Günnis Reviews

Autor: Günni (page 52 of 107)

Misha Anouk – Goodbye, Jehova! Wie ich die bekannteste Sekte der Welt verließ

anouk, misha - goodbye, jehova!Der 1981 auf Gibraltar geborene Misha Anouk ist britischer Staatsbürger, in Bielefeld aufgewachsen, Autor und Poetry-Slammer – und war bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr Zeuge Jehovas. In seinem 2014 erschienenen autobiographischen und gut 500 Seiten starken Buch „Goodbye, Jehova! Wie ich die bekannteste Sekte der Welt verließ“ beschreibt er in wunderbar unaufgeregtem Stil seine Kindheit als Sohn strenger Zeugen Jehovas, sein Aufwachsen innerhalb der Sekte, die Irrungen und Wirrungen und die vielen Dilemmas, die das mit sich bringt – und schließlich seinen ebenso erfolgreichen wie folgenreichen Ausstieg. Dabei holt er den Leser dort ab, wo dieser die Zeugen Jehovas aller Wahrscheinlichkeit nach stehen sieht – als Missionare vor der Haustür. Sein Buch ist gespickt mit viel Humor und Selbstironie und alles andere als eine wütende Anklage. Geht es direkt um die Zeugen Jehovas und die hinter ihnen stehende Wachtturm-Gesellschaft (WTG), geht er stattdessen so sachlich wie möglich und voller Akribie zur Sache, zitiert zahlreiche Publikationen der WTG und verwendet hunderte Fußnoten, deckt die Mechanismen der Sekte auf. Doch obgleich er auch sagt, dass nicht alles schlecht war, räumt er mit kaum einem Vorurteil auf, denn auch in seiner Analyse bestätigt sich das allgemeine Bild der Zeugen Jehovas als die Bibel trotz all ihrer Widersprüche wörtlich zu nehmen versuchende Sekte, die sich auch manch „Wahrheit“ gern mal allzu bemüht zurechtbiegt und glaubt, die einzig wahre Interpretation der „heiligen Schrift“ für sich gepachtet zu haben, zentralistisch gesteuert wird und weder Zweifel noch Widerspruch von ihren Schäfchen duldet. Er geht davon aus, dass keine ausschließlich am schnöden Mammon interessierten Geldhaie die Sekte leiten, sondern Menschen, die ihre Lebenslügen tatsächlich glauben. Ja, auch bei Anouk sind die Zeugen Jehovas im Prinzip harmlose Spinner, die einer derart simplen und stumpfsinnigen Ideologie folgen, dass sie für normale, durchschnittlich vernunftbegabte Menschen keine Gefahr darstellen – zu durchschaubar ist ihr Handeln. Auf fruchtbaren Boden fällt ihr missionarischer Eifer jedoch mitunter bei schwachen Menschen oder Menschen in Krisensituationen, denen die Gemeinschaft der Sekte neuen Halt im Leben gibt, indem sie bereit sind, all die einfachen Lösungen zu akzeptieren und ihr Leben in ein von Demut geprägtes strenges Verhaltenskorsett zu zwängen. Wenn man denn so will, könnte man hier von freien Entscheidungen mündiger Menschen sprechen, wenngleich gezielt Ängste geschürt werden. Wie es sich jedoch bei Kindern verhält, die innerhalb der Sekte aufwachsen, beschreibt Anouk anhand seines eigenen Beispiels sehr detailliert, offen und persönlich. So wird deutlich, in welchem Ausmaße er indoktriniert und zu großen Teilen seiner Kindheit beraubt wurde. Dass er dabei seinen Humor nicht verloren hat und nie in Jammerei verfällt, ist ihm hoch anzurechnen. Bei allem seziert er säuberlich das Lügenkonstrukt der WTG um den bevorstehenden Weltuntergang, den „Harmagedon“, und den streng autoritären Umgang mit den Mitgliedern, was keinesfalls einer perfiden, trickreichen Psychologie gleichkommt, sondern derart simpel gestrickt ist und voller offensichtlicher Fehler steckt (beispielsweise milchmädchenhaft errechnete Weltuntergangstermine, die immer wieder korrigiert werden mussten), dass man sich wundert, wie erwachsene Menschen darauf hereinfallen können. Wenn Anouk aber ein paar Schritte aus der Sekte herausmacht und sich allgemein dem Thema Religion und ihrem Nutzen widmet, wird deutlich, dass es eben Menschen gibt, die mit dem Leben in Freiheit überfordert sind und die feste Struktur eines selbstgewählten geistigen Gefängnisses regelrecht suchen. Dies ist einer der großen Pluspunkte des Buchs: Es empfiehlt keinesfalls als Alternative die etablierten Kirchen, sondern rechnet mit (organisierter) Religion allgemein ab. Was all das jedoch für einen Menschen bedeutet, der seit Geburt an mit dieser Ideologie konfrontiert wird und als jugendlicher Ausstiegspläne zu hegen beginnt, kann sich wohl kaum jemand vorstellen, der das nicht selbst erlebt hat. Diese Komponente Anouks Buchs ist sowohl psychologisch als auch schlicht menschlich interessant und spannend, in schonungsloser Offenheit erzählt und wird zwischen den Kapiteln bereits immer mal wieder kurz angeteasert. Allerspätestens beim Ausstieg (der strenggenommen ein Ausschluss war) wird es dann auch richtig ernst und ohne falsche Scham verdeutlicht Anouk, wie schwer ihm ein Leben ohne die Gemeinschaft, vor allem aber ohne seine Eltern, die den Kontakt zu ihm daraufhin abbrachen, fiel und wie es sich anfühlte, von einem Tag auf den anderen in die Realität gestoßen zu werden: „Es gibt einen Grund, weshalb man sich nicht an die eigene Geburt erinnert. Ich wurde ein zweites Mal geboren und bekam diesmal das ganze Grauen in jedem kleinsten Detail mit, ich wurde hineingeworfen, unvorbereitet, in die echte Welt. Und ich hatte nicht die geringste Ahnung vom echten Leben, dort draußen in der Wildnis, vor der ich gegen meinen Willen behütet worden war. Das neue Leben packte mich bei beiden Füßen und schlug mich auf den Hintern, bis ich schrie, bis ich selbständig atmete.“ Geradezu beiläufig schockiert er mit einem Selbstmordversuch und gesteht, wie er dem Alkoholismus sowie massiven psychischen Problemen anheim fiel, bis er sich endlich zu fangen und ein tatsächlich selbstbestimmtes Leben zu führen imstande war. Eindrucksvoll zeigt dies die Folgen einer in entscheidenden Fragen, hier sektenbedingt versagt habenden Erziehung auf und lassen Anouks Schilderungen Rückschlüsse auf die Kämpfe zu, die generell Aussteiger aus extrem autoritären, selbstbestimmtes Denken und Handeln negativ konnotierenden Gemeinschaften zu bewältigen haben. Ich kann Mischa Anouk nur Respekt zollen und sowohl zu seinem derzeitigen Leben als auch diesem Buch mit all seiner weit über die Zeugen Jehovas hinausgehenden Christentum- und Religionskritik beglückwünschen und es allen ans Herz legen, die auf schwer sympathische Weise aus erster Hand mehr über eben all diese Themen erfahren möchten, ohne sich seitenlang durch Zorn, Trauer, Missmut und andere nur allzu menschliche Emotionen kämpfen zu müssen, die derartigen Werken den bitteren Beigeschmack persönlicher rachegesteuerter Abrechnungen verleihen und in ihrer Subjektivität sowohl Sachlichkeit als auch den eigentlichen Kern zu vergessen drohen. Ganz im Gegenteil dazu findet Anouk eine erfrischende Balance und überzeugt mit augenzwinkerndem Witz statt mit Rachsucht. Mein einziger Kritikpunkt wäre seine WTG-Zitatewut, evtl. wäre hier weniger mehr gewesen – denn sich immer wieder durch manipulative Absätze in stupidester Sekten-Westentaschen-Psychologie zu kämpfen, kostete mich dann und wann dann doch etwas Überwindung bei der Lektüre. Andererseits sind dies natürlich exzellente abschreckende Beispiele und somit vermutlich doch ganz gut dort aufgehoben.

