Günnis Reviews

Kategorie: Bücher (page 5 of 23)

Cinema-Sonderband Nr. 8: Sexstars

Der erotische Film – lange Zeit führte er ein Nischendasein, für prüde Verhältnisse allzu freizügige Aktricen wurden skandalisiert und unmoralischen Verhaltens bezichtigt. Dies änderte sich nach der sexuellen Revolution, als (oft nur bemüht) erotische Filme nicht nur in die Bahnhofskinos drangen und es beinahe zum guten Ton gehörte, sich vor der Kamera zu entblößen. Mit der Legalisierung der Pornographie ebbte diese Welle ab, gerade aus zahlreichen Genrefilm-Produktionen waren offenherzige Darstellungen jedoch nicht mehr wegzudenken und auch der erotische Film existiert in Abgrenzung zum Porno nach wie vor (ist heutzutage jedoch längst in seiner Nische zurück). Wer aber sind die Schauspielerinnen und Schauspieler des Erotikbereichs, was treibt sie an, was ist ihr Selbstverständnis, wie blicken sie auf die Branche, was gibt es eventuell Wissenswertes über sie zu berichten?

Wer solche oder ähnlichen Fragen beantwortet haben möchte, ist beim achten Sonderband der Kinozeitschrift „Cinema“ vollkommen falsch. Mit „Sex im Kino – Höhepunkte des erotischen Films“, „Erotik im Film – Kino der Lüste“ und „Sex im Kino ’83“ hatte der Hamburg Verlag bereits mehrere Sonderausgaben zum Thema Erotikfilm veröffentlicht, bevor (vermutlich im Jahre 1984) dieses 100-seitige Heft folgt. Hatte man zuvor zwischen den Bezeichnungen „Sonderheft“ und „Sonderband“ je nach Beschaffenheit des jeweiligen Printerzeugnisses changiert, beharrte man hier auf „Sonderband“, obwohl es sich um kein gebundenes Buch handelt. Die Titelseite mit ihren Fotografien und Namensnennungen lässt bereits erahnen, dass man sich hier vornehmlich den Damen dieses Gewerbes widmet; ein Blick ins Heftinnere sorgt für die Gewissheit, dass kein einziger Mann enthalten ist.

Der Damenwelt wendet man sich in Form von Oben-ohne- und Ganzkörperakten zu, meist farbig, aber auch mal in Schwarzweiß oder ohne wirklich etwas zu zeigen, wie z.B. im Falle Lillian Müllers oder Tracy Dixons. Bis zu vier Modelle teilen sich eine Seite, manche erhalten aber auch eine ganze Doppelseite für sich allein. Mal handelt es sich um ein einzelnes großformatiges Foto, mal um mehrere kleine, häufig um einen Größenmix. Beim Material werden Movie stills, also abfotografierte Filmszenen, mit professionellen Fotos, vermutlich aus den Mappen der Agenten oder aus anderen Zeitschriften, miteinander vermischt. Quellenangaben gibt es keine, nicht einmal zu den jeweiligen Filmen. Zudem handelt es sich tatsächlich um ein reines Fotomagazin ohne jegliche Information zu den abgebildeten Fotomodellen respektive Schauspielerinnen, sodass es sich von einem Schmuddelheftchen vom Kiosk de facto nicht unterscheidet.

Die einzigen Texte sind die Namensangaben, diese jedoch – gewissermaßen als Gipfel der Respektlosigkeit – nicht selten fehlerbehaftet. So macht man aus Eleonora Vallone „Elenora“, aus Gudula Blau „Gundula“, aus Lillian Müller „Lilian“, aus Tetchie Agbayani „Tetcha Agbaiani“, aus Elizabeth Grosz „Elisabeth“, aus Donatella Damiani „Daniani“ usw. Und weshalb schreibt man Sabine Rohrmanns Vornamen nicht aus, sondern verkürzt ihn als einzigen zu S.? Namen vergessen?

