Günnis Reviews

Autor: Günni (page 48 of 107)

12.12.2015, Lobusch, Hamburg: Au revoir, Stef! DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS + INBREEDING CLAN

disillusioned motherfuckers + inbreeding clan @lobusch, hamburg, 12.12.2015Am 12.12.2015 war es soweit und es hieß, Abschied von unserem Quasi-Gründungsmitglied und Bassisten Stef zu nehmen, der nach Jahrzehnten in Deutschland beschlossen hat, am Jahresende in seine französische Heimat zurückzukehren. Natürlich galt es, ihn mit allen militärischen Ehren zu verabschieden, sprich: es noch mal richtig krachen zu lassen! Zu diesem Zwecke organisierten wir erstmals selbst ein Konzert; die Wahl fiel natürlich auf die altehrwürdige Lobusch im Herzen Hamburgs, in der wir praktischerweise auch unseren Proberaum haben. Dass das im Vorfeld alles etwas chaotisch ablief, lag da natürlich in der Natur der Sache: Unseren ursprünglichen Plan, zusammen mit zwei anderen Bands zu zocken, dampften wir auf eine einzelne Combo ein, die dafür aber dreckig für zwei oder mehr ist: den INBREEDING CLAN. Kurz vorher sagte dann DJ Loco krankheitsbedingt ab, der für die Aftershow-Beschallung eingeplant war, der gebuchte, aber verhinderte Tonmensch Norman schickte seinen Kollegen Wurzel und bis zuletzt blieb es spannend, wer nun tatsächlich für Tresendienst und Einlass kommen würde. Eisenkarl wusste uns jedoch zu beruhigen, indem er einwendete, das sei ganz normal und würde schon hinhauen. Und er sollte Recht behalten: Ganz kurzfristig sprangen Katharina und Pieksbirne freundlicherweise für die erste Tresenschicht ein, kurz darauf standen auch Britta und Denise ihre Frau und später hatten Frank und Niko von HAMBURGER ABSCHAUM die Lage im Griff, als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Für den Einlass konnten wir auch auf gleich drei Leute zählen. Von vornherein bestens geklappt hatten das Flyerverteilen und Plakatieren Altonas Chefkoch Nr. 1, the infamous Olax, kredenzte die haute cuisine der Saison. Top Job aller!

Nach Bühnenaufbau und Soundcheck versammelte sich zunächst langsam, dann umso geballter der feierwütige Mob im Club und scharrte bald ungeduldig mit den Hufen, bis ihm ab zehn nach zehn der INBREEDING CLAN zeigte, wie original Hamburger Südstaaten-Redneck-Scumrock/-punk zu klingen hat. Das dreckige Quartett um Sänger Flo servierte ihren gut abgehangenen, madendurchsetzten und von Fliegen umkreisten Scumbatzen mal verzerrt, häufig aber auch „clean“ (sofern dieser Begriff hier angebracht ist) und minimalistisch instrumentiert, so dass das Hauptaugenmerk auf Flo lag, der mit whiskey- und shitgegerbter Stimme in die Rolle eines Familienmitglieds aus „The Texas Chainsaw Massacre“ zu schlüpfen schien und verdammt authentisch anmutende Weisen über das eigene Selbstverständnis als CLAN, die Verachtung aller und alles anderen sowie eigenwillige sexuelle Vorlieben in geschliffenem Hillbilly-Englisch schmetterte. Seine schlabbrige Schlafanzughose hatte dabei auch schon bessere Tage gesehen und gab schnell auf bzw. damit den Blick auf seinen vergnügt baumelnden Pimmel frei. Stimmte er eine „Ballade“ an, nahm er bequem auf dem Bühnenrand platz, das hatte dann schon fast etwas von einem gemütlichen Liederabend. Das monotone Snare-Standtom-Spiel des immer irgendwie abwesend wirkenden Drummers gehört ebenso dazu wie das Grimassenschneiden Flos und natürlich das tanzende Publikum, denn der simple Beat geht sofort ins Bein. Statt „Bite It You Scum“ wurde diesmal „Fuck Off, I Murder“ von GG Allin gecovert, das sich natürlich nahtlos ins Set einfügte. Einer hatte im RUN-DMC-Stil ein „FCK FLO“ Shirt dabei und hielt es dem Sänger vor die Nase, ich wiederum verzichtete angesichts unseres bevorstehenden Gigs diesmal darauf, mich zu besaufen und oberkörperfrei vor der Bühne zu eskalieren. Den Nüchternheitstest hat der CLAN jedenfalls bestanden, das war wieder spektakulär daneben!

Irgendwie nahm das aber kein Ende mehr, die hörten gar nicht mehr auf! Auf ein Zeichen kamen sie nach 75 Minuten dann zum Schluss und nach kurzer Pause war’s dann soweit: unser letzter Gig mit Stef. Die Bude war mittlerweile richtig voll, ein nicht unerheblicher Teil der Gäste – unter ihnen der halbe Gaußplatz und überraschend aus dem Ruhrpott angereiste Kapeiken – ebenfalls und die Luft nur noch schemenhaft erahnbar im stickigen Dickicht aus Zigarettenqualm und anderen Ausdünstungen. Allein schon aufgrund der Halsschmerzen, die mich seit zwei Tagen plagten, goss ich mir ’nen lütten Whiskey rein – und ab dafür… Direkt von Beginn an ging die Meute gut mit, nach dem dritten Song warf ich sämtliche Absprachen übern Haufen und sagte den fünften an. Man erinnerte mich jedoch daran, dass vor der Fünf die Vier käme und jetzt Freibierzeit wäre und so verteilten wir einen Kasten Holsten von der Bühne an den durstigen Pöbel. Im Anschluss peitschte Chrischan uns mit seinem Nuclear Motherfuckers Beat so dermaßen an, dass kaum Zeit zum Luftholen blieb – der Gute wurde immer schneller! Hinzu kam, dass wir diesmal tatsächlich mal durchzogen, was wir schon länger vorhatten, nämlich einige Songs blockweise aneinanderzuhängen, also quasi ohne Pause durchzuzocken. Nun war’s zwar einerseits angenehm, sich nicht ständig alberne Ansagen überlegen zu müssen, andererseits hetzten wir jetzt förmlich durchs Set. Und überhaupt, die Luft! Ich kann mich nicht erinnern, dass es jemals SO dermaßen stickig gewesen wäre. Zwischendurch dachte ich beim Brüllen kurz, ich würde jetzt entweder ohnmächtig oder kotzen müssen. Stattdessen würgte ich einen riesigen Schleimballen hoch, den ich gleich wieder hinunterschluckte – guten Appetit. Kais Gitarre war ungewöhnlicherweise zunächst leiser als Fe-Karls und musste noch mal nachjustiert werden, aber beide rifften tapfer durchs Set und gingen jedes Tempo mit. Ganz überrascht war ich, als ich nach gefühlt 20 Minuten schon unseren vorletzten Song „Hatepunk“ ankündigen musste, den ich mit letzter Puste noch herauspresste, bevor Stef endgültig in den Mittelpunkt rückte und ein letztes Mal mit uns das BÉRURIER-NOIR-Cover „Les Rebelles“ anstimmte, wie üblich in einer abermals neuen, spontanen Interpretation (wie der eine oder andere Song zuvor auch, ähem). Die Brüllpause tat mir verdammt gut, denn als nach mehr verlangt wurde, durfte zur Feier des Tages Stef sich zwei Songs zur Wiederholung wünschen. Seine Wahl fiel auf „Aktion Mutante“ und „IS-SS“, für die ich wieder mehr Puste hatte, wenngleich Chrischan alias Dr. Tentakel jetzt zum finalen Massaker ausholte und sein Drumset in ungeahnter Frequenz durchprügelte – so schnell waren diese Songs noch nie, und es stand ihnen nicht schlecht.

