fußball-wm 2014

Prolog:
Meine am 11.06.2014 (also vor Turnierbgeinn) abgegebenen Tipps der Finalbegegnungen

Achtelfinale:
49. Brasilien – Chile
50. Kolumbien – Uruguay
51. Spanien – Mexico
52. England – Elfenbeinküste
53. Frankreich – Bosnien und Herzegowina
54. Deutschland – Belgien
55. Argentinien – Ecuador
56. Russland – Portugal

Viertelfinale:
57. Brasilien – Uruguay
58. Frankreich – Deutschland
59. Mexico – England
60. Argentinien – Russland

Halbfinale:
61. Brasilien – Deutschland
62. Mexico – Argentinien

Spiel um Platz 3:
63. Brasilien – Mexico

Finale (Achtung, jetzt kommt’s):
64. Deutschland – Argentinien

Ohne richtiges Konzept habe ich ihn eigentlich nur für mich begonnen, lange immer wieder in kurzen Intervallen an ihm geschrieben, ohne wirklich Zeit dafür gehabt zu haben, irgendwann festgestellt, vielleicht doch ein bisschen weit ausgeholt zu haben und dass er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit voller Widersprüche, Missverständnisse und Fehler steckt. Trotzdem ist er jetzt einfach mal endlich fertig, mein kleiner, gänzlich subjektiver…

Rückblick auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2014

1986 war doch was. Einmal abgesehen von einem für mein seinerzeit sechsjähriges Leben entscheidenden Umzug fanden sich diverse Bilder von Fußbällen und einer ulkigen Karikatur eines Mexikaners in Zeitschriften und aufgedruckt auf diversen Utensilien. Aus Duplo- und Hanuta-Naschwerk fielen einem Aufkleber diverser Fußballer entgegen. Was da genau los war, wusste ich nicht, aber es war wie so vieles andere hübsch bunt, es hatte mit Fußball zu tun, fand offenbar in Mexico statt und streckte seine Fühler bis nach Deutschland aus. In allgemeine Hysterie versetzte es die Nation im Jahr des Tschernobyl-Super-GAUs aber nicht. Später erfuhr ich, dass Deutschland im Finale Argentinien unterlag und Vize-Weltmeister wurde.

Was zwei Jahre später zuerst da war, weiß ich nicht mehr: Die Übertragung eines Spiels der in Deutschland stattfindenden Europameisterschaft oder mein Panini-Sammelalbum. Letzteres hatte neben vielen bunten Aufklebern die Folge, dass ich viele der Fratzen, die ich fein säuberlich in die dafür vorgesehenen Bereiche des Albums einklebte, im Fernseher wiedererkannte, wenn sie sich um den Ball stritten. So war ich mit der einen oder anderen Mannschaft recht gut vertraut, kannte plötzlich Menschen wie Rudi Völler, Ruud Gullit, Marco van Basten und Gary Lineker und stellte fest, dass die Spiele, von denen ich längst nicht alle sah, eine gewisse Spannung entwickelten, wenn man jeweils einem der rivalisierenden Teams seine Sympathie zukommen ließ. Ich mochte Deutschland, England, Irland, Spanien und damals noch die Niederlande, deren Gullit und van Basten fantastischen Angriffsfußball boten. Ein Viertelfinale gab es noch nicht, nach der Vorrunde ging es direkt ins Halbfinale – wo Deutschland gegen die Niederlande verlor. An den Emotionen der Spieler beider Mannschaften konnte ich ablesen, welche Bedeutung dieses Spiel gehabt hatte – und wurde Zeuge, wie sich Ronald Koeman mit Olaf Thons Trikot demonstrativ den Hintern abwischte. Spätestens jetzt war ich vertraut mit der Fußball-Rivalität zwischen Deutschland und Holland, das im Münchner Olympiastadion schließlich den Titel gegen die Sowjetunion holte. Aufgrund der nur acht beteiligten Mannschaften war die EM jedoch recht schnell vorbei und schien zunächst nicht unbedingt einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben.

1990 jedoch war ich wieder wie so oft zwar spät dran (und verpasste glatt das sensationelle Eröffnungsspiel, in dem der amtierende Weltmeister gegen überraschende Kameruner mit 0:1 verlor), saß dann aber doch wieder mit meinem Panini-Album vorm Fernseher. Am 08. Juni begann das Turnier, am 10. griff das deutsche Team ein und besiegte Jugoslawien fulminant mit 4:1! Das Fußballfieber hatte zwei Jahre geruht, war nun aber vollends ausgebrochen. Mehr als je zuvor rannte ich mit meinem Ball nach draußen und spielte Straßenfußball auf dem rauen Asphalt, kickte gegen Kumpels auf dem Schulhof und meldete mich gar im örtlichen Fußballverein an. Zeit für die WM hatte ich dennoch reichlich; kaum aus der Schule wurde die Glotze angestellt, wo mir ein Jürgen Klinsmann mit frisch geföhnten Haaren entgegenlächelte und vom aktuellen Status der Nationalelf berichtete, wo die allgemeine Berichterstattung, die in diversen Print-Publikationen (und seien es nur kleine Sponsorenheftchen) ihre Fortführung fand, mir auf faszinierende Weise die große weite Welt näher brachte, indem über Italien, England und Holland ebenso berichtet wurde wie über Kamerun, Argentinien und Costa Rica und alle anderen Teilnehmer der WM, welche zum gern mitgenommenen Geographie-Unterricht avancierte und zur Völkerverständigung zumindest bei mir zehnjährigem Bubi entscheidenden Beitrag leistete. Und dann waren da natürlich die Spiele. Ich sah einige der historischsten und nervenaufreibendsten Fußballschlachten, die jemals auf Rasen ausgetragen wurden: Deutschland – Holland, das die Rivalität zwischen beiden Fußballnationen auf die Spitze trieb, England – Kamerun, England – Deutschland, um nur einige zu nennen. Teilweise sah ich mir von diesen Spielen noch die auf ich glaube rund 30 Minuten zurechtgestutzten Wiederholungen am nächsten Tag an, teilweise zeichnete ich sie auf und archivierte sie auf VHS. Ich sog alles in mich auf und konnte noch Wochen später jedes einzelne Spielergebnis des Turniers aus dem Kopf wiedergeben, ebenso die Gruppen und ihre Teilnehmer sowie die Tabellen. Obwohl die favorisierten, doch so arg schwächelnden Argentinier um Superstar Diego Armando Maradona bereits in der Vorrunde aus dem Turnier zu fliegen drohten und nur mit Ach und Krach als Tabellendritter ihrer Gruppe den Einzug in die K.O.-Runde schafften, mochte ich die Mannschaft. Das lag einerseits an ihrer Exotik, an der geheimnisvollen Aura, die Maradona umgab, an den damals im direkten Vergleich blasseren Brasilianern, andererseits aber gerade auch am kämpferischen Spiel, mit dem sie es tatsächlich bis ins Finale schaffte. Großen Anteil daran hatte Ersatztorhüter Goycochea, der überraschend für den verletzten Pumpido kam und seiner Mannschaft manch Sieg im Elfmeterschießen bescherte. Nur den alles entscheiden Elfmeter, den Andi Brehme im Finale gegen ihn schoss, konnte er nicht halten, wenn er auch die richtige Ecke kannte. Deutschland wurde nach einer packenden WM Weltmeister und ich war begeistert, dass die sympathischen Jungs Klinsmann, Völler, Littbarski und Hässler, der Mittelfeld-Traumspieler Matthäus, die Abwehr-Profis Kohler, Buchwald, Bein sowie der bodenständige Torhüter Bodo Illgner und alle anderen es geschafft hatten. Der Sommer hatte gerade seinen Höhepunkt erreicht und ich realisierte, dass ich Zeuge eines positiven historischen Ereignisses wurde, Monate vor der Wiedervereinigung.

Ich war zum richtiggehenden Fan der deutschen Elf geworden und begann sogar – wohlgemerkt in einem ansonsten vollkommen fußballfreien Haushalt –, die Bundesligen zu verfolgen („Anpfiff“ mit Uli Potofski!), wenngleich mich Vereinsmeierei um zusammengekaufte Mannschaften und Lokalpatriotismus nie so packten wie Länderspiele, in denen es am ehesten noch um so etwas wie „Ehre“ ging. Achtung, Outing: Aufgrund meiner Sympathien für den einen oder anderen Nationalspieler wurde ich zum Fan des 1. FC Köln, was ich zumindest einige Jahre durchhielt, wenn auch ohne jemals ins Stadion zu gehen (ok, einmal ist keinmal). Und so sehr ich die Ablehnung Kölns durch die Düsseldorfer auch verstehe, so furchtbar Kölsch im Vergleich zu Alt und Pils schmeckt und so fragwürdig manch andere Kölner Umstände sind, manchmal ertappe ich mich doch noch dabei, mit der Elf vom Rhein heimlich ein kleines bisschen zu sympathisieren. Nicht lange warten ließ damals die Pubertät mit all ihren Irrungen und Wirrungen auf sich und mein Fußballinteresse flachte doch arg ab, anderes wurde interessanter. Hinzu kam, dass mir der neue Bundestrainer Berti Vogts nicht wirklich behagte, schon gar nicht, als er manch Leistungsträger der ‘90er-Gewinner für meinen Geschmack etwas zu früh aussortierte.

Bei der EM 1992 in Schweden wurden wir noch Zweiter hinter überraschend (aufgrund des Ausschlusses Jugoslawiens) ins Turnier gerutschten Dänen, denen man den Sieg gönnte. Die WM 1994 in den USA aber geriet zum Debakel, als man im Viertelfinale gegen Bulgarien ausschied. 1996 konnten Bertis Buben noch einmal richtig auftrumpfen, als sie bei der EM in England den Gastgeber abermals in einem Halbfinale im Elfmeterschießen besiegten und damit tief traumatisierten, zu allem Überfluss auch noch Europameister wurden. 1998 in Frankreich war dann aber endgültig der Ofen aus. Ich ertappte mich, im Achtelfinale gegen Mexico beinahe mehr Sympathien für die Mittelamerikaner zu hegen und im Viertelfinale unterlag man Kroatien mit 0:3. Vogts trat ab, Ribbeck kam und ich hoffte skeptisch auf einen vernünftigen Neuanfang – der aber ausblieb. Im Gegenteil: Es wurde eigentlich erstmals so richtig schlimm. Die Deutschen schafften zwar die Qualifikation für die EM 2000 in Belgien und Holland (ausgerechnet!), flogen dort aber sang- und klanglos in der Vorrunde raus.

