Den US-Comiczeichner Peter Bagge hatte ich Mitte der 1990er dadurch kennenlernt, dass der Carlsen-Verlag seine punkig-anarchische, im Seattle des Grunge-Booms angesiedelte Funny-Reihe „Hate!“ unter dem deutschen Titel „Leck mich!“ veröffentlichte. Nach neun großartigen Heften war Schluss, und was ich nicht ahnte: Bereits vor „Hate!“ hatte Bagge Comics um sein Alter Ego Buddy Bradley gezeichnet und veröffentlicht. In diesen hatte es Buddy noch nicht nach Seattle verschlagen, sondern er lebte mit seiner Familie (Mutter, Vater, Schwester, kleiner Bruder) in einer New Yorker Vorstadt und pubertierte fröhlich vor sich hin. Der Alpha-Verlag veröffentlichte 1991 innerhalb seiner „U-Comic präsentiert“-Reihe als Band Nr. 45 ausgewählte Geschichten, die im US-Original im Zeitraum 1985 bis ’89 – also noch vorm die erste Hälfte der ‘90er popkulturell prägenden Grunge-Hype – erschienen waren.

Das rund 50-seitige Softcover-Album umfasst sechs unkolorierte Geschichten in sehr abwechslungsreichen, dynamischen, dennoch meist klar strukturierten Panel-Grids, innerhalb derer die Figuren eine stark expressionistische Karikatur einer „typischen“ US-Familie der zweiten ‘80er-Hälfte darstellen. Die vorherrschende Emotion ist Wut, die Raserei der Figuren wird mittels extremer Metamorphosen in schnaubende, brüllende oder um sich schlagende, monsterhafte Fratzen zum Ausdruck gebracht. Bereits das ist gehobenes Comicvergnügen, doch auch erzählerisch lässt Bagge aufmerken: In „Zuflucht beim Rock’n’Roll“ steht lange das damals aktuelle Duran-Duran-Album im Mittelpunkt, bis Buddy Eskapismus in einer Yardbirds-Best-Of findet; „Mom Power!“ ist ein heftiger feministischer Wutausbruch; „Ein heimlicher Blick in Babs Bradleys Tagebuch“ eine köstliche Persiflage auf die wirre Gedankenwelt heranwachsender Teenie-Schnepfen und in „Du bist nicht mein Boss!“ begehrt Babs gegen ihre Mutter auf und treibt diese damit in den Wahnsinn bis zur völligen Eskalation.

Die ohne Dialoge auskommende, im Prinzip nicht einmal eine richtige Geschichte erzählende Bildabfolge „Familie Bradley in: Ikonen“ stellt Idole bzw. Ob- und Subjekte der Verehrung wie Actionfiguren, Pop- und Rock-Musiker(innen), Sportmannschaften oder Politiker gleichberechtigt dem christlichen Glauben Mutter Bradleys gegenüber und regt in mehrere Richtungen zum Hinterfragen an. Vor allem aber wimmelt es hier nur so vor Zeitkolorit und popkulturellen Referenzen – und bei Bagges „Masters of the Universe“-Zeichnungen geht mir natürlich das Herz auf. Abschließend lernt man noch Oma Bradley im Rahmen eines Zweiseiters kennen.

All das ist brillante, oft hintergründige Comicunterhaltung, die beweist, dass Bagge seinerzeit mit „Hate!“ keinesfalls auf den Grunge-Zug aufgesprungen ist, sondern bereits ein mehr als respektabler Comicautor und -zeichner war. Es würde mich nicht wundern, wenn „Die Bradleys“ auch einen gewissen Matt Groening inspiriert haben… Schön, dass ich dieses Album auf einem Flohmarkt entdeckt habe; schade hingegen, dass Bagges ‘80er-Œuvre bisher nicht vollständig in einer deutschen Fassung erhältlich ist.