Günnis Reviews

Autor: Günni (page 3 of 105)

14.12.2024, Indra Musikclub, Hamburg: COCKHEADS + SMALL TOWN RIOT (und ein bisschen BOLANOW BRAWL)

Mein BOLANOW-BRAWL-Bandkollege Christian wurde 40 und hat die beste Freundin, die er sich nur wünschen kann, organisierte sie doch eine superfette Überraschungsparty für ihn. Sein gesamter, nicht gerade kleiner Freundeskreis war eingeweiht; nur er ahnte von nichts, denn alle hielten dicht. Im eigens angemieteten Indra sollten THE SPARTANICS aus Leipzig und SMALL TOWN RIOT auftreten und wir – inklusive Christian – in neuer Besetzung für zumindest drei Songs erstmals auf der Bühne stehen. Es gab Freigetränke und ein von Sandys und Christians Eltern zubereitetes kaltes Buffet, Luftballons, lustige Fotos Christians, die überall ausgehängt wurden, und eine von unserem ehemaligen Bassisten Keith zusammengestellte, ultralange Playlist (in Ermangelung eines DJs, der ursprünglich auch vorgesehen war). Ein Riesenaufwand für Sandy & Co., der es aber tatsächlich gelang, bis zum Schluss alles geheimzuhalten und sogar Christians Klampfe samt Effektpedalen heimlich ins Indra zu schmuggeln. Erst als er unter einem Vorwand gegen 20:30 Uhr mit sanftem Druck ins Indra geschubst wurde, realisierte er langsam, dass dort eine Party zu seinen Ehren stattfand. Und dass er gleich mit auf die Bühne musste…

Nach mehreren Besetzungswechseln sind wir mit BOLANOW BRAWL nun endlich wieder livefähig. Unser Kurzauftritt wurde die Livepremiere unseres neuen Bassers Urko und unseres noch neueren Leadgitarristen Jogi, wenn auch in geschlossener Gesellschaft. Obwohl sich Christian nicht hatte am Soundcheck beteiligen können, ist es Tonchef Andy gelungen, uns einen amtlichen Sound zurechtzuregeln, und so erklangen nach einer Ewigkeit mal wieder „Tattooed Like Me“, „Two Day Session“ und „Red Lips“ von der Bühne, jeweils eingeleitet von Anekdoten Christians zur Entstehung der Songs. Irgendjemand, dem unsere Antlitze offenbar missfielen, bekam jedoch Zugriff auf die Nebelmaschine und nebelte uns derart ein, dass ich aufpassen musste, wo ich hintrat. Keith, der die Texte zu den beiden letztgenannten Nummern verfasst hatte, sang den Schlusschor bei „Red Lips“ mit, die versammelte Geburtstagsmeute jubelte und applaudierte und Urko + Jogi bewährten sich während ihrer Feuertaufe beanstandungslos. Mit Ole, Keith und Stulle waren alle ehemaligen Bandmitglieder im Publikum. Wat willste mehr? Hat viel Spaß gemacht, wir sind wieder angefixt!

Als nach nur kurzer Umbaupause die Streetpunk’n’Roller SMALL TOWN RIOT die Bühne betraten, musste Andy als zweiter Gitarrist der Band selbst ran, weshalb Bommy von den STUMBLING BOI!S das Mischpult übernahm. SMALL TOWN RIOT, eine alte Lieblingsband Christians (und meiner Wenigkeit), macht sich schon lange rar und spielt nur noch alle Jubeljahre mal zu ausgewählten Anlässen, ohne neue Songs zu komponieren oder gar Platten herauszubringen. Einer der Gründe sind familiäre Verpflichtungen der Bandmitglieder, weshalb bereits die Zeit für gemeinsame Proben schwierig zu finden ist – so auch im Vorfeld dieses Auftritts. Umso schöner, dass es trotzdem geklappt hat! Noch am selben Tag wurde gemeinsam ‘ne Handvoll Songs geprobt, anschließend ging’s ins Indra. Elf Songs gab man zum Besten, darunter unwiderstehliche Ohrwürmer wie der Opener „Addicted to Authority“, „Working Class Family“ und „Cheers & Goodbye“, Nachdenkliches wie „Living Hell“ und „Cemetery Hall“, Romantisches wie die „Love Song Trilogy“ oder „It’s True“ und Partykracher wie „Suicidal Lifestyle“ und „Timmy“. Trotz Fluppe im Mundwinkel und Bierkanne am Hals ist Leadsänger Norman nach wie vor bestens bei Stimme, gerade auch in den höheren Registern, und die Melodien sitzen wie ‘ne Eins. Lehmann trommelt sich lässig durchs Set, Timo ist als zweiter Sänger für die rauere Stimmlage zuständig und zockt den Bass dazu, während Andy per zweiter Klampfe für einen schön satten Sound sorgt und sich an den melodischen Backgroundchören beteiligt. Bis auf den Umstand, dass die „Jungs“ (von Andy abgesehen) etwas älter als in ihrer Blütezeit aussahen und Norman sein Haupthaar wallen ließ, statt es streng zurückzukämmen, war es überwiegend so, wie man die Band in Erinnerung hatte – verlernt wurde da jedenfalls nix und wenn hier und da mal ein bisschen Routine flötengeht, macht’s das nur charmanter. Für ‘ne Zugabe fehlte dann aber doch die Kondition. Macht nichts, soll ja nicht in Arbeit ausarten!

Apropos Puste: Bei einem der Luftballons handelte es sich um ein überlebensgroßes Bierglas, das sich stets aufrechthielt und dazu neigte, ein Stück über dem Fußboden zu schweben. Das Teil bot einen echten Mehrwert an Spaß, eignete es sich doch als Tanzpartner ebenso wie für alberne Fotos und landete immer wieder auf der Bühne, wo es sich zwischen der Band gemütlich machte. Konzerte ab sofort bitte nie mehr ohne!

Die Streetpunks SPARTANICS hatten leider krankheitsbedingt kurzfristig absagen müssen, zwei Drittel des Trios reisten als minimalistisch auftretende COCKHEADS trotzdem an. Jene Zweitband der beiden kannte ich bis dato gar nicht, wodurch mir astreiner deutschsprachiger, schnörkelloser ’77-Punk mit Anleihen bei den SHOCKS und Konsorten entgangen war. Die oft hektischen, kurzen Songs kamen ohne Bass aus, dafür perfekt auf den Punkt, gingen gut ins Bein und waren ein erstklassiger Abschluss des Liveprogramms, der noch mal richtig Laune machte. Wer auf einen solchen Sound steht, sollte die unbedingt mal anchecken! Spätestens jetzt fiel auf, dass die Hamburger Trinker/Songwriter-Legende ANTOINE DE LA KACQUE, die eigentlich für wenigstens einen Song noch auf die Bühne hätte sollen, bisher sträflich vernachlässigt worden und mittlerweile gar nicht mehr zugegen war. Sorry!