Der deutsche Fußball lag am Boden, wie ich es noch nie erlebt hatte. Debatten und Diskussionen wurden geführt und wenn ich mich nicht irre, war es bereits Vogts, der Nachwuchsprobleme anschnitt. In der Tat war und bin ich sehr glücklich damit, dass nicht Rugby, Basketball, Krocket oder Hallenhalma deutscher Natonalsport ist, sondern offensichtlich good old fucking Football. Umso unverständlicherweise fand ich es demnach, dass die werten Pädagogen auch mich im Sportunterricht seinerzeit mit Affentennis (Volleyball) und anderen seltsamen Formen der körperlichen Ertüchtigung quälten, statt uns einfach kicken zu lassen. Nach Ribbeck jedenfalls wurde der Wiederaufbau des deutschen Fußballs zur Chefsache erklärt, verstärkte Nachwuchsarbeit wurde fortan betrieben und fürs Training der Nationalmannschaft erstmals ein ‘90er-Weltmeister eingesetzt, niemand Geringerer als Sympathiebolzen Rudi „Tante Käthe“ Völler. Zwischenschnitt: Bei mir hatte sich einiges getan. Im Laufe der Jahr hatte ich ein starkes politisches Bewusstsein entwickelt, war – ebenso wie alle anderen Bundesbürger und leider auch Menschen ausländischer Herkunft, die zum Teil nach feigen Anschlägen in Asylbewerberheimen verbrannten – mit grassierendem Rechtsextremismus konfrontiert worden, mit einem gefühlt ewigen Kanzler, mit ausbordender Arbeitslosigkeit, Ausbeutung nicht nur der ehemaligen DDR, Antikommunismus, als soziale Marktwirtschaft getarnten Kapitaismus und was dieses Land sonst noch alles Negatives hervorgebracht hat. Längst war ich Teil der Punkszene geworden und lehnte diese Art einer Leistungsgesellschaft ebenso ab wie das kapitalistische System, quasi alle Autoritäten und selbstverständlich jedweden Nationalismus. Das hat sich bis heute kaum geändert, doch blieb mein Interesse an der Nationalmannschaft stets erhalten, wenngleich es auch Schwankungen ausgesetzt war. Einen Widerspruch habe ich darin nie gesehen, wie auch, eigentlich gibt es keinen. Doch dazu später mehr.

Zurück zu Völler: Dieser musste noch mit dem vorhandenen „Material“ arbeiten, schaffte es aber, eine respektable Mannschaft zusammenzustellen, die sich die Qualifikation für die WM 2002 in Japan und Südkorea erarbeitete. Dort siegten Rudis Racker im ersten Spiel spektakulär 8:0 über Saudi-Arabien und über die K.O.-Runde hinweg bekleckerte man sich nicht unbedingt mit Ruhm, landete aber schließlich im Finale gegen Brasilien, das mit 0:2 verloren ging. Das war zwar schade, ging aber in Ordnung und ich hatte das Gefühl, dass Völler gute Arbeit geleistet hatte. Es war mir wieder gut möglich, mich mit der deutschen Nationalmannschaft zu identifizieren; sogar an Oliver Kahn hatte ich mich gewöhnt, der als Kapitän zum besten Torhüter und allgemein besten Spieler der WM gewählt wurde. 2003, nach einem torlosen Unentschieden in der EM-Qualifikation gegen Island, geschah einer dieser Fußball-TV-Momente, die sich außerhalb des Geschehens auf dem Platz ins kollektive Bewusstsein einbrennen sollten: Von den Sportjournalisten Gerhard Delling und Waldemar Hartmann mit Kritik aufgrund des enttäuschenden Ergebnisses konfrontiert, echauffierte sich ein sichtlich aufgebrachter Völler live über die Art und Weise der negativen Äußerungen und trat an, die deutsche Journalistenzunft und das Publikum von ihrem hohen Ross herunterzuholen, mit überzogenen Erwartungshaltungen aufzuräumen und seinerseits die deutsche Überheblichkeit zu kritisieren. Er brachte auf den Punkt, was diejenigen, die die vorausgegangenen Turniere aufmerksam verfolgt hatten, längst hätten wissen müssen: Seit 1990 hatte sich der Fußball verändert, haben andere Nationalverbände gute Arbeit geleistet und war nicht nur das europäische Fußballniveau näher zusammengerückt. Weder eine Qualifikation und schon gar kein Turnier war mehr ein Selbstgänger für die Deutschen, jegliche Arroganz fehl am Platze. Ich stimmte Völler in allen Belangen zu, empfand ich doch den mittlerweile jeglicher Grundlage entbehrenden Anspruch eines dominierenden deutschen Fußballs nicht nur als unangebracht, sondern auch als unsympathisch und kontraproduktiv. Insofern war es schade, dass die deutsche Elf unter Völler bei der EM 2004 in Portugal bereits in der Vorrunde ausschied, doch war ihm kaum jemand dafür böse, man stattdessen endgültig zurück auf dem Boden der Tatsachen. Statt dem eigenen Team drückte Fußball-Deutschland in einer unvergleichlichen Welle der Sympathie kurzerhand den in der Vergangenheit i.d.R. chancenlosen Griechen, die nun vom deutschen Trainer Otto Rehagel trainiert wurden, die Daumen, die schließlich tatsächlich den Titel holten. Deutsche und Griechen kamen sich näher und erst die Mär von den „Pleitegriechen“ konnte an der ausgebauten Freundschaft wieder rütteln.

Völler trat zurück, alles wieder auf null, Neuanfang. Völlers Weltmeister-Kollege Jürgen Klinsmann übernahm, verjüngte die Mannschaft, musste zum FIFA-Konföderationen-Pokal 2005 antreten und wurde Dritter. Offenbar konnte Klinsmann nun die ersten Früchte der Nachwuchsarbeit ernten und machte zusätzlich mit unorthodoxen Methoden von sich reden. Ein Jahr später folgte die WM im eigenen Land und was bereits zuvor nicht gerade klein gewesen war, wurde nun so richtig groß. Deutschland hatte nun die ganze Welt zu Gast, das öffentliche Interesse am Turnier war groß wie selten zuvor und ich hoffte auf ein gutes Abschneiden Klinsis Kicker. Und siehe da, die Mannschaft um Michael Ballack wirkte nicht nur überaus sympathisch, sondern lieferte auch erfrischenden und erfolgreichen Offensiv-Fußball. Im Viertelfinale kam es zum Elfmeter-Krimi gegen grobe Argentinier, bevor man im Halbfinale gegen Italien ausschied. Vom „Weltmeister der Herzen“ war im Zusammenhang mit den Deutschen die Rede und was ich in Hamburg miterleben durfte, war nicht nur ein Volksfest, sondern ein Fest der Völker. In diesem geilen Sommer verschlug es mich zwar erneut nicht ins Stadion, aber ich verfolgte die Spiele so gut es ging und genoss den Trubel auf den Straßen, auf denen Menschen aus aller Herren Länder jubelnd und feiernd umherliefen und die Einheimischen mehr aus sich herauskamen, als je zuvor: Südländisches Flair herrschte, als sich alle Welt zum „Public Viewing“ getauften Rudelgucken zusammenfand, Kneipen, Biergärten und Außengastronomie bevölkerte, die Straßen belebte und tatsächlich einmal alle Vorurteile von „steifen Deutschen“ etc. Lügen strafte. Das Turnier hatte Deutschland fest im Griff und es schien ihm gut zu tun. Ich habe tolle Erinnerungen an das „Sommermärchen“ und war nicht zuletzt auch regelrecht begeistert vom Spiel der deutschen Mannschaft mit Klose, Schweinsteiger, Podolski & Co. Was 2006 in Deutschland stattgefunden hatte, war überragende Werbung für den Fußball und konnte zu Recht endlich einmal stolz machen. Das rief jedoch auch mehr als je zuvor feierwütiges Event-Publikum auf den Plan, das augenscheinlich kaum Bezug zum Sport, dafür umso mehr zum sog. „Party-Patriotismus“ hatte und mit seinem Fahnengeschwenke und dem Drang, alles Mögliche in schwarz-rot-gold schmücken zu müssen, Kritiker auf den Plan rief, die darin die Entwicklung eines neuen Nationalismus sahen. Ich verabscheute nach wie vor jegliche Versuche, die WM politisch zu missbrauchen, erst recht im Zusammenhang mit Rechtsextremismus, sah den Umgang mit den Nationalfarben aber eher entspannt. Im Gegensatz zu den Flaggen und Symbolen des Dritten Reichs hatte ich nie ein grundsätzlich Problem mit ihnen, bin mir ihrer Herkunft bewusst und reagiere nicht wie der Pawlowsche Hund auf ihr Erscheinen, interpretierte sie im Rahmen der WM zu großen Teilen als Sympathiebekundungen für die Nationalelf, auch ohne selbst mit Ihnen herumzuwedeln oder sie mir an die Backe zu schmieren. Mittlerweile war ich in sozialen Netzwerken unterwegs und wurde selbst mit dieser Kritik konfrontiert, wenn ich mich z.B. in einem Punkforum positiv zur WM äußerte. Das reichte von ernstzunehmenden, diskussionswürdigen Äußerungen über undifferenzierte Polemiken bis hin zu interessanten Phänomenen: Vornehmlich von sich selbst als „politisch links“ wahrnehmenden Mitmenschen oder einer ganz abwegigen Sektierergruppe, den sog. „Antideutschen“, erfuhr ich permanentes Miesgemache nicht nur des Spiels des deutschen Teams noch als harmloseste Unmutsbekundung. Anscheinend wurde da gern einmal zuhause gesessen und darüber gejammert und sich darüber beschwert, dass andere auf den Straßen und in den Stadien Spaß haben, wie es der typische deutsche Spießer gern mit uns Punks tat. Auf jeglichen positiven Bezug zur WM wurde mit mahnenden Worten reagiert, als wäre eine Neuauflage der ’36er-Olympiade in Gange, wurden die schlimmsten Auswüchse herbeigeunkt und dermaßen viel zusammengeheuchelt, um zu vertuschen, worum es eigentlich ging: um undifferenzierten Abneigung gegen alles „Deutsche“, die über punktypische Provokation weit hinaus ging und eine ideologische Wurzel inne hat, die seltsame Blüten trieb: den altbekannten Nationalismus, gegen den man doch zu sein vorgab. Wer den Deutschland überhöhenden Nationalismus aufgreift und ins Gegenteil verkehrt, indem er eine Nation statt sie zu überhöhen erniedrigt, einer wie auch immer gearteten „deutschen Volksgemeinschaft“ bestimmte negative Attribute zuspricht etc. ist weit davon entfernt, dem eigenen Anspruch gerecht zu werden, Staatsgrenzen hinter sich zu lassen und Nationalitäten wenig bis keine Bedeutung beizumessen. Wer Nationalismus, Rassismus und andere Ausgrenzungen/Diskriminierungen etc. für ein rein deutsches Problem hält, das bewältigt werden würde, indem Frankreich bis Polen reicht, hat nichts kapiert und macht gewaltige Fehler – und ist in seinem fragwürdigen Verhalten letztendlich deutscher als die deutschesten Deutschen, um diesen Duktus einmal aufzugreifen. Nun sind diese Menschen allerdings keine ernstzunehmende politische Kraft und stellen verglichen mit Neonazis, die wie so vieles andere eben auch gern einmal eine EM oder WM für ihre Zwecke zu missbrauchen versuchen, das wesentlich kleinere Übel dar. Dessen bin ich mir sehr bewusst. Zumindest ein Schmunzeln über den deutschen Gutmenschen, der ja eigentlich so gar nichts von Länderspielen und solchen Turnieren hält, aber trotzdem interessiert die WM verfolgt, um stets – aus „politischen Gründen“, versteht sich – dem jeweiligen Gegner des deutschen Teams die Daumen zu drücken, muss aber erlaubt sein. Und wenn’s ein Team aus einem Land ist, in dem die Scharia Gesetz ist – geschenkt! In diesem Zusammenhang verweise ich auf Gregor Keuschnig: „Gesinnungs-Euphoriker gestatten allen anderen das, was sie bei Deutschen missbilligen. Sie finden es gut, wenn Franzosen oder Brasilianer die Hymne mitsingen und verabscheuen es, wenn dies die Deutschen tun. Sie sehen über Gesichtsbemalungen bei Argentiniern hinweg, finden sie aber bei Deutschen gräßlich. Sie schämen sich für die biersaufenden und grölenden deutschen Fans, goutieren dies aber anderswo als lustig und originell. Gesinnungs-Euphoriker finden österreichische und englische Boulevard-Zeitungen gut, die das deutsche Fußballspiel im Weltkriegs- oder Nazi-Duktus aufbereiten. Zuhause schreiben sie Briefe, dass ihnen die “Bild” nicht in den Briefkasten gesteckt wird. Gesinnungs-Euphoriker fühlen sich besser, weil sie auf andere herabschauen. Sie sind elitär bis in die Knochen. Es gibt sie aber glücklicherweise fast nur in Deutschland. In anderen Ländern würden sie ausgelacht.“ So kritisch ich diese Gesellschaft auch beobachte und so zuwider mir auch manch Massendynamik der Deutschen ist – nach der WM 2006 wurde brav wieder abgeflaggt; Befürchtungen dahingehend, ein chauvinistisch-nationalistisches Volk durch die Weltmeisterschaft herangezüchtet zu haben, erwiesen sich als unbegründet. In Erinnerung blieben mir tolle Stimmung, ein soziales Miteinander, im Rahmen dessen Menschen miteinander ins Gespräch kamen und zueinander fanden, die sonst im jeweiligen Alltagstrott gefangen waren, und leuchtende Kinderaugen, die von den Ereignissen mindestens so ergriffen waren, wie ich es 1990 vor der heimischen Glotze war.