18.04.2015, Monkeys Music Club, Hamburg: BANDA BASSOTTI + BOLANOW BRAWL

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banda bassotti + bolanow brawl @monkeys music club, hamburg, 18.04.2015 2Nachdem Hard & Smart Booking seine Konzerte bisher im Indra-Club auf dem Kiez oder auch im Knust an der Feldstraße veranstaltet hatte, machte man sich Anfang des Jahres von diesen Läden unabhängig und errichtete im ehemaligen Kir in der Barner Straße in Altona den Monkeys Music Club. Nach Konzerten mit THE CRACK, OI POLLOI, EVIL CONDUCT etc. stand das italienische Ska-Punk-Orchester BANDA BASSOTTI auf dem Plan. Eigentlich sollten wir Freitag zusammen mit ADHS aus Jena in der Kiezkneipe Pooca-Bar spielen, denn ADHS hatten einen Support gesucht und PROJEKT PULVERTOASTMANN uns freundlicherweise vermittelt. Den Laden kannte ich nur vom Hörensagen und die Kommunikation gestaltete sich sehr schwierig: Mails wurden nicht beantwortet und wir über den Ablauf komplett im Dunkeln gelassen. Immerhin konnten ADHS, als sich der Termin näherte, in Erfahrung bringen, dass das Konzert auf jeden Fall stattfände. Wenige Tage aber vorher dann das, was ich irgendwie erwartet hatte, mein negatives Gefühl wurde bestätigt: Die Pooca-Bar sagte den Gig kurzfristig ab, die Begründung wolle man „am Montag auf unsere(r) fb seite, Website, lokalen Medien via Pressemitteilung veroeffentlichen“ (Original-Zitat). Um ADHS ebenfalls davon in Kenntnis zu setzen, sah man offenbar keinen Anlass und die angekündigte Begründung lässt bis heute auf sich warten. Ich muss aber zugeben, gar nicht unbedingt so unglücklich damit gewesen zu sein, denn am Wochenende zuvor hatte ich mir eine Hardcore-Erkältung aufgesackt, die besonders auf Hals und Kehle schlug. Ich klinkte mir diverseste Medikamente ein, versuchte es in meiner Verzweiflung mit Fenchel-Honig, Voodoo und Reiki und hoffte, am Wochenende wieder halbwegs fit zu sein. Daran tat ich auch gut, denn noch kurzfristiger als die Pooca-Absage erreichte uns die Anfrage von Hard & Smart, ob wir den Support für BANDA BASSOTTI einen Tag später machen könnten. Natürlich sagten wir zu, denn somit ergab sich nicht nur doch noch ein vielversprechender BOLANOW BRAWL, sondern auch für mich die Gelegenheit, mir erstmals den Monkeys Music Club anzusehen. So feilte ich weiter an meiner Gesundheit und fühlte mich Samstag glücklicherweise wieder einigermaßen hergestellt. Gegen 17:00 Uhr trafen wir ein, kurze Zeit später folgten die Italiener in Fußballmannschaft-Größe und eröffneten uns, keinerlei Backline dabei zu haben. Wir hatten unsere komplett am Start, so dass das kein Problem darstellte. Wir bauten auf und machten uns über das kalte Büffet her, schauten uns um. Da ich auch nie im Kir gewesen war, war der Ort für mich quasi vollkommen neu: Der Club befindet sich auf einem Gewerbegelände und weist mal so ganz andere Ausmaße als eine typische kleine Muckebutze auf, hat reichlich Platz, gleich drei Tresen, einen abgetrennten Pub-Bereich mit britischem Bier vom Fass, ’nen recht großen Backstage-Bereich, professionelle P.A., reichhaltige Getränkeauswahl etc. – und das alles, ohne spröden, kalten Hallen-Charme zu versprühen, im Gegenteil: Der stilvoll eingerichtete Laden wirkt einladend und gemütlich. BANDA BASSOTTI hatten ihren eigenen Mischer dabei, der den ausführlichen Soundcheck mit seinen Jungs durchführte, was mit reichlich Blechbläser-Getröte einherging. Unser Soundcheck ging dann natürlich etwas flotter über die Bühne und beruhigt nahm ich zur Kenntnis, dass meine Stimme in befriedigendem Maße regeneriert war. Der lockere, sympathische und kompetente Soundmensch des Clubs bastelte uns einen 1A-Bühnensound, vielleicht den besten, den wir je hatten. Und diesmal dachten wir sogar wieder daran, unseren Banner aufzuhängen… Der offizielle Beginn wurde mit ca. 21:15, 21:30 Uhr angegeben und wir bekamen etwas mehr Spielzeit als zuletzt im Hafenklang, der Zeitplan war nicht allzu straff. So flogen diesmal nur „Fame“ und unser OXYMORON-Cover aus dem Set. Allein schon, um nicht doch noch zeitlich in die Bredouille zu kommen, bliesen wir pünktlich wie die Maurer zum Angriff, was Clubchef Sam zunächst etwas zu überraschen schien. Schnell zeigte er sich jedoch überzeugt von unserem Vorhaben und scheuchte uns auf die Bühne. Um auf Nummer sicher zu gehen, ließ ich mir noch ’nen Schluck Whisky einschenken, der in meiner Vorstellung jegliche Bakterien abtötet. Von diesem von mir angestrebten Placebo-Effekt schien der Barmann jedoch nie etwas gehört zu haben, war er doch der Ansicht, das würde meiner Stimme eher schaden. Zu seinen Worten „Was für eine Verschwendung!“ kippte ich das Zeug („Gib mir den Stärksten, den du hast!“) herunter und begab mich gen Bühne. Der Laden war längst beachtlich gefüllt und unser Gig ging erstaunlich reibungslos über die Bühne. Ich hab’ jedenfalls keine Texte durcheinandergewürfelt und mir sind keine nennenswerten Verspieler aufgefallen. Das Brawl’sche Bühnenchaos hielt sich also in Grenzen, aber natürlich nicht ohne das Gesabbel zwischendurch, das ich zu meinem Leidwesen aufgrund des erwähnten Bühnensounds diesmal wieder komplett verstand – zumindest akustisch. Wenn ich mich so umsah, bestätigte sich, was ich ohnehin erahnt hatte, nämlich dass uns heute wieder ein weitestgehend neues Publikum gegenüberstehen würde. Doch auch ohne polizeiliche Aufforderung verließ niemand den Raum und dem Applaus nach zu urteilen schienen wir ganz gut anzukommen. Beide Sechssaiter gaben alles und spielten sich gegenseitig die Bälle zu, gebettet auf das sichere Fundament der Rhythmus-Fraktion um Stulles Bass, den nach dem Soundcheck noch mal lauter zu drehen sich als gute Entscheidung erwies, und Raouls Präzisionsdrums, die der Doppelbelastung mit den Background-Chören immer besser standhalten. Einziger möglicher Wermutstropfen: Hinterher wurden ein paar Stimmen laut, dass der Gesang etwas zu leise abgemischt gewesen sei. Nun allerdings war es Zeit für den musikalischen Kontrast, auf unseren Melodicrotzstreetpunk folgten BANDA BASSOTTI mit ihrem Working-Class-Ska-Punk. Die Band gibt es schon seit einer halben Ewigkeit und hat sich nicht nur streng antifaschistischen, sondern klassenkämpferischen Inhalten verschrieben, nimmt Bezug auf alte Klassenkampflieder und covert diese ebenso wie manch Szeneklassiker – bei „Revolution Rock“ schien mich der Sänger auf die Bühne zu bitten, als er mein entsprechendes Clash-T-Shirt erspäht hatte, aber ich traute mich nicht, außerdem war’s da oben schon voll genug. Zahlreiche eigene Stücke dürften in dieselbe Kerbe schlagen und die Truppe zeigte sich äußerst fit und spielfreudig, brachte die rappelvolle Tanzfläche zum Kochen und spielte derart lange, dass ich zugegebenermaßen nur ca. die Hälfte des Sets sah – backstage gab’s nämlich, neben Bier satt, das eine oder andere Interessante zu bequatschen. So endete irgendwann ein wieder mal spitzenmäßiger Abend, an dem wir sogar noch alles komplett wieder abbauten und in den Proberaum verfrachteten, für Stulle und mich die After-Show-Party aber erst am nächsten Tag mit dem Abpfiff des siegreichen Altona-93-Spiels endete, zu dem es uns bei klasse Wetter getrieben hatte. Danke an Sam und sein Team für die Einladung, an Holger P. für manch helfende Hand als sechster Mann, die Jungs von BANDA BASSOTTI allein schon dafür, dass sie dank ihres Bandnamens den Abend zu einem der B-Alliterationen machten und das aufgeschlossene Publikum! Das Monkeys hat einen prima Eindruck auf mich hinterlassen und was die Eintrittspreise etc. betrifft, bin ich überzeugt, dass die Kohle bei den Richtigen landet – das ist nun mal kein autonomes Zentrum, aber ein Laden von der Szene für die Szene und wenn Personal, Hauptact, Support (das kann ich nämlich bestätigen) etc. fair entlohnt werden, tue ich dafür auch gern den einen oder anderen Taler mehr raus. Ich wünsche Sam & Co. viel Glück, hoffe, dass es weiter so gut läuft wie an diesem Abend und das Monkeys sich mit seinen Konzerten, Nightern und Partys als feste Größe etabliert – sowie ein stets glückliches Händchen bei der Bandauswahl. 😉