Alles in allem eine unvergessliche Party, doch wer sich an alles erinnern kann, war nicht dabei… Danke an Sandy und ihre heldinnenhafte Organisation, an alle Helferinnen und Helfer, ans Indra-Team, an die Bands, an meine Liebste für die Schnappschüsse unseres Auftritts und speziell an Andy: Der gute Mann war mein Indra-Ansprechpartner im Vorfeld und kümmerte sich nicht nur um den Sound, sondern zockte zwischendurch noch ‘nen Gig, sorgte dafür, dass jedes Kabel richtig steckte, schraubte in aller Seelenruhe auf der Leiter an den P.A.-Boxen herum und behielt bei allem Trubel um ihn herum stets Überblick und Contenance.

Ey Christian, volle Punktzahl, gerne wieder!

Der beste Horror aller Zeiten

Von 1972 bis 1984 – also mit mehreren Dekaden Verspätung – erschienen die kultigen, dieses Genre begründenden E.C.-Horrorgeschichten in Heftform auch beim deutschen Ableger, dem Williams-Verlag. Dieser veröffentlichte bereits im Jahre 1973 ferner einen groß- bzw. überformatigen, 128-seitigen Sonderband mit dem Titel „Der beste Horror aller Zeiten“. Ein Teil der enthaltenen Geschichten ist noch schwarzweiß gedruckt.

Das Vorwort liefert dem interessierten Publikum einen historischen Abriss, die erste Geschichte „Auge um Auge“ ist dann in einer Postapokalypse auf der von Monstern beherrschten Erde angesiedelt – in der für die Monster die letzten Menschen die eigentlichen Monster sind. Da kaum mit Sprechblasen gearbeitet wird, handelt es sich mehr um eine betextete Bildergeschichte. Von nun an wird jeweils das Cover des Originalhefts abgebildet, das mit Angabe des Erstveröffentlichungsdatums sowie einer kurzen Einführung zum Zeichner und dessen Stil einhergeht. „Wüstentod“ um einen entflohenen Schwerverbrecher, der es mit einem hungrigen Geier in der Wüste zu tun bekommt, ist mir als „Der Aasgeier“ aus der „Geschichten aus der Gruft“-Fernsehserie bekannt. Mit „Verlies des Terrors“ folgt eine makabre Story über Lebensmittelrationierung im Krieg, die immer wieder vom Crypt Keeper kommentiert wird, aus dem man im Deutschen den „Fleischwolf“ machte. Auf ein ganzseitiges Künstlerporträt Jack Davis‘ folgt die bitterböse Romanze „Im Morgengrauen“ und mit „Schöner Traum“ eine nicht minder böse, in China spielende Geschichte über einen opiumsüchtigen Familienvater, der vom Tod Angehöriger träumt, welcher dann eintritt.

Weiter geht’s mit der modernen Vampirgeschichte „Mitternachts-Genuss“ und der deftigen Story „Treibsandtriebe“ über einen zurückgebliebenen Serienmörder, die gar zu Bodyhorror mutiert. „Ein Weltraumleben“ hingegen entpuppt sich als abgefahrene Garten-Eden-Variation im Science-Fiction-Gewand. Das nächste Künstlerporträt ist Al Williamson gewidmet; und die darauffolgende Geschichte „Treibjagd“ um eine Frau, die scheinbar mehrfach nacheinander auf grausamste Weise ermordet wird, spielt gekonnt mit dem Surrealismus. Auch Johnny Craig erhält ein Künstlerporträt, bevor „Im Sumpf“ von einem kannibalischen Einsiedler handelt, der sich zwischen Sumpf und Treibsand eine Hütte gebaut hat – erzählt von seiner Hütte! Einer der Höhepunkte ist zweifelsohne „Herrenrasse“, eine hervorragend gemachte Geschichte um einen KZ-Überlebenden, die zehn Jahre nach dessen Befreiung in den USA spielt, wo er einem ehemaligen KZ-Kommandanten begegnet – mit überraschender Wendung.

Melodramatisch wird’s in „Knopfaugen blicken dich an“, einer Weihnachtsgeschichte um einen blinden Jungen mit ebenso genialem wie krudem Ausgang. Graham Ingels wird porträtiert und die „Friedhofsnacht“, eine bizarre Story über den Leiter einer Irrenanstalt, dem die Bewohner ans Leder wollen, bekommt eigenartigerweise Titelblatt und Einführung erst hintenangestellt. Die Geschichte arbeitet mit schönen Point-of-View-Perspektivzeichnungen und einer interessanten Lebendig-begraben-Variation. „Gerettet“ ist eine Kreuzung aus Science-Fiction und Vampirhorror, und die letzte Geschichte greift bereits der nach der US-Zensur der E.C.-Comics etablierten Satirezeitschrift „Mad“ vorweg: Herrlich selbstironisch erklimmt man die Meta-Ebene und lässt Jack Kamens von seiner Arbeit für E.C. berichten.

Die orthographischen und grammatikalischen Fehler dieser deutschen Sonderausgabe (Beispiele: „Vampiere“, „viel“ statt „fiel“, „Sagen-Sagengestalten“, „hount“ statt „haunt“) lassen die Geschichten schundiger erscheinen als sie sind. Was sich da in flexibler, aber meist aufgeräumter, klarer Panelstruktur abspielt, ist nichts Geringeres als höchst verdienstvolle Comicgeschichte, deren pop- und subkultureller Einfluss gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann – und die mit ihrem Stil, ihrer Erzählweise und ihrer moritatischen, häufig schwarzhumorigen Moral auch aus heutiger Perspektive noch immer sehr unterhaltsam ist. Ob dieser Sonderband tatsächlich die besten E.C.-Horrorgeschichten enthält, sei aber einmal dahingestellt.

Nachtrag, April 2025:

Ich muss mich hier anscheinend korrigieren: Wenn ich das Buch „Der absolute Horror: Die Geschichte der Gruselcomics in Deutschland“, das ich gerade lese, richtig verstehe, hat der Williams-Verlag in seinen Heften nicht die E.C.-, sondern die wesentlich jüngeren und unter Einfluss des US-Zensurcodes stehenden [i]DC-[/i]Horrorcomics abgedruckt. Dieser Sonderband stellte eine Ausnahme davon dar und galt eigens der Publikation der E.C.-Klassiker.