Nach dieser sportlichen Darbietung hieß es erst mal, wieder runterzukommen, den Energiehaushalt mittels isotonischer Alkoholika wieder auszugleichen – um schließlich noch stundenlang mit Stef und allen anderen weiterzufeiern! Sogar DJ Loco war doch noch mit ein paar Platten unterm Arm aufgetaucht, sein Pult wurde aber nicht mehr aufgebaut. Gemischte Mucke aus der Konserve gab’s trotzdem, geöffnete Fenster ließen endlich wieder durchatmen und laut der Tresencrew wurde anscheinend fast der ganze Getränkekeller leergesoffen! Unglaublich!? Ein gewisser Chr. O. tauchte plötzlich auf und gab zu Protokoll, unterm Kickertisch (!) geschlafen zu haben. Andere „legten“ sich jetzt erst hin, knackten im Sitzen weg, während um sie herum der Trubel keine Ende nahm. Irgendwann zwischen 3 und 4 verabschiedete auch ich mich, sogar aufrechten Gangs, und musste zum Glück erst am Donnerstag noch mal zum Saubermachen hin.

Fotos: Frank Obersheimer

Bis auf ein paar ganz wenige Ausfälle (Eiertritte von hinten in völlig normal pogende Kerle sind kein Zeichen emanzipatorischen Antimackertums, sondern asoziale SCHEISSE, junges Frollein!) war’s ’ne arschgeile Party und ein würdiger Abschied für den alten Schneckenschlürfer! Danke an alle, die ihm die „letzte Ehre“ erwiesen haben sowie an die Lobusch und alle Helfer und Helfershelfer, die den Abend mit uns gewuppt haben! Wir machen zu Viert weiter, Eisenkarl übernimmt den Bass und der erste Gig in dieser Besetzung findet am 20.02.2016 im Menschenzoo als Support für die DÖDELHAIE statt.

Stef, Aller – DANKE für die gemeinsamen Jahre DMF und alles Gute! Santé!!!

P.S.: Außerdem danke an Frank Obersheimer, Jana, Katharina und Moe für die Fotos! Weitere Bilder gibt’s hier.

Von Iced Earth bis Sodom: Die Kunst des Axel Hermann

hermann, axel - von iced earth bis sodom - die kunst desEinen nicht ungefähren Teil der Faszination des Metal-Genres machen zweifelsohne die Plattencover aus, die häufig große Kunst in Form morbider Visionen, dämonischer Fratzen, blasphemischer Illustrationen, fantasiereicher bunter Welten oder auch detailreicher Comiczeichnungen bieten. Mit seinem 2013 veröffentlichten großformatigen, ca. 160 Seiten starken Hochglanz-Bildband bietet der Iron-Pages-Verlag einem der anerkanntesten deutschen Künstler auf diesem Gebiet, dem Dortmunder Axel Hermann, ein Podium, um seine interessantesten Arbeiten in Buchform zusammenzufassen, zu präsentieren und zu kommentieren und vereint außerdem viele Stimmen von Szene-Angehörigen, für die er gearbeitet hat. Nach einem Vorwort Götz Kühnemunds und Robert Kampfs und ein paar persönlichen Zeilen Axel Hermanns nimmt letzterer den Leser des komplett zweisprachigen Buchs (alle Texte sind auf deutsch und englisch abgedruckt) mit auf eine spannende und inspirierende Reise durch sein Gesamtwerk, beginnend bei allerersten, köstlichen Zeichenversuchen eines typischen Metal-Fans über erste Auftragsarbeiten für „Century Media Records“-Veröffentlichungen, durch die man anhand des großartigen Covers für MORGOTH’ „Resurrection Absurd“ schnell beim Death Metal landet, einem seiner Hauptbetätigungsfelder. Weiter geht es mit den US-Metallern von ICED EARTH, deren Stammzeichner er geworden ist, über T-Shirt-Designs, Skizzen und Karikaturen bis hin zu jungen Arbeiten aus dem aktuellen Jahrzehnt. So bekommt man häufig einen Einblick in die Entstehungsprozesse weltberühmt gewordener Motive und erfährt interessante Details. Abgerundet wird das Buch durch Schnappschüsse aus Axels privatem Fotoarchiv und Humor sowie etwas Selbstironie kommen auch nicht zu kurz. Ein wertiger Schmöker nicht nur für Metal-Fans, den sich Axel Hermann redlich verdient hat und den durchzublättern nicht nur einen schönen Überblick über sein Schaffen bietet, sondern auch dazu einlädt, die eine oder andere Platte aufzulegen und/oder sich in den vereinnahmenden Bildern zu verlieren.

Und ich hätte gern die Gesichter sowohl des Buchhändlers als auch meiner Stiefmutter gesehen, als er ihr den Band mit den leicht entsetzt klingenden Worten „Das ist aber nicht für Sie, oder?!“ aushändigte – ich hatte ihn mir zum Geburtstag gewünscht…

Gerhard Seyfried – Invasion aus dem Alltag

seyfried, gerhard - invasion aus dem alltagAuf „Wo soll das alles enden“ folgte das mir noch unbekannte „Freakadellen und Bulletten“, bevor der Wahl-Berliner Cartoonist Gerhard Seyfried im Jahre 1980 für seinen rund 90-seitigen Farbcomic „Invasion aus dem Alltag“ zum Rotbuch-Verlag zurückkehrte. Zur wortspielreichen Deutschland-Karte des Debüts gesellt sich hier eine ebensolche (T)Europa-Topographie, bevor Seyfried erklärt, der Comic spiele „in der Linken“ und auf den folgenden Seiten einige derer Vertreter vorstellt, wofür er karikierend mit Klischees spielt. Fortan dreht es sich um eine fünfköpfige Clique, die im knollennasigen und detailreichen Funny-Stil gern mal mit den Gesetzeshütern in Konflikt gerät, welche hier eindeutig negativ und satirisch überzeichnet dargestellt werden und es natürlich darauf hinausläuft, dass diese den Kürzeren ziehen. Nach einigen doppelseitigen Zukunftsvisionen beginnt knapp nach der Hälfte jedoch das eigentliche Herzstück des Comics: In der Wohngemeinschaft versammelt sich die Clique zum gemeinsamen Kiffen und Fernsehen, als der Sprecher der „Abendschau“ verkündet, dass über dem Schöneberger Rathaus ein Ufo verharre. Am nächsten Morgen macht man sich auf den Weg und findet das Rathaus verlassen vor, während die Außerirdischen Berlin für die Hauptstadt des ganzen Planeten und unsere Anarcho-Freunde für seine offiziellen Repräsentanten halten. Das Missverständnis wird jedoch schnell ausgeräumt und man freundet sich locker miteinander an, doch die tatsächlichen Regierungsvertreter schicken Soldaten – zum Zorn der freundlichen, kugelförmigen Außerirdischen. Sie reagieren auf die irdische Provokation, indem sie den Anarchos eine Bombe bzw. „die entsetzlichste Waffe des Universums“ schenkt und sie zur neuen Regierung adelt. Die Soldaten und die Polizei nehmen daraufhin panisch Reißaus, doch aus Versehen geht die Bombe hoch und verwandelt die Erdenbewohner in „absolut unregierbare“ Individuen, was Seyfried erneut Anlass bietet, seine autoritätsfeindlichen freiheitsliebenden Ideale zum Ausdruck zu bringen. Im Zusammenspiel mit den bunten, klaren Zeichnungen und dem immer wieder bei aller trotzigen Naivität und Plakativität auch durchaus feinsinnigen Humor, der nebenbei Science-Fiction-Motive aufgreift und persifliert, ergibt sich ein kurzweiliges Vergnügen, das auf eine gewitzte Pointe zusteuert – und trotz viel Zeitkolorit angesichts der politischen Situation Deutschlands bzw. der Welt natürlich auf seine Weise zeitlos ist.

Gerhard Seyfried – Wo soll das alles enden

seyfried, gerhard - wo soll das alles endenDer gebürtige Münchener und Wahl-Berliner Gerhard Seyfried avancierte im Laufe der Jahre zu einem der „linksradikalen“ Cartoonisten, dessen Zeichnungen weit über die Grenzen linker oder sonstiger Subkultur Bekanntheit erlangten. Sein erstes Buch erschien 1978 im Rotbuch-Verlag: „Wo soll das alles enden“, ein „kleiner Leitfaden durch die Geschichte der undogmatischen Linken“. Dieser besteht in erster Linie aus Zeichnungen, die zwischen 1972 bis 1978 im alternativen Münchner Stadtmagazin „Blatt“ erstveröffentlicht wurden. Vornehmlich in Einzel- und Wimmelbildern und mit vielen Wortspielen bis hin zu Kalauern zeichnet Seyfried karikierend die Entwicklung der außerparlamentarischen Opposition (APO) nach, über die Entstehung alternativer Buchläden, Magazine etc. bis hin zu alternativen Lebensentwürfen und der staatlichen Repression. All das ist angenehmerweise alles andere als frei von Selbstironie, wirkt aus heutiger Sicht aber bisweilen auch reichlich naiv und schwankt zwischen genial witzig und etwas infantil und platt. Damit ist Seyfried aber auch ein schönes Zeitdokument gelungen, das auf humoristische Weise einen Einblick in den damaligen Zeitgeist und das seinerzeitige Lebensgefühl und Selbstverständnis erlaubt, das auch heute noch auf seinen rund 100 Seiten für manch Lacher gut ist.

