Nachdem ich letztes Jahr erstmals dem Rock-Hard-Festival in Gelsenkirchen beigewohnt hatte und doch ziemlich begeistert gewesen war, stand mein diesjähriges Erscheinen im Prinzip ab dem Moment fest, in dem das Teutonen-Thrash-Triple aus TANKARD, DESTRUCTION und SODOM bestätigt wurde. Und da Pfingsten dieses Jahr auf einen früheren Termin fiel, war noch nicht mal ein Jahr vergangen, seit ich zuletzt meine erste Urlaubswoche genommen hatte, zu deren Auftakt ich mich vom Arbeitsstress und Alltagstrott erholte, indem ich mir den Schädel von einer Überdosis Metal freiblasen ließ. Auf Zelten habe ich dekadenter Spießer immer noch keinen Bock und lasse mich immer noch gern chauffieren, also hab’ ich mir wieder ein einfaches Zimmer genommen und Blablacar für ’ne Mitfahrgelegenheit konsultiert – und los ging’s ausgerechnet am Freitag, dem 13. in aller Herrteufelsfrühe. Mein Aberglaube musste also zurückstecken und tatsächlich hatte mein Fahrer einen Bleifuß drauf, der mich eigentlich viel zu früh in Schalke-City ablieferte. Die Zeit bis zur Schlüsselübergabe vertrieb ich mir bei bestem Wetter mit ’nem Spaziergang durch die herrlich abgerissene Gegend voller Pottcharme, bezog schließlich mein Zimmer mit Pferdebild an der Wand und Blümchenbettwäsche und machte mich rechtzeitig auf den zwischen vier und fünf Kilometer langen Weg zum Festivalgelände, den ich bewusst zu Fuß antrat – führt er doch die meiste Zeit einen idyllischen Wanderweg den Rhein-Herne-Kanal entlang. Wann hab’ ich sonst mal Zeit für so etwas?
Am Amphitheater, nicht zu Unrecht als eine von Deutschlands schönsten Open-Air-Festival-Örtlichkeiten bezeichnet, angekommen, reihte ich mich zur Bändchenausgabe ein und wie üblich ging’s angenehm flott, so dass ich pünktlich zum lokalen Opener SULPHUR AEON das Halbrund betreten konnte. Diese zockten atmosphärischen Black Death oder so mit der Extraportion Hall und obwohl eigentlich auf Triogröße reduziert, standen da ein, zwei Leute mehr auf der Bühne. Zellteilung oder Mietmusiker?
Im direkten Anschluss traf ich Bekannte aus Hamburg und so gesellte man sich auf die noch reichlich Platz bietenden Stufen, um entspannt die Schweden YEAR OF THE GOAT über sich ergehen zu lassen. Deren Okkult-Rock war mir dann aber zu entspannt und lahmarschig – vielleicht sind die Qualitäten der Band einfach zu okkult (im Sinne von „verborgen“) für mich…
Trotz ihres ebenso schlichten wie ergreifenden Bandnamens haben die Briten SATAN mit Okkultrock nichts an den Matten, sondern zocken seit ihrer Gründung 1979 astreinen NWOBHM. Die Bandgeschichte indes liest sich etwas chaotisch, auf Umbesetzungen an entscheidenden Positionen wie dem Gesang folgten Umbenennungen in BLIND FURY und PARIAH und irgendwann die komplette Auflösung. 2013 meldete man sich jedoch mit dem starken Comeback-Album „Life Sentence“ zurück, eine Liveplatte und das jüngste Album „Atom by Atom“ folgten, Liveauftritte wurden umjubelt. Insbesondere das Debütalbum „Court in the Act“ aus dem Jahre 1983 hat einen dicken Stein bei mir im Brett und auch das neuere Material lohnt einer intensiveren Betrachtung, knüpft es doch genau dort an. Ich war sehr gespannt auf den Gig, wurde jedoch zunächst Ohrenzeuge eines typischen Festivalproblems: Die Band startet mit einem Hammersong in ihr Set, doch der Sound ist noch gar nicht vernünftig abgemischt, so dass der Effekt irgendwie verpufft. In diesem Falle erwischte es „Trial by Fire“, der jedoch glücklicherweise vor meinem geistigen Ohr so abspulte, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Im weiteren Verlauf des Songs von allen drei Studioalben mit Sänger Brian Ross umfassenden Auftritts besserte sich der Sound deutlich und „Twenty Twenty Five“, „Break Free“ und „Atom by Atom“ klangen über jeden Zweifel erhaben, abgesehen von der schlimm klirrenden Hi-Hat und unterbrochen von angenehm ungekünstelten, nachdenklichen Ansagen Ross’. Mit „Oppression“ packte man sogar einen echten Demo-Klassiker aus, der sich nahtlos in den großartigen Auftritt der sympathischen Briten einfügte. Interessant auch, den Drummer dabei zu beobachten, wie lässig er das Zeug wegtrommelt. Gerade die schnelleren Songs klingen nach mehr, als er eigentlich tut, was natürlich für seine Technik spricht.
Setlist SATAN:
Trial By Fire
Blades Of Steel
The Devil’s Infantry
Twenty Twenty Five
Break Free
Atom By Atom
Siege Mentality
Oppression
Testimony
Von nun an war die grobe Kelle angesagt, die Hessen TANKARD eröffneten den Thrash-Reigen. Auch dieser Gig sollte zu einer Premiere für mich werden, denn Gerre, Frank & Co. machen sich in Hamburg reichlich rar. Nichtsdestotrotz habe ich mir mehrere Live-DVDs zugelegt, dementsprechend hoch waren meine Erwartungen an eine feucht-fröhliche, chaotische Alcoholic-Metal-Show. Mit dem Klassiker „Zombie Attack“ starteten TANKARD in ihr Set und, oh Graus, der Sound war zumindest halbvorn links schon wieder für den Allerwertesten, Gerres Gesang ging völlig unter. Das bekam man jedoch auch hier bald in den Griff und so konnte ich problemlos lauschen, wie die Band versuchte, sowohl ihren alten Klassikern als auch den in regelmäßigen Abständen veröffentlichen neuen Alben gerecht zu werden. Das mündete in einem Setlist-Spagat, der mir ehrlich gesagt ein paar alte Kracher zu viel vermissen ließ; andererseits klang z.B. ein „Rules For Fools“ hier richtig gut. Ein Song wie „Chemical Invasion“ übrigens erscheint mir nach den jüngsten besorgniserregenden Meldungen über Gift im Bier bei allem TANKARD-Spaßfaktor aktueller denn je. Der auch noch an diesem Tag seinen Geburtstag feiernde Gerre war wie üblich schön aufgekratzt, tobte über die Bühne, holte eine WDR-Kamerafrau auf dieselbe, um sie zu herzen und lobte immer wieder das Publikum: „Das sieht geil aus!“ Ehrlich gesagt hatte ich aber erwartet, dass der Mob weitaus mehr durchdreht – aber es war ja erst Nachmittag und manch einer wird noch seine Kräfte geschont haben.