Unverständlicherweise trat Klinsmann nach dem Turnier zurück, um fortan die Mannschaft der USA zu trainieren, doch sein Co-Trainer Joachim Löw übernahm das Amt. Zur EM2008 in Österreich und der Schweiz war die Euphorie ungebrochen und Löw führte das Team bis ins Finale, wo es gegen die mittlerweile überragenden Spanier 0:1 unterlag. Einerseits war die Enttäuschung groß, andererseits gönnte ich es den Spaniern, die ich schon immer mochte und die ich im Prinzip schon seit 1988 auf dem Schirm hatte. Ihre Spielweise, das Tiki-Taka getaufte Kurzpassspiel, sollte die nächsten Jahre den Fußball dominieren – so auch während der WM 2010 in Südafrika, als die deutsche Mannschaft ihr Spiel weiter ausgebaut hatte und neben Spanien den besten Fußball bot. In der Luft lag eine Stimmung, dass der Titel zum Greifen nah wäre – trotz einer durchwachsenen Vorrunde, in der man Australien klar mit 4:0 besiegte, jedoch unglücklich 0:1 gegen Serbien unterlag und sich gegen Ghana schwer tat, letztlich aber das erlösende 1:0 erzielte. Der Torschütze war ein junger Deutschtürke namens Mesut Özil, der zum identitätsstiftenden Faktor für die Türken und türkischstämmigen Deutschen wurde, auch weil sich die Türkei diesmal nicht qualifiziert hatte. Er verlieh der deutschen Elf endgültig ihren integrativen Charakter, war sie doch mittlerweile ein Spiegelbild einer multikulturellen Gesellschaft und damit noch weniger als je zuvor für Rechtsextremisten und andere deutschtümelnde Immigrationfeinde als Identifikationsobjekt geeignet. Dieser Mannschaft gelang, womit sich die Politik lange Jahre so schwer getan hatte und das Turnier ging in die Geschichte als das der deutsch-türkischen Freundschaft ein. Überragend fielen das Achtel- und das Viertelfinale aus, als Deutschland erst England mit 4:1 besiegte und anschließend Argentinien unter Leitung Maradonas glatt mit 4:0 nach Hause schickte. Was sollte jetzt noch schiefgehen? Im Halbfinale traf man auf Spanien. Die junge deutsche Elf ohne ihren verletzten Kapitän Ballack, der gar nicht erst das Turnier antreten konnte und die Kapitänsbinde an Lahm abtrat, wirkte plötzlich verunsichert, schien zu viel Respekt vor dem Gegner zu haben, spielte verkrampft und unterlag schließlich nicht unverdient mit 0:1. Der Traum war aus, Deutschland wurde immerhin Dritter und Spanien gegen fiese Holländer im Finale nach Verlängerung verdienter Weltmeister.

Deutschland hatte die letzten drei Turniere gut gespielt, aber keinen einzigen Titel geholt. Trotz manch wieder lauter werdender kritischer Stimme dachte Löw nicht daran, hinzuschmeißen und verlängerte seinen Vertrag. In der Vorrunde der EM 2012 in Polen und der Ukraine bezwang Deutschland souverän Portugal, Holland und Dänemark, das Achtelfinale gegen Griechenland wurde mit 4:2 gewonnen, doch im Halbfinale wartete Angstgegner Italien und schoss in Person Marion Balotellis die Deutschen mit 1:2 aus dem Turnier. Wieder ein Halbfinale, wieder Italien, wieder Schluss. Dass Italien im Finale schließlich von eindeutig dominierenden Spaniern vorgeführt und mit 0:4 in die Schranken gewiesen wurde, war ein schwacher Trost. Lautstarke Diskussionen entbrannten: War die deutsche Mannschaft zu lieb? Fehlte ihr das Sieger-Gen, fehlten ihr echte Persönlichkeiten, hatte sie den richtigen Trainer? Hatte Löw sich verzockt? Die 2006 begonnene Euphorie bekam empfindliche Dämpfer, die Erwartungshaltung sank. Im Vorfeld der WM 2014 kochten diese Debatten wieder hoch und kaum ein selbsternannter Experte glaubte wirklich an einen Sieg der deutschen Elf in Brasilien, der Heimat des Rekord-Weltmeisters. Möglicherweise bedeutete dies einen Druckabfall für Löw und die Mannschaft, vielleicht erzeugte es auch einen „Jetzt erst recht!“-Trotz. Ich persönlich glaubte weder die Unkenrufe von sich angeblich nicht genug mit ihrer Aufgabe identifizierenden Nationalspielern, noch das fast schon beleidigende in Abrede Stellen von starken Charakteren und schon gar nicht an ein fehlendes „Sieger-Gen“ (was auch immer das überhaupt sein soll), erst recht nicht in Anbetracht der jüngsten Erfolge deutscher Vereine. Auch hielt ich mir nüchtern Löws Bilanz vor Augen, die ihn zu nicht weniger als dem erfolgreichsten deutschen Trainer machte, wenn auch ohne Titelsieg – und traute ihm zu, die richtigen Spieler mitzunehmen, ob nun mit nur einer „echten“ Sturmspitze oder mehreren. Wenn mir überhaupt etwas Sorge bereitete, dann das Verletzungspech wichtiger Spieler im Vorfeld. Ob Neuer, Lahm und Schweinsteiger rechtzeitig wirklich fit werden würden, stand auf der Kippe. Zum letzten Prä-WM-Tippspiel gegen Bertis Armenien schrieb ich: „Das (…) wurde zwar mit 6:1 deutlich gewonnen, lange Zeit aber lief man vergebens gegen die armenische Abwehr an. Meines Erachtens wurde wieder zu lange versucht, den Ball quasi ins Tor zu tragen, was gegen ein solches Abwehrbollwerk vergebene Liebesmüh ist. Zu selten traut sich jemand, einfach mal draufzuhalten, gern auch aus der zweiten Reihe. Das Spiel gewann ÜBERDEUTLICH, als die „alten Recken“ eingewechselt wurden. Mit diesen in guter Form dürfen wir m.E. auf attraktiven und erfolgreichen Fußball hoffen. Ohne sie wird’s schwer. Glückwunsch an Miroslav Klose, der Gerd Müllers Länderspieltorerekord eingestellt hat. Ganz großer Wermutstropfen: Reus hat sich verletzt und kann die WM nicht antreten.“ Da war also einerseits das gute Spielergebnis, andererseits aber meine Kritik an der Spielweise, die ich des Öfteren in Testspielen und der Qualifikation, vor allem aber auch während der verlorenen EM beobachtet hatte – und dann natürlich das Verletzungspech Reus‘. Etwas anderes aber wog viel schwerer: Seit 1990 arbeitete die FIFA beständig daran, mir die Freude an der WM zu verleiden. Im Laufe der Jahre kristallisierte sich immer mehr heraus, dass der De-facto-Monopolist FIFA über mafiaähnliche Strukturen und Vorgehensweisen verfügt, jüngstes Beispiel war die nicht zu rechtfertigende Vergabe der WM 2022 an das antidemokratische Wüstenemirat Katar. In Brasilien formten sich seit 2013 massive Proteste gegen die exorbitant hohen Kosten, die das Land bereitwillig ausgab, statt sich um sein marodes Gesundheits- und Bildungssystem zu kümmern und zu versuchen, die Armut der Bevölkerung endlich in den Griff zu bekommen. Zwangsumsiedlungen und Entrechtungen waren die Folge hoher FIFA-Auflagen, bei den Bauten der protzigen und nach der WM zumeist nutzlosen Prunkstadien starben Arbeiter etc. Die Proteste waren nicht nur verständlich, sondern auch ernstzunehmen, die Polizei Brasiliens ging überhart gegen Demonstranten vor und die Stimmung war regelrecht vergiftet – kein gutes Omen für eine friedvolle WM im Zeichen des Sportsgeists und der Völkerverständigung. Auch hierzulande riefen viele zum Boykott der WM auf, wenn auch meist ohnehin wenig an Länderspielen Interessierte und mit fraglichem Nutzen für die betroffenen Brasilianer. Dennoch: Verdenken konnte ich es ihnen nicht. Die WM-Berichterstattung war zumindest zunächst noch geprägt von Berichten über den Unmut der brasilianischen Bevölkerung und die Kombination aus FIFA-Gier, Gleichgültigkeit der brasilianischen Regierung und Brutalität der Exekutive war und ist beschämend.