Spiegel special: Die 50er Jahre

spiegel special - die 50er jahreDer Spiegel-Verlag brachte im Jahre 2006 dieses Sonderheft heraus, das sich auf 180 Seiten (abzgl. diverser Werbung) ausschließlich der spannenden Zeit des ersten deutschen Nachkriegsjahrzehnts widmet. Verschiedene Autoren widmeten sich verschiedenen Themenbereichen und ebenso unterschiedlich sind auch Informationsgehalt und Qualität zu bewerten. Klaus Wiegrefe steigt mit den Gründerjahren ein, gefolgt von einem Interview mit Altkanzler Helmut Schmidt. Reich bebildert sind viele Seiten, die einen Überblick über geschichtsträchtige Gebäude und Orte bieten. Viel wird auf die Rolle Konrad Adenauers eingegangen, wobei man für meinen Geschmack zu viele Seiten zu lang recht unkritisch bleibt. Kürzere Essays, z.B. über die versäumte Aufarbeitung von Kriegstraumata einer ganzen Generation, über jüdische Displaced Persons, Versuche der Aussöhnung mit Israel und deutsche US-Emigranten werden zwischengeschoben und reißen interessante Perspektiven an, die sicherlich eine tiefergehende Auseinandersetzung rechtfertigen würden. Großen Raum nehmen folgerichtig der schnell entfachte Kalte Krieg und die mit ihm einhergehenden Zugeständnisse an die Bevölkerung und alte Nazi-Schergen ein. Nachdenklich stimmt beispielsweise ein Artikel über den Krupp-Konzern und wie er sich aus seiner Verantwortung stehlen konnte. Deutsche Flüchtlinge und Vertriebene sind ebenso Thema wie die unfassbaren Attacken der katholischen Kirche gegen die evangelische und die theologischen Differenzen des Jahrzehnts, bei denen die Katholiken nicht gut wegkommen. Zur von verschiedenen Autoren beleuchteten Personalie Adenauer gesellt sich ein kritischer Blick auf den „Vater des Wirtschaftswunders“ Ludwig Erhard, dessen Mythos ein gutes Stück weit auseinandergenommen wird – denn so „sozial“ wie heutzutage insbesondere von SPD-„Genossen“ gern kolportiert, war seine Marktwirtschaft mitnichten. Daraus resultierend und überaus lesenswert ist Geschichtsprofessor Hans-Ulrich Wehlers Aufräumen mit dem wirtschaftlichen „Wachstumsfetischismus“, der immer wieder das „Wirtschaftswunder“ nostalgisch verklärt und dem Wunschtraum nachhängt, derartige Wirtschaftswachstumszahlen noch einmal erreichen zu können – gern auch als Argumentation im Klassenkampf von oben gegen die Unterschicht eingesetzt. Relativ ausführlich widmet man sich der größten Schande der deutschen Nachkriegsgeschichte, der versäumten Entnazifizierung – nicht ohne die „Sachzwänge“, die dazu ihren entscheidenden Teil beitrugen, gegenüberzustellen, ohne jedoch den damit einhergehenden Zynismus in vollem Umfang zu verdeutlichen und zu verurteilen. Vielleicht war das auch gar nicht nötig, denn es liest sich auch so beschämend genug. Die beschriebenen Schwierigkeiten für deutsche Kriegsheimkehrer, wieder in der Gesellschaft Fuß zu fassen, entbehren hingegen nicht einer gewissen Tragik. Wie ein Lichtblick erscheint da die breite Protestbewegung gegen Wiederbewaffnung und Westbindung, die das Spiegel special korrekt als Wendepunkt der politischen Kultur einordnet. Auf lediglich zwei Seiten tendenziell als eher abgefrühstückt hingegen empfinde ich Alexander Szandars Ausführungen zur von Adenauer flugs vorangetriebenen Wiederbewaffnung. Eher einseitig, dennoch in ihrem zusammenfassenden Charakter alles andere als uninteressant fallen unterdessen die Berichte über die Luftbrücke und ihre „Rosinenbomber“ aus. Und auch das Thema der deutsch-deutschen Spionage hätte auch in diesem begrenzten Rahmen wesentlich mehr Stoff als für nur eine Doppelseite geboten. Da verwundert es auch kaum, dass die komplexe und spannende Thematik der DDR nur in aller Kürze, am Rande und extrem einseitig abgehandelt wird – eines der größten Versäumnisse dieser Publikation.

Voller Russenklischees steckt Jürgen Dahlkamps Erzählung „WG mit dem Iwan“, in der es um russische Soldaten geht, die während der Besatzung bei deutschen Familien einzogen – anhand eines einzelnen Beispiels. Das ist stereotypisch einerseits, aber eben doch ob seiner Bizarrerie voller Humor und zudem zutiefst menschlich, fast wie ein Beitrag zur Völkerverständigung. Auflockernd wirkt es dann nach aller politischen Schwere ebenfalls, wenn sich Hellmuth Karasek – eigentlich selbst ein Konservativer – mit süffisantem Humor entlarvend der Alltags- und Populärkultur der 1950er widmet, die bestimmt war von der Sehnsucht nach „Normalität“ und heiler Welt. Mathias Schreibers Erörterung der „neuen Einfachheit“ in Literatur und Architektur hingegen erscheint mir eher hypothetisch und wenig allgemeingültig, auch Susanne Beyer scheint mir in ihrem Bemühen, die Stilsuche und -unsicherheit der Angehörigen einer ganzen Nation von oben herab einfachen Formeln zu- und Erklärungen unterzuordnen, etwas fragwürdig. Henryk M. Broder ordnet derweil die Südtirol-Begeisterung der Nachkriegsdeutschen gesellschaftspolitisch ein, was – wie so oft bei ihm – den unangenehmen Nachgeschmack einer nur unzureichend kaschierten tendenziösen Polemik hat, deren Allgemeingültigkeit angezweifelt werden sollte. Von besonderem Interesse waren für mich natürlich Urs Jennys Zeilen zum deutschen Nachkriegskino, das in der BRD von Heimatfilmen und Artverwandtem bestimmt war. Viel Neues bietet der Artikel indes nicht und klammert wieder einmal die DDR nahezu komplett aus – eine vertane Chance. Höhepunkt dieser sich nur indirekt mit Politik auseinandersetzen Artikelreihe im letzten Heftabschnitt ist jedoch insbesondere für mich als Fußball-Fan Jürgen Leinemanns Beschäftigung mit dem „Wunder von Bern“, was erfreulich differenziert und angereichert mit unpopulären Details geschieht und dabei doch viel Respekt vor dem Fußballsport erkennen lässt und ein Gefühl dafür vermittelt, was auf friedliche Weise durch Sport erreicht werden kann, was möglich wird, wenn ein Volk generationsübergreifend zu positiven Identifikationsmöglichkeiten zurückfindet, die sich außerhalb von Politik, Mord und Totschlag finden und trotz ihres spielerischen Charakters ungekünstelt und authentisch im Gegensatz zu gänzlich realitätsentführendem Kitsch sind.