Wird man eigentlich wirklich zum „Sexstar“, wenn man in nur einem einzigen Film mitgespielt hat, dem Heimatfummelfilm „Waidmannsheil im Spitzenhöschen“? Einziges Kriterium schien viel mehr zu sein, in einem x-beliebigen Film irgendwann einmal blankgezogen zu haben. Die Auswahl der Modelle scheint völlig beliebig: Wo sind beispielsweise Gloria Guida und Lili Carati, wo Edwige Fenech? Wer zur Hölle sind dagegen Jane Summer, Diana Sensation, Lilly Christen oder Martina Lohauss? Ohne erkennbare Sortierung werden hier bekannte Persönlichkeiten wie Marilyn Monroe, Faye Dunaway, Ornella Muti, Bo Derek, Sylvia Kristel, Nastassja Kinski, Ursula Andress, Romy Schneider, Barbara Bouchet, Laura Antonelli, Rosalba Neri oder auch Sybille Rauch mit unbekannten Sternchen und Nonames aneinandergereiht. Hauptsache war anscheinend, dass schnell ein brauchbares Foto aufzutreiben war, um das Heft vollzubekommen und in die Auslagen wuchten zu können. Mit Filmjournalismus hatte das nichts mehr zu tun.

„Sexstars“ ist bis dato die primitivste Veröffentlichung aus dem Hause „Cinema“, die mir in die Finger gekommen ist.

Ronald M. Schernikau – Die Tage in L.: Darüber, dass die DDR und die BRD sich niemals verständigen können, geschweige mittels ihrer Literatur

„daß du diese kritik so frei äußern kannst! es beweist, daß sie nicht stimmt! – das ist die drohung mit dem faschismus. sie ist immer da.“ (S. 22)

Auf Ronald M. Schernikau war ich einst aufmerksam geworden, als ich im Tauschschrank seinen im Hamburger Konkret-Verlag veröffentlichten Briefwechsel mit Peter Hacks fand und nach anfänglicher Skepsis interessiert verschlang. Schernikau war ein 1960 in der DDR geborener, als Kind mit seiner Mutter in die BRD übergesiedelter, offen homosexuell lebender, freidenkender Literat und humanistischer Kommunist, der von 1986 bis 1989 als BRD-Bürger am Leipziger Institut für Literatur „Johannes R. Becher“ studierte und in der Wendezeit wieder DDR-Bürger wurde. Bei „Die Tage in L.“ mit seinem sperrigen Subtitel handelt es sich um seine Abschlussarbeit, die bereits 1989 im Konkret-Verlag veröffentlicht und 2001 ebd. neu aufgelegt wurde. Von dieser Fassung liegt mir die zweite Auflage aus dem Jahre 2009 im Taschenbuchformat vor.

„manchmal wundere ich mich, daß die anderen sich nicht wundern, daß ich mich nicht wundere.“

Rund 220 Seiten lang lässt sich der kulturinteressierte und -schaffende Grenzgänger Schernikau in acht Kapiteln über die BRD, die DDR, ihre jeweiligen Menschen und Eigenheiten sowie das gestörte Verhältnis beider Staaten zueinander aus. Ein Vorwort Hermann L. Gremlizas sowie je ein Literatur-, Abkürzungs- und Personenregister runden den Band ab.

Schernikaus in meist kurze, eher selten unmittelbar aufeinander Bezug nehmende Absätze gegliederter Text liest sich wie ein Brainstorming, in dessen Folge es zumindest im ersten Drittel auch mir themenfremd und zusammenhanglos erscheinende Passagen in die Kapitel schafften; zumindest erschließt sich mir ihr Sinn nicht. Das kann indes dem Umstand geschuldet sein, dass Schernikau sehr in seiner Gegenwart verwurzelt ist und sich nicht lange mit Hintergründen und Details aufhält. Damit ist seine Arbeit in Bezug auf die historische und politische Situation des geteilten Deutschlands ein wenig voraussetzungsreich und der eine oder andere Passus eventuell unverständlich, kennt man die genaueren gesellschaftlichen und kulturellen Umstände bzw. Kontexte nicht. Schernikau schreibt durchgehend in Kleinbuchstaben, Fehler wie macdonald’s, cindy (statt cyndi) lauper, intresse, faßbinder (statt fassbinder) und sylvestershow wurden offenbar bewusst nicht redigiert, aus Club-Cola macht er gar klubkola. Mit diesem Stil gilt es, sich erst einmal vertraut zu machen.