16.11.2024, Fanräume, Hamburg: HARBOUR REBELS + KOMMANDO MARLIES + BRUTAL BESOFFEN + BULLSHIT BOY

Dieses Konzert kam für mich genau zur rechten Zeit, denn gerade nach all den schlechten politischen Nachrichten in letzter Zeit stand mir (ungeachtet der Lobusch-Sause vor zwei Wochen) schon wieder verstärkt der Sinn nach einem D.I.Y.-Punk-Konzert im überschaubaren Rahmen mit Bands, die ich kenne und mag (zumal ich ewig nicht mehr in den Fanräumen des FC St. Pauli gewesen war). Vermutlich eine Mischung aus Psychohygiene, Selbstvergewisserung und nicht zuletzt natürlich dem Spaß an der Sache.

Zuvor ging’s aber noch zur schönsten Nebensache, denn Länderspielhause hin oder her: Der Hamburger Oberligist AFC kickte gegen den ETSV und sackte einen 3:1-Heimsieg ein, während ich mir Pils und Glühwein bei mittlerweile recht kühlen Novembertemperaturen munden ließ. Immer ‘ne schöne Ablenkung von der Gesamtscheiße. Zwischen 12 und 20 Talern konnte man sich dann in den Fanräumen selbst aussuchen, wie viel man an Eintritt zahlen wollte, und BULLSHIT BOY machten den Anfang. Mit denen hatten wir vor ein paar Monaten im Indra die Bühne geteilt, damals jedoch krankheitsbedingt vom Trio zum Duo zusammengeschrumpft (BULLSHIT BOY, nicht wir). Nun also mal in vollzähliger Besetzung, und das lohnte sich! Die Tieftönerin, die im Indra nicht hatte dabei sein können, zockte klasse Bassfiguren, während die Band zunächst ohne viele Ansagen recht geradlinig durchzog – beginnend mit einem Surf-Instrumental über BLONDIEs „One Way Or Another“ und eigene mal deutsch-, mal englischsprachige Stücke, stilistisch grob Richtung klassischer Punkrock mit Garage- und Pop-Anleihen. Zwischendurch überreichte Sängerin Sabine dem Konzertorganisator Micha ein Geburtstagsgeschenk, denn er wurde just an diesem Tag ein Jahr älter. Doch Sabine wurde auch selbst beschenkt: Nach dem Lied über den eklatanten Mandelhörnchenmangel auf Helgoland bekam sie ein solches Süßgebäck gereicht. Die noch junge, aber mit erfahrenen Mitgliedern von EMILS und GOTTKAISER besetzte Band hatte die Bühne bewusst kitschig mit Flamingos, aber auch bunten Aufblasbällen dekoriert, wobei letztere während des Gigs munter durch die Gegend gekickt wurden und mitunter auf den Instrumenten landeten. „Bodies“ (SEX PISTOLS) und „Identity“ (X-RAY SPEX) gab’s als Zugaben, wobei „Identity“ auch ohne Saxophon überraschend gut funktionierte. Bereits zuvor spielte man mit „Erschießen“ ein IDEAL-Cover. Machte Laune, zumal insbesondere Sabine die Spielfreude anzusehen war und sie in der zweiten Hälfte des Sets zunehmend mit dem Publikum kommunizierte. Schade nur, dass ihr Gesang fast den gesamten Gig über zu leise war, um etwas mehr von den Texten zu verstehen.

Die zweite Band mit B-Alliteration folgte auf dem Fuße: BRUTAL BESOFFEN aus Berlin ließen ein Intro vom Band abspielen, eine Art Hörspiel mit konkretem Bezug auf diesen Konzertabend, und sprudelten anschließend vor Energie regelrecht über. Der Bandname ist augenzwinkernd zu verstehen, denn ihr Sound hat nichts mit Uffta-Stumpfpunk zu tun, sondern ist eher in der Skate-/MelodiCore-Ecke zu verordnen, allerdings mit deutschen Texten. Zwischen Melodien, Geschwindigkeit und Chöre mischten sich eine aufmerken lassende, satte Leadgitarre, die mittels eines überdimensionalen Effektboards ihren Klang immer wieder changierte, superversiertes Drumming und ganz viel Gesabbel zwischen den Songs, denn die Berliner geben sich als eine Mischung aus Entertainer und Clowns, jedoch offenbar ohne, dass es sich um reinen Funpunk handeln würde. Mir war’s etwas zu viel des Schabernacks, aber vor der Bühne war nun bisschen was los. Die Band dankte es, indem sie FaKo (Fanta-Korn, auch bekannt als KGB: Korn/Gelbe Brause) ausschenkte. Der Sänger/Bassist wiederum hatte ‘nen Cognac-Schwenker (oder so) dabei, aus dem er Weißwein (oder so) nippte. Der zweite Gitarrist sprang schon mal ins Publikum und tanzte mit. Eine Ansage gab’s auf Bayrisch, einen ganzen Song wiederum fürs Geburtstagskind, nämlich ‘ne Ska-Punk-Nummer, in die sein Name integriert wurde, und als letzte Nummer wurde das Raining-Blood-Intro von SLAYER gecovert. Nicht 100%ig meins, aber in jedem Falle unterhaltsam!

KOMMANDO MARLIES um Rheinland-/Ruhrpott-Band-Tausendsassa Uwe Umbruch hatten mir seinerzeit im Menschenzoo mit ihrem deutschsprachigen Melodic-Punkrock sehr zugesagt; umso enttäuschter war ich, als sich die Band recht bald schon wieder aufgelöst hatte. Entsprechend groß war meine Freude, als sie in runderneuerter Besetzung und um eine Orgel erweitert wieder zurückkam! Vor ein paar Tagen ist ‘ne neue EP erschienen, die ich zusammen mit dem Album gleich mal eingesackt habe. Während des Soundchecks gab’s ‘nen kleinen Jägermeister-Umtrunk mit Micha und ein Geburtstagsständchen. Ein kurzes Intro aus der Konserve eröffnete den eigentlichen Gig, der mit „Mädchen aus Greifswald“ und „Tommy“ meine Lieblingsstücke ebenso enthielt wie Songs der neuen EP und bekannte Stücke wie „Eskalation ja klar“, das eingedeutschte RUTS-Cover „Computer sagt nein“, „Außer Kontrolle“, „Ein bisschen Liebe“ usw. Die Orgel steuerte ‘ne schöne weitere Klangfarbe bei, lediglich die Monitore zickten rum und behinderten anfänglich den Spielfluss etwas. Nachdem Uwe kurz die Bühne verlassen hatte, um seinen Kapodaster zu suchen (den er in der Hosentasche hatte…), spielte man mit „D-Beat Boys Don’t Cry“ sogar einen noch unveröffentlichten Song, der die berühmte THE-CURE-Melodie aufgriff. Ein wunderbarer Gig, bei dem ich gern noch ‘ne Zugabe mitgenommen hätte.