Damit sind zwar viele, aber längst nicht alle Themengebiete genannt, die diese Zeitschrift abdeckt. Mit einigen Abstrichen ist sie sicherlich für einen relativ breiten Überblick über die behandelte Epoche der BRD geeignet. Die Autoren- und damit auch Stilvielfalt, die zudem mit einem gewissen stets um kritische Distanz bemühten Meinungsallerlei (innerhalb eines klar abgesteckten staatstragenden Rahmens) einhergeht, ist nicht frei von einigen Wiederholungen, während die unterschiedlichen Perspektiven einerseits etwas anstrengen, aber auch als Chance zur eigenen Meinungsbildung begriffen werden können. Auch aufgrund meines Vorwissens war mir eine Lesart, die nach Umblättern der letzten Seite in erster Linie Respekt vor der Aufbau- und Wirtschaftsleistung der BRD in den 1950ern einflößt, jedoch nicht möglich und auch wenn die Titelseite dies vielleicht aus Verkaufsgründen suggeriert, dürfte dies auch tatsächlich nicht die oberste Priorität der Publikation gewesen sein. Bei mir persönlich weckte sie im Gegenteil vor allem gesteigertes Verständnis für all jene, die bis heute damit Schwierigkeiten haben, sich wie selbstverständlich mit dem Nachkriegsdeutschland zu identifizieren.

06.12.2015, Bambi Galore, Hamburg: HOBBS’ ANGEL OF DEATH + INTERMENT + HAILSTONE

hobbs'-angel-of-death-+-interment-+-hailstone-@bambi-galore,-hamburg,-20151206Opa goes brutal satanic Thrash

Ich gehe ja viel zu selten in die sympathische Bambi Galore, in der Betreiber Flo im Rahmen der „Revolt!“-Reihe immer wieder spitzenmäßige Metal-Konzerte veranstaltet. Umso mehr freue ich mich, wenn es dann doch mal wieder klappt – wie an diesem zweiten Adventssonntag, an dem die australische Antwort auf SLAYER, nämlich HOBBS’ ANGEL OF DEATH, lockte. Allein schon die Hinfahrt nach Hamburg-Billstedt, fernab jeglichen Kiezes oder Szeneviertels, ist eine irgendwie willkommene Abwechslung zu den sonstigen Routen und hat beinahe schon etwas Konspiratives. Der kleine Club ist für seine Top-Organisation, Spitzensound, faire Preise und freundschaftliche Atmosphäre bekannt und beliebt und auch mich überkommt beim Betreten ein Gefühl von „Hier bin ich Mensch – hier darf ich sein.“

Ich freute mich sehr auf HOBBS’ ANGEL OF DEATH, jene Aussies um Bandkopf Peter Hobbs, die 1988 mit ihrem selbstbetitelten Debüt einen stark von SLAYER beeinflussten Beitrag zum Thrash Metal lieferten und damit seinerzeit zum Härtesten gehört haben dürften, was Down Under zu bieten hatte. Eigentlich dachte, dass es dabei geblieben wäre, doch wie ich im Nachhinein erfuhr, folgte 1995 ein Zweitwerk namens „Inheritance“, das ich noch gar nicht kenne. Ein über zwei Jahre alter „Rock Hard“-Bericht suggerierte zudem, dass sich die Band seinerzeit in den Aufnahmen zu einem dritten Album befand, doch dieses ist bis dato leider nicht erschienen. Was die mir unbekannten beiden Death-Metal-Vorbands betrifft, erwartete ich nicht allzu viel und hoffte schlicht, dass sie nicht zu monoton oder schleppend ausfallen würden.

Von den Münchener HAILSTONE, die bisher neben Demos ein Album und eine EP veröffentlicht haben, war ich dann auch gleich positiv überrascht, denn das Quartett zimmerte flotten, derben Death Metal mit angenehmer leichter Melodie-Kante. Sänger/Gitarrist Daniel röhrte mit rauem Organ und hatte zwischen den Songs kurze, knappe, aber freundliche Ansagen parat, beglückwünschte das Publikum u.a. zur Bambi Galore, auf die es stolz sein könne. So füllten sie die Spielzeit mit der maximalen Songanzahl aus und ernteten mehr als nur Achtungsapplaus vom noch nicht vollzählig erschienen Mob. Alle, die zu spät gekommen sind, haben was verpasst!

Die Schweden INTERMENT hatten sich bereits Ende der ’80er gegründet, nach einigen Demos jedoch in den ’90ern aufgelöst. In den 2000ern erfolgte die Neugründung und seitdem bringt man es auf die beachtliche Anzahl von zwei Alben und vier Split-Scheiben. Der Vierer mit Pete-Steel-Lookalike am Bass machte schon beim Soundcheck derart verzerrten und lauten Krach, dass sich besorgte Besucher Ohrstöpsel bei der Tresenkraft erbaten, doch als sie loslegten, war die Lautstärke wieder zivil und stimmte der Sound. Der aber war ungehobelt, betont roh und böse, ursprünglicher Death Metal von der Basis ohne großartige Tempowechsel und vollkommen frei jeglicher Sperenzien. Das war ein paar Songs lang interessant, dann jedoch rauschte es nur noch an mir vorbei, zu gleichförmig klangen die Songs für meine in Sachen Death Metal eher unerprobten Ohren. Dafür hatten aber mittlerweile mehr Hartgesottene den Weg nach Billstedt gefunden und feierten die Band mittels Banging, Luftgitarre und Pommesgabeln ganz ordentlich ab. Sympathisch erschien mir die Attitüde der Band, die konsequent ihren urwüchsigen, rustikalen Stiefel durchzuziehen scheint.

hobbs'-angel-of-death-+-interment-+-hailstone-@bambi-galore,-hamburg,-20151206_225309Dann endlich HOBBS’ ANGEL OF DEATH! Peter Hobbs’ ist Mitte 50, sieht locker zehn Jahre älter aus und stand bis eben noch hinterm (plattenlosen) Merchandise-Stand („Sorry, CDs are sold out“), betritt nun aber mit seinen neuen Mitstreitern, VIOLENTOR-Bassist und Zottelbär Cane sowie zwei Jungspunden, die Bühne. An seinen Mikroständer hat er ein dekoratives umgedrehtes Kruzifix angebracht, statt eines Bandbanners hängt ein großes Pentagramm mit Ziegenschädel hinterm Drumkit (das nach wenigen Songs nur noch zur Hälfte baumelt und schließlich ganz flöten ging). Was wird dieser volltätowierte, bierbäuchige alte Knacker, der mehr nach Rockerclub oder Bluesrock aussieht, hier noch reißen können? Um’s kurz zu machen: ALLES! Vom ersten Song an tobte der totale Thrash-Holocaust von der Bühne, Hobbs hat immer noch das gleiche kehlige Shout-Organ wie früher und es gab musikalisch brutalst auf die Fresse: Hobbs und der Lead-Gitarrist ergänzten sich mit ihren akzentuierten Riffs oder lieferten sich unerbittliche Duelle, der Bass goss das Fundament und der unermüdliche Drummer erinnerte mich sogar an den Kollegen von SEPULTURA – Weltklasse! Die jüngeren Songs – anscheinend zockte man auch viel noch unveröffentlichtes, für eingangs erwähnten dritten Longplayer geplantes Material – sind anscheinend noch schneller als das alte Zeug, von Altermilde nicht die geringste Spur, im Gegenteil: Hobbs gab sich blasphemisch wie ein übermotivierter Jüngling, wobei ich die finale Geste, das Anspucken des Jesus auf seinem Kruzefix, dann doch etwas übertrieben und albern fand. Zwischen den Songs brummte er heisere Ansagen mit Aussie-Dialekt, wovon ich nur die Hälfte verstand. Jedenfalls verstand er es gut, das Publikum zu animieren, das jedoch keinen Moshpit formierte, dafür aber ausdauernd bangte, was die Nackenwirbel hergaben. In der Mitte des Sets riss ihm dann plötzlich eine Saite. Er sang noch etwas ohne Klampfe und verschwand dann hinter die Bühne, während der Rest der Band den Song fertigspielte. Ein paar Minuten Zwangspause waren die Folge, die ich u.a. nutzte, um mir einen herrlich geschmacklosen Aufnäher der Band mitzunehmen, doch dann kam er mit frisch besaiteter Axt zurück, nahm ein paar Schlücke aus der Bierpulle und behauptete, sich backstage einen runtergeholt zu haben (ein Beispiel für seinen schnoddrigen Humor). Vergnügt ging’s weiter, bis irgendwann der vermeintlich letzte Song angekündigt und gezockt wurde und daraufhin die Lichter angingen. Die Rufe nach einer Zugabe verhallten jedoch nicht ungehört und zu mittlerweile vorgerückter Stunde gab man noch zwei Stücke zum Besten, bis dann wirklich endgültig Schluss war. HOBBS’ haben meine Erwartungen an diesem genialen Abend übertroffen, meine Nackenmuskulatur ordentlich strapaziert und mich davon überzeugt, mich mal mit dem zweiten Album zu beschäftigen. Bleibt zu hoffen, dass es nun auch endlich mit der dritten Platte klappt – und wenn die hält, was dieser Gig versprach, dann aber Heidewitzka! Schön, ein kauziges Original wie Peter Hobbs & Co. endlich einmal live gesehen zu haben – danke an Flo und das Bambi sowie an die Australier für diesen Beweis, dass man diese Art von Musik auch im höheren Alter noch derart ungestüm und authentisch bringen kann!