Durchaus mit gemischten Gefühlen begann ich, mir die Spiele anzuschauen und hätte mir wahrlich andere Voraussetzungen gewünscht. Doch bereits als ich das Eröffnungsspiel des Gastgebers gegen Kroatien einschaltete und die jubelnden, mitfiebernden Brasilianer sah, war ich auch gedanklich schon wieder mittendrin im hochemotionalen Fußballzirkus der weltbesten Spieler. Ich wurde nach zehn Minuten direkt Zeuge historischer Ereignisse wie dem ersten Eigentor einer brasilianischen Mannschaft bei einer WM, womit auch erstmals überhaupt das erste Tor einer WM ein Eigentor wurde. Brasiliens Hoffnung Neymar glich aber aus und in der 70. Minute erschwalbte sich die Seleção einen Elfmeter, den sie zum Führungstreffer verwandelte und in der Nachspielzeit gar auf 3:1 erhöhte. Ich sah augenscheinlich unter großem Druck stehende, bisweilen verunsichert wirkende Brasilianer und die erste von mehreren Fehlentscheidungen der Unparteiischen. Diese setzten sich fort bei der zweiten Partie, als meine sympathisierten Mexikaner auf die vom deutschen Trainer Volker Finke trainierten Kameruner trafen, die Deutschland kurz vor der WM in einem Testspiel noch ein 2:2 abgerungen hatten. Hatte ich das Eröffnungsspiel noch in den eigenen vier Wänden verfolgt, begab ich mich fürs Mexico-Spiel mit einem Kumpel bei einem Bierchen in die Öffentlichkeit, um es auf dem Spielbudenplatz auf dem Hamburger Kiez zu verfolgen. Gleich zwei skandalöse Schiedsrichterentscheidungen kosteten Mexico zwei Tore, die nachweislich kein Abseits waren. Dennoch gelang den Mittelamerikanern der Sieg. Der verantwortliche Linienrichter wurde später wegen Bestechungsverdacht nicht mehr im Turnier eingesetzt. Ich will jetzt gar nicht auf jedes Spiel detailliert eingehen, aber dem Favoritensterben fielen diesmal nicht nur England (schade) und Italien (juchu!) zum Opfer, sondern auch der amtierende Weltmeister Spanien! Die erste Sensation war perfekt. Eine weitere war das tolle Abschneiden Costa Ricas, das zum wahren Geheimfavoriten anstelle der im Vorfeld als solchen behandelten, aber hinter den Erwartungen zurückbleibenden Belgier. Starke Holländer und Franzosen überzeugten in ihren ersten Spielen. Argentinien spielte effizient und erfolgreich. Und dann waren da ja noch die Deutschen… Diese bekamen Portugal als ersten Gegner zugeteilt. Portugals Star Christiano Ronaldo stand im Vorfeld auf der Kippe, war aber rechtzeitig wieder fit geworden. Kurz vor Turnierbeginn besiegten sie Irland mit einem satten 5:1. Einige stilisierten Portugal zum Angstgegner hoch und setzten auf eine deutsche Niederlage. Aber Deutschland gewann, und zwar deutlich: Mit 4:0 düpierte man Ronaldo & Co. Stürmer-Wunderkind Thomas Müller traf gleich drei Mal, einmal durch Foul-Elfmeter. Ich zitiere einfach mal meine Notizen zu den jeweiligen Spielen der deutschen Mannschaft:

Mensch, was waren die Prognosen von deutscher Seite vorsichtig und zurückhaltend. Und tatsächlich: Nach 8 Minuten akute Gefahr vor dem deutschen Tor, aber Neuer steht parat. Nach ca. 12 Minuten aber ein vielversprechender Gegenangriff der Deutschen. Ein Portugiese zupft an Götzes Trikot, hält ihn, Götze fällt – Elfmeter! Diesen Strafstoß musste man nicht geben, konnte man aber. Wie Götze später selbst zugab, eine Ermessenssache des Schiedsrichters. Thomas Müller verwandelt mit eiskalter Präzision flach unten links, der portugiesische Torwart ahnte die richtige Ecke, war aber chancenlos. In Minute 32 köpft Hummels zum verdienten 2:0 und Portugal wirkt vollkommen von der Rolle. Pepe im Laufduell gegen Müller, Müller bekommt Pepes Hand ins Gesicht, fällt und hält sich das Gesicht. Ich weiß nicht, wie viel Schauspielerei dabei war, ehrlich gesagt sah es für mich ein bisschen danach aus. Das fände ich unschön, ein hochdotierter, professioneller Weltfußballer wie Pepe jedoch muss genügend Besonnenheit besitzen, nicht danach noch den körperlichen Kontakt zum sitzenden Müller zu suchen. Müller explodiert mit einer Schimpfkanonade, die ich gern gehört hätte, und dem Schiri reicht’s längst: er stellt Pepe wegen einer Tätlichkeit vom Platz. Eine harte Entscheidung, die aber ebenfalls vertretbar ist. Das Spiel der Iberer ist daraufhin vollends zerstört. Die Deutschen spielen unbeirrt weiter, Müller staubt in der Nachspielzeit der ersten Hälfte zum 3:0 ab. In der zweiten Hälfte nimmt die klug agierende DFB-Elf das Tempo heraus, spart in der brasilianischen Hitze ihre Kräfte, beherrscht den Gegner klar und taucht immer wieder gefährlich vor dessen Kasten auf. Tatsächlich gelingt Thomas Müller sein dritter Treffer der Partie in der 78. Minute zum 4:0-Endstand – drei Tore eines Spielers im selben Spiel, das gab’s vorher nicht bei dieser WM. Und was macht eigentlich der hochgejubelte Ronaldo? Dem gelingt es, bei einem Freistoß die nur aus Lahm bestehende Ein-Mann-Mauer zu treffen und schießt gegen Ende doch noch einmal gefährlich aufs deutsche Tor, gibt Neuer dadurch jedoch lediglich eine Gelegenheit für eine Glanzparade. Ansonsten blieb Ronaldo unauffällig. Gut möglich, dass Portugal nach dem frühen Rückstand durch den Elfmeter kurzzeitig demotiviert war. Eine Nationalmannschaft aber muss so etwas schnell abschütteln und dagegenhalten. Davon war nicht sonderlich viel zu spüren, zeitweise wirkten die Portugiesen gar beleidigt und nach dem Platzverweis, als hätten sie sich aufgegeben und würden eigentlich gar nicht mehr mitspielen wollen. Das deutsche Spiel hingegen war begeisternd: Statt per überbordendem Kurzpassspiel den Ball ins Tor tragen zu wollen, wurden die Offensivkräfte durch lange Pässe geschickt, wurde geflankt und wurde geköpft. Einer stand für den anderen ein, die Deutschen scheuten kein körperbetontes Spiel und trotz des rigorosen Schiedsrichters wurde dieses i.d.R. korrekt, nämlich als fair bewertet. Meines Erachtens eine der besten Mannschaftsleistungen bisher bei dieser Weltmeisterschaft. Fairerweise muss ich aber erwähnen, dass es in Durchgang 2 durchaus auch einen Elfmeter für Portugal hätte geben können. Zu keinem Zeitpunkt jedoch machte das Spiel den Eindruck, als hätten die Portugiesen es ohne die gegen sie gerichteten Schiri-Entscheidungen beherrschen können, insofern besteht diesbzgl. kein Diskussionsbedarf.

Deutschland – Ghana 2:2
Dass es gegen Ghana kein Zuckerschlecken werden würde, hatte ich eigentlich, gerade auch gedenk des letzten Aufeinandertreffens bei einer WM, geahnt. Wer weiß, was mich geritten hatte, 3:0 auf Deutschland zu tippen – da war wohl der Wunsch Vater des Gedanken. In der ersten Hälfte ging jedenfalls nicht viel, Jogis Jungs ließen den Ghanaern viele Freiräume und waren nach vorn nicht zwingend genug, Ghana wirkte gefährlicher. Dafür ging’s dann in Durchgang zwei so richtig rund: Führung durch Götze in Minute 51, der Ausgleich nur drei Minuten später. Rund zehn Minuten später gar der Führungstreffer für die Afrikaner! Endlich reagierte Löw und stellte das deutsche Spiel durch Hereinnahmen von Klose und Schweinsteiger um. Das erwies sich als goldrichtig, denn Klose staubte zum Ausgleich und 2:2-Endstand ab. Trotzdem kämpften beide Mannschaften weiter um den Sieg und das Spiel geriet zu einem offenen Schlagabtausch, in dem die Taktik keine große Rolle mehr spielte. Beide hatten ihre Großchancen, immer wieder riskierten die Deutschen ghanaische Konter und ohne einen quasi fehlerlosen Mann wie Neuer im Tor hätte das Ganze auch in die Hose gehen können. Die Gegentreffer resultierten aus individuellen Fehlern Mustafis und Lahms, aber positiv zu bewerten ist die kämpferische Leistung der DFB-Auswahl. Das Ergebnis geht in Ordnung und das Spiel war hoffentlich eine ertragreiche Lehrstunde für die Deutschen. Fürs nächste Spiel wünsche ich mir Klose von Anfang an, gern auch Schweinsteiger.

Im letzten Gruppenspiel kam es zum mit Spannung erwarteten Duell zwischen Jürgen Klinsmann und Jogi Löw:

USA – Deutschland 0:1
Darf man den Medienberichten Glauben schenken, stand das Spiel aufgrund starken Regens kurz vor der Absage. Letztendlich wurde es aber doch pünktlich angepfiffen, Podolski und Schweinsteiger diesmal in unserer Startelf. Die Zuschauer des quasi deutsch-deutschen Duells sahen seitens der Deutschen ein taktisches, sehr kontrolliertes Spiel, in dem – aufgrund der komfortablen Ausgangssituation in der Gruppentabelle verständlicherweise – niemand ein zu hohes Risiko eingehen und womöglich einen Fehler riskieren wollte. Auch in der zweiten Hälfte hatten Jogis Jungs das Spiel souverän im Griff, zeigten im Spiel nach vorn aber ein paar Schwächen und manch etwas leichtfertig vergebene Chance. Müller machte ein sehr schönes Tor zum 0:1-Endstand, Poldi fand nicht richtig ins Spiel, Özil vertendelte den einen oder anderen Ball. Wenn die Amis gefährlich vor Neuers Tor auftauchten, waren es an einer Hand abzählbare Einzelaktionen, die jedoch mitunter dennoch richtig gefährlich wurden. Richtig spannend wurde es – wie so oft – noch einmal in der Nachspielzeit, doch Lahm ging dazwischen und machte seinen Fehler gegen Ghana wieder gut. Deutschland ist verdienter Gruppensieger und einen Nichtangriffspakt gab es definitiv nicht. Die DFB-Elf zeigte eine konzentrierte Leistung, insgesamt war das Spiel – natürlich dem Umstand geschuldet, dass es für beide Teams nicht mehr um sonderlich viel ging, ein Stück weit bestimmt auch dem Regenwetter – eher abgekühlt denn leidenschaftlich, spektakulär und mitreißend. Das lag aber auch an den für meinen Begriff etwas enttäuschenden US-Amerikanern, die ich nach dem Spiel gegen Portugal stärker eingeschätzt hatte.

Die Achtelfinals waren also erreicht, doch auch in der Vorrunde hatte sich sonst noch Bemerkenswerte getan: Allem voran natürlich die vom Schiedsrichter ungeahndete, doch im Nachhinein mit neun Pflichtspielen Sperre bestrafte Bissattacke des Uruguayers Suárez gegen den Italiener Chiellini. Zu diesem verrückten Spiel ziehe ich einmal mehr meine Notizen heran:

Um möglichst nichts davon zu verpassen, wie Italien aus dem Turnier gekickt wird, hab ich gestern extra früher Feierabend gemacht und mich kurz nach 18:00 Uhr in den Backbord-WM-Garten begeben. Bei kühlem Jever sah ich eine schwache erste Halbzeit und den ebensolchen Beginn einer zweiten, als die Italiener anscheinend schlicht das Unentschieden halten wollten, das ihnen bereits gereicht hätte. Dann aber machte Uruguay mehr Druck, prallte aber immer wieder am italienischen Abwehrgürtel ab. Italien setzte immer mal wieder Konter dagegen und zwirbelte den einen oder anderen gefährlichen Freistoß aufs Tor der Südamerikaner. Der erste richtige Aufreger der Partie war die rote Karte gegen Marchisio nach ungefähr einer Stunde, laut Dampfplauderer Rethy eine zu harte Entscheidung. Meines Erachtens jedoch die genau die richtige, denn der Italiener suchte deutlich den Stollenkontakt zum Gegenspieler statt zum Ball und zielte zumindest darauf ab, Schmerzen zu verursachen. Das ist das typische Spiel der italienischen Mannschaft, Nickligkeiten und verdeckte Fouls, selbst aber fast mehr Zeit liegend und jammernd verbringend als fußballspielend. Doch der Unparteiische stand genau daneben und machte es zum entdeckten Foul, das er entsprechend ahndete. Den Vogel aber schoss Uru Suárez ab, als er vom Schiedsrichtergespann unentdeckt seinem Gegenspieler in die Schulter biss! Diese unfassbare Tat war natürlich irrsinnig komisch und blieb folgenlos, kurze Zeit später verwandelte Uruguay sogar zum verdienten Siegtreffer! Ich freue mich über das italienische Ausscheiden, wenn es auch nicht ganz sauber war – aber es hat in jedem Falle die Richtigen getroffen.