Setlist TANKARD:
Zombie Attack
The Morning After
Fooled By Your Guts
Rapid Fire (A Tyrant’s Elegy)
Rules For Fools
R.I.B. (Rest In Beer)
Metal To Metal
Not One Day Dead (But One Day Mad)
Chemical Invasion
A Girl Called Cerveza
Rectifier
(Empty) Tankard
Z.B. für DESTRUCTION, die nächste deutsche Thrash-Legende, die ich nun auch schon verdammt lange nicht mehr live gesehen hatte. Angekündigt hatte das Trio ein spezielles Oldschool-Mad-Butcher-Set, was mir den Gig erst recht schmackhaft machte, denn die jüngsten Studioalben fand’ ich ehrlich gesagt nicht mehr so richtig überzeugend und denke mir hier, ähnlich wie bei TANKARD, dass weniger mehr wäre. Los ging’s mit „Curse the Gods“ vom „Eternal Devastation“-Album, gefolgt von „Mad Butcher“, zu dem der dem Cover der damaligen Mini-LP nachempfundene Schauspieler in blutiger Schürze und mit Hackebeil bewaffnet auf die Bühne stürmte. Die Setlist konzentrierte sich erwartungsgemäß auf die Klassiker aus den ’80ern, angereichert mit den Post-Reunion-Hits „Nailed to the Cross“ und „The Butcher Strikes Back“ sowie „Second to None“ vom an diesem Tag veröffentlichten neuen Album. Zwischenzeitlich befanden sich gleich drei Drummer (inkl. Drumkits) auf der Bühne, denn die ehemaligen Kesselrührer Tommy und Olli (mit WIZO-Shirt) hatten sich zu Gastauftritten eingefunden. Zusammen leitete man „The Antichrist“ ein, das Tommy durchtrommelte, bei „Reject Emotions“ durfte Olli ran. Der Song ging in „Sign of Fear“ über, den einzigen gespielten Song des „Release From Agony“-Albums. Eine weitere gelungene Überraschung war, dass man den alten „Tormentor“ entstaubt und durchs Amphitheater geprügelt hat. Und es ging noch weiter: Bei „Total Desaster“ sprang plötzlich Ex-SODOM-Klampfer Andy Brings im WODOS-Hemd auf die Bühne und spielte die zweite Geige Gitarre, wobei ihm das Adrenalin aus allem Poren schoss. Seines Leibchens entledigte er sich anschließend durch einen Wurf ins Publikum. Als vorletzten Song coverte man VENOMs „Black Metal“, mit gesanglicher Unterstützung von niemand Geringeren als TANKARD-Gerre und SODOM-Angelripper, leider war Gerres Mikro zunächst aus. Den Schlusspunkte bildete „Bestial Invasion“, von Schmier als „unser ‚Smoke on the Water’“ angekündigt. Fazit: Viel Show und Brimborium. Der „Mad Butcher“ hatte mehrere Auftritte: Mal zerhackte er blutiges Fleisch und warf es in die Menge, mal jagte er eine rothaarige Schauspielerin in Fetisch-Klamotten, mal schwang er die Kettensäge. Aus für meinen Geschmack etwas zu vielen Songs machte Schmier Hey-hey-Mitgrölnummern, dazu die ganzen Gastauftritte, einige Pyroeffekte und leider auch Schmiers gekünstelte evil Ansagen, die’s nun echt nicht gebraucht hätte. Doch egal, was man davon halten mag, die Songauswahl war schon ein ordentliches Brett und wie der arme Mike als einziger Gitarrist (klar, außer bei „Total Desaster“) sich da einen abriffte und -fiedelte, ist schon aller Ehren wert. Gerade während dieses Gigs dachte ich mir aber des Öfteren, ob ein zweiter Gitarrist nicht einerseits Entlastung und andererseits Garant für noch mehr Druck sein könnte…? Ich hatte meinen Spaß und gönne ihn auch DESTRUCTION, die ein nicht wegzudenkendes deutsches Thrash-Urgestein sind und nicht umsonst meine Wade in Tattoo-Form schmücken.