Frank Schäfer – Pünschel gibt Stoff

schaefer, frank - puenschel gibt stoffDas 2004 im Maro-Verlag erschienene, knapp 200 Seite starke Büchlein sammelt Autor und Musikjournalist Frank Schäfers Anekdoten um Lebenskünstler und Geschichtenerzähler Thomas Püschel, die zuvor jeweils in der Samstagsbeilage der „jungen Welt“ veröffentlicht wurden, in ungekürzter und überarbeiteter Form. Die meist nur wenige Seiten kurzen Storys handeln von eben jenem Pünschel, einem Kumpel des Erzählers und verhindertem Erfolgsautor, der sich irgendwie durchs Leben schlägt, immer wieder bizarre Situationen erlebt, diese aber auch selbst gern erzählerisch ausschmückt oder gar gänzlich frei erfindet bzw. etwas bedeutungsschwanger wiedergibt, was er irgendwo aufgeschnappt hat – einfach um etwas zu erzählen zu haben. Damit er liegt er regelmäßig dem Erzähler in den Ohren, wenn sie sich i.d.R. irgendwo in Braunschweig treffen, an der Supermarktkasse oder in der Kneipe. Die Charakterisierung Pünschels wechselt dabei durchaus bzw. geschieht ambivalent: Vom Laberkopp, mit dem man besser nur die nötigsten Worte wechselt über den kleinkriminellen Unsympathen bis hin zum liebenswerten Musik-, Film- und Literaturliebhaber und eben Lebenskünstler. Die pointierten Geschichten sind manchmal ziemlich unspektakulär, aber auch haarsträubend, witzig, absurd, augenzwinkernd, sympathisch. Immer mal wieder scheint auch Schäfers Kunst- und Popkultur-Verständnis durch, so dass manch Story wunderbar nerdig ausfällt. Mein persönlicher Höhepunkt ist die Persiflage auf den Nadsat-Jargon aus Anthony Burgess’ Roman „A Clockwork Orange“. Vieles mutet recht autobiographisch an und so tauchen z.B. auch bekannte Namen aus Schäfers Rockroman „Die Welt ist eine Scheibe“ auf; eine andere Geschichte mit Musikbezug wiederum war bekannt aus Schäfers Sachbuch „Heavy Metal“. Die Kürze der Geschichten lädt dazu ein, jeweils schnell noch eine zu lesen, und noch eine, bis man sie schließlich alsbald alle durch hat. Den einen oder anderen Rohrkrepierer verzeiht man da gern, dann zündet eben die nächste. Unterhaltsame, kurzweilige und wie so oft bei Schäfer charmante und irgendwie einnehmende Konfrontation der betonten Bodenständigkeit des Erzählers (und eben vermutlich Schäfer-Alter-Egos) mit der skurrilen Weltsicht und Phantasie seines Gegenübers, die er sich selbst tendenziell verbietet, der er auf diese Weise aber freien Lauf lassen kann.