Die Achtelfinalspiele verliefen aus meiner Sicht wie folgt:

Brasilien – Chile 4:3 n.E.
Das erste Achtelfinalspiel schaute ich mir auf dem Fan-Fest auf dem Heiligengeistfeld am Stadion des FC St. Pauli an, wo ab dem Achtelfinale jedes Spiel gezeigt wird. Zu Deutschland-Spielen ist dort natürlich kein Durchkommen, bei Spielen ohne deutsche Beteiligung ist dort jedoch Platz genug. Im Vergleich zu den vorherigen Turnieren hat man dort alles etwas verkleinert, auch herrscht weniger internationaler Flair – früher war jedes Teilnehmerland dort mit eigenen kulinarischen Angeboten etc. vertreten. All das fällt diesmal weg. Dennoch ist ein Besuch zu empfehlen, denn der Eintritt ist frei, die Technik gut und vor allem: man kann mit den Fans der jeweiligen Mannschaften feiern! Wir mischten uns unter die sympathischen Chilenen und feuerten mit ihnen bei ein paar Bierchen vom Fass die Mannschaft an, die in der 18. Minute gegen den Gastgeber und haushohen Favoriten in Rückstand gerieten (durch ein Eigentor). Doch in Minute 32 glich Chile aus und das Spiel war wieder offen! Brasilien tat sich sichtlich schwer gegen die starken Chilenen, die Stimmung auf dem Fan-Fest war prächtig! In der zweiten Halbzeit neutralisierten sich beide Mannschaften weitestgehend, von einem Neymar beispielsweise war nicht mehr viel zu sehen. Die eine oder andere brasilianische Großchance fischte der starke chilenische Torhüter raus. Nach 90 Minuten ohne Entscheidung jedoch waren beide Teams quasi stehend k.o., mussten aber in die Verlängerung. Auch diese führte zu keinem Ergebnis und mir schwante Böses fürs Elfmeterschießen: Tatsächlich gewannen es superknapp die Brasilianer, Chile haute die Kirsche am Ende gegen den Pfosten und das war’s – haarscharf, um Zentimeter, sind wir an einer Sensation vorbeigeschrammt, beinahe hätte Chile den Gastgeber aus dem Turnier gekickt! Ich hatte auf mein Herz gehört und auf Chile getippt, was ich im Nachhinein auch nicht bereue. Ebenfalls ans Herz gingen die Bilder trauernder Chilenen auf dem Fan-Fest, weinende Kinder etc… Glücklicherweise weitestgehend zurück hielten sich die Spacken, die vorher auf dem unsäglichen „Schlager Move“ die Stadt verpesteten und während des Spiels zum Fußballgucken vorbeigestolpert kamen. Pack!

Kolumbien – Uruguay 2:0
Die bei dieser WM sehr starken Kolumbianer hatten keine größeren Probleme mit Uruguay, das auf den gesperrten Beißer Suarez verzichten musste. James Rodriguez machte beide Treffer und führt damit die Torjägerliste des Turniers an. Bei Uruguay blieb Diego Forlan enttäuschend blass, dafür wurde umso mehr lamentiert und kritisiert. Nee, liebe Urus, das war nix. Kolumbien ist verdient weiter und darf sich endlich einmal über ein WM-Viertelfinale freuen. Glückwunsch!

Niederlande – Mexico 2:1
Was war das bitter! Ich hatte mir mein Mexico-Trikot übergestreift, mich wieder aufs Heiligengeistfeld begeben und natürlich unter die Mexikaner gemischt, die fast das gesamte Spiel über für tolle Stimmung sorgten, während die stumpfen Holland-Fans die meiste Zeit die Klappe hielten. Bei unerbittlicher Hitze legten die Holländer eine miese erste Halbzeit hin, spielten unnötig hart und unfair, kamen höchstens ein einziges Mal gefährlich vors mexikanische Tor und waren den flinken Mittelamerikanern deutlich unterlegen. Obwohl Holland anscheinend eine sehr defensive Taktik gewählt hatte, hatte Mexico eine Reihe guter Torchancen, umdribbelte immer wieder die Witzfiguren der Oranje-Abwehr und war physisch fitter, was sich besonders in den Laufduellen verdeutlichte. Folgerichtig hieß es kurz nach der Halbzeit 0:1 für Mexico. Langsam wachte Holland auf und suchte den Ausgleich, doch die Mexikaner standen gut und konnten sich in wirklich brenzligen Situationen auch immer wieder auf ihren überragenden Torwart Ochoa verlassen – dieser war machtlos, als Sneijder in der 88. Minute doch noch den unverdienten Ausgleich erzielte. Die falsche Entscheidung fiel in der Nachspielzeit, als der charakterlose Robben sich nach einer leichten, ganz normalen Zweikampfberührung im mexikanischen Strafraum zur Schwalbe fallen ließ (ach, was sag ich, oscarreif sprang!) und damit einen Elfmeter herausholte, den der zuvor eingewechselte Huntelaar verwandelte. Das hochspannende Spiel hatte den falschen Sieger, Holland enttäuschte und fliegt hoffentlich alsbald aus dem Turnier. Ihrem Ruf als neben den Italienern größten Unsympathen des Fußballs wurden sie jedoch wieder gerecht. Pfui!
Mexico hingegen kann erhobenen Hauptes nach Hause fliegen. Meine heimliche Lieblingsmannschaft (neben der deutschen, versteht sich) hat mir und der ganzen Welt wieder einmal viel Freude bereitet und es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn es nicht bald endlich einmal mit einem Viertel- oder Halbfinale klappen sollte. „Hey Compañeros, schwenkt die Sombreros, schieß in die Luft, du lumpiger Schuft, trink mit uns auf die Revolution, du dreifach verteufelter Hurensohn!“ Prost – auf Mexico!

Costa Rica – Griechenland 6:4 n.E.
Was für ein Fußballkrimi! In einem von zahlreichen Nickligkeiten bestimmten Spiel gingen in der 52. Minute die sympathischen Mittelamerikaner verdient in Führung, hatten in der 55. Minute sogar die große Chance, zu erhöhen, doch wurde ihnen ein Handelfmeter verwehrt. Fortan versuchten sie, das Ergebnis zu halten. Das klappte die meiste Zeit auch recht gut, selbst nach der gelb-roten Karte gegen Duarte in der 66. Minute. Doch wieder diese verflixte Nachspielzeit! Sokratis machte in der 91. den Ausgleich und was Costa Rica unbedingt verhindern wollte, geschah: Das Spiel ging in die kraftraubende Verlängerung. Doch mobilisierte Costa Rica verborgene Kräfte und waren die Griechen einfach nicht totzukriegen, so dass die Nachspielzeit noch einmal richtig spannend wurde, aber ohne Entscheidung blieb. Das Elfmeterschießen war dann überraschend gut von eigentlich beiden Mannschaften, fast alle Elfer wurden sicher verwandelt. Der Grieche Gekas jedoch scheiterte am klasse Torhüter Nevas und Umana besiegelte schließlich den costa-ricanischen Sieg.
Ein historischer Sieg, denn erstmals steht Costa-Rica in einem WM-Viertelfinale. Für die Griechen wäre es auch das erste Mal gewesen. Vielleicht in vier Jahren, wenn sie ihren Fußball endlich einmal etwas modernisieren würden.

Frankreich – Nigeria 2:0
Ich habe dieses Spiel nicht sehen können, aber anscheinend hatte Frankreich in der ersten Halbzeit massive Probleme, gegen Nigeria ins Spiel zu finden und drehte erst in der zweiten Hälfte auf. Letztlich siegen die Franzosen mit 2:0 und sind relativ souverän weiter – was keine Überraschung ist.

Deutschland – Algerien 2:1 n.V.
Ich wusste, dass es kein Zuckerschlecken werden würde! Algerien stand völlig zurecht im Achtelfinale und Deutschland tut sich generell schwer mit afrikanischen Mannschaften. Dass es in den ersten 35 Minuten jedoch zu vielen Fehlern und Missverständnissen im deutschen Spiel kam, war dann doch negativ überraschend und alles andere als weltmeisterlich. Neuer musste gegen die auf jede Chance lauernden Algerianer Torhüter und Ausputzer zugleich sein, agierte oftmals weit vorm eigenen Kasten und bewies dabei viel Überblick. Die letzten zehn bis 15 Minuten der ersten Halbzeit fand Deutschland jedoch besser ins Spiel und avancierte in der zweiten Hälfte zur klar überlegenen Mannschaft – der jedoch einfach kein Tor gelingen wollte. So ging es in die kraftraubende Verlängerung, bis der eingewechselte Schürrle ENDLICH den erlösenden Führungstreffer erzielte. Özil erhöhte sogar auf 2:0 (was mein Tippergebnis gewesen wäre), doch direkt im Anschluss gab’s den algerianischen Anschlusstreffer. Dann aber war auch Schluss, Deutschland steht im Viertelfinale und muss gegen starke Franzosen ran. Über einiges wird zu reden sein, denn besonders die vielen individuellen Fehler im Mittelfeld bereiten Sorgen. Dafür überzeugten die Deutschen jedoch – wie gegen Ghana – kämpferisch und erzwangen schließlich den verdienten Sieg.

Zu einer weiteren „journalistischen Sternstunde“ kam es, als ein ZDF-Reporter unmittelbar nach dem Spiel einen völlig erschöpften, aber ob des erkämpften Siegs glücklichen Mertesacker mit überheblicher Kritik am deutschen Spiel konfrontierte, welcher darauf etwas unwirsch reagierte. Aus Mertesackers Worten wurde aber auch deutlich, dass die deutsche Mannschaft weitaus weniger auf Schönspielerei als auf Kampf und ergebnisorientiertes Spiel setzt, um keinesfalls in Schönheit zu sterben und auszuscheiden wie in den Turnieren zuvor. Was ich da heraushörte, war eine positive Aggression, die Mut machte.

