um alles zuordnen zu können. „World Chaos“ war erste Sahne und Sabina bangte, was das Zeug hielt und klang im Laufe des Sets immer besser bzw. besonders dann gut, wenn sie nicht growlte, sondern eher keifte oder kreischte. Aber: Von der ursprünglichen Besetzung ist leider nur noch Sabina übrig und der zusammengewürfelte Haufen versprühte den Charme von Studiomusikern. Zudem, und das fand’ ich am schlimmsten, schien die gern von positiver Energie, die vom Publikum zur Bühne und zurück schwirrt, schwadronierende Sabina etliche Texte von Zetteln abzulesen, die sie vor ihrer Monitorbox liegen hatte, weshalb sie einen Großteil der Zeit vorn übergebeugt auf den Bühnenboden starrend verbrachte, statt mit Mimik und Gestik souverän durch den Auftritt zu führen. Mit Authentizität schienen mir diese HOLY MOSES nicht mehr viel zu tun zu haben. Und wie kann man bitte einen Song wie „Master of Disaster“ geschrieben haben und diesen nicht bringen?! Ich beäugte das Ganze mit gewisser Skepsis, unterhaltsam war’s aber allemal, zumal Sabina & Co. beim Publikum auch prima anzukommen schienen (dennoch natürlich kein Vergleich zu Thrash-Gigs aus den ’80ern). Beim den Auftritt besiegelnden DEAD-KENNEDYS-Cover „Too Drunk to Fuck“ rief Sabina zur Bühneninvasion auf und auch ich ließ mich nach der Hälfte bereitwillig auf die Bühne schubsen, um diesen Klassiker gebührend mitzugrölen und zu feiern. Doch, hat Spaß gemacht! Insgesamt aber eine etwas zwiespältige Angelegenheit. P.S.: Schmunzeln musste ich immer, wenn Sabina während ihrer Anekdoten zwischen den Songs von „Yacöpsej“ sprach 😉

Als ich RAZZIA das letzte Mal live sah, nahm ich wütend Reißaus – so furchtbar fand’ ich das, was die seit einigen Jahren wieder mit Originalsänger Rajas auftretenden Hamburger da auf dem Hafengeburtstag 2012 fabrizierten. Nun hatte ich aber mehrfach gehört, dass es sich um einen einmaligen Ausrutscher gehandelt haben soll und war bereit, der mit „Tag ohne Schatten“ einen DER deutschen HC-Punk-Klassiker der ’80er eingezimmert habenden Band eine neue Chance zu geben. Ja, das klang an diesem Tag alles schon ganz anders. Der Sound war wirklich gut und Rajas gut bei Stimme. Zudem scheint der Kerl topfit zu sein und entwickelt eine beachtliche Bühnenpräsenz, wenn er über die Bretter läuft und springt – Rentnerpunk sieht schon mal anders aus. Nun hatte ich persönlich mich aber ehrlich gesagt bereits mit dem zweiten Album „Ausflug mit Franziska“ schwergetan und mir keine weiteren mehr besorgt, die stilistische Weiterentwicklung also nicht „mitgemacht“. RAZZIA wiederum schienen mir nun viel Wert auf eine Setlist zu legen, die alle mit Rajas aufgenommenen Alben abdeckt, so dass man sich auf wenige Stücke vom Debüt und den alten Samplern beschränkte. Und das ist gut so! Die Hektik, die einen m.E. nicht geringen Anteil am Charme der Uralt-Songs hat, gelingt es der Band nämlich anscheinend nicht mehr zu reproduzieren, da fehlt etwas. Andererseits würde es einem Gig nur mit den alten, derben Überklassikern sicherlich auch an Authentizität mangeln. Das etwas gesetztere „Spätwerk“ inkl. Keyboard stand ihnen an diesem Abend wesentlich besser zu Gesicht und dürfte dem Anspruch der Band eher entsprechen. Ich hörte mir das interessiert an und fühlte mich an eine Mischung aus FEHLFARBEN und EXTRABREIT erinnert, um es mal ganz grob zu umreißen. Einen Song wie „Alle Träume sind bezahlt“ nach so langer Zeit mal wieder zu hören, dann auch noch live und mitgesungen aus vielen Kehlen – das hatte schon was! Meinen Respekt hat die Band in jedem Fall wieder und ich behalte mir ausdrücklich vor, RAZZIA irgendwann neu für mich zu entdecken.

Nun war es endlich an der Zeit, dem Trio huldigen, das diesen Abend möglich gemacht hatte: Den Power-Violencern von YACØPSÆ, die den letzten und vielleicht stärksten Kontrast setzten. Das Kontrastieren ging sogar noch weiter, denn die kontrollierten, freundlichen Ansagen zwischen den Songs hatten wie üblich so gar nichts zu tun mit dem derben Gedresche, mit dem die Band seit nunmehr 25 Jahren Leute wahlweise erschreckt oder in Verzückung versetzt. Ich erinnere mich noch, wie das Inferno losbrach und dass ich mal wieder davon fasziniert war, wie gut die drei die Songstrukturen verinnerlicht haben, jeder Break sitzt und das gern mal nach hektischem Chaos Klingende einem komplexen, kontrollierten Plan folgt, der auch immer wieder schleppende, doomige Verschnaufpausen vorsieht. Dann musste ich aber anscheinend doch so langsam dem langen Abend Tribut zu zollen, so dass ich meiner Rübe nicht mehr alle Eindrücke entlocken kann – meinem Multifunktionstelefon nach zu urteilen war ich anscheinend in erster Linie damit beschäftigt, Fotos des Gigs zu knipsen, auf der Suche nach dem perfekten Schnappschuss.

Fazit: Trotz der starken Konkurrenz überall und nirgends war die Markthalle ganz gut besucht – zu ungefähr zwei Dritteln, würde ich grob schätzen…? Das Publikum war bunt gemischt und hat sich gut vertragen. Der Abend war musikalisch hochinteressant, aber leider auch arschteuer, bei fast 50 Mark Eintritt und Getränkepreisen wie im Puff war leider nichts für mehr Platten- oder Merch-Käufe übrig – zumal ich die unangenehme Angewohnheit habe, Bier aus solchen Bechern gern mal in nur drei bis vier Schlucken herunterzustürzen. Damit wir uns nicht missverstehen: Bei sieben Bands ist der Eintrittspreis dennoch fair bis günstig! Alles in allem kam’s finanziell nur eben geballter als bei anderen Underground-Konzerten. Nichtsdestotrotz bin ich für solch abwechslungsreiche Konzerte und Festivals immer zu haben und rennt man bei mir mit der Stilvielfalt offene Türen ein – jedoch gern in einem anderen Laden als jenem seelenlosen Kommerzklotz (dessen einziger Vorteil an diesem Abend die Stufen waren, von denen aus man quasi überall gute Sicht hatte – praktisch während Bands, die man sich einfach mal in Ruhe anschauen möchte). Doch genug des Lamentos, bevor ich das Wichtigste vergesse: Herzlichen Glückwunsch zu 25 Jahren YACØP-fuckin’-SÆ!

P.S.: Vielen Dank an Uwe Hubatschek, dessen RESTMENSCH-Foto ich freundlicherweise verwenden darf.