Die Lokalhelden HARBOUR REBELS verheißen live immer eine gute Party, denn da folgt ein eingängiger Singalong auf den nächsten – so natürlich auch an diesem Abend. Drummer Chris spielt dazu ‘nen astreinen Pogobeat, der sofort ins Bein geht, und der (zumindest in den vorderen Reihen) schlagzeuglastige Sound an diesem Abend trug sein Übriges dazu bei. Über die Band hab‘ ich ja nun schon öfter geschrieben, deshalb ohne jetzt in epische Ausmaße zu verfallen: Gewohnt tolle Show, bei der Sängerin Jule im Mittelpunkt steht (und dann und wann die Orgel bedient – schon die zweite beorgelte Band an diesem Abend). Deutschsprachige Stücke geben sich mit englischen die Klinke in die Hand, das Fundament ist weitestgehend schnörkelloser Oi!-Punk mit klar antifaschistischer Attitüde. Und während ich so vor mich hin tanzte und das drölfte Bierchen kippte, vergaß ich doch glatt, ein paar Fotos zu schießen. Sorry!

Obwohl mal wieder ‘ne Menge gleichzeitig los war – etliche besuchten beispielsweise lieber das FAHNENFLUCHT-Konzert im Monkeys und aus meinem engeren Freundes- und Bekanntenkreis war tatsächlich niemand da –, waren die Fanräume gut besucht und gab’s nicht viel zu meckern. Sogar ein Budget-Pils für lediglich 2,- EUR hielt das Tresenteam, das schwer auf Zack war, im Kühlschrank vor. Und mit dem unmittelbar vor den Türen stattfindenden Dom (Hamburger Kirmes der eigentlich nervigen Sorte) hatte man auch ‘ne imposante Lightshow in den Frischluftpausen… Danke ans Veranstaltungsteam und die Bands für diesen gelungenen Abend!

Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik – „Staatsbürgerliche Pflichten grob verletzt“. Der Rauswurf des Liedermachers Wolf Biermann 1976 aus der DDR

„Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik“, kurz: BStU, von 2011 bis zum Schluss in Person: Roland Jahn, hat zahlreiche Publikationen zum Thema Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR herausgegeben – einige entgeltlich, andere gratis. Zu den Gratispublikationen, derer ich bereits zwei durchgesehen (und hier besprochen) habe, zählt auch dieser rund 110-seitige, großformatige Softcover-Band aus dem Jahre 2016, in dem wie gewohnt Originalauszüge aus MfS-Akten auf Hochglanzpapier nachgedruckt sind.

Wie der RAF-Band ist auch diese Sammlung in fünf chronologisch aufeinander aufbauende Kapitel („Der Plan entsteht“, „Kein Interesse am Protest gegen Franco“, „Die ,Zange der Konterrevolution‘“, „Das Konzert“ und „Der Protest“) unterteilt, denen jeweils eine Seite mit Hintergrundinformationen vorangestellt ist. Den Band eröffnen jedoch zwei allgemeinere Vorworte, eines davon von Biermann persönlich. In diesem unterstellt er dem MfS einen Mordversuch (der sich so in den Akten nicht wiederfindet). Doch auch unabhängig davon ist es natürlich ein ungeheuerlicher Vorgang, dass ein eigentlich sozialistischer Liedermacher aus einem sozialistischen Staat ausgebürgert wird, weil er zu unbequem ist. Entsprechend aufschlussreich und interessant bis spannend liest sich diese Aktensammlung (sofern man die Ambition aufbringt, in solchen bürokratischen Originalquellen zu stöbern), die aber auch Eintrittskarten, Ausweiskopien und transkribierte Interviews enthält.

So wird deutlich, dass das Kulturministerium eher auf Biermanns Seite war, aber das MfS dazwischengrätschte (S. 36). Honecker und Hager waren in diese Vorgänge auch involviert. Ab 1976 genoss Biermann den Schutz der Kirche, die ja für so viele Oppositionelle in der DDR eine große Rolle spielte. In einem Interview mit dem NDR zeigt sich Biermanns Unerfahrenheit im Umgang im Medien, im Prinzip aber auch das Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Kulturen. Biermann war damals noch ein DDR-sozialisierter bekennender Kommunist. Zudem geht aus dem Gespräch hervor, dass er damals noch an einem konstruktiven Mitwirken am Aufbau des Sozialismus interessiert war. Es ist fatal, dass das MfS dies nicht erkannte und ihm stattdessen derart reaktionär zusetzte. Ungeachtet dessen äußerte er sich fortwährend gegen Republikflucht und übte kritische Solidarität mit der DDR ggü. dem Westen.

Die ganze Verkommenheit der CDU und CSU zeigt folgende, auch hier festgehaltene Posse: Nach Biermanns Ausbürgerung am 16. November 1976 beschloss die ARD, sein wenige zuvor in Köln gegebenes Konzert auszustrahlen. Die Ausstrahlung musste auf Initiative dieser Parteien hin jedoch im Nachtprogramm versteckt werden und war im bayrischen Sendegebiet gar nicht zu empfangen. Da spielt der Club Deutscher Unternehmer also lieber dem MfS und der DDR-Führung in die Hände, statt einen kapitalismuskritischen Liedermacher in einer Form stattfinden zu lassen, dass Millionen DDR-Bürgerinnen und -Bürger (die ARD empfingen) daran nicht erst zu nachtschlafender Zeit hätten partizipieren können.

Leider ist Biermann später selbst ein CDU-unterstützender Popanz geworden. Hatten Stasi & Co. also doch Recht? Sicher nicht. Um es noch einmal klar zu sagen: Eine solche Ausbürgerung ist ungeheuerlich und nicht zu rechtfertigen, lässt diejenigen, die sie beschließen, zudem höchstgradig unsouverän wirken. Dass Biermann später zum strammen Reaktionär devolutionierte, ist aber der größte Gefallen, den er seinen einstigen Peinigern tun konnte. Vielleicht ist es also schlicht die politische Naivität, die sich durch Biermanns Vita zieht. Sowohl bei dieser Reflektion als auch beim groben Nachvollziehen der skandalösen Ereignisse des Jahres 1976 – inklusive der anschließenden Dynamiken in der DDR, der zahlreichen Solidaritätsbekundungen anderer Künstlerinnen und Künstler sowie der Rechtfertigungsversuche der Obrigkeit – half mir dieser Band (wenngleich Biermanns späterer Werdegang in anderen Quellen nachgelesen werden muss).