Setlist DESTRUCTION:
Curse The Gods
Mad Butcher
Eternal Ban
Life Without Sense
Nailed To The Cross
Invincible Force
Antichrist
Reject Emotions
Sign Of Fear
Tormentor
The Butcher Strikes Back
Second To None
Death Trap
Total Desaster
Black Metal
Bestial Invasion
Reichlich euphorisiert und mittlerweile angenehm angeschossen erwartete ich nun nicht weniger als den totalen Abriss vom Headliner des Tages: SODOM! Wahrscheinlich so etwas wie meine deutschen Lieblings-Thrasher, Ruhrpott-Metal-Urgesteine, Kultband für Kenner und meines Erachtens immer noch mit der besten deutschen Thrash-Stimme gesegnet. Längst war es dunkel geworden und Tom Angelripper, Bernemann und Makka (bei deren Einstieg in die Band leider die „bösen“ Pseudonyme ausgegangen waren) ließen die Bühne in nuklearen Grüntönen sparsam ausleuchten. „In War and Pieces“ erwies sich einmal mehr als perfekter Opener, der überraschend in den vom ausgeschiedenen Drummer Bobby geschriebenen „The Vice of Killing“ überging, bevor „Outbreak of Evil“ erstmals Kultklassiker-Alarm auslöste. Ziemlich gut durchmischte man alte Kamellen mit Stoff der Neuzeit. Eine fies rausgerotzte „Surfin’ Bird“-Version läutete „The Saw is the Law“ ein und bei „Nuclear Winter“ warf ich endgültig meinen Verstand weg. Völlig sodomisiert freute ich mich darüber, erstmals den Titeltrack der jüngsten Veröffentlichung, der „Sacred Warpath“-10“, live serviert zu bekommen, „City of God“ ist eh einer meiner Nicht-’80er-Favoriten, ebenso „Stigmatized“ und das „Agent Orange“-Chartbreaker-Album wurde mit gleich drei Songs berücksichtigt. Höhepunkt: „Blasphemer“ vom Debüt, wobei das charakteristische Gelächter diesmal nicht vom Band, sondern aus Toms Kehle kam und Grave Violator alias Peppi (ich liebe den Kontrast dieser Kosenamen) die zweite Axt schwang. Legendär, aber leider musste ich ausgerechnet während dieser Nummer pissen wie ein Elch und befand mich somit nicht mehr vor der Bühne. Womit ich allerdings fest gerechnet hatte, war „Bombenhagel“ zu hören zu bekommen, doch stattdessen beendete man den Gig mit der deutschen Version von „Ausgebombt“. So geil und vor allem heutzutage wieder einmal passend der Song auch ist, fühlte ich mich doch erst mal vor den Kopf gestoßen und dachte, man habe der Band evtl. vorzeitig den Strom aus Zeitgründen o.ä. abgedreht. Zeit genug wäre meines Wissens noch gewesen, aber, gut, will ich das mal als Statement verstehen und akzeptieren. Letztlich handelte es sich beim SODOM-Auftritt um den erwarteten Höhepunkt des Abends, der zwischendurch mit Toms berüchtigten ungekünstelten Liebesbekundungen dem Publikum gegenüber weitere Sympathiepunkte sammelte und auch in Sachen Pyroshow einiges auffuhr. Dass ich z.B. statt „M-16“ lieber „Among the Weirdcong“ gehört hätte und man von mir aus auch gerne „Remember the Fallen“ mal gegen was Flotteres austauschen könnte, sind da nur Randnotizen. Leider habe ich es vor lauter Euphorie versäumt, vernünftige Fotos zu schießen…
Setlist SODOM:
Intro
In War And Pieces
The Vice Of Killing
Outbreak Of Evil
Surfin‘ Bird
The Saw Is The Law
Nuclear Winter
M-16
Sacred Warpath
Proselytism Real
City Of God
Sodomy And Lust
Blasphemer
Agent Orange
Stigmatized
Tired & Red
Remember The Fallen
Ausgebombt
Damit war der erste Festivaltag an seinem Ende angelangt und da mir dieser nun doch etwas in den Knochen lag, wollte ich mir kurzerhand ein Taxi gönnen. Der Massenandrang auf die gelben Luxuskarossen ließ mich mich allerdings bald umentscheiden und so trat ich den Rückweg so an, wie ich gekommen war: per pedes. Dass das kein Problem war, sprach für meine immer noch überraschend gute Verfassung und wurde mit einem katerfreien Erwachen in Blümchenbettzeug belohnt.
Am nächsten Mittag war ich frohen Mutes, nach meinem Käsebrötchen-Cola-Frühstück erneut den Weg zu Fuß anzutreten, doch kurz nach meinem vernunftbetonten Obstkauf beim auf dem Weg liegenden Netto-Markt hielten zwei Festivalbesucher und baten mir an, mich im Auto mitzunehmen. Top-Service – danke, Jungs! Die Siegener Thrasher ACCU§ER eröffneten den musikalischen Teil des zweiten Tags und hatten von Beginn an einen brutalen Spitzensound. Die Alben, in die ich bisher reingehört hatte, waren nie so ganz mein Ding, der Auftritt hatte aber Eier und Wumms. Ein Schreihals forderte ständig „Cannibal Insanity“ und da der nicht gespielt wurde, muss ich mir den wohl anderweitig mal anhören. Zum Ende des Sets durfte die Band sogar noch eine Zugabe bringen, was ich vom linken oberen Rand des Geländes verfolgte, weil ich mich spaßeshalber einfach mal zum Meet & Greet mit SODOM angestellt hatte und mir, obwohl ich mir eigentlich nichts aus so etwas mache, einfach mal Autogramme mitnahm.
Makkas Frage, wer denn als nächstes spielen würde, konnte ich mit SORCERER beantworten. Obwohl bereits 1988 gegründet, haben die Schweden erst im letzten Jahr ihr Debütalbum „In the Shadow of the Inverted Cross“ veröffentlicht und mit „Black“ gleich noch ‘ne EP nachgeschoben. Mir sagte die Band erst mal überhaupt nichts, den Sound würde ich mit Doom trifft auf klassischen Heavy Metal beschreiben, ein bisschen wie BLACK SABBATH zur Tony-Martin-Ära. Sonderlich viel hängen blieb so erst mal nix, was aber nichts heißen muss, hat sich mir doch z.B. ein Götteralbum wie „Headless Cross“, um beim SABBATH-Vergleich zu bleiben, auch erst nach mehrmaligem Hören erschlossen. SORCERER wurden sehr gut vom Publikum angenommen, evtl. höre ich mir das Zeug noch mal in Ruhe an.
TRIBULATION sagten mir auch rein gar nichts, die ebenfalls aus Schweden stammende Band entpuppte sich als Mischung aus Gothic-Metal und atmosphärischem Melodic-Black-Death (oder so). Könnte man das Horror-Metal nennen? Die tuntig zurechtgemachten und angepinselten Bandmitglieder tänzelten über die Bühne und posten, was das Zeug hielt. Nach ca. drei Songs bin ich los und habe mich anderen Eindrücken gewidmet.