Ist diese Hürde genommen, wird es bald zum Genuss, wie der meinungsstarke Autor seine subjektiven Eindrücke schildert und dabei in alle Richtungen austeilt. Als Beispiele für interessante Beobachtungen seien eine plötzliche Scheu selbst in den DDR-Medien, Kommunisten auch als solche zu bezeichnen (S. 81) und eine Umdeutung des Begriffs „Supermacht“ von negativer zu positiver Konnotation (S. 82f.) genannt. Für eines seiner Kapitel befragte Schernikau sieben seiner Bekannten aus der BRD. Nur zwei von ihnen wollten lieber in der DDR leben. Soziologisch interessant ist dabei eigentlich, dass die anderen fünf in ihren Antworten tendenziell Pro-DDR-Argumente liefern. Leider erfährt man nicht, wer die Befragten überhaupt sind.

Auch anderes behält Schernikau leider für sich. Beim Übergang von Seite 100 auf Seite 101 erwähnt er einen russischen Film, der kurz, nachdem er ihn im DDR-Kino gesehen habe, verboten worden sei. Das bleibt unkommentiert, wenngleich man sich sein Kopfschütteln darüber beim Lesen denken kann. Dass er nicht einmal den Filmtitel nennt, ist mir hingegen – außer vielleicht mit Furcht vor Repressalien – unerklärlich. Vielfach referenziert Schernikau explizit auf den Literaturbetrieb hüben wie drüben sowie, etwas weiter gefasst, allgemein auf den Kulturbetrieb, wovon ich als, zumindest in Bezug auf die Literatur, gewissermaßen Außenstehender nicht alles verstehe. Viele Namen musste oder vielmehr wollte ich nachschlagen. Ich verstehe aber etwas von Peter Timms köstlicher Komödie „Meier“, die sich ebenfalls mit dem Verhältnis beider deutscher Staaten auseinandersetzt und die Schernikau als antikommunistisch missversteht. Insofern ist manch harsches Urteil hier sicherlich mit Vorsicht zu genießen.

Auf Seite 114ff. wird es mir dann auch zu einseitig: „einhundert prozent aller, die die ddr verlassen haben, wollen zurück, einhundert prozent.“ Was ist mit denjenigen, die gehen mussten, also herauskomplimentiert wurden? Was mit jenen, die in der BRD Karriere machten? In diesem Abschnitt ist mir sein Loblied auf die DDR zu eindimensional; es findet sich nicht einmal ein Wort zum Verfall der Bausubstanz, die seinerzeit längst kritische Ausmaße angenommen hatte. Im Jahre 1987 war Schernikau dann eine Weile mit auf richtig körperlicher Maloche, worüber er Tagebuch führte. Dieser Abschnitt beweist, dass er davor nicht zurückschreckte, sondern wissen wollte, wie sich der Alltag echter Arbeiter in der DDR anfühlt.

Und er wird im weiteren Verlauf kritischer. Zunächst lässt er sich im siebten Kapitel über nervige Alltagsphänomene aus, beispielsweise über schon an Machtmissbrauch grenzende Unfreundlichkeit einfacher Menschen in Servicepositionen. Dazu findet er überraschend wütende und ernüchterte Worte: „[…] vielleicht hat jede zeit und jedes volk seinen natürlichen anteil an faschisten […] vielleicht erzeugt wirklich jede art von hierarchie auch die unsinnigkeiten von hierarchie, und vielleicht ist es einfach romantisch, in einer sozialistischen hierarchie nur den sozialismus zu erwarten und nicht auch die hierarchie.“ (S. 154) In den Abschnitten 2 und 3 dieses Kapitels holt er dann tatschlich zu einem Rundumschlag in Sachen DDR-Kritik aus, der sich gewaschen hat und beweist, dass er kein blauäugiger Salonkommunist ist. In Abschnitt 4 betreibt er wieder viel Namedropping aus dem kulturellen Bereich; zwischen Ehrerbietungen an DDR-Künstlerinnen und -Künstler reihen sich Gedanken zu Zensur und Kritik an selbiger, was besonders schön in einem Absatz auf S. 184 Ausdruck findet: „also, man darf von einem text nicht mehr den hintergrund analysieren, nicht mehr die haltung des autors, nicht mehr dessen politische meinung, weil immer hat man angst, daß die hauptverwaltung kommt und sagt: wenn das so ist, können wir das aber nicht drucken! die rezensenten reden längst nicht mehr vom inhalt, und von der form zu reden, haben sie vor dreißig jahren verlernt.“

