Der Tag der Wahrheit war gekommen: Seit ich mich im Frühjahr zum „Vorsingen“ bei einer sänger- und mehr oder weniger namenlosen, melodischen Streetpunk-Band hatte überreden lassen, in der mein alter Kumpel Stulle (ex-DOGS ON SAIL-Frontsau) den Tieftöner zupft, blieb man zusammen, stellte sich aufeinander ein und tüftelte an Songs – zu meiner Überraschung, da ich in diesem Bereich nun wirklich überhaupt keine Erfahrungen vorzuweisen hatte und auch mit den DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS zu jenem Zeitpunkt noch kein einziges Mal auf einer Bühne stand. Irgendwie funktionierte das alles aber halbwegs und die Hauptsache: machte allen Beteiligten inkl. meiner Spaß, so dass man das leicht verfrühte Angebot, am 24. November im Skorbut den ersten Gig zu absolvieren (angepeilt war die „Bühnenreife“ für frühestens Dezember) nach nur kurzer Überlegung dankend annahm. Ein voller Set von zehn Songs und komplett englischen Texten, der meiner Stimme etwas mehr abverlangt als reines aggressives Gebrüll, war (und ist) eine Herausforderung für mich und dementsprechend freudig aufgeregt war ich. Die „Generalprobe“ am Nachmittag desselben Tags verlief aber ok und verschaffte ein wenig bitter nötige Sicherheit. Also Equipment zusammengepackt und gen Skorbut zum Aufbau gebracht. Dort, wo die Bühne ist, befinden sich im „Normalbetrieb“ Sofagarnituren, Tische und Stühle, die zunächst einmal weggeräumt werden mussten, um anschließend alles aufzubauen. Was für ein Aufwand für einen einzelnen, nicht einmal einstündigen Gig unserer jungen Band, der noch dadurch erhöht wurde, dass Soundmann Andy sein Equipment für Liveaufnahmen testen wollte! Irgendwann stand alles an Ort und Stelle und der Soundcheck konnte durchgeführt werden – auch dieser verlief gut. Die Zeit bis zur offiziellen Öffnung der Kneipe nutzte man in vorfreudiger Stimmung für einen Besuch bei Pauli Pizza, deren kulinarische Offenbarungen in lockerer Runde bei Stulle zu Hause verzehrt wurden. Jalapeños sorgten für Feuer in Rachen, Magen und Geist. Für mich war das ein besonderer Moment, eine Art letzte Erdung vor dem unausweichlichen Sturz- oder Höhenflug, je nachdem. Gegen 21:00 Uhr trudelten wir wieder ein und beobachteten, wie der Laden immer voller wurde mit Leuten, die bereitwillig die 3 Taler Eintritt abdrückten. Die Propagandamaschinerie schien im Vorfeld bestens funktioniert zu haben, der Laden wurde voll – obwohl zeitgleich COCK SPARRER in der Sporthalle spielten! Irgendwann zwischen zehn und halb elf ging’s dann auf die kleine Bühne, auf der es mit fünf Leuten schon reichlich eng wird. Aufgrund der niedrigen Decke kann man sich auch im wahrsten Sinne des Wortes keine großen Sprünge erlauben. Massenweise Augenpaare, viele davon gut bekannt, andere noch nie gesehen, starrten interessiert auf den Ort des Geschehens, nun gab es kein Zurück mehr – und mit „Total Escalation“ legten wir los. Das Publikum nahm uns sofort gut auf, einige Freunde unterstützten uns, wie es nur ging und bewegten sich grobmotorisch zur Darbietung, der Funke sprang auf weite Teile des Publikums über. Es wurde getanzt, gelacht, gegrölt, mit Bier gespritzt, die eingängigen Chöre der Refrains mitgesungen… es herrschte ausgelassene Party-Stimmung! Besser hätt’s gar nicht laufen können und so folgte auf „Dirty Streets“ „Alcoholic Heart“, danach „Radio Callboy“, gefolgt von „Brigitte Bordeaux“ – einige hatten dann und wann nie veröffentlichte Probeaufnahmen gehört und konnten bereits den Refrain mitsingen –, und „Fame“ aus alten CRAKEELS-Zeiten von Rhythmusgitarrist Christian und Drummer Raoul. Nach diesem aggressivsten unserer Songs war ich eigentlich bereits fix und alle. Die wenige Luft war verbraucht, meine Puste erst recht und der Schweiß rann mir den Körper herunter, brannte in den Augen. Und dabei hatte ich mich gar nicht viel bewegt, schlicht weil es die Bühne nicht hergab! Verdammt, nun weiß ich, wie es sich für manch Sänger anfühlen muss und habe einen Heidenrespekt davor, wie diese es schaffen, trotz allem noch souverän und lässig auf der Bühne zu wirken. Das Adrenalin, der Spaß, das geile Publikum und die absolut souveräne Band ließen mich natürlich weitermachen, allerdings hatte ich kaum noch ein Gespür dafür, wie es klang, was ich da herauspresste – den Reaktionen nach zu urteilen aber kann das so verkehrt nicht gewesen sein. Der jüngste Song „All I Have To Give“ bereitete keine Textschwierigkeiten (was zuvor eine meiner größten Sorgen gewesen war), „Brainmelt“ besiegelte das Trio der besonders bei dieser Affenhitze so richtig anstrengenden Songs und bei „Three Card Trick“ ging ein weiterer Traum in Erfüllung – mit diesem Song einmal auf einer Bühne! Whew! „Where Is My Hope“ schloss den Set und auch dieser Song war manch einem bereits bekannt, freundlicherweise unterstützte man mich stimmgewaltig. Zwischenzeitlich bekam ich eine Verschnaufpause, als Ladde zum Geburtstag gratuliert wurde. Während des Gigs kursierten unsere drei „Bolanow Brawl“-Blutorange-Wodka-Buddeln im Publikum und flossen gierige Kehlen hinunter – Prost! Als Zugabe ließen wir den Abend enden, wie er begonnen hatte, mit einer „Total Escalation“! Was für ein Auftakt für unsere junge Band – volle Hütte im Skorbut und ein weitestgehend pannenfreier Gig! Ein fettes DANKESCHÖN an alle, die das ermöglicht haben und natürlich an das Publikum, eines jener Sorte, wie man es sich nur wünschen kann. Nach dem Gig machten uns zahlreiche Gratulationen verlegen, bevor sich so langsam das Publikum austauschte und die Leute vom COCK-SPARRER-Gig zurückkamen. Man stürzte sich hier und da noch etwas ins Nachtleben und mit einem sehr guten Gefühl schlief ich irgendwann mit meiner Süßen, die unermüdlich ihr „Ich möcht’n Bier von dir!“-Schild hochgehalten hatte, das ich von der Bühne wegen meiner verdammten Kurzsichtigkeit nicht lesen konnte, in unserer Gästewohnung auf dem Kiez ein. Der erste BOLANOW BRAWL hat uns Blut(orange) lecken lassen, wir sind bereit für mehr! „Bolanow Brawl! Whew!“
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