Im Anhang finden sich das obligatorische Abkürzungsverzeichnis und die BStU-Kontaktdaten.

01.11.2024, Lobusch, Hamburg: Holler’s Birthday Bash mit PEST HOLE + Y HUMAN Y + DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS

Unser Bassist Holler feierte in seinen 21. (oder so) Geburtstag rein und hatte dafür die Lobusch gekapert, wo neben uns zwei weitere Bands auf seine persönliche Einladung hin auftraten. Es handelte sich um eine öffentliche Veranstaltung bei freiem Eintritt (wobei in paar Märker in den Spendentopf gern gesehen wurden), für Bands und Freunde standen jede Menge Freigetränke bereit. Geil!

Um Bühne und Sound kümmerte sich unser Drummer Eisenkarl, nach einem ersten groben Soundcheck bekam jede Band einen Linecheck. Als Teil seines Geschenks erhielt Holler von uns eine Drei-Liter-Buddel blau eingefärbten Oldesloer Korn, die er während unseres Gigs von der Bühne aus an ebenso durstige wie furchtlose Kehlen ausschenkte. Es dürfte kurz vor halb neun gewesen sein, als wir vor ansehnlicher Kulisse quasi ein Heimspiel absolvierten, den Mob in mehreren Trinkpausen mit diesem seltsamen blauen Gesöff abfüllten und schließlich zum Tanzen brachten. Der Sound war – wie, um das vorwegzunehmen, bei allen drei Bands – bombig (danke an Henning, der während unseres Gigs die Knöpfchen drehte!), mit „Blutiger Schnee“ hatten wir passend zum bevorstehenden Winter die Livepremiere eines neuen Stücks dabei und bis auf ein, zwei Verhacker lief alles glatt. Da er sowieso anwesend war, sang Snorre „ACAB“ seiner und Hollers ehemaliger Band PROJEKT PULVERTOASTMANN gemeinsam mit uns. Anschließend konnten wir geschafft und durchgeschwitzt zum für uns gemütlichen Teil des Abends übergehen, uns trinkenderweise gehenlassen und den beiden nächsten Bands lauschen (ok, außer Kalle, der weiterhin die Bühnentechnik betreute).

Y HUMAN Y ist Snorres aktuelle Combo; u.a. ebenfalls dabei ist Klampfer Tobi, den ich bei den leider aufgelösten ASIMATRIX zu schätzen gelernt hatte. Freute mich sehr, die beiden wieder auf einer Bühne zu sehen, zumal man sich musikalisch in Sachen Hardcore-Punk treu blieb. Snorre legt sein brachiales Organ über gern geknüppelte, aber auch mal bewusst das Tempo herausnehmende und dadurch nicht nur abwechslungsreich, sondern auch atmosphärisch klingende Songs, in denen sich kräftig ausgekotzt wird. Den Song „ERF“ hat man von PROJEKT PULVERTOASTMANN übernommen – eine hervorragende Wahl, der war auch schon bei uns als Coverversion im Gespräch. Hierbei erwiesen sich die Gäste als textsicher, sie skandierten den Refrain mit gereckten Fäusten vor der Bühne. Nachdenklicher wurd’s bei der Zugabe, einem Songs für diejenigen, die nicht mehr unter uns weilen. Bis auf Anlaufschwierigkeiten bei dieser Nummer wies nichts darauf hin, dass die Band noch ganz frisch ist und erst wenige Gigs auf dem Buckel hat. Die Songtexte sind deutschsprachig, mit einer auf Orkisch (ähm, ok!?)  gesungenen Ausnahme. Ich hoffe, bald mehr von Y HUMAN Y zu hören, sei es im Netz, auf Platte oder auf der Bühne!

Mit den Bradenburgern PEST HOLE hatten wir im März in Stendal zusammengespielt, Holler kannte sie ferner u.a. von gemeinsamen Gigs mit den THRASHING PUMPGUNS. Das Trio aus Finsterwalde blies seine Mischung aus Death-/Black-Thrash und Crust-Punk ins Auditorium, machte mit dem düsterheiseren, halligen und angriffslustigen Gebelle des Gitarristen und Shouters in Personalunion keine Gefangenen und profitierte (für meine geschundenen Ohren) stärker als in Stendal vom geilen Sound der kompakten Lobusch, der die meist flotten Nummern kräftig ballern ließ. Den (wenn ich mich nicht verhört habe) Song „Hot Love“ widmeten sie Holler und besiegelten den musikalischen Teil des Abends herrlich evil und arschtretend.

War ‘ne astreine Party – böse Zungen behaupten, Holler sei gleich um mehrere Jahre gealtert! Danke an die Lobusch für Obdach, Bühne, Anlage und Tresen, an Holler für Idee, Organisation und Freibier, an PEST HOLE und Y HUMAN Y für fantastische Gigs, danke allen Helferinnen und Helfern sowie allen, die kräftig mitgefeiert haben – und nicht zuletzt Jana für die Schnappschüsse unseres Gigs!

Marc-Uwe Kling – Die Känguru-Apokryphen [Hörbuch]

Klings „Känguru-Chroniken“ sowie die beiden Fortsetzungen, „Das Känguru-Manifest“ und „Die Känguru-Offenbarung“ (aus den Jahren 2009 bis 2014) um das Leben eines nicht unsympathischen, aber eher zurückhaltenden und introvertierten Kleinkünstlers mit einem plötzlich auftauchenden kommunistischen und sich überraschend menschlich verhaltenden, nun ja, Känguru eben, sind Bestseller. Die sich jeweils aus etlichen kurzen, pointierten Episoden zusammensetzenden Bände gab ich mir in Hörbuch-Form, live aufgenommen während Lesungen Klings, der sein literarisches Kleinkünstler-Alter-Ego sowie das Känguru (mit leicht verstellter Stimme) selbst liest. Die authentischen Publikumsreaktionen unterstützten den lebendigen Eindruck. Am besten gefielen mir jene, insbesondere frühen Episoden, in denen das Känguru, wenngleich mit sämtlichen menschlichen Schwächen ausgestattet, äußerst treffende Gesellschaftsanalysen in kabarettistisch-humoriger Form vornimmt und es den Anschein hat, als sage und tue es all das, was Kling vielleicht denkt und selbst gern täte, sich aber nicht traut – bzw. schlicht lieber einer klar als solche erkennbaren Kunstfigur in den Mund legt. Spätere Episoden, in denen das Känguru immer mehr Hintergrundgeschichte bekam, sind i.d.R. zwar noch immer gehobener Humor, wurden mir aber etwas zu abstrakt und verrückt.