Hier gibt’s noch einen ganz Arsch voll großartiger Fotos von Andreas’ Konzertfotografie!

28.11.2015, Markthalle, Hamburg: 25 Jahre Yacøpsæ mit YACØPSÆ, RAZZIA, HOLY MOSES, BLOOD, RAZORS, CRIPPLE BASTARDS und RESTMENSCH

25 jahre yacøpsæAn diesem Samstag überschlugen sich die Hamburger Konzertveranstalter mal wieder: YACØPSÆ feierten ihr 25-jähriges Jubiläum mit einem fetten Aufgebot in der Markthalle, THE ADICTS tobten durch die Fabrik, OXO 86 verkauften das Monkeys aus, VLADIMIR HARKONNEN und weitere verwandelten die Lobusch in ein Pulverfass, zudem zockte irgendwer im Menschenzoo und eigentlich sollten auch noch MOTÖRHEAD die Sporthalle zerlegen, fielen jedoch aus – diesmal nicht wegen Lemmy, sondern wegen Gitarrist Phil Campbell, der unverhofft ins Krankenhaus und deshalb auch schon den Berlin-Gig am Freitag absagen musste. In Anbetracht des Markthallen-Programms, das mit HOLY MOSES eine Band enthielt, die ich noch nie live gesehen hatte, jedoch gesteigertes Interesse bei mir hervorrief, entschied ich mich für das YACØPSÆ-Jubiläum. Die Hamburger hatten eine Menge befreundeter Bands geladen, mit ihnen zu feiern und dabei wieder einmal bewiesen, keinerlei Berührungsängste vor stilistischer Vielfalt zu haben. Das schlug dann im Vorverkauf auch mit satten 25 Eiern (inkl. Wuchergebühren) zu Buche – aber wat mutt, dat mutt.

Am Ort des Geschehens angelangt erst mal das übliche Meet & Greet; mit Friedel war sogar ein Exil-HH-Punk gekommen, den ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte. Einlass und Kasse hatte man auf die Treppe verlegt, die Garderobe in einen separaten Eingang und den Raucherraum abgeschafft, dafür das Gebiet vor der Eingangstür zur Raucherzone erklärt und mit Windschutz versehen. Der Opener RESTMENSCH war spontan für die aus Krankheitsgründen verhinderten ZZZ HACKER eingesprungen und begann pünktlich um 18:30 Uhr. Noch verlor sich das Publikum im großen Saal doch ziemlich und, Hölle, was war das für ein beschissener Sound?! Dem Namen des Orts gerecht werdend sehr hallig und der Bass bretzelte alles andere weg, war zeitweise sogar lauter als Philipps Powerdrumming. Sänger Alex ging völlig unter. Man sagte mir, dass der Basssound nicht über die P.A., sondern von der Bühne käme, doch entsprechende Hinweise an den Bassisten brachten nur wenig Besserung des Gesamtsounds. Ein Unterschied wie Tag und Nacht zum Auftritt im Gun Club zuletzt, die Qualitäten der klasse HC-Punkband kamen auf diese Weise leider kaum zur Geltung.

Aber dann: CRIPPLE BASTARDS! Ich bin ja kein großer Grindcore-Fan und glaubte bisher, mit den Frühwerken von NAPALM DEATH und TERRORIZER auszukommen, doch die Italiener lehrten mich eines Besseren: Waren sie mir bisher nur namentlich bekannt, lieferten sie eine musikalische Visitenkarten ab, die es in sich hatte. Der Sound war nun absolut top, die Songs alles andere als, wie befürchtet, monoton, sondern angereichert mit Hardcore-, Thrash- und Mosh-Parts, dazu unfassbar tight, akzentuiert und brutal. Shouter Giulio hielt sein Mikro ständig wie ein Schwert überm Kopf oder auch mal woanders, wenn er nicht gerade hineingrunzte oder -kreischte. Sein irrer Blick war durchaus respekteinflößend, ebenso seine Kondition – zumal die Band sich nur alle x Songs mal eine kurze Pause erlaubte. Ansonsten wurde innerhalb von einer Sekunde zwischen den Stücken der jeweils nächste Songtitel gekeift und weiter ging der Rundflug. Die Halle hatte sich mittlerweile ganz gut gefüllt und vornehmlich Langhaarige veranstalten vor der Bühne ihre Party. Im Gegensatz zu ihrem Publikum sehen die CRIPPLE BASTARDS übrigens erstaunlich normal und unauffällig aus, keine Tattoos, irren Frisuren o.ä. Die Verwandtschaft zum Metal-Bereich (hinter der Schießbude saß wohl ein ex-ICED-EARTH,-jetzt-MASTER-Drummer) machte sich auch darin bemerkbar, dass die Band eben in erster Linie eine wortwörtliche Show durchzog, ihre Bühnenrollen den gesamten Gig über nicht verließ. Mit dem deutsch betitelten „Stimmung!“ gab’s am Ende sogar so etwas wie Singalong-Chöre, dann war irgendwann Schluss und ich fühlte mich akustisch amtlich verprügelt. Gibt’s ’ne empfehlenswerte Best Of oder eine Live-Album mit ordentlichem Wumms?

Kontrastreich ging’s weiter und die RAZORS hatten es etwas schwerer, das Energielevel zu halten und das Publikum wieder auf Temperatur zu bringen, aber nach kurzer Zeit konnte auch die Hamburger ’77-Punk-Legende auf eine ordentliche Kulisse blicken und Volk vor der Bühne versammeln. Souverän wie eh und je packten sie möglichst viele Hits in die recht kurze Spielzeit und verabschiedeten sich mit der für den vor einigen Jahren plötzlich und unerwartet verstorbenen Schwabe geschriebenen, wunderbar melancholischen Hymne. Mit altem Eisen haben die RAZORS noch immer nix am Hut, die „Jungs“ sind fit, alive and kicking!

Weit weniger kicking dann die Band mit dem kreativen Namen BLOOD, bei der es sich leider nicht um die britischen Oi!-Punks THE BLOOD handelte, sondern die mir als deutsche Grindcore-Combo angekündigt wurde – und leider bestätigte, was ich bei Bands dieser Richtung oftmals befürchte: Dumpfer, tiefgestimmter Sound lässt die Mucke nach primitivem Death Metal klingen, der Sänger growlt 90% seiner Zeilen und klingt, als habe er einen entsprechenden Effekt auf dem Mikro. Der Gitarrist tritt mit Sonnenbrille auf, was eher so semi- bis uncool wirkt. Ich fand’s ziemlich monoton und langweilig, aber BLOOD, die die Markthalle in rotes Licht tauchen ließ, hatten ihre Fans, die sie kräftig abfeierten und sogar erstmals an diesem Abend eine Zugabe herauskitzelten. Mein Ding isses aber einfach nicht, sorry.

