Die sog. „Silver Surfer“, sprich: das Internet erkundende Rentner, sind für manch Spott gut, so auch in Christian Humbergs spürbar fiktiver, 320 Seiten starker Abhandlung über seinen sturen, rechthaberischen und in Sachen Computern vollkommen unbeleckten Vater Horst, dem von Humberg vorgeführten Paradebeispiel eines DAUs. Unterteilt in 18 Kapitel, Epilog und Anhang verwendet Humberg viel Zeit für eine ausführliche Charakterisierung Horsts, die Rückschlüsse dahingehend erlaubt, welcher Menschenschlag derartige DAUs wohl sein mögen, wie ihre Persönlichkeitsstruktur beschaffen sein muss, um sich so furchtbar nassforsch und uneinsichtig unbekanntem Terrain zu widmen.
Das geht mit viel Humor einher, ist häufig jedoch auch lediglich Aufhänger für recht gute Erklärungen des Autors in allgemeinverständlicher Sprache diverse Internet-Phänomene und -Themen betreffend, angefangen bei der Entwicklung des Netzes bis hin zu aktuellen Trends wie Twitter & Co. oder Phänomenen wie trashigen YouTube-Videos und deren Sternchen. Manches ist indes auch Quatsch: Ein Verkäufer bietet angeblich an, auf einem Mac jedes beliebige Betriebssystem zu installieren und im Internetkurs der Volkshochschule (den Horst immerhin besucht) wird plötzlich Excel unterrichtet? Horst fällt auf vorgeblich von seiner Sparkasse stammenden Spam herein und fängt sich ein Virus ein, das jedoch noch nicht einmal seine Kontodaten zu phishen versucht? Sein Kumpel Jupp wird zum Bürgermeister gewählt? Na gut, dessen „Hacking“ war vielmehr das Erschleichen eines vertraulichen Cloud-Passworts in der Verwaltung. Sehr richtig ist hingegen, dass man seine vermeintlichen Krankheiten keinesfalls googlen sollte und auch Humbergs nur am Rande mit seinem eigentlichen Thema zu tun habenden Definitionen verschiedener VHS-Besuchertypen werden vermutlich der Realität entspringen.
Dass Humberg von Bundesregierungen offenbar mehr hält als Horst, zeugt andererseits von einer nicht ungefähren Naivität, fast ähnlich der, mit der sich Horst dem Internet annähert. Dass Humberg generell eher ein Leisetreter denn tatsächlicher Rebell ist, beweisen auch seine immer wieder eingestreuten Erinnerungen an seine Studentenzeit, die mit bisweilen etwas anbiederndem Humor einhergehen und letztlich arg harmlos ausgefallen sind. In erster Linie dienen sie als längerer Abriss über die damalige Erstvernetzung seines Studentenwohnheims und gibt damit Einblicke in die Anfangszeit der flächendeckenden Verbreitung von Internetanschlüssen. Sie unterscheiden sich von den oftmals moritatischen, ihren Lerneffekt durch eine Art Moral erzielenden übrigen, in der Gegenwart verankerten Abhandlungen.
Aufgrund seines informativen Mehrwerts erscheint mir „Der alte Mann und das Netz“ recht gut für zur Selbstironie fähige ältere Semester geeignet, die nach der Lektüre selbst entscheiden könnten, ob sie die grundlegenden Dinge verstanden haben und es sich zutrauen, sich das Internet zunutze zu machen oder ob sie angesichts der beschriebenen Herausforderungen und Gefahren doch besser verzichten.
Der witzige Anhang, die „Hottipedia“ mit sehr eigenwilligen Begriffserklärungen, rundet das 2015 im Goldmann-Verlag erschienene Buch ab, das für meinen Geschmack gern noch frecher hätte ausfallen dürfen und auf seine irritierende, weil zu durchschaubare angebliche Authentizität besser ebenso verzichtet hätte wie auf manch halbgare Anekdote oder nicht zu Ende gedachte, an den Haaren herbeigezogene Konstruktion. Ein kurzweiliger Spaß ist es dank manch scharfer Beobachtung Humbergs und seiner komödiantischen Aufbereitung über weite Strecken jedoch allemal und verleiht evtl. auch manch DAU-Geschädigtem ein Gefühl der Genugtuung.
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