Argentinien – Schweiz 1:0 n.V.
Wieder so eine knappe Kiste! Und wieder geriet ein vermeintlicher Favorit gegen einen vermeintlichen Außenseiter ins Straucheln. In der ersten Halbzeit vergaben die Schweizer zwei Großchancen, anschließend dürfte das Spiel relativ ausgeglichen gewesen sein (ich habe es nicht komplett sehen können), was aber auch bedeutet, dass Hitzfelds Taktik, argentinische Angriffe möglichst zu unterbinden, aufgegangen ist. Schließlich ging auch dieses Achtelfinale in die Verlängerung, in der die Eidgenossen sogar fitter wirkten als die Südamerikaner. Dann jedoch der Schock für die Schweiz, als Lionel Messis Genie kurz aufblitzte und er einen Traumpass auf den Mann mit dem göttlichen Namen Angel di Maria spielte. Dieser verwandelte und besiegelte das Achtelfinal-Aus der tapferen Schweizer, die jedoch ganz am Schluss noch eine riesige Chance zum Ausgleich bekamen Ottmar Hitzfeld beendet seine Trainerkarriere, verlässt mit seiner Mannschaft erhobenen Hauptes Brasilien und kann sich des Respekts der gesamten Fußballwelt sicher sein.

USA – Belgien 1:2
Tja, da war mir die Mannschaft des Klassenfeinds doch fast ans Herz gewachsen. Kein Wunder, spielten doch fast nur eigentlich Deutsche mit, die von einem Deutschen trainiert wurden, der sich von einem anderen Deutschen beraten ließ usw. Das machte das Team der USA zu so etwas wie einer B-Variante der deutschen Nationalmannschaft und Klinsi & Co. gelang es tatsächlich, den Nordamerikanern etwas Fußballkultur zu vermitteln. Kulturimperialismus mal andersherum – auch nicht schlecht. Ebenfalls nicht schlecht war die bisherige Leistung bei dieser WM und die Begegnung mit Belgien avancierte spätestens in der zweiten Halbzeit zu einer mitreißenden und spannenden Partie, in der die bisher so sparsam und nicht wirklich überzeugend gespielt habenden Belgier endlich einmal ihre fußballerische Klasse unter Beweis stellten und ihrem Ruf als „Geheimfavoriten“ gerecht wurden. Eine Torchance nach der anderen spielten sie heraus, doch Captain Spaulding im US-Tor hielt einfach ALLES, so dass auch dieses Spiel in die Verlängerung gehen musste. Endlich mit Abschlussgeschick und -glück gesegnet, machte Belgien erst das 0:1, dann das 0:2 und hielt den Sieg fest, als die USA auf 1:2 verkürzten – das scheinen sie sich von der DFB-Auswahl abgeguckt zu haben. Die USA fahren heim, brauchen sich aber keinesfalls zu schämen. Dass Belgien derart stark würde aufspielen können, hatte ich aber wirklich nicht erwartet, im Gegenteil: Ich hatte auf die USA getippt…

Nach den Viertelfinalspielen notierte ich jeweils wie folgt:

Frankreich – Deutschland 0:1
Ich hatte es geahnt, dass die deutsche Elf gegen Frankreich befreiter aufspielen würde als gegen die defensiven, arg unbequemen und schwieriger einzuschätzenden Algerianer und so köpfte der wieder genesene Hummels relativ früh zum Führungs- und Siegtreffer. Löw ließ diesmal Schweinsteiger und Khedira sowie Klose und Müller von Anfang an spielen, was meines Erachtens eine Verstärkung brachte, die auch benötigt wurde. Das Spiel blieb nämlich hochspannend und beide Mannschaften agierten auf ähnlichem, recht hohen Niveau, das allen Spielern stets „högschde“ Konzentration abverlangte. In der zwar nicht torreichen, doch mich in seiner Mischung aus Technik und Kampf begeisternden Partie hatten beide Mannschaften ihre Großchancen, beispielsweise der später für Klose eingewechselte Schürrle. Aber auch Frankreich tauchte mehrmals arg gefährlich vor dem deutschen Tor auf und kam zum Abschluss, doch Neuer gelang es, seine Glanzparaden einhändig auch noch verdammt lässig aussehen zu lassen – ich bin sehr angetan von der Leistung unseres Schlussmanns. Deutschland steht im Halbfinale und trifft dort auf den Gastgeber Brasilien!

Brasilien – Kolumbien 1:2
Der Gastgeber geht bereits in der siebten Minute in Führung, doch Koumbien hält dagegen und macht in einem harten Spiel mit vielen Fouls besonders in der zweiten Halbzeit ordentlich Druck. Ob es wirklich Abseits war, als Kolumbien den vermeintlichen Ausgleich erzielte, sei einmal dahingestellt und dass das zugegebenermaßen wunderschöne Freistoßtor des Brasilianers mit der affigen Frisur aus rund 30 Metern nach einer brasilianischen Schwalbe fiel, hinterlässt ein „Geschmäckle“… Der dann tatsächlich mal gegebene Anschlusstreffer gelang Kolumbien zu spät, so dass sie gegen die nur noch hinten drinstehenden Brasilianer nichts mehr ausrichten konnten. Mit dem verletzten Neymar und dem gelbgesperrten Kapitän Silva fehlen zwei Schlüsselspieler gegen Deutschland, was es für Brasilien nicht leichter machen wird.

Argentinien – Belgien 1:0
Exakt wie von mir erwartet stoppten die Gauchos mit einer soliden und vor allem effektiven Leistung den Siegeszug des Geheimfavoriten aus dem Land der Pommes und Pralinen. Das erinnert mich bis jetzt alles an das Auftreten Argentiniens 1990, als sie schließlich im Finale landeten…

Niederlande – Costa Rica 4:3 n.E.
Es dürften rund 80 Minuten gewesen sein, die die Holländer kein Rezept gegen den Abwehrgürtel der Mittelamerikaner fanden bzw. spätestens an deren Torhüter Navas scheiterten, wodurch das Spiel nicht sonderlich ansehnlich geriet. In der 82. Minute aber klingelte es nach einem holländischen Freistoß beinahe in Costa Ricas Kasten, als man erstmals Aluminium traf – Pfosten! In der Nachspielzeit dann zum zweiten Mal, als Navas bereits geschlagen war, aber ein costaricanischer Spieler den Ball an die Latte abfälschte. Offener Schlagabtausch dann in der Verlängerung, als die Ticos noch einmal letzte Kraftreserven mobiliserten, fast den Treffer erzielten und Sneijder im Gegenzug erneut die Latte bemühte. Besonderer Coup des holländischen Trainers van Gaal, als er zum Elfmeterschießen seinen Ersatz-Torwart einwechselte, der als Elfer-Killer bekannt ist – und die armen Schützen der Costa-Ricaner vollquatschte. Im Elfmeterschießen unterlag Costa Rica dann leider, aber erwartungsgemäß und letztlich auch verdient, denn es ist mir ein Rätsel, wie man fast 120 Minuten lang den Anschein erwecken kann, aufs Elfmeterschießen hin zu arbeiten, wenn man nur über derart unpräzise Schusskünste verfügt, dass man kaum eine Ecke vernünftig getreten bekommt. Trotzdem hat Costa Rica bei dieser WM viel Spaß und den Robben & Co. ordentlich das Leben schwer gemacht.

Das Halbfinale schließlich hielt eines der spektakulärsten Spiele einer deutschen Mannschaft bereit, ein Spiel zahlreicher Rekorde:

Brasilien – Deutschland 1:7
Aus meiner Sicht völlig unverständlich schienen sich die Brasilianer nach Ausfall ihres Stars Neymar bereits vor dem Spiel aufgegeben zu haben – dies war zumindest das Bild, das die hiesigen Medien mir vermittelten. Ich war mir nicht sicher, ob das nicht vielleicht doch ein Zerrbild oder psychologisches Täuschungsmanöver sein würde und hoffte, dass die deutschen Spieler die richtige Balance zwischen Ernstnehmen des Gegners und selbstbewusstem, angstfreiem Auftreten finden würden. Ich sah dafür reelle Chancen, da ich eine ggü. 2010 und 2012 gereifte Mannschaft erwartete. Dass es letztlich derart einfach würde, hatte ich mir jedoch in meinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt. Kurz noch ein paar Worte zur Stimmung im Stadion: Ich fand’s ja echt ok vom brasilianischen Publikum, wenn es schwache Partien fremder Mannschaften mit Pfiffen bestrafte und gute Leistungen lobte. Die deutsche Mannschaft von der ersten Minute an grundlos auszubuhen und auszupfeifen, zeugt jedoch weder von Gastfreundschaft noch von Fairplay. Brasilien begann gut, machte früh Druck und entwickelte von Anfang an Drang nach vorn. Doch die deutsche Verteidigung war stets zur Stelle und im temporeichen Auftakt entwickelte auch Deutschland ein schnelles Spiel in die brasilianische Hälfte. In der 11. Minute Ecke von rechts, Müller, 0:1! Grandios! Auf der anderen Seite grätscht Lahm im Strafraum herrlich gegen Marcelo und befördert die Kirsche ins Toraus – eine von mehreren Situationen, in denen Brasilianer unberechtigt Elfmeter fordern sollten, worauf sich der sehr gute mexikanische Schiedsrichter aber nie einließ. Auch kleinere Fouls verfolgte er konsequent, ohne das Spiel zu zerpfeifen und trug sicherlich dazu bei, dass es zu einer ziemlich fairen Partie wurde. In der 23. Minute verwandelt Klose, der wie gegen Frankreich von Anfang an spielte, zum 0:2 und stellte damit endgültig Ronaldos WM-Torschützen-Rekord ein. 16 Treffer, Glückwunsch, Miro! Deutschlands Fußball, der bereits nach dem ersten Treffer zunehmend sicherer und taktisch wie technisch auf hohem Niveau stattfand, wurde nun richtiggegend abgewichst, denn der überragende Toni Kroos machte im unmittelbaren Anschluss die Treffer 3 und 4! Wer hätte das gedacht?! Die Fußballwelt stand Kopf! Vollkommen uneigennützige Doppelpässe wenige Meter vor dem brasilianischen Kasten, ein weiteres solches Ding verwandelte Khedira zum sage und schreibe fünften Tor! Fünf Tore in 18 Minuten, und das gegen Brasilien! Ich glaube, nach dem vierten Tor kniff ich mich, um festzustellen, ob ich nicht träume. In der zweiten Hälfte kam Mertesacker für Hummels und nach knapp 60 Minuten „Joker“ Schürrle für Klose. Kommentator Rethy nervte mit seiner Überheblichkeit bereits vor der Halbzeit, als er das Ding schon gewonnen glaubte und damit durchblicken ließ, dass er es für unmöglich hält, dass auch eine andere Mannschaft fünf Tore in einer Halbzeit schießen könne. Klar war’s unwahrscheinlich, aber solch unsympathisches Gelaber schreit geradezu danach, gerächt zu werden, weshalb man es bitte unterlassen sollte. Wie dem auch sei, in der zweiten Halbzeit wollte Brasilien beweisen, nicht in Schockstarre verfallen zu sein und erhöhte überaus deutlich den Druck. Doch was die Abwehr nicht verhinderte, scheiterte spätestens am abermals überragenden Manuel Neuer. Brasiliens Fans begannen, sich auf ihren Spieler Fred einzuschießen und ihn gezielt auszupfeifen. Unschön. Wenigstens pfiffen sie unsere Jungs nicht mehr aus. Wir erinnern uns: Schürrle war eingewechselt worden und hat eigentlich immer getroffen, so auch heute: Der Wahnsinnige schenkte der Seleção auch noch Treffer 6 und 7 ein (und ich glaube, Maradona einmal laut lachen gehört zu haben). Verkehrte Welt im Stadion: Die brasilianischen Fans schlugen sich auf die Seite der Deutschen, bejubelten Schürrle und kommentierten jeden deutschen Pass euphorisch – die Höchststrafe für die brasilianische Elf. Deren Oscar verkürzte in der 90. noch auf 1:7, aber das war’s dann. Für Khedira kam nach 75 Minuten übrigens Draxler zu seinem ersten WM-Einsatz. Deutschland feiert einen Rekordsieg, demütigt den Gastgeber, stellt dessen WM-Torschützenrekord ein, beschert ihm seine höchste Niederlage und fährt den höchsten Halbfinalsieg ein – den 32,57 Millionen Zuschauer in Deutschland sahen: ein weiterer Rekord. Meine größte Respektbekundung vor dieser Leistung!!!

