Mit KIM WILDE verbinde ich allem voran natürlich das fantastische, selbstbetitelte Debütalbum aus dem Jahre 1981 mit seinen unverwüstlichen New-Wave-Hits, gefolgt vom sehr angenehmen Pop-Album „Close“, das gerade chartete, als ich mich so richtig für Musik zu interessieren begann. „You Came“ war auf meinem allerersten selbstzusammengestellten Mix-Tape, „Never Trust A Stranger“ auf einem der nächsten. Das zweite Album „Select“ (1982) schlug mit mehreren Songs noch in eine ähnliche Kerbe wie das Debüt, bevor sich die Britin stärker in Richtung Pop orientierte. Nach „Closer“ verlor ich ihre Karriere aus den Augen, die sie Mitte der 1990ern beendete, um Fernsehgärtnerin zu werden. Rund zehn Jahre später gelang ihr mit u.a. mit Hilfe NENAs ein Comeback.
Als ich noch vor Pandemieausbruch verstärkt Lust bekommen, mir den einen oder anderen Pop-/Rock-Act aus meiner Kindheit mal live zu geben und Karten für PET SHOP BOYS und GIANNA NANNINI erworben hatte, war auch KIM WILDEs Gig in der Großen Freiheit darunter. Vom Kartenkauf bis zum tatsächlichen Konzert musste ich dann ca. zweieinhalb Jahre warten, die Gründe sind bekannt. Es sollte eine Greatest-Hits-Tour zum 40-jährigen Bühnenjubiläum werden – gut, dann eben zum 42. Das Konzert wurde in die Fabrik verlegt, was mir sehr entgegenkam. Rappelvoll wurd’s, eine Vorband war nicht eingeplant. Bierchen geholt, zu ‘nem halbwegs akzeptablen Platz im unbestuhlten Saal gedrängelt und nur kurz der Dinge geharrt, die da kommen mochten, denn ziemlich pünktlich betraten erst die Band inklusive Background-Sängerin und Tänzerin Scarlett Wilde (Kims Nichte) und schließlich die mittlerweile 62-jährige Kim die Bühne. Da wurd’s relativ eng, denn hinten, wo normalerweise ein Schlagzeug steht, erhielt der Keyboarder seinen Platz; links und rechts von ihm waren zwei Drumsets aufgebaut, was mir etwas übertrieben erschien – zumal ich das rechte erst relativ spät entdeckte, weil es aufgrund der Fabrik-Architektur weitestgehend unterm Gebälk verschwand. Die Saitenfraktion trat als Trio in Erscheinung: ein Bassist und zwei Gitarristen, einer von ihnen Kims Bruder und Produzent bzw. Scarletts Vater Ricky, der den Popzirkus seit Anbeginn zusammen mit seiner Schwester wuppt. Das in rot und schwarz getauchte Bühnenbild fand seine Entsprechung in Bühnenkleidung und Haarfarben, wobei Kims Dress, eine Art Mischung aus Corsage, Rüschen und Fransen, vielleicht etwas schrill geraten war…
„Rage for Love“ entpuppte sich als gutgewählter Einstieg und „Never Trust a Stranger“ folgte direkt als erster Überhit, bevor „Million Miles Away“ bewies, dass es sich offenbar lohnt, auch mal den ‘90er-Alben eine Chance zu geben – geile, schwofige Nummer! Die weitestgehend analoge Instrumentierung ließ manch Song organischer klingen als auf Platte, Kims Stimme war überraschend perfekt in Schuss und ihre Ausstrahlung fröhlich, positiv, schwer sympathisch. Scarlett sorgte neben Mehrstimmigkeit vieler Refrains für viel Bewegung und zusätzlichen Esprit auf der Bühne. Die Stimmung im Publikum war vom ersten Ton an prächtig, nur leider versperrten immer wieder hochgehaltene Smartphones und Phablets den ohnehin nicht immer ganz einfachen Blick zur Bühne. Aus Respekt vorm im Durchschnitt wohl etwas älteren Publikum wollten wir uns aber auch nicht bis in die erste Reihe durchrüpeln, als befänden wir uns auf einem Punkkonzert. Zumindest konnte ich in den Displays erkennen, dass eine Reihe wirklich guter Fotos zustande gekommen sein muss – was ich von meinen im Gedrängel reichlich unmotiviert geschossenen leider nicht behaupten kann. Daher hier ein Netzfundstück:
Nach dem tollen „Can’t Get Enough (Of Your Love)“ war das BEE-GEES-Cover „If I Can’t Have You“ Teil des ersten Konzertdrittels. Das empfand ich als etwas unspektakulär, war aber sicherlich das Beste, was aus so’ner ollen Nummer, deren Original mir bestimmt die Fußnägel hochrollen würde, herauszuholen ist. Es ging direkt über in „The Touch“ und „The Second Time“ vom „Teases & Dares“-Album und mündete in „Pop Muzik“ von M in einer sehr charmanten Interpretation, in der Kim und Scarlett sonnenbebrillt mit dem Publikum flirteten und synchron tänzelten. „Kandy Krush“ und „Birthday“ bedeuteten einen Abstecher zum rockigeren jüngsten Studioalbum „Here Come The Aliens“, „Water on Glass“ löste Megahit-Alarm aus, „Anyplace, Anywhere, Anytime“ markierte das Comeback: Eine englischsprachige NENA-Coverversion, seinerzeit zusammen mit Frau Kerner gesungen. Kurios: In der ersten Strophe versuchte sich Kim am deutschen Originaltext. „Perfect Girl“ und das wirklich gute „Love is Holy“ bewiesen einmal mehr, dass hier eben nicht nur die 1980er abgefeiert werden sollten, sondern es Kim und ihrer Band vollkommen zurecht daran gelegen war, alle Dekaden und Phasen abzudecken.
Das letzte Drittel des regulären Sets reihte dann jedoch tatsächlich mehrere ‘80er-Nummern aneinander, darunter die sensible, leise Ballade „Four Letter Word“ (ich schmolz dahin, meine Freundin verdrehte nur die Augen…), das politisch wache und hochatmosphärische „Cambodia“, dessen Chor hunderte Kehlen mitsangen, das traurige, nachdenkliche „View From a Bridge“ – und nicht zuletzt mit dem punkigen „Chequered Love“ eines meiner Lieblingsstücke. Zwischendurch hatte Kim ihre Band vorgestellt und auf die Verwandtschaftsverhältnisse aufmerksam gemacht, von ihrer musikalischen Sozialisation und ihrem Bezug zur Popmusik berichtet sowie wissen lassen, dass sie die pittoreske Hamburger Parkanlage „Planten un Blomen“ besucht habe. Ähnliches wird sie überall erzählen, aber es wirkte nicht aufgesagt, sondern von Herzen kommend – wie alles, was sie an diesem Abend auf der Bühne tat.
Das THE-SUPREMES-Cover „You Keep Me Hangin‘ On“ wurde geschickt vor den Zugabeblock platziert, der mit dem selbstreferenziellen „Pop Don’t Stop“ das dritte Stück vom Aliens-Album bot und mit Kims vermutlich größten Hits „You Came“ und „Kids in America“ einen endcoolen Konzertabend beschloss. Für „Kids…“ setzte sich Kim eine glitzernde Fantasie-Uniformmütze auf, was ihr Outfit gewissermaßen abrundete. Die Songauswahl war gut gelungen, die Dramaturgie stimmte, lediglich „Words Fall Down“ habe ich schmerzlich vermisst. Nach 23 Songs und ca. 100 Minuten schienen alle auf ihre Kosten gekommen zu sein, vom Punk mit ‘80er-Pop-Affinität über die feierlaunigen Twens, das ältere Disco-Pärchen und den Mainstream-Event-Hopper bis hin zum Rocker mit Metal-Shirt.
Auf dem Klo traf ich sogar noch – wie schon bei den PET SHOP BOYS – Captain Blitz, der anschließend am Kiosk ‘ne Runde Pils schmiss. Danke, Captain, danke, Kim, danke, Fabrik. Nun bitte mal CYNDI LAUPER nach Hamburg holen! Ich höre mich – Streaming macht’s möglich – so lange durch die mir bisher weniger geläufigen Untiefen der Wilde’schen Diskographie auf der Suche nach Hits, Hits, Hits…
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