09.04.2015, Hafenklang, Hamburg: THE PEACOCKS + BOLANOW BRAWL

peacocks, the + bolanow brawl @hafenklang, hamburg, 09.04.2015Wir freuen uns über jedes Konzert, das wir spielen können. Als das Hafenklang unsere Anfrage nach einem Support-Slot für die Schweizer Punkabillys THE PEACOCKS bestätigte, war die Freude jedoch besonders groß, zählt das Trio doch zu den musikalischen Favoriten des einen oder anderen Brawlers, was insbesondere für die Live-Gigs gilt – doch dazu später mehr. Es wurde unser zweiter Auftritt im Hafenklang, einem meiner liebsten Live-Clubs überhaupt. Der Nachmittag allerdings kam zunächst buchstäblich etwas stockend in Fahrt, denn auf dem Weg vom Proberaum zum Hafenklang gerieten die Jungs in einen handfesten Feierabendverkehrs- und Baustellen-Innenstadt-Stau, der ein zügiges Vorankommen unmöglich machte. Die PEACOCKS allerdings standen ebenfalls im Stau, und zwar noch auf der Autobahn, so dass letztlich ich der einzige war, der pünktlich vor Ort eintraf. Der Zeitplan wurde kurzerhand umgeworfen, erst gab’s (wieder spitzenmäßiges, allein dafür lohnen schon diese Gigs!) Essen, dann den Aufbau, der schnell erledigt war. Noch vorm Soundcheck bot man uns seitens des Hafenklangs Geld, damit wir nicht spielen, unser Ruf eilte uns voraus. Abgewichst wie wir sind haben wir die Penunsen eingesteckt und trotzdem zum Soundcheck geblasen. Schön, mal wieder auf ‘ner Bühne dieser Größe zu stehen, wo jeder seinen eigenen Monitor und genügend Platz hat. So feilten wir etwas am Bühnensound und gingen davon aus, vom gewohnt guten Hafenklang-Klang (äh…) zu profitieren (was anscheinend auch funktionierte). Als die ersten Gäste eintrudelten, hatten wir noch reichlich Zeit, den sonnigen Donnerstagabend an der Elbe zu genießen und uns über den Getränkevorrat des Backstage-Kühlschranks herzumachen. Recht flott füllte sich der Ort des Geschehens, Donnerstag hin oder her, die PEACOCKS machen die Bude wohl jedes Mal problemlos voll; Hamburg scheint eine Art Heimspiel für sie zu sein.

peacocks, the + bolanow brawl @hafenklang, hamburg, 09.04.2015 bolanow brawl 2Nachdem wir aufgrund der begrenzten Spielzeit von einer halben Stunde unser Set radikal zusammenstreichen hatten müssen (vier Songs flogen raus, dennoch überzogen wir letztlich knapp zehn Min.), ging’s dann fast pünktlich für uns los, wie gehabt mit „Total Escalation“. Eigentlich ein Selbstgänger, was mich jedoch nicht daran hinderte, die Bridge zu verschusseln und direkt den Refrain zu singen – den auch noch falsch. War’s die Aufregung? Oder lag’s am Bühnensound? Oder glaubte ich schlicht, mich auf einen solchen „Standardsong“ nicht mehr konzentrieren zu müssen? Wie auch immer, souverän spielten die Jungs weiter, im Publikum hat anscheinend niemand etwas gemerkt und nachdem ich mir zum nächsten Song die Leadgitarre auf meinem Monitor radikal lautdrehen ließ, blieb ich bis zum Schluss fehlerfrei. Puh… Wenigstens war ich nicht der einzige, der ‘nen Bock geschossen hat, aber so ist eben live – da kann man auch ruhig mal ein Outro verhauen oder ein paar Akkorde ähnlich improvisieren, wie wir es mit unseren Ansagen und dem Gequatsche zwischen den Songs tun. Dumm nur, dass ich meist gar nicht verstand, was die anderen so abließen, da ich sie mir nicht auf den Monitor hatte packen lassen. Ich tat einfach trotzdem so als ob und bin mir ziemlich sicher, nichts Wichtiges verpasst zu haben. 😀

peacocks, the + bolanow brawl @hafenklang, hamburg, 09.04.2015 bolanow brawl 1Natürlich war das heute Abend nicht unser Publikum. Der Großteil war wegen der PEACOCKS da und hatte Bock auf tollentauglichere Mucke als die unsere. Ob sie sich dennoch vor die Bühne bitten lassen würden? Nicht, dass es uns nicht egal gewesen wäre, immerhin bekamen wir ein Podium für unsere, äh, Kunst, Freibier und ein Gratis-Konzert der PEACOCKS. Als wir sahen, dass sich gar nicht mal so wenige bekannte Gesichter eingefunden hatten, ein großer Teil des Publikums interessiert zusah und -hörte und zudem die hübschesten Mädels ganz vorne ausgelassen tanzten, müsste ich lügen, um zu behaupten, dass es nicht unsere Herzen erwärmt hätte. Die PEACOCKS lieferten im Anschluss dann eine wahrhaftige Killershow! Die Resonanz war zunächst noch eher verhalten, doch bald fanden sich einige Tanzwütige vor der Bühne ein und feierten zu den eingängigen, mal punkigeren, mal rock’n’rolligeren oder auch mal poppigeren Songs, die stilecht mit Standbass vorgetragen wurden. Der kettenrauchende Sänger und Gitarrist entschied im Gegensatz zum Gig am vorigen Tag, wieder dem Alkohol zuzusprechen, damit man ja nicht auf die Idee kommt, ihm erneut „Professionalität“ zu attestieren – sympathische Einstellung. Es ging Schlag auf Schlag, ein Song nach dem anderen, man coverte „Cut Across Shorty“, vergaß natürlich auch den großen Hit „Lean On Me“ nicht und provozierte mit einer härteren Nummer gegen Ende sogar etwas Wrecking, urplötzlich wurde es hart vor der Bühne. Dort hatte ich mich längst hinzugestellt und tanzte meinen neuen Schuhe ein, während die PEACOCKS gar nicht mehr aufhören wollten und noch einen raushauten. Und noch einen. Und… irgendwann war dann doch Schluss. Ich hab‘ zwar meinen persönlichen Favoriten „Drink Alone“ vermisst, doch der sei gar nicht spielbar. So oder so ähnlich erklärte es mir der Gitarrist zumindest im Anschluss. Ein grandioser Auftritt, ein Lehrstück in Sachen ‘billy der sympathischen Eidgenossen.

peacocks, the + bolanow brawl @hafenklang, hamburg, 09.04.2015 peacocksLangsam begann ich zu bereuen, mir den Freitag nicht freigenommen zu haben, denn natürlich fanden wir oder zumindest die Hartgesottenen unter uns wieder kein Ende. Nachdem der Backstage leergetrunken war, fuhren wir kamikaze-artig mit zwei Großraumtaxen inkl. Equipment (!) auf den Kiez, luden das Zeug in Basser Stulles Bude, während der nächste schon wieder Bier holte und wir schließlich mitsamt einer Touristin aus Barcelona, einem verrückten, rassigen Vollweib vom Konzert, Stulles Wohnung zur Kneipe umfunktionierten. Ich ließ mich dann auch noch überreden, noch mal in den Kraken mitzukommen, wo ich die Contenance zu wahren versuchte, während andere mit jedem Schnaps immer mehr aufdrehten. Vorm Weiterziehen in die nächste Spelunke hab‘ ich aber doch noch erfolgreich den Absprung geschafft, dreieinhalb Stunden Schlaf gefunden, mich zur Arbeit geschleppt und dort den legeren Freitag inkl. Ausnüchterung eingeläutet. Fazit: Solche Abende: Grandios, immer wieder! Danach zur Arbeit: Nie wieder!