Niederlande – Argentinien 2:4 n.E.
Im gestrigen zweiten Halbfinalspiel wurde Deutschlands Finalgegner ermittelt. Holland konnte sich über van Persie und de Jong in der Startelf freuen, beide Einsätze schienen zuvor etwas fraglich. Das Spiel war schließlich bestimmt vom vorsichtigen Auftreten beider Mannschaften, von denen keine größere Risiken eingehen wollte. Das hatte zur Folge, dass sich beide Gegner weitestgehend neutralisierten und sich ein wenig attraktives, chancenarmes Spiel entwickelte. Messi wurde ebenso weitestgehend ausgeschaltet wie auf der anderen Seite Robben und so konsequent die Taktik auch eingehalten wurde, so viele individuelle Fehler in Form von Fehlpässen, unpräzisen Flanken etc. schlichen sich ein. Für fragwürdige Abwechslung sorgte ein Zusammenprall Mascheranos‘ und Wijnaldums in der 28. Minute, nach dem der Argentinier ins Taumeln geriet, benommen umkippte und behandelt werden musste, aber dennoch weitermachen konnte. Alles deutete auf Verlängerung, doch in der 91. Minute kam es zur vielleicht ersten wirklich gefährlichen holländischen Abschlussmöglichkeit – ohne Erfolg, Mascherano hielt im letzten Moment seinen Fuß dazwischen und verhinderte Robbens Tor. Die Verlängerung verlief zu großen Teilen wie die ersten 90 Minuten. Erneut war es eine Verletzung auf Seiten der Argentinier, die für Aufregung sorgte: Kuyt mähte Zabaleta um, welcher zunächst liegenblieb, behandelt wurde, Watte fraß und zurückkam. In den letzten fünf Minuten der Nachspielzeit bäumte sich Argentinien noch einmal auf, doch auch die Schlussoffensive verpuffte. Pech gehabt, Holland: Schon 3x gewechselt, deshalb blieb Elfmeterkiller Krul auf der Bank und musste mitansehen, wie die Nr. 1 im Oranje-Tor, Cillessen, nix hielt, vor allem aber, wie zwei Holländer verschossen. Die Rache für Costa Rica ist perfekt, Holland endlich draußen und mein bereits vor Beginn des Turniers abgegebener Final-Tipp Argentinien versus Deutschland Wirklichkeit geworden! Das freut mich, denn im Gegensatz zu manch Experten-Meinung glaube ich, dass die Argentinier uns besser liegen. Zudem habe ich sehr positive Erinnerungen an die letzten WM-Begegnungen Deutschlands gegen Argentinien, vor allem natürlich an das Finale 1990… Und ich glaube nicht, dass uns diese argentinische Elf übermäßig sorgen sollte, zudem haben wir einen Tag mehr zum Regenieren und keine Verlängerung mit Elferkrimi auf dem Buckel. Außerdem haben wir die Brasilianer auf unserer Seite. Wir können’s packen, der vierte WM-Titel ist zum Greifen nah!

Spiel um Platz 3:

Brasilien – Niederlande 0:3
Das „kleine Finale“, das Spiel um den dritten Platz, konnte ich nicht live verfolgen, aber was musste ich da erfahren? Selbst dieses Spiel, diese letzte Möglichkeit zur Wiedergutmachung vor heimischen Publikum, versemmelte der Gastgeber gegen eine holländische Elf, deren Trainer zuvor noch gegen das Verlierer-Duell geschimpft hatte. Kapitän Thiago Silva war wieder dabei und wurde gleich zu Beginn Opfer einer Fehlentscheidung: Er holte Robben noch vor dem Strafraum von den Beinen, doch der Schiri entschied auf Elfmeter. Eigentlich hätte er Silva dann auch eine Rote zeigen müssen, beließ es aber bei Gelb – eigenartige Regelauslegung. Van Persie verwandelte und Blind erhöhte nach einer guten Viertelstunde gar auf zwei Treffer. In der zweiten Halbzeit sollen sich die Brasilianer noch einmal aufgebäumt haben, jedoch ohne wirksames Rezept und ohne Erfolg. Ruppig soll es zugegangen sein, aber das kennen die Holländer ja von sich selbst. Eine weitere Fehlentscheidung brachte Brasilien um einen Elfmeter, handelte Oscar stattdessen eine gelbe Karte wegen einer vermeintlichen Schwalbe ein. In der Nachspielzeit erzielte Oranje gar noch den dritten Treffer und machte die brasilianische Blamage perfekt.

Schien die WM 2014 während der Vorrunde noch die WM der falschen Schiedsrichterentscheidungen zu werden, wurde sie in der K.O.-Runde die der vielen Verlängerungen und späten Tore. Schon vor Beginn des Turniers hatte ich auf ein Finale Deutschland – Argentinien, den Klassiker also, getippt. Vieles erinnerte mich schließlich an die gewonnene WM 1990: Kämpferische Deutsche, denen manch Sieg alles andere als geschenkt wurde und die in der Vorrunde ein Unentschieden spielten, keinesfalls überragend, aber verdammt effizient spielende Argentinier um einen hinter den Erwartungen zurückbleibenden Superstar, schwächelnde Brasilianer, ein Gastgeber, der im Halbfinale tränenreich rausflog, starke Außenseiter wie Costa Rica, ein Elfmeterkiller im argentinischen Tor… Vor dem Finale war ich aufgeregt wie lange nicht mehr und während des Spiels wurde es noch schlimmer. Meine WM-Tagebuch-Notizen:

Deutschland – Argentinien 1:0 n.V.
Welch nervenaufreibendes Finale! Ich hatte zwar auf ein deutliches 3:0 für uns getippt und gehofft, dass die Argentinier nur halb so leicht zu knacken gewesen wären wie die Brasilianer, aber befürchtet hatte ich exakt die Zitterpartie, die sie letztlich wurde. Ich wusste, wie schwer sich Jogis Jungs gegen defensiv massive Mannschaften tun und natürlich auch um Messis Gefährlichkeit. Ich fürchtete, dass einfach kein Durchkommen sein würde und ein einzelner Konter für Argentinien reichen würde. Einmal klingelte es tatsächlich in Neuers Kasten, jedoch wurde korrekt auf Abseits entschieden. Ansonsten blieb das Ding aber sauber, trotz Messis Schnelligkeit, trotz Kroos‘ unglücklicher Kopfballrückgabe, trotz kämpfender Südamerikaner. Das lag am konzentrierten Auftreten der detschen Elf, an ihrer starken – aber nicht fehlerlosen – Abwehr, an ihrem Kampfgeist. Boateng machte meines Erachtens das beste Spiel seiner Karriere und vereitelte x argentinische Chancen. Apropos Chancen: Die hatten beide Mannschaften, die größte sicherlich Deutschland, als Höwedes kurz vor der Halbzeitpause an den Pfosten köpfte. Aber Argentinien hatte in der Summe vielleicht sogar mehr Großchancen. Deutschland kombinierte viel und gut, das Kurzpassspiel funktionierte, doch beim Abschluss haperte es – zu harmlos für Romero flog der Ball meist aufs argentinische Tor. Kurz vor Anpfiff wurde bekannt, dass Khedira mit Wadenproblemen draußen bleiben muss und der Gladbacher Jungspund Christoph Kramer für ihn und somit zu dem besonderen Vergnügen kommt, direkt in einem WM-Finale erstmals von Anfang an zu spielen. Der spielte auch wirklich gut mit, prallte jedoch nach 17 Minuten böse mit einem Argentinier zusammen und musste behandelt werden. Zunächst spielte er weiter, doch nach ca. einer halben Stunde musste er benommen und mit Verdacht auf Gehirnerschütterung gegen Schürrle ausgetauscht werden. In der zweiten Halbzeit des temporeichen Spiels auf hohem Niveau allerdings sprang Neuer einem Argentinier mit dem Knie ins Gesicht und bewies ebenfalls Härte – ein Indiz für die durchwachsene Schiedsrichterleistung war, dass in der Situation Foul gegen Argentinien gepfiffen wurde. In der Verlängerung wurde es immer härter und der Schiri, der bereits in der ersten Halbzeit gut einen Elfmeter für Deutschland hätte geben können, verpasste es, zwei bereits gelbbelastete Argentinier nach fiesen Fouls und überhartem Einsteigen vom Platz zu stellen. Schweinsteiger trug eine blutende Platzwunde unter dem rechten Auge davon, spielte nach Behandlung aber weiter, wurde immer wieder attackiert, zeigte einen überragenden Kampfeswillen. Hummels war längst stehend k.o., Mertesacker sollte evtl. kommen, kam aber nicht. Eine bereits nach 87 Minuten vollzogene Einwechslung allerdings sollte Geschichte schreiben: Klose ging, Mario Götze kam, sah und – siegte! In der 113. Minute nahm er eine schöne Flanke von Schürrle mit der Brust an und verwandelte aus spitzem Winkel von links zum 1:0-Endstand! Endlich das erlösende Tor! Eine Zusammenarbeit zweier Eingewechselter, ein astreines Joker-Tor, das Tor zum vierten Weltmeisterschaftstitel! Deutschland ließ nichts mehr anbrennen und brachte das Ding nach Hause. Ich bin begeistert! Glückwunsch und vielen Dank für dieses Privileg, das miterlebt haben zu dürfen!

Was war sonst noch? Ein Flitzer auf dem Platz, eine Auszeichnung für Messi als bester WM-Spieler und eine für Neuer als bester WM-Torwart. Und natürlich Jubel, Trubel, Heiterkeit! Meine Arbeitgeber hatten beschlossen, dass wir im Falle eines deutschen Sieges erst um 11:00 Uhr zu arbeiten beginnen und so konnte ich nach Hause fahren und noch in Ruhe die Fernsehbilder verfolgen.