Gegen Ende wagt er dennoch eine vorsichtig optimistische prognose: „sie werden talkshows haben und eine schwulenzeitung, sie werden die urlaubsfotos der politiker veröffentlichen und die zahl der auswanderer. und es kann sein, sie machen es besser als der westen, weil sie klüger sind und souveräner. es kann sein.“ So widersprüchlich sich einiges in dieser Rezension lesen mag, so ergibt es während der Lektüre des Buchs in seiner Gesamtheit doch zumeist Sinn. Schernikau glaubte an ein sozialistisches statt kapitalistisches Wirtschafts- und Gesellschaftssystem und an eine Reformierbarkeit der DDR – bzw. hoffte er zumindest darauf. Dass es nach der Wende mit der Abwahl der Regierung Modrow und dem Wahlsieg der CDU ganz anders kam, ist längst Geschichte. „Die Tage in L.“ ist eine aufschlussreiche Bestandsaufnahme aus den Jahren davor, geprägt durch die meist klugen, subjektiven Eindrücke einer an den Folgen seiner HI-Virus-Infektion 1991 viel zu jung verstorbenen, streitbaren, furchtlosen und interessanten Persönlichkeit.

Oliver Stolle (Hrsg.) / Sascha Chaimowicz (Hrsg.) – „Eine Kugel Strappsiatella, bitte!“ – 555 unfreiwillig komische deutsche Geschichten

Für den Strandurlaub greife ich ganz gern mal zu möglichst seichter, aber lustiger Literatur. Mit „Was wir tun, wenn der Aufzug nicht kommt: Die Welt in überwiegend lustigen Grafiken“ und „Bauchchirurg schneidet hervorragend ab“ klappte das gut bis hervorragend, in diesem Falle eher so semi. Das 2016 im Münchner Heyne-Verlag erschienene Taschenbuch ist offenbar die Fortsetzung des zuvor erschienenen, mir unbekannten „Ich hätte gerne eine LSD-Leuchte!“. Beiden gemein ist das Konzept: Zusammenstellungen der dem „Stern“-Jugendableger „Neon“ für die Rubrik „Deutsche Geschichten“ eingesandter, zufällig mitgehörter, unfreiwillig komischer Dialogfetzen, derer monatlich drei Stück im Printmagazin abgedruckt werden. Das klingt vielversprechend, zudem erweckt die gelungene Titelgestaltung Aufmerksamkeit und hat das Buch mit seinen rund 200 Seiten auf festem Papier in verschwenderischem Farbdruck eine tolle Haptik.

„Verschwenderisch“ ist jedoch im Wortsinn zu verstehen, denn die Farbverläufe im Hintergrund hätte es ebenso wenig gebraucht wie die 21 willkürlich eingestreuten, oft seitenfüllenden Fotos aus dem Ostkreuz-Archiv, die nicht nur ohne jeden Kontext, sondern i.d.R. leider auch ohne Witz sind. Auf eine erkennbare Sortierung hat man verzichtet; nach einem dreiseitigen Vorwort folgt ein Gesprächsfetzen auf den nächsten, durchnummeriert sowie mit Ortsangabe und Namen des jeweiligen Einsenders respektive der jeweiligen Einsenderin versehen. Jener Zitate tummeln sich ein bis vier pro Seite, darunter mal mehr, mal weniger amüsante Versprecher, Verhörer, Missverständnisse und Doofheiten, aber auch offenbar als vermeintlich mitgehörte Dialoge abgedruckte Witze, was Zweifel an der Authentizität des Materials sät.