Mit ein paar wenigen Jährchen Abstand gönnte ich mir dann auch dieses Bonus-Material, das 2018 veröffentlicht wurde. Ich legte mir wieder das Hörbuch auf und lauschte rund 50 Episoden lang dem Alltag der beiden. Auch hier gilt: Je bissiger politischer oder je mehr den stinknormalen Alltag aufs Korn nehmend, desto besser. Die Klassiker finden sich in den anderen Bänden, aber verkehrt ist auch das hier nicht – insbesondere mit ein wenig Abstand macht es Laune, die „beiden“ wieder zu hören. Besonders hervor stechen hier die Kabbeleien und kleinen Duelle, die sie sich liefern, mitunter herrlich ins Absurde übersteigert. Nicht jeder Schuss ist ein Treffer und die frühen Bände sind definitiv zwingender, aber Zeitverschwendung sieht anders aus.

Bisher habe ich zu Hörbüchern nichts geschrieben, es angeregt durchs Deliria-Italiano-Forum nun aber doch getan. Viel vorenthalten habe ich da niemandem, denn normalerweise höre ich gar keine Bücher und hätte es in diesem Falle wohl auch nicht getan, hätte ich Teile der Reihe nicht im Tauschschrank gefunden (und Fehlendes aus der Sammlung meiner Lebensgefährtin aufstocken können). Davon unabhängig werde ich mich vielleicht so nach und nach mal dem übrigen Werk Klings annähern…

02.10.2024, Große Freiheit 36, Hamburg: CANNIBAL CORPSE + MUNICIPAL WASTE + IMMOLATION + SCHIZOPHRENIA

Dieses Vierer-Paket befindet sich auf Tour, zum Halt auf dem Hamburger Kiez bekam ich von meinen DMF-Bandkollegen eine Karte zum Geburtstag geschenkt – besten Dank, Jungs! Anderenfalls wäre ich aber auch nie auf die Idee gekommen, hinzugehen. CANNIBAL CORPSE als Headliner interessieren mich nicht zwingend und den Laden meide ich normalerweise, war seit Äonen nicht mehr da. Da der Einlass bereits für 16:30 Uhr terminiert war und es pünktlich um 17:15 Uhr losging, musste ich auf Arbeit viehisch ranklotzen und Cheffe bitten, mich ‘ne Stunde früher gehen zu lassen. Trotzdem waren die belgischen Death-Thrasher SCHIZOPHRENIA, deren „Voices“-Mini-LP es mir besonders angetan hat, die ersten Songs lang lediglich Soundtrack zum Einlass und zur Plünnenabgabe an der Garderobe.

Anschließend erst mal ‘n Bierchen (Becks vom Fass, halber Liter für satte 6 Öcken!) geholt und zu aklimatisieren versucht. Die junge Band war bestens in Form und hatte sichtlich Freude, den ausverkauften Bums eröffnen zu dürfen. Vor der Bühne wütete bereits ein veritabler Pit und am Ende gab’s noch das MORBID-ANGEL-Cover „Maze of Torment“ auf die Löffel. Geile Livecombo, würde ich mir gern noch mal in ‘nem kleinen Club geben.

Die alten US-Death-Metal-Recken IMMOLATION zockten im Anschluss auf Atmosphäre getrimmte Düsterheimer-Songs, die leider null bei mir zündeten. Bin ja ohnehin eher ein Death-Metal-Muffel und kann mit einem Sound wie dem vom Quartett dargebotenen nichts anfangen. Musste ich halt über mich ergehen lassen, denn in der Großen Freiheit 36 gibt’s keinen Stempel und nix, einmal drin kommst du nicht wieder raus (es sei denn, du bist Snake Plissken…). Stimmt natürlich nicht: Raus schon, nur eben nicht wieder rein. Miese Falle, von wegen „große Freiheit“. Dafür traf ich auf immer mehr bekannte Gesichter, subventionierte die ganze Chose durch Erwerb überteuerter Bremer Industriepilsetten und schaute dem glatzköpfigen der beiden Gitarristen bei seinen ulkigen stakkatohaften Bewegungen zu.

Viel besser kann ich auf MUNICIPAL WASTE und ihren Thrash-/Hardcore-Crossover-Sound, wenn ich auch die letzten Alben nicht mehr brauche und mein letztes WASTE-Konzert satte fünf Jahr zurücklag. Letzteres war natürlich ein Spitzenargument, heute Abend hier zu sein, und ich hatte Bock. Vor der Bühne ein großer Circle Pit, quasi unablässig am Rotieren, ab und an ging’s auch etwas rüder zu. Die Bühnengröße im Zusammenhang mit dieser Musik irritierte mich aber etwas, viel mehr jedoch die Lautstärke: Erstmals fiel mir auf, wie leise der P.A.-Sound hier war. Das muss doch aber drücken im Gesicht! Die US-Amerikaner durften im Gegenzug zu den vorausgegangenen beiden Bands Zugaben spielen, Bühnenpräsenz und Performance waren einwandfrei. An meinen ersten WASTE-Gig seinerzeit im Hafenklang kam das Ding hier aber allein schon atmosphärisch in keiner Weise ran. Das Publikum hatte der Auftritt extrem durstig gemacht, sodass man ab jetzt mitunter arschlange fürs Bier anstehen musste und es zunehmend drängelig an den Theken wurde.

Das hielt mich aber nicht ab, denn ich musste mir ja noch CANNIBAL CORPSE schönsaufen. Der einstige Bürgerschreck, seit dem Auftritt mit Jim Carrey in „Ace Ventura“ rehabili- und als legitime, letztlich harmlose Unterhaltungsform weithin akzeptiert, zählt bis auf einzelne, für meine tauben Ohren herausragenden Songs gewiss nicht zu meinen Lieblingsbands. Seit ich mich auf dem Rock-Hard-Festival aber mal vor der Bühne positionierte, um mich von der ultralauten und brutalen CORPSE-Show durchdringen zu lassen, habe ich eine gewisse Freude daran entwickelt, mich von diesem Sound in einen Trance-ähnlichen Zustand versetzen zu lassen und mich daran zu erfreuen, wie bei etwas, das für mich so viel musikalische Abwechslung birgt wie ein Modern-Talking-Album, dabei aber ungleich uneingängiger daherkommt, Musiker und Growler ganz genau wissen, wann was wo zu sitzen hat und perfekt aufeinander eingegroovt scheinen. Respekt! Auch dafür, konsequent über einen mittlerweile derart langen Zeitraum konsequent seinen Stiefel durchzuziehen. Klang ein Riff mal etwas bis deutlich thrashiger und verließ Frontmann Corpsegrinder mal kurz den Krümelmonstermodus, lief mir das alles auch gleich viel besser rein, und wenn nicht, blieb eben technisches Gehacke, dem beizuwohnen auf eigentümliche Weise Laune macht, während Corpsegrinder per Propeller-Banging für erhöhte Luftzirkulation sorgt.