Auf HOLY MOSES war ich am stärksten gespannt. Die deutschen, 1986 mit „Queen of Siam“ debütiert habenden Thrasher standen stets im Schatten der großen drei oder vier deutschen Thrash-Bands, hatten seinerzeit in Person Sabina Classens aber eine Art Alleinstellungsmerkmal vorzuweisen: weiblichen Gesang. Ich hatte HOLY MOSES noch nie live gesehen und bin kein allzu großer Fan, doch in den ’80er und ’90ern hatten sie doch so einige Hits zustande gebracht, mit „Finished With The Dogs“ zudem einen echten Genreklassiker aufgenommen, der in keiner Sammlung fehlen darf. Den Werdegang seit der Reunion in den 2000ern habe ich aber kaum noch mitverfolgt und ging insofern völlig unbeleckt an diesen Gig heran, befürchtete das Schlimmste, war aber bereit, mich positiv überraschen zu lassen. Die Band betrat zunächst ohne Sabina die Bühne und begann direkt, das herrlich knochentrocken groovende „Def Con II“ zu spielen, mit dem Einsatz ihres Gesang kam Sabina dazu. Die klang nicht mehr ganz so töfte wie zu ihren Hochzeiten, dafür saßen bei der Band jeder Griff und jeder Takt. War erst mal ok, vor allem freute ich mich über diesen starken Song zum Einstieg. Um jetzt mal zum Punkt zu kommen: Das Set war angenehm oldschool-lastig, wobei ich mit der Diskographie nicht vertraut genug bin, um alles zuordnen zu können. „World Chaos“ war erste Sahne und Sabina bangte, was das Zeug hielt und klang im Laufe des Sets immer besser bzw. besonders dann gut, wenn sie nicht growlte, sondern eher keifte oder kreischte. Aber: Von der ursprünglichen Besetzung ist leider nur noch Sabina übrig und der zusammengewürfelte Haufen versprühte den Charme von Studiomusikern. Zudem, und das fand’ ich am schlimmsten, schien die gern von positiver Energie, die vom Publikum zur Bühne und zurück schwirrt, schwadronierende Sabina etliche Texte von Zetteln abzulesen, die sie vor ihrer Monitorbox liegen hatte, weshalb sie einen Großteil der Zeit vorn übergebeugt auf den Bühnenboden starrend verbrachte, statt mit Mimik und Gestik souverän durch den Auftritt zu führen. Mit Authentizität schienen mir diese HOLY MOSES nicht mehr viel zu tun zu haben. Und wie kann man bitte einen Song wie „Master of Disaster“ geschrieben haben und diesen nicht bringen?! Ich beäugte das Ganze mit gewisser Skepsis, unterhaltsam war’s aber allemal, zumal Sabina & Co. beim Publikum auch prima anzukommen schienen (dennoch natürlich kein Vergleich zu Thrash-Gigs aus den ’80ern). Beim den Auftritt besiegelnden DEAD-KENNEDYS-Cover „Too Drunk to Fuck“ rief Sabina zur Bühneninvasion auf und auch ich ließ mich nach der Hälfte bereitwillig auf die Bühne schubsen, um diesen Klassiker gebührend mitzugrölen und zu feiern. Doch, hat Spaß gemacht! Insgesamt aber eine etwas zwiespältige Angelegenheit. P.S.: Schmunzeln musste ich immer, wenn Sabina während ihrer Anekdoten zwischen den Songs von „Yacöpsej“ sprach 😉

Als ich RAZZIA das letzte Mal live sah, nahm ich wütend Reißaus – so furchtbar fand’ ich das, was die seit einigen Jahren wieder mit Originalsänger Rajas auftretenden Hamburger da auf dem Hafengeburtstag 2012 fabrizierten. Nun hatte ich aber mehrfach gehört, dass es sich um einen einmaligen Ausrutscher gehandelt haben soll und war bereit, der mit „Tag ohne Schatten“ einen DER deutschen HC-Punk-Klassiker der ’80er eingezimmert habenden Band eine neue Chance zu geben. Ja, das klang an diesem Tag alles schon ganz anders. Der Sound war wirklich gut und Rajas gut bei Stimme. Zudem scheint der Kerl topfit zu sein und entwickelt eine beachtliche Bühnenpräsenz, wenn er über die Bretter läuft und springt – Rentnerpunk sieht schon mal anders aus. Nun hatte ich persönlich mich aber ehrlich gesagt bereits mit dem zweiten Album „Ausflug mit Franziska“ schwergetan und mir keine weiteren mehr besorgt, die stilistische Weiterentwicklung also nicht „mitgemacht“. RAZZIA wiederum schienen mir nun viel Wert auf eine Setlist zu legen, die alle mit Rajas aufgenommenen Alben abdeckt, so dass man sich auf wenige Stücke vom Debüt und den alten Samplern beschränkte. Und das ist gut so! Die Hektik, die einen m.E. nicht geringen Anteil am Charme der Uralt-Songs hat, gelingt es der Band nämlich anscheinend nicht mehr zu reproduzieren, da fehlt etwas. Andererseits würde es einem Gig nur mit den alten, derben Überklassikern sicherlich auch an Authentizität mangeln. Das etwas gesetztere „Spätwerk“ inkl. Keyboard stand ihnen an diesem Abend wesentlich besser zu Gesicht und dürfte dem Anspruch der Band eher entsprechen. Ich hörte mir das interessiert an und fühlte mich an eine Mischung aus FEHLFARBEN und EXTRABREIT erinnert, um es mal ganz grob zu umreißen. Einen Song wie „Alle Träume sind bezahlt“ nach so langer Zeit mal wieder zu hören, dann auch noch live und mitgesungen aus vielen Kehlen – das hatte schon was! Meinen Respekt hat die Band in jedem Fall wieder und ich behalte mir ausdrücklich vor, RAZZIA irgendwann neu für mich zu entdecken.

Nun war es endlich an der Zeit, dem Trio huldigen, das diesen Abend möglich gemacht hatte: Den Power-Violencern von YACØPSÆ, die den letzten und vielleicht stärksten Kontrast setzten. Das Kontrastieren ging sogar noch weiter, denn die kontrollierten, freundlichen Ansagen zwischen den Songs hatten wie üblich so gar nichts zu tun mit dem derben Gedresche, mit dem die Band seit nunmehr 25 Jahren Leute wahlweise erschreckt oder in Verzückung versetzt. Ich erinnere mich noch, wie das Inferno losbrach und dass ich mal wieder davon fasziniert war, wie gut die drei die Songstrukturen verinnerlicht haben, jeder Break sitzt und das gern mal nach hektischem Chaos Klingende einem komplexen, kontrollierten Plan folgt, der auch immer wieder schleppende, doomige Verschnaufpausen vorsieht. Dann musste ich aber anscheinend doch so langsam dem langen Abend Tribut zu zollen, so dass ich meiner Rübe nicht mehr alle Eindrücke entlocken kann – meinem Multifunktionstelefon nach zu urteilen war ich anscheinend in erster Linie damit beschäftigt, Fotos des Gigs zu knipsen, auf der Suche nach dem perfekten Schnappschuss.

Fazit: Trotz der starken Konkurrenz überall und nirgends war die Markthalle ganz gut besucht – zu ungefähr zwei Dritteln, würde ich grob schätzen…? Das Publikum war bunt gemischt und hat sich gut vertragen. Der Abend war musikalisch hochinteressant, aber leider auch arschteuer, bei fast 50 Mark Eintritt und Getränkepreisen wie im Puff war leider nichts für mehr Platten- oder Merch-Käufe übrig – zumal ich die unangenehme Angewohnheit habe, Bier aus solchen Bechern gern mal in nur drei bis vier Schlucken herunterzustürzen. Damit wir uns nicht missverstehen: Bei sieben Bands ist der Eintrittspreis dennoch fair bis günstig! Alles in allem kam’s finanziell nur eben geballter als bei anderen Underground-Konzerten. Nichtsdestotrotz bin ich für solch abwechslungsreiche Konzerte und Festivals immer zu haben und rennt man bei mir mit der Stilvielfalt offene Türen ein – jedoch gern in einem anderen Laden als jenem seelenlosen Kommerzklotz (dessen einziger Vorteil an diesem Abend die Stufen waren, von denen aus man quasi überall gute Sicht hatte – praktisch während Bands, die man sich einfach mal in Ruhe anschauen möchte). Doch genug des Lamentos, bevor ich das Wichtigste vergesse: Herzlichen Glückwunsch zu 25 Jahren YACØP-fuckin’-SÆ!

P.S.: Vielen Dank an Uwe Hubatschek, dessen RESTMENSCH-Foto ich freundlicherweise verwenden darf.