Meist alles andere als witzig, dafür umso entlarvender sind diejenigen Zitate, die Ausdruck gesellschaftlicher (Fehl-)Entwicklungen bis hin zu Verrohungen sind und somit, belastbare, authentische Quellen vorausgesetzt, von soziologischem Interesse sein könnte. Vieles ist mir aber ehrlich gesagt schlicht zu belanglos, witzfrei, über Dad-Joke- oder Imbissbudenkaliber nicht hinauskommend, anderes wiederum eher in der jeweiligen Situation komisch, weniger im Buchformat. Alles in allem scheint mir „Eine Kugel Strappsiatella, bitte!“ eine weitestgehend überflüssige Klolektüre zu sein, die in erster Linie für noch wesentlich leichter als mich zu erheiternde Menschen einen Mehrwert darstellen dürfte.

Mit „Deutschland im O-Ton“ ist eine anscheinend recht ähnliche Reihe im selben Verlag erschienen. Möglicherweise ist diese gehaltvoller. Es auszutesten ist mein Interesse aber eher gering…

Guido Sieber – Aus lauter Liebe

Der Berliner Illustrator, Comiczeichner und Maler Guido Sieber debütierte mit seinem ersten Comicalbum „Aus lauter Liebe“ innerhalb der Thurner „Edition Kunst der Comics“, wo es im Jahre 1991 als großformatiger, rund 60-seitiger Hardcover-Band erschien.

Obschon Sieber seine Figuren als Karikaturen zeichnet, verbietet sich im Prinzip die Genrebezeichnung Funny. In seinen von einzelnen Parodien und Persiflagen, vor allem auf Werbung und populäre Comicfiguren, flankierten, anarcho-misanthropischen Kurzgeschichten setzt er durch die Überbetonung äußerlicher wie innerlicher menschlicher Makel stark auf den Ekeleffekt. Seine Figuren sehen allesamt wie unförmige Zombies aus, sind stumpfsinnig und roh, triebgesteuert und verkommen. Ihre Zwischenmenschlichkeit ist verloren und egoistisch, ihre Sexualität pervers und abtörnend. Positiv konnotierte Begriffe wie Geselligkeit oder Liebe führt Sieber in seinen Zeichnungen ad absurdum, Moral und Selbstlosigkeit sind genauso abwesend wie klassische Heldinnen oder Helden. Diese wären zwischen all den Ausscheidungen und verwarzten Geschlechtsorganen auch fehl am Platze.

Selbstironisch rechtfertigt sich Sieber, der sich, um anonym zu bleiben, mit über den Kopf gezogener Papiertüte selbst zeichnet, eingangs dafür, kommt aber zur Konklusion: „[Meine Comics] sind nicht häßlicher oder perverser als das Leben selbst!“ Die Panel-Grids folgen nur selten festen Strukturen, scheinen sich vielmehr in einem übergeordneten Chaos ihren Platz zu suchen. Die Handletterung erfolgt in große Versalien, auf Seitenzahlen wurde verzichtet. Dafür sind die Seiten sehr farbenfroh gestaltet, fassen sich auf ihrem matten Qualitätspapier gut an und riechen auch nach 30 Jahren noch gut.

„Aus lauter Liebe“ ist eine fiese Kombination in die Magengrube, ohne auf Melodramatik oder Betroffenheit zu setzen. Vielmehr regieren zu Papier gebrachte Abscheu vor der Gesellschaft, schwarzer Humor und eine nicht ungefähre Aggressivität, mit der sich Sieber zu wehren scheint, sodass sein Comic wie das Ventil eines letztlich an der Realität verzweifelnden, sensiblen Künstlers mit zu guter Beobachtungsgabe wirkt.

Bevor er sich hauptsächlich der Malerei verschrieb, erschienen in den 1990ern offenbar sieben Comicbände Siebers. Selbstredend müssen die nach und nach alle her – so abstoßend sie auch sein mögen.