Es stand nämlich noch der letzte Spieltag der Fußball-Bundesliga an und für den einen oder anderen Verein ging es noch um so einiges, weshalb ich mich in den Biergarten gesellte und zu meiner positiven Überraschung feststellte, dass man (sicherlich nicht nur) meine Bitte aus dem letzten Jahr erhört und anstelle eines für die Menschenmenge viel zu kleinen Fernsehers einen Bigscreen für die Sky-Konferenzschaltung installiert hatte – offenbar gesponsert von Marshall. Danke! Bei ‘ner ersten Pilsette verfolgte ich entspannt den Abstiegskampf, Schalkes Sieg (zum Unmut der anwesenden Dortmunder) etc. und verzichtete komplett auf die dritten Schweden nacheinander, die Epic-Metaller GRAND MAGUS. Auch wenn die in den letzten Jahren in der Metal-Presse allgemein abgefeiert wurden, fiel mir das nicht sonderlich schwer, denn dieses ganze Epic-Metal-Zeug ist nicht so mein Ding. Ich finde, wahre Epik geht irgendwie anders, beispielsweise wie bei diversen IRON-MAIDEN-Großtaten.
Eine schwere Entscheidung galt es jedoch um 17:00 Uhr zu treffen: Den Fußball-Bums zu Ende glotzen oder mir THE EXPLOITED reinziehen? Ich entschied mich für letzteres, habe ich die schottischen HC-Punks doch schon ewig nicht mehr live gesehen und war neugierig, wie sie heutzutage klingen und vom Metal-Publikum aufgenommen werden würden. Leider musste ich feststellen, dass die Spielzeiten von den im Programmheft angegebenen abwichen und anscheinend alles eine Viertelstunde vorgezogen wurde, so dass ich den Anfang versäumte und erst zu „Dead Cities“ hinzustieß. Der umstrittene Shouter Wattie pöbelte sich hektisch durch eine Art Best-Of-Set, aus dem jeder Song sicherlich schon mal besser klang, seien es die HC-Punk-Knaller früher Tage, seien es die Metal-Crossover-lastigeren jüngeren Stücke. Seine vernuschelten Ansagen im schottischen Akzent waren kaum zu verstehen, aber dafür machte die ruppige Darbietung durchaus irgendwie Laune – besonders als Kontrastprogramm zum filigraneren Metal-Gedöns, das zuvor von der Bühne schallte. Das sah ein großer Teil der Anwesenden offenbar ähnlich und feierte das Geballer ordentlich ab. Meine Lieblingsband wird THE EXPLOITED sicherlich nicht mehr – dafür sorgt auch völlig überflüssiger Bullshit wie die neben tatsächlichen „Wankers“ auch Jello Biafra gewidmete Ansage zu „Fuck the USA“ – und für wirklich relevant halte ich sie heutzutage auch nicht mehr (aber welche Band ist das schon?). Dass er irgendwelche alten Privatfehden wie mit Biafra gerade für einen Song wie diesen auf die Bühne trägt, ist peinlich. Dass dieser dann mit DESTRUCTION-Schmier zusammen geschmettert wurde, war wiederum cool, immerhin haben die Schwaben vor einigen Jahren eine Coverversion des Stücks aufgenommen. Für das unvermeidliche „Sex & Violence“ wurde zur Bühneninvasion aufgerufen, zahlreiche Headbanger erklommen mithilfe der Security die Bühne, feierten und grölten mit. Anschließender Kommentar des Bassisten: Das sei die harmloseste Stage-Invasion ever gewesen, sogar sein Bier sei noch da… Alles in allem finde ich, dass die EXPLOITED-Kritiker gern mal übers Ziel hinausschießen; gönnen wir’s dem zurzeit reichlich aufgedunsenen Wattie mit seinem knallroten Iro nach Herzinfarkten und Bypass-OP doch, wieder über die Bühne fegen zu können. Der Gesamtsound war gewöhnungsbedürftig, klang aber besser als seinerzeit um die Jahrtausendwende, als die Songs unter lauter Double-Bassdrum-Gewitter kaum noch voneinander zu unterscheiden waren. Und Alben wie „Troops of Tomorrow“ und „Let’s Start a War“ halte ich nach wie vor in Ehren – da gab’s nämlich gerade im Punk-Bereich sehr viel Schlechteres.
Setlist THE EXPLOITED:
Let’s Start A War (Said Maggie One Day)
Fightback
Dogs Of War
Massacre
UK 82
Chaos Is My Life
Dead Cities
Alternative
Noize Annoys
Never Sell Out
Rival Leaders
Troops Of Tomorrow
I Believe In Anarchy
Holiday In The Sun
Cop Cars
Beat The Bastards
Fuck The System
Porno Slut
Army Life
Fuck The USA
Sex & Violence
Was It Me
Mit KADAVAR aus Berlin stand nun Retro-Rock auf dem Programm, ein Genre, das polarisiert: Seit dem Revival dieses Stils versuchen sich unzählige Bands darin, Sound und Ästhetik der ’70er nachzuempfinden. Manche Bands tendieren dabei stärker in den Doom-Bereich, andere haben eine starke Bluesrock-Schlagseite. Zumindest 2/3 von KADAVAR sahen typischerweise aus wie mit der Zeitmaschine direkt aus dem Schlaghosen-Jahrzehnt hergebeamt und man spielte Hardrock/’70s-Proto-Metal mit ordentlich Drive, vom an Muppet-Animal erinnernden Drummer hinter seinem aufs Nötigste reduzierten und publikumswirksam auf einem Raiser in der Mitte platzierten Kit mit einem kräftigen Punch und beachtlicher Show versehen und bisweilen entfesselten Jam-Charakter aufweisend. Ich hab’s mir nicht komplett gegeben, wozu auch der nervige Regen an diesem deutlich abgekühlten Tag – die sog. Eisheiligen hatten sich angekündigt – beitrug, der mich in die Merchandise-Zelte trieb. KADAVAR dürften aber an diesem Tag manch Zweifler überzeugt und sich einigen Respekt erspielt haben.