Weltmeister! Nun war es also soweit. Nach 24 Jahren habe ich erstmals als Erwachsener erleben dürfen, wie eine großartige deutsche Nationalmannschaft den Weltpokal holt, und ich musste dafür noch nicht einmal älter werden als der älteste Spieler auf dem Platz. Deutschland gab ein prima Bild in der Welt ab und dürfte die fairste Mannschaft des Turniers gewesen sein, was sie insbesondere während und nach der Partie gegen Brasilien bewies. Mit einer tollen Mannschaftsleistung, in der jeder alles zu geben bereit war, erzwang man den Erfolg, zudem den ersten WM-Titel einer europäischen Mannschaft in Südamerika. Zu sehen, wie ein Kollektiv unterschiedlichster Individuen etwas auf die Reihe bekommt und konsequent zu Ende führt, finde ich ja immer inspirierend. Wenn dies auch noch in meiner favorisierten Sportart meiner favorisierten Mannschaft gelingt, kann ich nicht umhin, einzugestehen, dass mich dies mit einer tiefen Genugtuung erfüllt. Eine mit den Jahren vor allem mental gereifte Mannschaft hat endlich die verdienten Früchte ihrer Arbeit geerntet und alle Kritiker Lügen gestraft. Zumindest in Hamburg und im Umland hatte ich das subjektive Gefühl, dass die allgemeine „Schland“-Euphorie auch insofern zurückgegangen war, dass weniger „Flagge gezeigt“ wurde als in den Jahren zuvor. Es hingen weniger Fahnen aus Fenstern oder Balkonen herab, es fuhren weniger Autos mit Fähnchen herum etc. Das „Public Viewing“-Fan-Fest auf dem Heiligengeistfeld schien man verkleinert zu haben, in jedem Falle ging der Flair vergangener Jahre etwas verloren. Wo früher Imbissbuden mit Kulinarischem aus fast allen beteiligten Ländern bereitstanden, blieben nur ein paar mickrige Pommes- und Bratwurst-Stände übrig. Eine tolle Institution finde ich es aber nach wie vor, wenn mich auch zu Spielen mit deutscher Beteiligung keine zehn Pferde dort hinbekommen. Im TV allerdings feierten die Spiele Rekord-Einschaltquoten. Das Interesse war demnach größer denn je, die „Wir werden Weltmeister!“-Überheblichkeit aber offenbar vielerorts einer Skepsis von gesund bis unnötig pessimistisch gewichen. Die Straßen waren natürlich dennoch voll von jungen Menschen, die in der Nationalmannschaft und ihren Spielern Vorbilder sehen, die von ihnen wahrscheinlich ebenso motiviert werden wie ich seinerzeit und denen ich wünsche, dass sie mehr daraus machen. Auf der überraschend gesitteten Rückfahrt per S-Bahn nach dem Finale saßen mir zwei Kids gegenüber, die noch sichtlich unter den Eindrücken des Spiels stehend auf ellenlangem Rückweg von einen „Public Viewing“ nach Stade (oder so) waren und aufgeregt mit ihren Smartphones Informationen über Christoph Kramer einholten. Ich fühlte mich an mich selbst erinnert, wie ich 1990 Zeitungen und Magazine nach weiteren Informationen durchforstete und aufmerksam die Fernsehberichterstattung verfolgte und grinste zufrieden in mich hinein. Wieder einmal war es dem Nationalsport gelungen, Menschen über Vereins-, Stadt- und Ländergrenzen hinweg zusammenzuführen, sie miteinander ins Gespräch zu bringen und aus ihrem Alltag zu reißen. Und ganz bestimmt wurden viele vornehmlich Jüngere durch das Turnier erstmals so richtig für den Fußball begeistert, was bei weiterhin guter Nachwuchsarbeit der Vereine eine neue Spielergeneration heranwachsen lassen dürfte – übrigens etwas, das in den Überlegungen WM-kritischer Besserfans, die über jeden verächtlich die Nase rümpfen, der Deutschen Elf zujubelt, ohne sich bereits seit zehn Jahren regelmäßig in der Regionalliga die Beine in den Bauch zu stehen, überhaupt nicht vorkommt. Ich hoffe, dass sich viele von dieser WM und ihrem Ausgang inspirieren lassen, etwas von der positiven Energie dauerhaft verinnerlichen und das beste daraus machen, statt den Fehler zu begehen, sich in Chauvinismus und Überheblichkeit, fragwürdigen Patriotismus o.ä. zu verrennen. In diesem Zusammenhang war ich positiv überrascht von der Kolumne Jakob Augsteins im „Spiegel“, der vorschlug, die gewonnene WM zum Anlass zu nehmen, Größe und Verantwortung zu zeigen und die verheerende, das Grundrecht auf Asyl praktisch abgeschafft habende Änderung des Grundgesetzes aus dem Jahre 1993 rückgängig zu machen. So naiv, an derartig positive politische Folgen der WM zu glauben, bin ich aber selbstverständlich nicht.

Das bringt mich zu kritischen Punkten, die ich nicht unter den Tisch kehren möchte: Wer sich so überhaupt nicht für den Sport interessiert und einfach nur stumpf seine Nationalität abfeiern möchte, weil er das Gefühl hat, es im Alltag „nicht zu dürfen“, hat ganz entschieden etwas missverstanden und kann mir mal gestohlen bleiben. Das hat nichts mit dem gernzitierten „unverkrampften“ Feiern etc. zu tun, sondern zeugt von davon, dass es an irgendetwas ganz anderem fehlt, was durch Ersatzhandlungen wie unreflektierten Nationalstolz zu kompensieren versucht wird. Dann wäre da noch das leidige Thema der Neo-Nazis. Dass diese trotz strikter Ablehnung der integrativen deutschen Elf durch ihre Führer dennoch immer wieder Bezug zur WM suchen, beim Rudelgucken auftauchen, den Fußball zum Anlass nehmen, Streit zu suchen und Gewalt auszuüben oder ihren peinlichen Mist in sozialen Netzwerk absondern, liegt an der ihrerseits gern praktizierten Mischung aus offener Provokation und grenzenloser Dummheit. Dies zu ignorieren wäre sicherlich genauso falsch wie sie zum Indikator für einen WM-bedingten Rechtsruck der Gesellschaft hochzustilisieren und damit auf ein Podest zu heben. Der Umgang von kritischer Seite mit ihnen bewegt sich zwischen seriöser, informativer Berichterstattung und hysterischer Instrumentierung zum Zwecke der Diskreditierung angefangen bei den deutschen Fans bis hin zum ganzen Turnier. Dass letzteres kontraproduktiv ist und ihnen nur in die Hände spielt, liegt auf der Hand und wenn einige geradezu auf Handlungen Rechtsextremer im Zuge der WM warten, um sie anschließend auszuschlachten und sich in ihrer negativen Haltung bestätigt zu sehen, darf ein aufrichtiger Antifaschismus als Intention zumindest angezweifelt werden, besteht vielmehr der Verdacht einer ideologischen Abhängigkeit vom Gegner. Wenn ich allerdings lese, dass Blogs, die sich kritisch mit rechtsextremen Umtrieben in Deutschland während der WM auseinandersetzen, auf Materialsuche schon einzelner dummer Twitter-Einträge annehmen müssen, um auf eine gewisse Länge zu kommen, fühle ich mich trotz des pessimistischen Grundtons der Berichterstattung ehrlich gesagt erleichtert. Das heißt jedoch natürlich nicht, dass alles Friede, Freude, Eierkuchen gewesen wäre: Auf St. Pauli beispielsweise nahmen offensichtlich HSV-Schläger das WM-Finale zum Anlass eines Überfalls auf eine St.-Pauli-Kneipe. Inwieweit diese über rechtsradikale Beweggründe verfügten, entzieht sich zwar meiner Kenntnis, macht letztlich jedoch kaum einen Unterscheid. Doch neben der hässlichsten Fratze der Politik, der des Rechtsextremismus, kam es wie üblich auch zu anderen Vereinnahmungsversuchen: Kanzlerin Merkel flog fröhlich auf Steuerkosten nach Brasilien, stellte den Spielern bis in die Umkleidekabine nach und ließ sich bereitwillig von und mit ihnen fotografieren. Bundespräsident und Kriegs-Fan Gauck stand ihr in kaum etwas nach und die Spieler feierten beide auch noch, anstatt sie für ihre fragwürdige Politik zu verurteilen. Auf diesen ganzen Firlefanz hätte ich gut und gern verzichten können. Ich tue mich jedoch auch schwer damit, mich einerseits durch derlei Polit-PR keinesfalls beeindrucken zu lassen, dieses Differenzierungsvermögen aber anderen abzusprechen und daher die WM grundsätzlich als die jeweils aktuelle Politik begünstigend zu verteufeln.

Technische Neuerungen gab es übrigens auch, die Torkamera und den Freistoßschaum. Während ich erstere begrüße, wirkt letztere noch etwas gewöhnungsbedürftig, insbesondere, wenn ganze Schaumberge Spieler bei Freistößen irritieren. Immerhin führt diese Maßnahme aber dank im Umgang mit der Sprühdose sehr fixen Schiedsrichtern zu keinerlei Verzögerungen, dafür aber zu manch lustigem Bild, wenn der eine oder andere Spieler das Zeug über den Stiefel gesprüht und damit zu verstehen bekommt, mit seiner Mauer zu nah am Ball zu stehen. Selbstverständlich wird nicht alles immer besser, gerade unter den Kommentatoren vermisse ich doch schmerzlich jemanden vom Kaliber eines Gerd Rubenbauer. Ob Bela Rethy, Tom Bartels oder wie die ganzen überheblichen Dampfplauderer heißen, zukünftig würde ich mir die Spiele am liebsten mit Radiokommentar ansehen.

Das Maskottchen der WM 2014 übrigens sah weniger wie ein Gürteltier aus, das es eigentlich darstellen sollte, sondern vielmehr wie ein Facepalm. Glücklicherweise erwies es sich nicht als schlechtes Omen, zumindest nicht fürs deutsche Team. Der offizielle WM-Song hingegen, „We Are One (Ole Ola)“ von Pitbull, war ein echter Ohrwurm und überhaupt hatten die jüngsten Weltmeisterschaften mit „Wavin’ Flag“ (K’naan) und „Waka Waka (This Time For Africa)“ (Shakira) wirklich hörenswerte Songs zu bieten.

Ganz schön lang ist er geworden, mein kleiner WM-Rückblick, weit ausgeholt habe ich und ich hoffe, mir nun wirklich alles von der Seele geschrieben zu haben, was ich erinnerungswürdig oder erwähnenswert fand (ist natürlich Quatsch, erfahrungsgemäß fällt mir kurz nach Veröffentlichung noch alles Mögliche ein). In zwei Jahren findet die EM in Frankreich statt, quasi nebenan. Wer weiß, vielleicht schaffe ich es dann ja tatsächlich einmal ins Stadion. Und wenn nicht, auch egal, auf meine Weise dabei sein werde ich so oder so. Bis dahin werde ich vielleicht ein bisschen mehr als sonst die Bundesligen verfolgen, werde mich über den DFB aufregen und mich über die auseinandergerissenen, über drei Tage verteilten Spieltage beklagen, in die Bredouille kommen, Spielern, denen ich während der WM noch zugejubelt habe, alles Schlechte zu wünschen, wenn sie gegen eine von mir favorisierte Mannschaft spielen und vielleicht werde ich zwischendurch auch wieder die Schnauze voll haben von zusammengekauften Teams und Vereinsmeierei. Dann werde ich mich einfach an diese WM erinnern – daran, wie ich mit Freunden im Biergarten die Spiele verfolgt habe, wie ich zwischen Mexikanern, Chilenen und Argentiniern auf dem Heiligengeistfeld stand, bangte und fluchte, wie ich ständig zu spät ins Bett kam und vor allem daran, wie schön Fußball sein kann.