Frank Schäfer – Metal Störies

Wer diese Rubrik hier mehr oder weniger regelmäßig verfolgt, wird wissen, dass ich viel von Frank Schäfer lese, jenem Braunschweiger Dr. phil., der regelmäßig Bücher über seine Hardrock- und Metal-Leidenschaft veröffentlicht, für Musikmagazine schreibt und zudem ein ausgewiesener Literaturexperte ist, der auch gern autobiographische Romane verfasst und einst bei Salem’s Law Gitarre spielte. Der Ursprung meines Interesses liegt in seinen „Metal Störies“ begründet, die im Jahre 2013 im Berliner Metrolit-Verlag erschienen. Ich war seinerzeit über eine Kurzkritik im Rock Hard gestolpert, hatte mir das rund 150 Seiten umfassende Buch im festen Einband schenken lassen und war nach der Lektüre derart angetan, dass ich mir zahlreiche seiner vorausgegangenen Werke zu Gemüte führte. Chronologisch bin ich jetzt quasi wieder im Jahre 2013 angelangt. Da ich seinerzeit noch kein Lesetagebuch führte, las ich die „Metal Störies“ einfach noch mal, um nun endlich auch zu ihnen etwas schreiben zu können.

Schäfer verknüpft hier in 24 Kapiteln plus „Bonustrack“ Anekdoten aus seiner Jugend in der niedersächsischen Provinz mit, nun ja, Hardrock und Heavy Metal eben, und das in sehr eloquenter, zugleich sympathisch geschriebener Form, für die er viel mehr mit dem Herzen denn verkopft analytisch bei der Sache ist. Gut, mittlerweile weiß ich, dass das zweite Kapitel über seinen Besuch des „Monsters of Rock“-Festivals bereits 13 Jahre zuvor im von ihm herausgegebenen „The Boys Are Back In Town. Mein erstes Rockkonzert“ abgedruckt worden war – dass er inmitten des Iron-Maiden-Sets einfach abhaute, ist indes nach wie vor unfassbar. Weiter geht’s mit seiner eigenen Band und deren Auftritt auf dem Helmstedter Festival zu unmöglichen Bedingungen: Pay to play für 2.000 Kracher! Neben Kritik am Verhalten der Kollegen von Sinner erhält man hier aufschlussreiche Blicke hinter die Kulissen, nicht nur des Festivals, sondern auch der Tele5-Ausstrahlug von Teilen des Festivals. Das zu lesen, diese Zeitreise in die Metal-Parallelwelt der 1980er in der deutschen Provinz, kombiniert mit dem frühen deutschen Privatfernsehen, ist purer Genuss, immerhin war Tele5 mein damaliger Leib-und-Magen-Sender: Als musikbegeisterter Grundschüler und Metal-Fan ohne Kabelanschluss erlebte ich dort nicht nur die Abenteuer der Masters of the Universe und zahlreicher weiterer Zeichentrick-Heldinnen und -Helden, Tele5 wurde auch zu einer Art MTV-Ersatz: Man teilte sich den Sendeplatz mit RTL plus und zeigte nicht nur unzählige Musikvideos, sondern hatte mit „Hard’n’Heavy“ auch eine eigene Metal-Sendung im Programm, die ich ebenso fasziniert wie begeistert verfolgte und dadurch auf etliche Bands stieß, die ich bis heute höre. Der trashige Charme der Moderationen Annette Hopfenmüllers, vor allem aber der häufig ohne Budget hastig von Tele5 selbst gedrehten Videoclips (welche kleinere Metal-Band hatte damals schon eigene, professionelle Clips im Gepäck?) erschloss sich mir erst später, was es aber irgendwie noch schöner machte.