Am gespanntesen war ich an diesem Tag auf die US-Amerikaner von METAL CHURCH. Nach einigen nicht mehr ganz überzeugenden Alben war für die jüngste Platte „XI“ Mike Howe zurück ans Mikro gekehrt, der damals die Alben Nummer drei bis fünf im Zeitraum ’89 bis ’93 eingesungen hatte, die eine hervorragende Reputation genießen – wenn meines Erachtens auch das Debüt-Album mit dem tragischerweise verstorbenen Original-Sänger David Wayne unerreicht bleibt. Doch der schlanke, drahtige Howe, mittlerweile ohne lange Matte, kam, sang und siegte! Welch eine unfassbare Talentverschwendung, dass der Kerl derart lange gesangsabstinent geblieben war, denn er war topfit und lieferte eine fantastische Gesangsleistung. Der klassische US-No-Bullshit-Power-Metal des Quintetts deckte alle Erfolgsalben mit Schwerpunkt auf der Howe-Ära ab, Howe hüpfte gern auch mal auf nur einem Bein breit grinsend über die Bühne und der Band sah man die Spielfreude ebenfalls an, allen voran Urgestein Kurdt Vanderhoof. Es war eine gute Entscheidung, mir ganz vorne ein Plätzchen zu suchen, denn dort war ich nicht nur möglichst nah an der Bühne, sondern auch regengeschützt. METAL CHURCH wurden vollkommen zu Recht gebührend gefeiert, machten Lust, sich mal wieder stärker mit ihrer Diskographie zu beschäftigen und wirkten zudem überaus sympathisch. Einziger Wermutstropfen: Ein überflüssiges Gitarrensolo anstelle eines weiteren Songs. Für mich die Gewinner des Tages.
Setlist METAL CHURCH:
Fake Healer
In Mourning
Start The Fire
Reset
Gods Of Second Chance
Date Witch Poverty
No Tomorrow
Watch The Children Pray
No Friend Of Mine
Killing Your Time
Beyond The Black
Badlands
The Human Factor
Die Norweger „Deathpunks“ von TURBONEGRO bildeten etwas überraschend den Headliner dieses Festivaltags und nicht nur ich war sehr skeptisch. Gegen Ende der ’90er muss es gewesen sein, als sich auf irgendeiner Mix-CD der Song „Are You Ready (For Some Darkness)“ befand, den ich eigentlich ganz töfte fand. Schnell allerdings ging mir der Hype um die Band auf den Sack und mit ihrem Schwulen-Image schien sie mir weniger zu provozieren als vielmehr Everybody’s Darlings geworden zu sein. Zudem nervte mich ihr Mittelschicht-Fanclub „Turbojugend“ und ich hatte das Gefühl, dass sich viel zu viele Deppen plötzlich dazu berufen fanden, in den Hype einzusteigen und sich in überteuerte Denim-Jacken zu hüllen. Das Hickhack um einen Gig auf dem Lausitzring anlässlich des 2004er Abschiedskonzerts der BÖHSEN ONKELZ, den man erst zu- und dann die Schwänze einzog und ihn wieder absagte, besorgte den Rest. Und als 2011 der Originalsänger Hank van Helvete durch einen gewissen Tony Sylvester ersetzt wurde, schien der Drops endgültig gelutscht, denn auch viele Fans der Band attestierten ihr nun, nicht mehr an alte Qualitäten anknüpfen zu können. Überfliegt man die Biographie der Band, scheint diese allerdings für eine modernere Version von „This is Spinal Tap“ prädestiniert: Im Zuge der allgemeinen Alterung des Rockzirkus hört man ja immer wieder von geläuterten Rockstars, die nach jahrelangem „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“-Exzess und diversen Entzugsklinikaufenthalten Drogen und Alkohol abschworen und „zu Gott fanden“, also religiös wurden und plötzlich vermehrt mit reaktionären Äußerungen auffielen, von denen man eigentlich glaubte, sie hätten im Rock’n’Roll nichts zu suchen. So auch Hank van Helvete, der ehemals so exaltierte Frontmann, der plötzlich Scientology-Mitglied wurde und sich abschätzig über Homosexuelle äußerte. Als ich erstmals davon erfuhr, hielt ich das noch für einen Gag und wartete darauf, dass die Band ihn irgendwann auflösen und sich über die schockierten Fans lustig machen würde, doch dieser Schritt blieb aus – offenbar war all das kein Spaß mehr.
Wie dem auch sei, an diesem Abend hatte ich nichts Besseres zu tun, erwartete absolut nichts, gab der Band nach den ersten verpassten Songs aber eine Chance und sah mir den Auftritt an. Die Band war noch in beklopptere Outfits gewandet, als ich es mir ausgemalt hatte, Sänger Tony Sylvester rief zum kollektiven Selbstmord auf und geizte nicht mit langen, individuell auf das Festival und die Metal-Fans zugeschnittenen Ansagen, von denen locker die Hälfte tatsächlich witzig war – und spätestens, als man „City of Satan“ spielte und zwischen zwei Zeilen den Hinweis „Not the band Satan!“ unterbrachte, hatte sie mich und ich amüsierte mich köstlich. „Are You Ready (For Some Darkness)“ avancierte zu einem der Höhepunkte des Sets, das nach einer punkigen, frechen, ironischen Variante von ’80er-Stadion- und Schweinerock klang, „Blow Me (Like the Wind)“ wurde um ein bescheuertes Keyboard-Solo ergänzt und als Tony mutmaßte, sie seien die einzige Band des Festivals, deren Logo man tatsächlich lesen könne, irrte er – wir befanden uns schließlich nicht auf dem Party.San! Er formte eine „Berlin Wall of Death“ und berichtete von EXPLOITED-Watties Zusammentreffen mit Angela Merkel, während die meisten Songs bei fettem Sound und geiler Lightshow zumindest mitwippen ließen und sich als kurzweilig und unterhaltsam erwiesen. Rund 20 Jahre meiner Ignoranz den Norwegern gegenüber endeten also an diesem Abend und, ja, verdammt: Sylvester hat schon eine ziemlich geile Stimme – das muss man ihm lassen. Immerhin schafften sie’s auch, das mittlerweile wirklich unangenehme Klima vergessen zumachen, denn ich hatte dann doch die eine Regendusche zuviel abbekommen, so dass sich alles nur noch nasskalt und klamm anfühlte. Gut bespaßt trotz heute nur zwei Bierchen in der Blutbahn machte ich mich auf den Heimweg und zappte im Zimmer noch durchs Pfingstwochenend-TV-Programm, das allerdings derart öde war, dass ich mich erst recht auf den dritten und letzten Festivaltag freute.