20.11.2015, Monkeys Music Club, Hamburg: SHEER TERROR + ROUGHNECK RIOT

sheer terror + roughneck riot @monkeys, hamburg, 20.11.2015

Die 1989 mit ihrem Debüt-Album auf der Bildfläche erschienenen New-York-Hardcoreler SHEER TERROR hatte ich erst relativ spät für mich entdeckt, aber zumindest die ersten Platten hatten bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen, dienten u.a. als Inspiration für meine eigene Band. Aufgrund ihrer Verarbeitung negativer persönlicher Erfahrungen wurde der Stil seinerzeit mitunter als Hatecore bezeichnet, lange bevor irgendwelche Fascho-Flachpfeifen den Begriff für sich zu annektieren versuchten. Besonders hatte es mir neben der Pöbel-Attitüde die Gitarrenarbeit angetan, die mich auf dem Debut „Just Can’t Hate Enough“ an eine punkige Variante von CELTIC FROST erinnerte. SHEER TERROR machten vieles sehr gut, was bei anderen später scheiße wurde: Sie reicherten ihren Hardcore mit metallischen Riffs an, ohne wie schlechte Metal- oder uninspirierte Metalcore-Kapelle zu klingen und Frontmann Paul Bearer übte sich in einzelnen Songs gern mal in Klargesang, ohne dabei zu nerven wie die unzähligen Trendbands heutzutage, deren schablonenhafte Songs aus harten Riffs mit Gebrüll und schwachbrüstig geträllerten Refrains bestehen. Nun war es mir bisher leider nie vergönnt, Bearer & Co. live zu sehen, doch seit einiger Zeit ist er mit komplett ausgewechselter Mannschaft wieder am Start und hat letztes Jahr das neue Album „Standing up for Falling Down“ veröffentlicht. Dank des Monkeys-Bookings bot sich nun die Gelegenheit in lokalen Gefilden und da gab’s natürlich nicht viel zu überlegen.

Im Monkeys angekommen sah ich mir im Pub-Bereich zunächst einmal an, wie die Dortmunder Borussia kläglich gegen den HSV versagte, DJ Mertens übertönte derweil den Kommentator. Tja, Dortmund ist eben nicht Schalke, wa? Der Blick auf die Nordrhein-Westfälische Slapstick-Darbietung verhindert dann auch, dass ich Zeuge des Beginns von ROUGHNECK RIOT wurde, zu denen ich mich noch vor Spielende dann aber doch gesellte. Die Briten spielten kompetenten Folk-Punk, bei dem sich zu den E-Klampfen Mandoline, Banjo und Schifferklavier gesellten, und legten sich mächtig ins Zeug, gingen voll in ihrer Musik auf. Das gab vom übrigens prima durchmischten Publikum von Bauwagen-Punks über St.-Pauli-Skins bis hin zu HC-„Kids“ mehr als nur Höflichkeitsapplaus, wenngleich sich noch niemand zum Tanz aufgefordert fühlte.

In der Pause besiegelte die Borussia endgültig ihren Untergang, zu dem SHEER TERROR nach einem weiteren DJ-Intermezzo schließlich den Soundtrack lieferten. Ei der Daus, ich wusste, dass Paul Bearer ein Pfundskerl ist, ein derartiges Schwergewicht hatte ich aber nicht erwartet! Was für ein ganzkörperlich zur Faust geballter Brocken, der da mit „Here to Stay“ losbretterte, und leck mich fett – der Sound war vom Allerfeinsten und bollerte mit demselben räudigen Tonfall wie von Platte, dafür aber um einiges wuchtiger! Es folgte der Hassbatzen „I, Spoiler“ und die vorderen Reihen kamen in Wallung, der Rest des gut gefüllten Ladens lauschte andächtig und verzückt. Gut möglich, dass schon jetzt das ironische „Don’t Hate Me ‚Cause I’m Beautiful“ durch die P.A. gezimmert wurde – bis hier hin ‘ne glatte Eins und das sollte sich auch nicht mehr ändern. Ich begab mich ebenfalls nach vorne, wo es sich dank völliger Abwesenheit irgendwelcher Bollo-Prolls oder Karate-Tänzer hervorragend durchdrehen ließ und die Band verstand es, nicht nur die Klassiker perfekt zu interpretieren, sondern auch neues Material gezielt einzufügen, so dass tatsächlich alles wie aus einem Guss klang. Kurioserweise kam der Gitarrist mehr ins Schwitzen als Paul, der, wie es anscheinend seit Jahr und Tag zu SHEER-TERROR-Konzerten dazugehört, die Pausen zwischen den Songs mit großer Klappe und losem Mundwerk für seine Rants, sprich: Pöbeleien in verschiedene Richtungen nutzte, aber auch ein paar Schwanks aus seiner Jugend heraushaute und Selbstironie bewies, wenn ich auch zugegebenermaßen nicht alles verstanden habe. Als charmant augenzwinkernd habe ich auch immer das genial-dreckig gegrowlte THE-CURE-Cover „Boys Don’t Cry“ empfunden, das Bearer & Co. als Zugabe servierten. SHEER-TERROR-Ticket: 16 Taler. Pulle Astra im Monkeys: Zweifuffzsch. Zusammen mit anderen Kaputten dem Bearer-Paule mit ausgestreckten Armen „Boys Don’t Cry“ ins Mikro grölen: Unbezahlbar.

Fazit: Ein weiteres Konzert-Highlight des sich seinem Ende entgegenneigenden Jahres – gerade auch Dank des glücklichen Umstands, dass man die New Yorker nicht im Rahmen eines Vier- oder Fünf-Bands-Pakets durch seelenlose Kommerzschuppen jagte, sondern sie die Bühne im stilvollen Ambiente des Monkeys unsicher machen ließ. In dieser Form und Qualität können Bearer & Co. übrigens gern mal ein Live-Album aufnehmen!

P.S.: Vielen Dank an Kevin Winiker von http://kevin-winiker.photography/ für die Genehmigung, auf seine fantastischen Livefotos zurückgreifen zu dürfen!

14.11.2015, Gun Club, Hamburg: RESTMENSCH + STAHLSCHWESTER

restmensch + stahlschwester @gun club, 14.11.2015

Eigentlich sollten die UGLY HURONS an diesem Abend zusammen mit RESTMENSCH den Gun Club beehren und eigentlich wollte ich, nachdem ich mich stundenlang als Umzugshelfer verausgabt hatte, nach Hause fahren und ‘nen Ruhigen machen, ganz uneigentlich wurd’s aber trotzdem ein geiler Abend! War ich überhaupt schon mal auf ‘nem Konz im Gun Club? Ich glaube nicht. Das Gute ist, dass die schummrige Bude direkt neben dem Menschenzoo derart klein und eng ist, dass sie sich dementsprechend schnell füllt und sich damit gerade für kleine Gigs anbietet. Gegen 22:00 Uhr begannen dann die für die ausgefallenen UGLY HURONS eingesprungenen STAHLSCHWESTER um Sängerin Peppels, die gerade ihr zweites Album veröffentlicht haben, das ich leider noch gar nicht kenne. Die Songauswahl war gut durchmischt aus altem und neuem Material, wobei auffiel, dass die neuen Songs anscheinend nicht mehr ganz so sehr auf das rustikale Pogo-HC-Punk-Prinzip setzen, sondern abwechslungsreicher, gereifter und etwas differenzierter klingen – was ihnen gut zu Gesicht steht! Peppels positionierte sich vor statt auf der Bühne, sang, brüllte und keifte die angepissten deutschsprachigen Texte heraus, dass es eine Freude war und wurde dabei wie üblich von einer gut Gas gebenden Saitenfraktion ebenso unterstützt wie von Lars‘ Krawalldrumming. Der Club war gut gefüllt, die Band kam prima an und der Sound war auch gut, lediglich der Gesang etwas übersteuert, so dass es trotz seiner Lautstärke schwierig war, die Texte zu verstehen. Ohne Zugabe ließ man STAHLSCHWESTER nicht davonkommen, dennoch habe ich ein bisschen meinen Lieblingssong „Arbeitslager BRD“ vermisst. Etwas schade auch, dass diesmal niemand das Tanzbein schwang, trotzdem war die Stimmung gut, was nicht zuletzt am anscheinend angenehmerweise äußerst idiotenarmen Publikum lag.

Und solch unkenntliche Fotos kommen übrigens dabei heraus, wenn ich mit irgendwelchen halbautomatischen Einstellungen herumspiele, statt einfach abzudrücken (wie beim RESTMENSCH-Foto, das dagegen aussieht wie geleckt).