Kurz vor zehn war dann tatsächlich Feierabend und ich mittlerweile so berauscht, dass ich es für eine gute Idee hielt, noch auf dem Geburtstag eines Kumpels vorbeizuschauen, dem ich im Vorfeld vorsorglich abgesagt hatte. Konsequenz: Zwei Tage Kater. Nochmals danke an meine Bandkollegen! 😀 In die Große Freiheit muss ich aber so schnell echt nicht wieder.

Bill Watterson – Calvin und Hobbes

Nach „Irre Viecher aus dem All“ und „Was sabbert da unterm Bett?“ konnte ich auf einem Flohmarkt nun auch des (selbstbetitelten) ersten Softcover-Bands der in den Nullerjahren beim Hamburger Carlsen-Verlag erschienen elfbändigen Funny-Zeitungsstrip-Reihe habhaft werden. Im US-Original ist er bereits 1987 erschienen.

Über 130 Schwarzweiß-Seiten erstrecken sich die überwiegend aus vier Panels bestehenden Strips sowie die sonntags in den Tageszeitungen veröffentlichten Onepager. In seinem zweiseitigen Vorwort hebt „Doonesbury“-Schöpfer Garry Trudeau Wattersons Realismus in Bezug auf kindliche Erlebniswelten lobend hervor und beschreibt die Funktion dieser Comics für eine ausgewachsene Leserschaft:

„Dieses Gefühl des Ausgeschlossenseins verleitet viele Erwachsene zu dem Versuch, die Unbeschwertheit der Jugend wiederzuerlangen, das Unwiederbringliche zurückzuholen. Ein paar Verzweifelte greifen zu Mitteln, die über kurz oder lang in die Betty-Ford-Klinik führen. Wir anderen, etwas Vernünftigeren, lesen ,Calvin und Hobbes‘.“

Die Fantasiesituationen des sechsjährigen Einzelkinds Calvin, in denen sein Stofftiger Hobbes lebendig und ihm Spielkamerad und Familienmitglied zugleich wird, machen einen Großteil der Strips aus; ihre Pointe ist die jeweilige Auflösung in der Realität – ein Konzept, das Watterson hier noch sehr stringent verfolgt. Jedoch: Manchmal ist’s spaßigerweise auch umgekehrt. Watterson etabliert einige Running Gags und wiederkehrende Motive sowie Figuren wie die Mitschülerin, den Schulschläger, Raumfahrer Spiff (ein Alter ego Calvins, vergleichbar mit Snoopys Weltkriegsflieger-Ambitionen), Calvins Fernsehsucht und die Beurteilungen seines Vatis, als handele es sich um bei diesem um einen gewählten Politiker. Das ist mal niedlich, öfter frech, immer charmant und meist irre komisch.

Die deutsche Bearbeitung legte Calvin auf S. 110 Paul Kuhns „Es gibt kein Bier auf Hawaii“ in den Sangesmund, die Reminiszenz an den Horrorklassiker „Die Fliege“ auf S. 114 wiederum ist international verständlich. Eigenartigerweise folgt in meiner Ausgabe auf Seite 72 die Seite 85, es scheinen also 12 Seiten zu fehlen. Nach einem Herausriss sieht’s aber nicht aus. Ein Fehldruck? Oder doch eine spurenlose Entfernung?

Wie auch immer: „Calvin und Hobbes“ würde ich gern irgendwann komplettieren, weitere Bände liegen schon bereit.

17.09.2024, Kir, Hamburg: PIZZA DEATH + FATAL COLLAPSE

Thrash-Bands, die Humor beweisen und sich einen Spaß daraus machen, statt ausschließlich über Missstände oder Evilness und den Gehörten zu texten auch mal über Profanes zu salbadern, werden von Teilen der Metal-Szene seit einiger Zeit abschätzig als „Pizza-Thrash“ bezeichnet. Die Australier PIZZA DEATH kümmert das wenig, im Gegenteil: Die haben bereits zwei Konzeptalben veröffentlicht, auf denen es um „pizza, death, and death by pizza“ geht. Damit verfolgen sie jenen Thrash/Hardcore-Crossover-Ansatz, den Mitte der 1980er S.O.D. erstmals sowohl musikalisch als auch mit ihrem schwarzen Asi-Humor in die Szene trugen. Ähnlich wie beim Fun-Punk kann ich die Kritik grundsätzlich nachvollziehen, denn eigentlich sollte es genug ernste Themen geben, die prädestiniert wären, mit dieser musikalischen Härte beackert zu werden. Andererseits mag ich S.O.D. und stehe sowohl auf diesen Sound als auch auf Asi-Humor. Da bot es sich an, zwecks Meinungsbildung das Konzert eben jener Australier aufzusuchen, die sich gerade auf Europatour befinden.

Von diesem erfuhr ich sehr kurzfristig erst durch meinen Kumpel Christian, der wiederum von einem seiner Kumpel darauf aufmerksam gemacht wurde. Dies wiederum dürfte daran liegen, dass es im Kir stattfand – eigentlich ein Gothic-Laden, der nur alle Schaltjahre mal ein Metal-Konzert veranstaltet. Ehrlich gesagt hatte ich auch die Band überhaupt nicht auf dem Schirm, offenbar fand sie bisher weder im Rock Hard noch im Deaf Forever oder einem von mir gelesenen Fanzine statt. Wie auch immer, in der Konstellation Christian, sein Kumpel und meine Wenigkeit suchten wir das Kir auf, nachdem ich mir stilecht vorher beim Italiener noch ‘ne Pizza besorgt und verspeist hatte. Das Kir ist klein und dunkel, also wie gemacht für ein dummerweise unter der Woche stattfindendes Underground-Konzert. Es gibt „Bergedorfer“-Pils vom Fass (wusste gar nicht, dass Bergedorf sein eigenes Bier hat), das stark süßlich Richtung Malzbier schmeckt und mit satten 4,- EUR für 0,33 l zu Buche schlägt. Doof wie wir sind, tranken wir trotzdem Runde um Runde…