Setlist TURBONEGRO:
Hot For Nietzsche
We’re A Norwegian Band
You Give Me Worms
All My Friends Are Dead
Are You Ready (For Some Darkness)
City Of Satan
Blow Me (Like The Wind)
Dude Without A Face
I Wanna Come
Back To Dungaree High
Special Education
Drenched In Blood (D.I.B.)
Sell Your Body (To The Night)
Wasted Again
Fuck The World (F.T.W.)
Get It On
The Age Of Pamparius
Don’t Say Motherfucker, Motherfucker
Dirty Deeds Done Dirt Cheap
I Got Erection
Aufgrund der Erfahrungen des Vortags entschied ich nach ausgiebigem Ausschlafen zu bereits vorgerückter Stunde nicht nur, ’ne langer Hose überzuziehen, sondern mir auch wegen der wenig vertrauenserweckend wirkenden Witterung ein Taxi zu bestellen. Taxi-Zentrale GE gegoogelt, angerufen – und niemand nahm ab. Also stiefelte ich doch wieder zu Fuß los und war noch nicht weit gekommen, als ich mich vor üblem Prasselregen Schutz suchend unter einen Hauseingang rettete. Da fiel mir auch prompt ein, dass ich noch ein altes Regencape aus Wacken im Koffer hatte, also wartete ich ab, bis es wieder etwas trockener wurde und machte auf dem Absatz kehrt, um das Ding einzusacken und überzuziehen. Müßig zu erwähnen, dass seitdem kein Tropfen mehr herunterkam und ich es bald wieder zusammenfalten und in die Arschtasche stecken konnte, aber das ist eben Murphy’s Law: Wer weiß, was da noch alles runtergekommen wäre, hätte ich aufs Cape verzichtet… Den Hinweg konnte ich dann also doch wieder bei Sonnenschein wandern, kam aber zu spät für die Hessen DISCREATION, die offenbar mit einem amtlichen Death-Metal-Brett den letzten Tag eröffneten, das selbst mir als Death-Metal-Muffel bestimmt auch ganz gut getan hätte.
Aber auch die (schon wieder) Schweden von BLACK TRIP um die beiden ENFORCER-Mitglieder Joseph Tholl und Jonas Wikstrand wurden zu einem prima Einstieg in den Tag. Die bisher zwei Alben veröffentlicht habende Band überzeugten mit rock’n’rolligem, melodischem Heavy Metal mit leichter Punk-Kante und spielten mit „Shadowline“ einen meiner Lieblinge – welch ein Song!
Nun galt es allerdings, eine lange Durststrecke durchzustehen. NIGHTINGALE um den umtriebigen Schweden Dan Swanö spielten Gothic-Metal mit Keyboard-Samples aus der Konserve und hatten anfänglich mit Sound-Problemen zu kämpfen, konnten mich aber auch ohne diese nicht überzeugen. Einzig der letzte Song, der EDGE-OF-SANITY-Klassiker „Black Tears“, u.a. formidabel von HEAVEN SHALL BURN gecovert, ließ mich aufhorchen. Zwischendurch erwähnte Dan bezeichnenderweise, dass es normalerweise immer so leise zwischen ihren Songs sei und erbat sich 30 Sekunden „Noise“ vom Publikum – das er auch bekam. Trotz sympathischer Ausstrahlung nichts für Vadder sein‘ Sohn.
Unerträglich wurde es dann bei den Deutschen ORDEN OGAN: Kitsch-Metal mit permanentem überlautem Double-Bass-Durchgetrete – ihr seid keine Death-Metal-Band! – und Chören vom Band. Das ging gar nicht und ich musste fliehen.
Auch die Portugiesen MOONSPELL verschafften im Anschluss keine Abhilfe: Noch mehr Gothic-Metal, diesmal mit sehr dominanten Keyboards – und leider langweilig wie Sau. Der Sänger verließ zwischendurch kurz die Bühne, doch wer gehofft hatte, das wäre es jetzt gewesen, sah sich getäuscht: Er kehrte mit einem albernen Umhang zurück und trällerte ein Lied über Vampire… Auch im Publikum machte sich deutlich vernehmbar erster Unmut breit. Ich wusste nicht mehr so wirklich etwas mit meiner Zeit anzufangen, von meinen Hamburger Bekannten keine Spur, im Biergarten, wo letztes Jahr noch Interviews und Lesungen stattfanden, flimmerte lediglich der Bigscreen, auf dem ich mir wenigstens den coolen neuen DESTRUCTION-Clip zu „Under Attack“ und ein paar wild-things.de-Videos vom Festival anschauen konnte, ansonsten aber vor allem die immer gleichen Werbespots der Sponsoren liefen. Auf Saufen hatte ich auch keine Lust und sah mir so zum zehnten Mal die Aufnäherstände an…
Mit RIOT V, der fünften Inkarnation der US-Power-/Speed-Metaller RIOT, erschien dann endlich wieder Licht am Horizont und die von Schicksalsschlägen gebeutelten Amis – u.a. hatte man Gitarrist und Urgestein Mark Reale 2012 durch dessen tragischen Tod verloren – öffneten einen Sack voller Melodien, Hymnen und herausragender klassischer Metal-Gitarrenarbeit. Der aktuelle Sänger Todd Michael Hall erwies sich als echter Glücksgriff und agiles Goldkehlchen, auch Gitarrist Nick Lee blieb ein ständiger Aktivposten, selbst der Drummer war permanent am Headbangen. Wie erfrischend wirkte dieser Auftritt gegen fast alles an diesem Tag Vorausgegangene?! Mein persönlicher Höhepunkt war das grandiose „Flight of the Warrior“ und der einzige Wermutstropfen, dass es „Outlaw“ nicht in die Setlist geschafft hatte. „Swords and Tequila“ widmete man Mark Reale, dessen Gitarrenkoffer sie hochhielten, Bassist Don Van Stavern nahm einen Schluck aus der Tequila-Pulle auf ihn. „Thundersteel“ setzte den Schlusspunkt unter einen begeisternden Auftritt einer Band, die man noch lange nicht abschreiben sollte und mit deren Diskographie ich mich mal eingehender befassen werden müssen.