Nach relativ kurzer Pause legten RESTMENSCH dann den besten Auftritt, den ich bisher von ihnen gesehen habe, aufs Parkett. Deutschsprachiger HC-Punk in schöner TOXOPLASMA- und RAZZIA-Tradition, schnörkellos und kompetent fehlerfrei gespielt sowie klasse rübergebracht von Sänger Alex. Ein besonderes Vergnügen war es auch diesmal, Drummer Philipp dabei zuzusehen, wie er seinen kräftigen Beat ganz locker aus dem Handgelenk zu schütteln scheint und dabei ein Pokerface sondergleichen aufsetzt. Zudem war der Sound diesmal derart gut, dass man sogar die Songinhalte weitestgehend verstehen konnte. Nachdem STAHLSCHWESTER so fulminant einen vorgelegt hatten, war die Stimmung nun auch noch etwas lockerer und ausgelassener. Die Coverversionen „BRD & Co. KG“ von RAZZIA und „Nazi Punks Fuck Off“ (DEAD KENNEDYS) besiegelten den klasse Abend und nach einem kurzen Absacker fuhr ich dann tatsächlich brav nach Hause und bettete mich endlich zur wohlverdienten Nachtruhe.

31.10.2015, Menschenzoo, Hamburg: P.I.Y. PUNKROCK-KARAOKE

punkrock-karaoke

Donnerstag Probe, Freitag Gig – um gar nicht erst aus dem Grölrhythmus zu kommen, fand ich mich am Halloween-Abend im Menschenzoo ein, wo es ein Wiedersehen mit der Dresdner Punkrock-Karaoke-Band gab, die erst wenige Wochen zuvor das Monkeys im Rahmen der KASSIERER-Aftershow-Party zum Kochen brachte. Zunächst sah’s aber sehr mau aus, es war schlicht noch keine Sau da. Der Beginn der Sause wurde also leicht nach hinten korrigiert und tatsächlich stolperten noch ein paar Leute herein und so langsam ging’s dann los. In reichlich ausgelegten Flyern konnte sich jeder aus dem schier unerschöpflichen Repertoire der Sachsen einen oder mehrere Songs aussuchen, die er oder sie mit der Band schmettern wollte. Doch wie das manchmal – gerade im Norden – so ist: Alle übten sich in Zurückhaltung, niemand traute sich. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich wirklich der erste war, der sich erbarmte oder ob ich lediglich die peinliche Stille nach dem Debütanten brach, jedenfalls nahm ich mich SLIMEs „Deutschland“ an und unterschlug die letzte Strophe, weil ich noch nicht kapiert hatte, dass die ausgehändigten Textblätter auch auf der Rückseite bedruckt sind – mal ganz davon abgesehen, dass man diesen Text eigentlich auswendig zu können hat – Grundlagen erstes Semester Punkrock. Boah ey… Mit glücklicherweise steigender Besucherzahl fiel mir auf, wie aufwändig viele aufgrund der Halloween-Feierlichkeiten geschminkt waren. Das scheint von Jahr zu Jahr mehr zu werden!? Nette Anblicke jedenfalls, die diversen Horrorfratzen (und JA, es war wirklich lediglich Schminke). Die Band jedoch hatte nach wie vor große Mühe, den jeweils nächsten Kandidaten zu finden, obwohl sie mit ‘nem Schnappo nach jedem Einsatz lockte. Zwischenzeitlich sprang der Fahrer, Ausschenker und Zettelverteiler der Band (sorry, Namen vergessen) immer mal wieder ein und gab bekanntes Liedgut zum Besten. Als Aktivposten erwiesen sich zwei Mädels, die mehrmals zum Mikro griffen und direkt zu Beginn eine klasse „Schrei nach Liebe“-Performance hinlegten. „All the Small Things“ wurde ebenso kompetent rübergebracht, eine andere Dame verdingte sich hörenswert an „Teenage Kicks“ und ließ gleich ihre Handtasche auf der Bühne liegen, „Bonnie & Clyde“ der TOTEN HOSEN gab’s im Duett, „Für immer Punk“ ging reichlich in die Hose, AGNOSTIC FRONTs „Gotta Go“ passte wieder und wenn zwischenzeitlich dann doch trotz mittlerweile respektablen Besucherandrangs und immer lockerer werdender Stimmung mal wieder gar nichts ging, hat die Band einfach selbst gesungen, z.B. „Born to Lose“ oder „Reach for the Sky“.

Zwischendurch gab’s auch mal ‘ne längere Pause, die die Band sich verdient hatte, spielte sie doch insgesamt mehrere Stunden! „Kopfschuss“ von WIZO kam ebenso zu Ehren wie „Mein Skateboard ist wichtiger als Deutschland“ von der TERRORGRUPPE und das unsägliche „Punk und Polizei“ vom UNTERGANGSKOMMANO, also relativ „Deutschpunk“-lastig. Dass einige Leute mehrmals ranmussten/-durften, war längst obligatorisch, wurde jedoch immer wieder aufgelockert durch spontan reinschneiende, mittlerweile gern mal gut alkoholisierte verhinderte Chorknaben, wobei die beiden in Frauenkleider gewandeten Punks den Vogel abschossen und meine im ersten Block abgelieferte „Kneipe zur trockenen Kehle“-Version in Sachen Dreck und Authentizität locker in den Schatten stellten. Barfrau Iris zuliebe versuchte ich mich zusammen mit einer der Damen an „Should I Stay Or Should I Go“, was mit Abstand meine schwierigste Übung war, ansonsten mussten noch „Ace of Spades“ (bei dem ich schön über’s Solo sang…), „Last Caress“ und „Fotze“ (LOKALMATADORE), bei dem man mir versehentlich die letzte Strophe vorenthielt (die ich aber dennoch irgendwie hineinpresste 😀 ), herhalten, bis ich nach dem abschließenden kollektiven „Banned from the Pubs“-Refrain-Mitgegröle, bei dem gefühlt die ganze Kneipe mitsang, endgültig keine Stimme mehr hatte.

Meinen tiefsten Respekt hat übrigens die Band dafür, wie sie es schafft, trotz anfänglicher extremer Zurückhaltung seitens des Publikums animierend und motivierend zu wirken, dabei den Humor nie zu verlieren und sich auch von schrägsten und falschesten Interpretationen nicht aus dem Konzept oder Spielfluss bringen zu lassen. Im Gegenteil, die drei Jungs sind derart versiert, dass sie bei Unsicherheiten der jeweiligen Sangeskünstler auch mal helfend eingreifen oder zu improvisieren verstehen. Apropos, beinahe hätte ich’s vergessen: Eines der Mädels forderte vehement „Zombie“ von den CRANBERRIES, das die Band eigentlich überhaupt nicht im Programm hat, es sich nach der Pause aber kurzerhand selbst draufschaffte, ohne das Original im Vergleich hören zu können! Die anschließende Karaoke-Nummer war dann aber musikalisch wie gesanglich tip top, hatte sich also tatsächlich gelohnt. Und zu späterer Stunde kam noch jemand mit ‘nem gänzlich unbekannten Stück, teilte jedoch kurz die Akkorde mit und schon konnte auch das Ding gezockt werden – herrlich, wie simpel Punkrock manchmal sein kann! Soundmann Norman hielt die Nacht wacker durch und regelte immer wieder die Gesangskanäle nach, um diese auf die unterschiedlichen Stimmen einzustellen. Hut ab auch vor allen, die das Risiko eingingen, sich auf der Bühne zum Horst zu machen, denn das macht eigentlich niemand – außer denjenigen, die insgeheim eigentlich auch gern mal würden, sich aber einfach nicht trauen, unverrichteter Dinge irgendwann nach Hause gehen und sich dann über sich selbst ärgern. Hut ab auch deshalb, weil der Umstand, dass man evtl. gar nicht singen kann oder den Text ablesen muss, nicht die einzige Herausforderung bei dieser Form von Karaoke ist: In der Regel hat man weder alle Einsätze sofort korrekt parat noch die Songstruktur detailliert vor Augen und ein verpatzter Einsatz kann einen auch schon mal komplett aus dem Konzept bringen. Insofern Chapeau an alle, die sich davon nicht abhalten lassen, sich mal locker machen und diesen Spaß mitmachen!

Punkrock-Karaoke mit Live-Band – dieses Konzept hat Zukunft. Wenn dein Club dazu aufruft, geh hin und schnapp dir das Mikro!

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