P.S., auch wenn wir’s bereits auf der FB-Seite erwähnt haben: Wie immer ein großes Dankeschön an die Veranstalter, in diesem Falle die gern zu Scherzen aufgelegte Hafenklang-Crew, an alle, die unserem Gig beigewohnt haben sowie an die PEACOCKS für die geile Sause! Ein besonderer Dank geht zudem an Katharina Günther, Klabautermann-Karsten und Cheenz Dell Corvo für den fotografischen Einsatz .

Michael Schumacher – Tankard: Life In Beermuda. Die etwas andere Biographie

schumacher, michael - tankard - a life in beermudaAutor Michael Schumacher ist natürlich nicht zu verwechseln mit dem Formel-1-Weltmeister. Der Namensvetter des Rennfahrers ist Musikwissenschaftler und Doktorand an der Kölner Uni, aber was viel wichtiger ist: Fan der hessischen Thrash-Band TANKARD. So fühlte er sich berufen, einmal deren Biographie aufzuschreiben, was zu diesem 200 Seiten starken Schmöker geführt hat, der im schicken, festen Einband kommt und die Geschichte der Frankfurter rekapituliert. Die Schrift ist relativ groß, das Buch reich bebildert, mit zahlreichen eingestreuten Kommentaren von Musiker-Kollegen gespickt und um einen Anhang ergänzt, der eine komplette Konzertübersicht liefert. Verglichen mit anderen Biographien von Bands, die ähnlich lange existieren, bleibt also gar nicht allzu viel Platz, um wirklich in die Tiefe zu gehen. Dennoch klappert Schumacher die wichtigsten Stationen der Bandkarriere ab, hat viele witzige Anekdoten auf Lager (von denen natürlich viele mit Alkoholkonsum und Zerstörungswut zu tun haben) und schafft es, zu vermitteln, was es bedeutet, eine Band wie TANKARD als Hobby, aber dennoch professionell zu betreiben: Dies bedeutet nämlich keinesfalls, versagt oder „es nicht geschafft“ zu haben, sondern im Falle TANKARDs bodenständig zu bleiben, weitestgehend unabhängig zu sein und sich seine künstlerische Freiheit kompromisslos zu bewahren – sowie konstant abzuliefern, auch durch Täler hindurch, in der Thrash Metal gerade wenig populär ist. Das liest sich ebenso kurzweilig wie interessant, wobei natürlich die Anfangstage am spannendsten sind, aber auch die Zeit des Mauerfalls verdient besondere Aufmerksamkeit. Jede Plattenproduktion (derer es bei TANKARD viele gibt) wird zumindest einmal angeschnitten und die ersten vier Alben gehören meines Erachtens zur Pflichtausstattung einer Thrash-Sammlung. Was danach kam, empfand ich häufig als etwas durchwachsen und was das Buch leider nicht wirklich geschafft hat, ist es, mir jene Platten noch einmal schmackhaft zu machen, mich häufiger auf bestimmte Songs, evtl. vergessene oder übersehene Perlen hinzuweisen o.ä. Gerade auch in Bezug auf die Texte der Band, die zwar i.d.R. über viel Humor und Selbstironie verfügen, aber auch sehr kritische und ernste Töne anschlagen können, hätte ich mir mehr gewünscht, denn ich glaube, dass Shouter Gerre & Co. viel Leidenschaft und Herzblut in manch Song fließen lassen. Relevanter (und mitunter sehr aufschlussreich) sind da aber verständlicherweise die Interviews mit Ex-TANKARD-Musikern, Manager Buffo, Produzenten, Label-Betreibern und Cover-Künstler Sascha Krüger sowie die Abschnitte über das NDW- und Schlager-Cover-Nebenprojekt TANKWART (etwas arg unkritisch) und das Engagement für Eintracht Frankfurt. Alles in allem ein sympathisches Buch über eine ebensolche Band, die vor allem live ein absoluter Killer ist, sich selbst stets treu geblieben ist, noch immer aufopferungsvoll dem ehrlichen Thrash frönt und anscheinend nie weniger als 100% gibt. Den Charme der trinkfesten Hessen fängt „A Life in Beermuda“ gut ein und liefert einen gelungenen Einblick in ihr Selbstverständnis. Die „etwas andere Biographie“ dokumentiert ein wichtiges Stück deutsche Thrash-Geschichte und ist deshalb sowohl für TANKARD-Fans als auch -Kritiker und -Skeptiker von Interesse – Hauptsache Musikliebhaber. Überfordern sollte es niemanden, denn es liest sich innerhalb einiger Stunden schnell weg. Darauf ein Space Beer!

01.04.2015, Kopernikus, Hannover: OI POLLOI + AMOR FIZZ + DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS

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Kein Aprilscherz: Am 01. April ging es erstmals für uns Motherfuckers in die Heimat unser aller musikalischen Vorbilds, der SCORPIONS, um die schottischen Anarcho-Oi!-Punks OI POLLOI in der Kopernikus zu supporten – jenem sympathischen und überregional berüchtigten Laden, der ungeachtet seiner geringen Größe ein geiles Konzert nach dem anderen anberaumt. Dort spielte man mit dem Gedanken, das Konzert draußen als Open Air stattfinden zu lassen, wo deutlich mehr Platz gewesen wäre. In Anbetracht des zuletzt arg ungemütlichen Wetters mit Regen und Sturm gab ich mich aber keinen Illusionen hin und nachdem sich das während der Fahrt im geräumigen Vehikel unseres stolzen Wieder-Führerschein-Besitzers und Bassers Stef auch nicht grundlegend geändert hatte und sich auch noch zeitweise Hagel und Schneeregen zu den niedrigen Temperaturen gesellt hatten, stand fest, dass wir drinnen spielen würden. Empfangen wurden wir mit Bier und Brötchen, Hannoveraner Ronny kümmerte sich um Aufbau der Anlage und unser Soundcheck klang dann auch vielversprechend. Dass wir leider ohne unseren zweiten Klampfer Eisenkarl anreisen mussten, war ein Wermutstropfen, stand allerdings von vornherein fest und passte perfekt in den ebenso kreativen wie chaotischen Abend: OI POLLOI ließen nämlich erst noch auf sich warten und kamen schließlich ohne Sänger Deek, der anscheinend zusammen mit der eigentlich geplanten weiteren Band in Kopenhagen festhing, weil der Flug gestrichen wurde! Zufälligerweise waren jedoch die Argentinier AMOR FIZZ in der Nähe und konnten noch ‘nen Gig gebrauchen, so dass die Jungs kurzerhand ins Aufgebot rutschten. Obwohl es sich um einen Donnerstag handelte, füllte sich nach Einlass der Laden sehr ordentlich. Gestärkt durch einen wohlschmeckenden Gemüseeintopf, der bei den Witterungsverhältnissen genau das Richtige war, begannen wir schließlich unser Set und direkt vom ersten Song an gingen die Leute mit. Als Vertretung für Eisenkarl hatten wir ein 5-Liter-Fass Bier mit seinem Namen beschriftet, nach zwei Songs angestochen und dem Mob überlassen – so’n Ding verfügt musikalisch zwar bei Weitem nicht über seine Qualitäten, knallt aber fast genauso rein. Vor der Bühne ging’s richtig rund und ich musste aufpassen, nicht umgerissen zu werden; trotzdem ging einmal mein Mikro flöten. Das beschissene Wetter hat uns alle jede Menge feuchten Dreck in die Bude schleppen lassen, der von meinem Mikrokabel und den Stiefeln spritzte und mich besudelte, bis ich aussah, als hätte ich knietief in einer matschigen Pfütze gestanden. Das tat dem Vergnügen natürlich keinen Abbruch und für ‘ne Zugabe mussten wir dann auch noch mal ran. Spielerisch waren wir diesmal weitestgehend fehlerfrei, auch unser Neuling „IS-SS“ lief rund, doch ausgerechnet bei unserem zweitältesten Stück „Menschenzoo“ hab ich bischn was durcheinandergewürfelt. Egal, war trotzdem ein Einstand nach Maß in Hannover! AMOR FIZZ zogen im Anschluss dann sämtliche Register und brachten mit ihrer individuellen Mischung aus HC-Punk und weniger aggressiven Indie/Alternative- und folkig-jazzigen Klängen (oder so) den Laden endgültig zum Kochen. Der Sänger drehte komplett am Rad, machte Spagat in der Luft und sprang durch die Gegend wie ein Flummi. Die Texte dürften komplett auf Spanisch gewesen sein und ich habe keine Ahnung, worum es bei den Jungs geht, hatte mir aber am Rande des Geschehens bzw. Gedrängels einen halbwegs sicheren Platz gesucht und mir schlaue Sprüche der mitgereisten Katharina angehört, die mir eine ähnliche Performance nahelegte. Ansonsten machte sie sich nützlich und half beim Knüpfen von Band-Kontakten, Verkauf von Merch etc., schoss Fotos und drehte Erinnerungsvideos – besten Dank dafür! Bei OI POLLOI brach den endgültig die Hölle los. Ich war ja seinerzeit einer der Glücklichen, die der TOXOPLASMA-Reunion in der Hamburger Lobusch beiwohnen durften und das Gedrängel hier war mindestens vergleichbar. Kein Millimeter Platz war mehr vorhanden, die kleinste Bewegung zog eine Kettenreaktion nach sich. Wenn dann auch kräftig getanzt wird, kann man sich vorstellen, was passiert: Permanent flog jemand ins Schlagzeug; der OI-POLLOI-Schlagwerker musste immer wieder improvisieren und sich auf die Teile seines Kits beschränken, die gerade standen. Die Flügelschrauben seiner Becken gingen flöten, die Becken ebenfalls. Der Bassist verzichtete auf die ausufernden Ansagen, für die Deek sonst bekannt ist, und peitschte einen bärbeißigen schottischen Gassenhauer nach dem anderen in den steilgehenden Mob. Vom sicheren Rand aus verfolgte ich erneut das Chaos, bis es auch für mich kein Halten mehr gab und ich mich gegen Ende selbst hineinstürzte, so dass sich unser Drummer Chrischan ernsthaft um mich zu sorgen begann, wie er mir rührenderweise offenbarte. Das war jedoch unbegründet, denn der Pogo war fair und ich blieb unbeschadet. Nach diesem trotz Schrumpfung auf Triogröße grandiosen Gig blieben wir und ein großer Teil des Publikums noch in der Kopernikus, tranken und quatschten, bevor es auf Veranstalterkosten komfortabel per Taxi in den Stadtteil Stöcken ging, wo Punks ein geräumiges Wohnprojekt betreiben und regelmäßig Bands unterbringen. Vorher aber wurde sich noch in der Küche versammelt, wo man uns weiter verköstigte, bis ich irgendwann als erster die Segel strich und mich ins Schlafgemach begab. Das erwies sich als weiser Entschluss, denn so konnte ich in angenehm komatösen Schlaf fallen und die anderen mit meiner Sägerei nerven, ohne dass ich etwas von ihnen mitbekommen hätte. Der Gnade meiner Band allerdings ist es anscheinend zu verdanken, dass man mich nicht mit einem Kissen erstickte, wie ich am nächsten Morgen erfuhr, als ich als letzter aufstand (das Geheimnis meiner Jugend: Schlaf!). Als ich es dann auch noch wagte, meine vollkommen verdreckte Hose gegen ein sauberes Exemplar zu wechseln, schauten sie mich an, als käme ich von einem anderen Stern. Hab euch auch lieb, Jungs! In der Küche wurde inzwischen wieder reichlich aufgefahren, frisch gebackene Brötchen, Aufschnitt, Gemüse, Rührei, Getränke – es mangelte uns erneut an nichts! Welch ein Luxus!? Mit einigen Bewohnern saßen wir zusammen und ließen es uns gutgehen. Die Rückfahrt verzögerte sich eh noch etwas, doch irgendwann war auch Ronny fit, uns diesmal per Straßenbahn zurück zur Kopernikus zu geleiten, wo wir noch einmal tief den Geruch des gestrigen Abends einatmeten, unser Zeug zusammenpackten und schließlich die Rückfahrt antraten – zweimal um den Block und dann ab dafür, durch wechselhaftes Wetter relativ flott nach Hamburg, um dort im Großstadt- und Feierabendverkehrs-Wahnsinn gefühlt noch mal genauso lange zum Proberaum zu brauchen wie von Hannover nach HH… Fazit: Hannover ist immer noch etwas Besonderes. Vielen Dank an die Kopernikus- und Stöcken-Crew sowie an AMOR FIZZ und OI POLLOI für dieses verrückte Abenteuer für große Jungs und Mädchen – wir kommen gerne wieder, am liebsten natürlich für’n Open Air im Sommer!