Setlist RIOT V:
Narita
Ride Hard Live Free
Fight Or Fall
Fire Down Under
Angel Eyes
Flight Of The Warrior
Bloodstreets
Take Me Back
Road Racin´
Warrior
Swords And Tequila
Thundersteel
Ein Fan, der unbedingt die nun mit den Hufen scharenden US-Deather CANNIBAL CORPSE sehen wollte, ist traurigerweise direkt nach RIOT V umgeknickt und wurde mit anscheinend herausgesprungener Kniescheibe von den Sanitätern auf einer Tragbahre abtransportiert. Gute Besserung, Junge! Zu Beginn meiner Pubertät hielt ich die subgenredefinierende Band für so ziemlich das Härteste und Krasseste, was es an Metal geben konnte, war jedoch in erster Linie von den Zensurmaßnahmen gegen die Band und den, äh, geschmackssicheren Plattencovern fasziniert. Als ich merkte, dass mir Death Metal allgemein weniger liegt, ließ mein Interesse schnell nach und als ich sie 2010 in Wacken erstmals live zu sehen bekam, floh ich vor der mich eher langweilenden Monotonie. Statt mir ein elftes Mal die Aufnäherstände anzuschauen, positionierte ich mich diesmal jedoch auf den untersten Stufen genau mittig zur Bühne und beschloss, mein Durchhaltevermögen auf eine Probe zu stellen. Es war drückend, es war laut (hart an der Grenze für meine Ohren, die noch lange Zeit danach klingelten) und es war brutal. George „Corpsegrinder“ Fisher grunzte, röchelte und ließ hin und wieder markerschütternde Schreie ertönen, wenn er nicht gerade seinen Nacken durch beeindruckendes Propeller-Banging trainierte. Musikalisch war’s wie erwartet fast permanentes Geballer, jedoch technisch fit und stets präzise auf den Punkt gespielt. Schon irgendwie faszinierend, wie die Band da den Überblick behält und auch Fisher stets weiß, wann welches Drumfill kommt, wann welcher Break ansteht, wer wann wo und wie einsetzen muss – Hooks oder sonstige Wiedererkennungsmerkmale, Unterscheidungsmöglichkeiten etc. sind hier zumindest für meine Lauscher nämlich äußerst rar gesät. Schon eine beeindruckende Leistung und ich hielt tapfer durch, bis der letzte Akkord verklungen war, ja, hatte mit der Zeit sogar irgendwie einen seltsamen Gefallen an diesem Abrisskommando gefunden. Musikalischer Extremismus ohne jegliche Kompromisse.
Setlist CANNIBAL CORPSE:
Evisceration Plague
Time To Kill Is Now
Scourge Of Iron
Death Walking Terror
Stripped, Raped And Strangled
The Wretched Spawn
Pit Of Zombies
Kill Or Become
Sadistic Embodiment
Icepick Lobotomy
Covered With Sores
Born In A Casket
I Cum Blood
Unleashing The Bloodthirsty
Make Them Suffer
Hammer Smashed Face
Devoured By Vermin
Wesentlich filigraner gehen da die Krefelder BLIND GUARDIAN zu Werke, die nach langer Zeit erstmals wieder das Rock-Hard-Festival beehrten, natürlich als Headliner. Die Band um Frontmann Hansi Kürsch erfreut sich seit Jahrzehnten ungebrochener Beliebtheit und dürfte der Grund dafür gewesen sein, dass an diesem Tag selbst die letzten Tagestickets verkauft wurden und der entsprechende Schalter geschlossen werden und „Sold Out“ vermelden konnte. Ich muss jedoch zugeben, lediglich mit den ersten drei Alben, auf denen man noch Speed Metal zockte, wirklich etwas anfangen zu können. Mit dem Tolkien-Fantasy-inspirierten Power Metal, für den die Band seit Abschluss jener Anfangsphase steht, wurde ich nie so richtig warm, wenn er auch sicherlich hier und da seine Momente hat. Besonders der durchaus kreative Umgang mit Coverversionen ist mir noch in wohliger Erinnerung, doch in erster Linie regieren Bombast, Pathos und Prätentiöse, konterkariert von Hansis bodenständigen Ansagen „mit dem Charme eines Finanzbuchhalters“, wie ich irgendwo las. BLIND GUARDIAN verwandelten zum Abschluss das Festival in eine bunte Fantasy-Welt und bemühten sich um viel Atmosphäre, was auf viel, viel Gegenliebe seitens der Anwesenden stieß. Ich schaute mir das Treiben aus sicherer Entfernung an und schlürfte mein Bierchen, vernahm ausufernde Mitsingparts und eine von der Publikumsresonanz sehr angetane Band – und freute mich, wenn mal ein Speed-Klassiker wie „Valhalla“ erklang oder man sich mit „Majesty“ vom allerersten Album schließlich verabschiedete. BLIND-GUARDIAN-Fans dürften voll auf ihre Kosten gekommen sein; ich nahm immerhin ein paar frische Eindrücke der Band mit, mit der ich wohl nie mehr so richtig warm werden werde.
Setlist BLIND GUARDIAN:
The Ninth Wave
The Script For My Requiem
Nightfall
Fly
Tanelorn (Into The Void)
Prophecies
The Last Candle
Lord Of The Rings
Time Stands Still (At The Iron Hill)
Journey Through The Dark
Imaginations From The Other Side
Sacred Worlds
Valhalla
The Bard’s Song – In The Forest
Mirror Mirror
Majesty
An diesem letzten Abend trat ich natürlich nicht gleich den Heimweg an, sondern suchte das große Aftershow-Party-Zelt auf, in dem tagsüber der Metal-Markt stattgefunden hatte. Mit Teilen der Hamburger wurden noch ein paar Bierchen geschlürft und die Beschallung erfolgte diesmal übrigens nicht von einem DJ im Zelt, sondern vom direkt draußen davor platzierten Truck der Firma „Teufel“. Da auch das Wetter noch immer weitaus angenehmer war als am Tag davor und der DJ nun einen Klassiker nach dem anderen auflegte, feierte ich erstmals seit Freitag noch mal ’ne ganze Weile so, wie es leider bei zu vielen Live-Bands für mich nicht möglich gewesen war. Rechtzeitig erinnerte ich mich diesmal daran, noch einen nicht ganz unbeträchtlichen Weg zurück zur Unterkunft vor mir zu haben und nahm irgendwann Abschied vom Rock-Hard-Festival 2016. Ich konnte noch mal ausschlafen, bevor mich ein neuer Chauffeur mittags direkt am Zimmer abholte und zurück nach Hamburg fuhr.
