Endlich wieder Konzerte in der Gängeviertel-Fabrik! So komme ich auch endlich einmal in den Genuss dieser Örtlichkeit, denn mit MONO FÜR ALLE! gibt es einen vielversprechenden Anlass. Aufgrund des zu erwartenden Besucherandrangs erscheine ich peinlichdeutsch pünktlich vor Ort, vor dessen Eingang sich bereits Menschenmassen versammelt haben, die des Einlasses harren. Während ich bei kleineren Gängeviertel-Konzerten stets einen einstelligen Betrag als Eintrittsspende abgedrückt habe, spricht man diesmal eine deutliche Spendenempfehlung aus: 13 Taler. Ich runde etwas auf und bin mir sicher, dass dieser Obolus gut investiert ist. Die Größe des Saals dürfte in etwa der des Altonaer Monkeys entsprechen, es gibt ‘ne schön geräumige Bühne, hinten ‘nen Tresen und an der rechten Flanke Sitz-, Rückzugs- und Abkackgelegenheiten. In rasender Geschwindigkeit füllt sich die Fabrik, bis es eng und drängelig ist. Wie vermutet haben MONO FÜR ALLE! eine große Hamburger Fanbase, doch auch viele von außerhalb haben sich unters Volk gemischt. Allen gemein ist, dass sie sich zunächst der Vorband ausgesetzt sehen: TRIPLE T.H. aus Hannover, die mit MONO FÜR ALLE auf Tour sind. Lokalen Support gibt es leider nicht.
Die Niedersachsen betreten in alberner Maskerade von Schwimmflügeln bis Frauenklamotten die Bühne und zelebrieren ‘ne wilde, betont individuelle Mischung von ‘90er-HC/Hip-Hop-Crossover über Groove-Zeug bis Nu-Metal-Anleihen mit deutschen Texten. Man hängt sich voll rein, liefert ‘ne überaus energiegeladene Bühnenshow mit viel Bewegung und hat große Teile des feierwütigen Publikum schnell im Griff. Der Sound stößt nicht auf taube Ohren, wenngleich ich die Begeisterung nicht ganz teilen kann. Respekt für den Einsatz, aber freiwillig zu Hause anhören würde ich mir das eher nicht. Attitüde und Image erscheinen mir dann auch etwas arg konstruiert und auf überdreht getrimmt, aber immerhin traut man sich mal wieder, enge Genregrenzen zu sprengen und auf Klischees zu scheißen.
Das tun zweifelsohne auch MONO FÜR ALLE! aus Gießen. In Ermangelung von Alternativen wird ihr Stil gern als Electropunk bezeichnet und ich erinnere mich an einen kleinen szeneinternen Hype um die Band irgendwann im letzten Jahrzehnt, als ich ihren mutmaßlich größten Hit „Amoklauf“ wohlwollend zur Kenntnis genommen, mich ansonsten aber nicht weiter um sie geschert hatte. Amüsiert hatte mich, dass dieser sowie der eine oder andere Song tatsächlich die Stasi auf den Plan gerufen hatte, die mit den vermittelten Inhalten nicht ganz einverstanden war – was natürlich zu weiterer Popularität für das Trio führte. Im Plastic Bomb las ich zwischenzeitlich von Kontroversen mit „antideutschen“ Vollhonks, denen man offenbar schön vor den Koffer gekackt hatte, was mir die Band, die in einem Interview in derselben Postille diesbzgl. klar Stellung bezogen und den Finger in die Wunde der allzu leichtfertigen Akzeptanz solcher und ähnlicher Auswüchse innerhalb der Szene gelegt hatte, noch sympathischer machte. Irgendwann habe ich mich dann doch auch intensiver mit ihrer zunächst reichlich gewöhnungsbedürftigen Musik auseinandergesetzt und meinen Gefallen an ihr gefunden. Live gesehen habe ich MFA indes noch nie, was sich nun ändern soll.
Gekleidet in Sturmhaube (Bassist), Burka (Drummer) und langes Beklopptenhemd (Sänger) betritt man unter extraviel Kunstnebeleinsatz die Bühne und Frontmann Mono nimmt seine Rolle ein: Hinter einer Art Kanzel ersetzt er mit seinem Keyboard die sonst punktypische Gitarre und singt mit hoher Fistelstimme Songs wie „Amoklauf“, „11. September“ und „Boykottiert McDonald’s“, während er Distanz schafft, indem er sich mittels Stimme, Mimik und Gestik wie ein unberechenbarer, stets möglicherweise kurz vor der Eskalation stehender Wahnsinniger gebärdet. Das passt mal besser, mal etwas weniger gut zu den deutlichen, gern zynischen Texten, ist als Ausdrucksform aber zumindest einzigartig. Das gilt auch für die bisweilen regelrecht sphärischen Keyboardteppiche, die er ausrollt und manches Mal in tranceartige Zustände zu versetzen drohen, die Lightshow trägt ihr Übriges dazu bei. Mitten im Set setzt Mono seine Kanzel kurz in Brand und spielt auf dem Bühnenboden weiter, später hängt er sich eine stilisierte MG um. Der ganze Showaspekt ist mir manchmal etwas zu viel, irgendwie drüber, zu sehr Schauspiel, zu wenig Punkrock. Es überwiegen jedoch die Momente, in denen MFA als den Gesellschaftszustand böse, scharfzüngig und provokant kommentierendes Gesamtkunstwerk aufgeht und eine willkommene Abwechslung zu manch Szene-Stereotypen darstellt. Der eigens mitgereiste Mischer meint es etwas zu gut mit dem Hall auf Monos Stimme, möglicherweise klang das aber auch nur direkt am Bühnenrand so. Beim überraschend früh gespielten „Amoklauf“ stürze ich mich kurz in den Pogo-Mob, doch die Kombination aus dem Fabrikboden, Bierlachen und meinen Schuhsohlen ist auf Dauer nix. Zu regelrechten Pogo-Explosionen kommt es danach auch eher selten, dafür sind auch die wenigsten Songs geeignet, doch es herrscht permanent Bewegung und ausgelassene Stimmung. Im energisch eingeforderten Zugabenblock findet sich dann auch endlich mein Lieblingslied: „Hallo Verfassungsschutz“, dieser mörderische Ohrwurm, der zu Irritationen führen kann, singt man ihn gedankenverloren in der Öffentlichkeit vor sich her.
Obwohl bereits seit Ende des letzten Jahrtausends existent, gibt es gar nicht so viele MFA-Songs. Qualität statt Quanität scheint das Motto der Band zu sein, die sich auch weiteren „Geschäfts-“ oder „Szene-Regeln“ konsequent verweigert und beispielsweise anstelle eines YouTube-Kanals und Facebook-Profils einen Song gegen derartige Netzwerke im Programm hat. Ihrem Bekanntheitsgrad geschadet hat all das anscheinend nicht. Es ist gut, zu wissen, dass es eine Band wie MONO FÜR ALLE! gibt und dass es funktioniert.
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