27.03.2015, Kraken, Hamburg: BRUTE’N’BOTTLED

brute'n'bottled

Streetpunk aus Münster war angesagt und genau den gab’s, als BRUTE’N’BOTTLED am 27.03.2015 dem Kraken einen Besuch abstatteten. Ob das Trio stilecht mit dem Fahrrad anreiste, ist nicht überliefert, aber aus irgendeinem Grund zogen sie überdurchschnittlich viele Turbojugend-Jünger an, während ich der Punk-Sekte ja immer etwas skeptisch gegenüberstehe. Diese sorgten jedenfalls dafür, dass die Bude gut gefüllt wurde und der durchschnittlich Alkoholpegel von vornherein recht hoch lag. Musikalisch gab’s dann auch nix zu meckern, kurze, flotte Streetpunk-Nummern mit kehligem Gesang wurden verabreicht, absolut souverän dargeboten und mit einem ziemlich geilen Bass unterlegt, über dessen Griffbrett der Sänger trotz Doppelbelastung in hoher Geschwindigkeit huschte, als wäre es selbstverständlich. Berührungsängste zum Hardcore hatte man auch keine, wie besonders manch späterer Song und das CRO-MAGS-Cover „Hard Times“ bewiesen. Vorne wurde getanzt bzw. grobmotorisch Aktivität gezeigt und zwischen den Songs bewies die Band Humor und Selbstironie. Kompetente Combo und eine lohnende, kurzweilige Angelegenheit. Nach dem letzten Akkord trennte sich die Spreu vom Weizen; die Trinkfesten und Geschmackssicheren feierten anschließend noch die ganze Nacht zu den „Hits aus der Anstalt“ von DJane Alex und konnten sich anschließend sicher sein, das Beste aus diesem Freitagabend gemacht zu haben!

Frank Schäfer – Die Welt ist eine Scheibe

schaefer, frank - die welt ist eine scheibeNach seinem durchwachsenen, dennoch lesenswerten Sachbuch zum Thema Heavy Metal debütierte der Journalist und Autor Frank Schäfer 2001 im Bereich der Erzählungen mit diesem „Rockroman“, für den er weitestgehend auf eine verschwurbelte Schreibweise verzichtete und stattdessen auf rund 180 Seiten aller Wahrscheinlichkeit nach stark autobiographisch geprägt das Lebensgefühl als Nachwuchs-Metal-Musiker der Band „Adrenalin“ in der niedersächsischen Provinz der ‘80er-Jahre nachzeichnet. Es ist die Zeit der ersten Konzerte und professionellen Studioaufnahmen sowie pubertärer Liebeleien und Wirrungen, der großen Liebe, der Aufbruchsstimmung, aber auch der Rückschläge und Enttäuschungen. Angesichts der knappen Seitenzahl gelingt es Schäfer überraschend detailliert, die Leidenschaft der Jungmusiker zu vermitteln, plaudert aus dem Nähkästchen einer noch am Anfang stehenden Band und porträtiert mit scharfem Blick das persönliche Umfeld zwischen Bandkollegen und Familienangehörigen sowie die Begegnungen mit Konzertveranstaltern, Studiobetreibern etc. Dabei ist natürlich nicht alles eitel Sonnenschein, schwere Schicksalsschläge gilt es ebenso zu verdauen wie mit schwierigen Dreiecksbeziehungen umzugehen. Für den Erzähler ist jene Zeit eine ganz besonders spannende, denn er kommt mit seiner Freundin Moni zusammen und startet mit seiner Band durch. Dokumentiert wird dies neben Schäfers Ausführungen in Form evtl. gar authentischer Schriftstücke von Labels inkl. echter Namen, Songtext-Auszügen und ganz konkreten Veranschaulichungen von Songstrukturen, Studioeinspielungen und Konzertberichten, wie sie nur aus der Feder eines Schreibers stammen können, der genau das selbst erlebt hat (Schäfer war Gitarrist der Power-Metal-Band „Salem’s Law“ und „Adrenalin“ deren Vorgängerband). Somit handelt es sich nicht nur um ein Stück wenig verklärende Nostalgie für alte Säcke, sondern um einen gerade auch für Außenstehende und Zuspätgeborene spannenden Einblick in eine Zeit, die sich in vielerlei Hinsicht von der heutigen unterschied, jedoch in nicht wenigen Aspekten auch der Gegenwart ähnelt, wenn man voller Motivation eine Band gründet und seine ersten Schritte tut oder einer verführerischen jungen Dame verfällt – denn manches ändert sich nie. Wer sich grundsätzlich für die angesprochenen Themen interessiert, findet in „Die Welt ist eine Scheibe“ ein fesselnd und ebenso gefühl- wie humorvoll geschriebenes Büchlein, das sich sehr flüssig und schnell liest, richtig Lust macht auf die Musik der Band „Adrenalin“ oder eben ähnlich geartete und neben zu vernachlässigenden Details im Prinzip nur einen Fehler hat: Es ist zu kurz und das offene Ende hinterlässt einen angerührten Leser, der nur zu gerne wissen will, wie es weiterging. Ein gelungenes und sympathisches Debüt, das beweist, dass auch solch kleine Bandgeschichten ohne große Exzesse und klischeebewehrte Ausschlachtungen über viel Charme verfügen und in ihrer Ehrlichkeit, Offenheit und unprätentiösen Bodenständigkeit bestechender sein können als der abgedrehte Nerd-Roman oder die drogen- und sexschwangere Rockbiographie.