Die lokalen D.I.Y.-Thrash-Newcomer FATAL COLLAPSE, die sich Gitarrist Buddy mit den THRASHING PUMPGUNS teilen und bisher eine EP und ein Album auf dem Kerbholz haben, eröffneten den Abend – sicherlich nicht zuletzt deshalb, weil Shouter Niklas PIZZA DEATH für diesen Gig nach Hamburg geholt hatte. Bei gutem Sound zockte das Quartett seinen rauen Thrash vor noch etwas verhaltenem, aber interessiertem Publikum, der mir umso besser in die Löffel ging, je mehr die Riffs um oldschool-thrashige höhere Töne angereichert und von der Rhythmussektion aufs Gas gedrückt wurde. Niklas röhrte mit seiner tiefen, heiseren Stimme drüber und übernahm zusammen mit dem Basser die Kommunikation mit den Anwesenden. Als geforderte Zugabe gab’s ein brandneues, noch unveröffentlichtes Stück, das ziemlich geil klang. Höre ich mir auf Bandcamp noch mal in Ruhe an und versuche ich, im Auge zu behalten.

PIZZA DEATH, ebenfalls in Viererbesetzung, war dann der erwartete und erhoffte Abriss. Der Shouter in Pizza-Design-Shorts und MEGADETH-Persiflagen-Shirt, Gitarrist und Drummer kurioserweise barfuß (zumindest der sichtbare Nicht-Fußmaschinen-Fuß) und musikalisch zumeist die grobe, direkt auf die Zwölf zielende Kelle in Form kurzer, schnell auf den Punkt kommender Songs. Die bewegungsfreudigen Australier verließen gern mal die Bühne und durchpflügten das Publikum, das wiederum eine Wall of Death aus Ananas-auf-Pizza-Befürwortern auf der einen und -Gegnern auf der anderen Seite bilden sollte. Eine echte Ananas wurde anschließend wütend zerstört und fand sich fortan als Obstmatsch vor der Bühne wieder. Ein anderes Mal kam ich gerade vom Pissoir, als offenbar eine Besucherin in ein albernes Kostüm gesteckt und mit Alufolie umwickelt worden war. Die Band persifliert typische Thrash-Themen, indem sie sie in einen kulinarischen Kontext überträgt, weiß aber auch von manch an B- und Trash-Movies erinnernder „true story“ zu berichten, die in den Ansagen kolportiert und anschließend musikalisch verarbeitet wird: Von die Familie des Bassisten wegschmelzen dämonischen Pizzastücken (oder so) über in Pizzateig verarbeitete und anschließend verzehrte Menschenasche bis hin zum Deibel, den man an der Strippe hat, wenn sich bei der Pizzabestellung verwählt. Wenn mich meine Bergedorfer-verklebte Erinnerung nicht trügt, wurde letztgenannte Nummer, „13 11 666 (Satan’s Slice)“, als Zugabe gespielt. PIZZA DEATH waren das musikalische Äquivalent zu einer extrascharfen und mit dicker Käsekruste überbackenen Terrorpizza, von der man weiß, dass sie einem nicht guttun wird, der man aber nur schwer widerstehen kann, weil der ‘80er-Horrorfilmabend ohne sie nur halb so schön wäre. Deftigste Zutat: der Drummer, der manch Blastbeat ohne Weiteres locker aus dem Handgelenkt schüttelte.

Das Konzert war früh genug vorbei, um noch rechtzeitig in die Koje zu kommen. Und um auf die eingangs erwähnte Debatte zurückzukommen: Ich wurde überzeugt – Pizza Thrash rules ok!

Paolo Eleuteri Serpiere – Aphrodisia

Als ich aus einer Gebrauchtartikel-Wühlkiste eines Comichändlers dieses 1999 im Münchner Verlag Schreiber & Leser erschienene 56-seitige, vollfarbige Softcover-Album mitnahm und dann irgendwann auch las, wusste ich nicht, dass es sich um den im italienischen Original „Druuna“ betitelten zweiten Teil der berüchtigten achtteiligen „Morbus Gravis“-Reihe Serpieris um die eben Druuna heißende Protagonistin handelt, die der Zeichner ab 1985 innerhalb einer dystopischen, surrealen Science-Fiction-Welt auftreten ließ, die er mit drastischen Horror- und Erotik-Elementen mischte.

Meine Ahnungslosigkeit erklärt auch, weshalb ich während der Lektüre der Ansicht war, Serpieri habe es sich mit dem in reiner Schriftform vorangestellten (und in dieser deutschen Übersetzung leider viele Zeichensetzungsfehler aufweisenden) Prolog etwas sehr einfach gemacht – hielt ich diesen Band doch für eine in sich abgeschlossene Geschichte. Dem ist nicht so und entsprechend herausfordernd ist es auch, sich in die Handlung einzufinden. Deren Prämisse wird in einem Dialog im letzten Drittel auf den Punkt gebracht: „Du, ich und diese ganze Umgebung“, so lässt Druuna ihr dortiges Gegenüber wissen, „gehören zum Traum eines ,Geistes‘. Einst war er ein Mensch, jetzt ist er reine Energie mit unglaublichen Kräften.“

Der sich an eine erwachsene Leserschaft richtende Comic ist in einem hyperrealistischen Stil hervorragend gezeichnet, handgelettert und mit expliziten Sexszenen durchsetzt, die eine eigenwillige, gewöhnungsbedürftige, reichlich abgefahrene Angelegenheit aus der Geschichte machen – die, zumindest in diesem einzigen mir bisher bekannten Band, hinter den Schauwerten zurücksteht.

Die „Morbus Gravis“-Reihe rief sodann auch die deutschen Sittenwächter auf den Plan. Vor Schreiber & Leser veröffentlichte hierzulande der Alpha-Verlag die Alben, der sich, so steht’s in der Wikipedia, von vornherein in Selbstzensur geübt habe. Dies habe deutsche Behörden jedoch nicht daran gehindert, im Zuge der bis dahin beispiellosen Beschlagnahmeaktion im Jahre 1995 auch „Morbus Gravis“-Titel zu unterschlagen. Gut möglich daher, dass es sich auch bei dieser Schreiber-&-Leser-Auflage um eine bereits entschärfte Fassung handelt. Unzensierte Gesamtausgaben seien 2015 und 2016 ebendort erschienen.

Diese Zensurgeschichte ist ehrlich gesagt spannender, als dieses Album auf mich wirkte, das mich mit Serpieris Stil, den dynamischen Panelstrukturen und der mal trist-graustichigen, dann wieder lebendig fleischfarbenen Kolorierung in erster Linie gestalterisch zu überzeugen wusste.

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