Zeit für ein kleines Resümee: Ein keinem speziellen Subgenre verpflichteten, abwechslungsreiches Bandaufgebot gehört zum Konzept des Rock-Hard-Festivals, es jedem Recht machen kann und will man nicht. Ich weiß gar nicht, ob 2015 mehr für mich dabei war, gleich drei meiner Favoriten gab’s diesmal ja in geballter Form schon am Freitag. Letztes Jahr war natürlich alles noch allein schon deshalb aufregender, weil’s für mich neu war und es mehr zu entdecken gab. Wenn das Wetter nicht wie gewünscht mitspielt und drei langweilige Bands hintereinander spielen, kann das schon mal einen Stimmungsabfall zur Folge haben, zumal ich als Nicht-Camper auch keinen Zutritt zum Camping-Gelände habe. Auf einem kleinen Festival wie diesem mit seinen 7.000 bis 8.000 Gästen hat man vom Drumherum dann auch recht schnell alles gesehen, zumal wenn das Parallelprogramm zusammengeschrumpft wurde. Nichtsdestotrotz war es auch dieses Jahr eine größtenteils angenehm horizonterweiternde, entspannte Angelegenheit, deren Teilnahme ich zu keiner Sekunde bereut habe – eine zu willkommene Abwechslung auch zu meiner sonstigen Freizeitgestaltung stellt sie dar. Mit den Leuten vor Ort, egal ob von offizieller Seite oder als Gast, gab’s zu keinem Zeitpunkt auch nur irgendein Problem, die ganze Stimmung habe ich erneut als sehr relaxt empfunden. Nach wie vor nicht nachvollziehen kann ich allerdings, dass sich manch einer seine mehr oder weniger geschmackvoll gestalteten Kutte mit BURZUM-Dreck verziert und dieser auch noch an fast jedem Stand verkauft wird. Der Festivalsport Crowdsurfing erfreute sich auch auf diesem Festival großer Beliebtheit, wobei ich mich schon frage, was manche antreibt, sich während eines einzelnes Auftritts zehn Mal nach vorn tragen und von der Security in Empfang nehmen zu lassen… Kompliment an die Sicherheitskräfte, dass die das tatsächlich dauerhaft mit einem Lächeln quittieren.
Als nervig erwies sich der „Hauptverkehrsknotenpunkt“, an dem jeweils nach Ende eines Gigs sich die Menschenmengen stauten, die entweder am offiziellen Merchandise-Stand gucken oder kaufen, zum Klo abbiegen, geradeaus weiter oder rechts herum wollten und sich manches Mal gegenseitig auf die Füße trampelten. Vor allem die Kloschlange versperrte nämlich den reibungslosen Besucherabfluss. Genauso viele, wie die Toiletten aufsuchten, kamen nämlich auch wieder zurück und der Weg wurde zusätzlich durch große Mülltonnen verengt. Hier etwas mehr Platz zu schaffen, wäre wünschenswert. Dass es überhaupt vernünftige Toiletten-Container mit fließend Wasser, Seife und Papierhandtüchern gibt, ist natürlich äußerst erfreulich. Als jemand, der kein Fleisch mehr isst, ist natürlich das Essensangebot stets auch von besonderem Interesse. Positiv tat sich, und das sage selbst ich als Küstenkind, wieder der Fischstand hervor, der sättigenden, wohlschmeckenden Fisch (fangfrisch aus dem Rhein-Herne-Kanal!) in verschiedenen Variationen zu vertretbaren Preisen anbot. Pommes gehen auch klar; 50 Cent lassen sich sparen, wenn man statt Ketchup oder Mayo zum Senf greift (einfach mal probieren, schmeckt klasse). Die etwas lieblos erscheinende Pizza gehört eher ins Mittelfeld, eine kleine Portion Asia-Nudeln mit Gemüse, die selbst am Hamburger Hauptbahnhof nur zweifuffzsch kostet und dort sogar noch gebratenen Tofu enthält, wird für satte 5,- EUR ebenso boykottiert wie die Falafel zum ich glaube selben Preis: Generell habe ich beschlossen, diese Kichererbsenbällchen so lange links liegen zu lassen, bis man statt ihrer endlich Veggie-Döner aus Seitan anbietet. Im Vorfeld meine ich gelesen zu haben, dass man sich für Vegetarier & Co. diesmal noch etwas Besonderes habe einfallen, aber ich weiß nicht, was damit gewesen sein könnte. Ach ja, drei frittierte Reibekuchen mit Apfelmus o.ä. für 4,- EUR schien mir auch zu teuer, soll aber ein ziemlicher Gaumenschmaus gewesen sein. Vielleicht nächstes Jahr. Wie auch bei den Bierpreisen (Veltins vom Fass) gilt fast generell: 50 Cent runter wäre wünschenswert… Wat war noch? Ach ja, die Festival-Shirts waren leider nicht so schick wie 2015, den Zwanziger habe ich gespart.
Fürs nächste Jahr wurden bereits CANDLEMASS, SECRETS OF THE MOON und D-A-D angekündigt, wovon mich erst mal nichts vom Hocker reißt. Obwohl, einmal „Sleeping My Day Away“ live…? Ich sag’ mal so: Ich würde mir wünschen, dass das Line-Up 2017 wieder in ausreichendem Maße nach meiner Kragenweite gerät, denn ich würde eigentlich schon gern wiederkommen…
P.S.: Danke an www.the-pit.de, wo ich die Setlists vergleichen bzw. mopsen konnte!
Schreibe einen Kommentar