21.03.2015, Kraken, Hamburg: BOLANOW BRAWL

bolanow brawl

Als die BARROOM HEROES ihren Gig im St. Paulianer Kraken krankheitsbedingt leider absagen mussten, erinnerten wir uns daran, dass Punk mal etwas mit Spontaneität zu tun hatte – ok, eigentlich war es Kollege Ladde, der die Idee hatte – und sprangen von einem Tag auf den anderen für einen Gig in meiner Stammkneipe ein, die aus dem legendären Skorbut hervorgegangen war. Musikalisch sollte das passen, Streetpunk wurde gegen Streetpunk getauscht. Der für die After-Show-Party eingeteilte DJ Wasted Noise, der mit seinen Plattenkisten stets eigens aus Ostfriesland anreist, freute sich, brauchte er doch nicht schon Stunden früher an die Törntables. 😉 Wir freuten uns ebenfalls, die Kraken-Krew freute sich, Freude allenthalben – fehlte nur noch ein begeisterungsfähiges Publikum, so punkig-spontan, denn davon, dass wir einfach das BH-Publikum (missverständliche Abkürzung, ich weiß) bekommen würden, war nicht auszugehen: Der Gig wurde schon einige Tage vorher offiziell abgesagt. Aufbau und Soundcheck machte erstmals Beastar mit uns, und das ging alles sehr professionell und flott über die Bühne. Nervigen Rückkopplungen und Gefiepe wurde kurzerhand durch Zwischenschaltung eines geheimen magischen Geräts (so stellte es sich zumindest mir als Bühnentechniklaie dar) der Garaus gemacht. Der Versuch, Bolanow im örtlichen Lidl zu besorgen, scheiterte, Ersatz glaubte Gitarrist Iron Eisert in einem Gesöff namens „Queen Margot“ (oder so) gefunden zu haben, das vermutlich wirklich wie Oma unterm Arm schmeckt. Obwohl, es heißt ja: Je reifer die Frucht, desto süßer der Saft… Diniert wurde im sympathischen, veganen Befried, wo Bassist Stulle offenbar am Tage zuvor kräftig Werbung für uns gemacht hatte, denn prompt wurden wir nach unserem Gig befragt. Der stand allerdings noch bevor und als wir zum Kraken zurückkehrten, wartete schon die Kieler Division um RED-ALERT-Drummer Axel, der seinen Schlücken Queen Margot Tribut zollte, indem er spontan rückwärts aß. Langsam verirrte sich der eine oder andere potentielle Eskalateur in den Kraken und da wir alle Zeit der Welt hatten, verlagerten wir den Beginn einfach etwas nach hinten. Ich glaube, 22:30 Uhr war es, als wir uns auf die Bühne und das Publikum zum Tanz bitten ließen und tatsächlich füllte sich die Bude während der ersten Songs beträchtlich. Neben sich bewusst fürs Konzert entschieden Habenden gelang es uns anscheinend, Laufkundschaft eine Spende in beliebiger Höhe als Eintritt aus den Rippen zu leiern, so dass wir uns über mangelnden Zuspruch nicht beklagen konnten! Zwischen den Songs plapperten wir wie üblich chaotisch durcheinander, der Mob klinkte sich ebenfalls ein, irgendjemand feierte Junggesellenabschied oder Geburtstag (oder beides, auf jeden Fall hatte DJ Wasted Noise Geburtstag, wie ich dann glaub‘ ich irgendwann auch endlich schnallte) und der eine oder andere ließ seinem Mitteilungsbedürfnis freien Lauf, indem er mehr oder weniger Gehaltvolles durch mein Mikro verlautbarte. Queen Margot trug ihren Teil zum Bühnengeschehen bei und so wurde schon mal der falsche Song angezockt, aber alles in allem waren wir nicht schlecht, hatten reichlich Spaß und das Publikum erwies sich als ein dankbares, forderte Zugaben, von denen es eine bekam und während wir uns reichlich Schulterklopfen bis zur verlegenen Errötung abholten, begann DJ Wasted Noise mit seiner After-Show-Party. Der gute Mann legte einen Kracher nach dem anderen auf und die Party entwickelte sich zur bisher besten des noch jungen Jahres! Enthemmt rissen wir uns die Leibchen von denselben und tanzten und sangen oberkörperfrei die ganze Nacht, in der jemandem zwischenzeitlich noch einmal alles aus dem Gesicht fiel. Eine Halligallidrecksauparty aus dem Lehrbuch (falls es so eines gibt) und die Krönung eines grandiosen Abends – Public Masturbation, Total Escalation! Viel besser hätt’s also gar nicht laufen können, deshalb an dieser Stelle noch einmal danke an alle Beteiligten, insbesondere den Kraken inkl. Beastar, DJ Wasted Noise und alle, die mitgefeiert haben! Dass dann auch noch was für die Bandkasse hängenblieb, hatte ich gar nicht erwartet und war natürlich das Tüpfelchen auf dem I in Oi!

13.03.2015, Villa Dunkelbunt, Hamburg: KAOS KABELJAU + KOUKOULOFORI

kaos kabeljau + koukoulofori @villa kunterbunt, hamburg, 13.03.2015

Am Freitag, dem 13.03.2015, hatte ich nach einer fordernden Arbeitswoche dringenden Bedarf nach einer Punkrock-Party. Was lag da näher, als der Villa Dunkelbunt einen Besuch abzustatten, jenem selbstverwalteten Wohnprojekt in Altona bzw. Ottensen, von dem ich seltsamerweise trotz zweijährigem Bestehen (das es heute zu feiern galt) vorher noch gar keine Kenntnis hatte, das aber zu ’ner zünftigen Party mit Live-Mucke lud? Eben! Die Bude mitten in der City war schnell gefunden und machte mit dem noblen, großen Konzertsaal, sehr fähigen DJs und sympathischem Volk gleich besten Eindruck und bei freiem Eintritt und gekühltem Pils gegen Spende wähnten ich und meine Kumpanen sich im Paradies. Irgendwann verstummte die Konserve und die wiedervereinten KAOS KABELJAU, immer noch in Trio-Größe, schickten sich an, nun den Soundtrack zu unserer Druckbetankung zu liefern. Der Laden war mittlerweile rappelvoll und die Kaoten hatten anfänglich ein paar Probleme, fanden dann aber schnell in ihr Set und machten ordentlich Druck, wie man es noch von vor gar nicht allzu langer Zeit kannte. Ruppiger, dreckiger, aggressiver und immer leicht rumpeliger HC-Punk mit deutschen Texten, kann wat! KOUKOULOFORI sagte mir hingegen gar nichts, entpuppte sich aber als die andere Band des ARRESTED-DENIAL-Bassers. Auch hier gab’s deutsche Texte und der sehr eigenständige Sound lief nicht nur bei mir offene Türen ein, das ging ungefiltert in die Beine, animierte zu ekstatischen grobmotorischen Bewegungsabläufen und was ich textlich mitnahm, war kritisch und engagiert, dabei weit von Parolen- und Klischeehaftigkeit entfernt, ohne wiederum studentisch verklausuliert zu werden. Nee, das hatte Eier, einen richtig fitten Drummer und wurde zu ’nem tadellosen Gig, was zu einigem Schulterklopfen bei den Bandmitgliedern führte. Würde ich mir gern noch mal anschauen/-hören und ich bin mir sicher, dass KOUKOULOFORI auch den Nüchternheitstest bestehen würden. Im Anschluss folgte noch Elektropunk-Zeug, aber da waren wir längst anderweitig beschäftigt, u.a. lieferte ich mir eine Rangelei mit meinem Kumpel Stulle und erfuhr im Nachhinein bei Blick auf den Flyer auch, warum: Da stand was von „fröhliches Freeboxen“! ’ne perfekte Angelegenheit u.a. mit selbstgebastelten Pissoirs und einer genialen Klotürschließmechanik, gezimmert aus alten Fahrradutensilien. Anscheinend ein Hort der Kreativität, diese Villa Dunkelbunt, an der ich gern auch mal mit meinen Bands anklopfen würde…

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