Weiter erinnert sich Schäfer zurück an den Erwerb seiner erste Hifi-Anlage und E-Gitarre, daran, wie er in der Musiksammlung seines großen Bruders stöberte und schließlich Thin Lizzy entdeckte, die er sich erst „erarbeiten“ musste (zuvor, so meine ich mich zu erinnern, bereits in Schäfers 2010 erschienener Essay-Sammlung „Alte Autos und Rock’n’Roll“ veröffentlicht). „An einem dieser Nachmittage wurde mir euphorisch bewusst, dass ich nie wieder Langeweile haben würde“, heißt es da, was die persönliche Gemütslage nach dem Aufstoßen eines Tors in eine ganz eigene, faszinierende musikalische und subkulturelle Welt schön zusammenfasst. Und da ich ohnehin schon zitiere, gleich noch ein Beispiel für Schäfers Wortgewandtheit, sein Talent, Leidenschaft in Worte zu fassen:

„Eine Platte existierte in unserem Hörerkreis exakt einmal. Und wir behandelten sie wie einen Heilsspender, wie ein Palliativ. […] Wir wiesen diesem einen Album einen bestimmten Platz zu in unserem Leben, und dort lud es sich mit Bedeutung auf. Stimmungen, Erinnerungen, Affekte gingen eine haltbare Verbindung mit ihm ein, blieben jederzeit abrufbar. Und wir gaben dem tausendfach vervielfältigten Kunstwerk seine Einmaligkeit zurück.“

Wunderbar auf den Punkt gebracht ist die Polemik gegen Akustik-Sets von Metal-Songs, die Danksagung an Schäfers Vater ist rührend und der Bericht vom Besuch des Ozzfests als Journalist, der anschließend ein Type-0-Negative-Interview durchführen durfte, humorgespickt und launig. Das sind auch die angenehm vielen Geschichten über Salem’s Law, stets selbstironisch als „ihrer Zeit um Jahrzehnte vorauseilende Prog-Metal-Band“ bezeichnet. Eine Hommage an die dänische Band D.A.D. verbindet Schäfer mit klugen Worten zur damaligen Aufsplitterung des Hardrock- und Metal-Bereichs in zahlreiche, sich mitunter spinnefeind gegenüberstehende Subgenres und zur Tonträger-Veröffentlichungsflut, die bis heute nie geahnte Ausmaße angenommen hat. Leider ist dieses Kapitel auch mit der Auflösung seiner Band verbunden.

Der Autor schreibt über einen Hellacopters-Gig, dem er im Hamburger Molotow (nicht Molotov, Herr Schäver!) beiwohnte, um kurz darauf zu sehr Persönlichem zurückzufinden, indem er eine Braunschweiger Beziehungskiste mit der Fahrt zum Thin-Lizzy-Reunion-Konzert kombiniert. In diesem Kontext nimmt er erneut kleinteilige Liebeserklärungen an die Band vor – wunderschön melancholisch erzählt. Ein Kumpel crowdsurft bei Rose Tattoo, auf Wacken wird im Regen gegrillt und Rage werden gefeiert, jeweils garniert mit Schmunzelanekdoten. Und nachdem ich ja nun zum zweiten Mal die Abhandlung über Van Halen gelesen habe, die Schäfer mit einer Rezension des David-Lee-Roth-Comeback-Albums verbindet, muss ich mir das – Memo an mich – wohl auch endlich einmal anhören. Wenn ich schon mal dabei bin, sollte ich mir offenbar auch die Van-Halen/Lee-Roth-Reunion bei MTV 1996 angucken…

Das Gedächtnisprotokoll einer Lesung in Thüringen ist herrlich ironisch-süffisant, die Abi-Fetengeschichte hat aber nun wiederum so gut wie gar nichts mit Metal oder Artverwandtem zu tun (es sei denn, man zählt saufen dazu). Sei’s drum, denn Schäfer schließt versöhnlich mit ehrlicher Freude über die Wiederentdeckung seiner Band unter Metal-Archäologen und übt, last but not least, im Bonuskapitel gerechtfertigte Wacken-Kritik.

„Metal Störies“ vereint in seinen prosaischen Anekdoten persönliche Erinnerungen zwischen Witz und Melancholie, Bandbiographie(n), Konzertberichte, Kommentare und Hintergründe zur Pop- und Rockkultur sowie Plattenkritiken auf scheinbar leichtfüßige Weise und liest sich dank Schäfers Hingabe derart geschmeidig, dass man – einen entsprechenden Bezug zur genannten Themenwelt vorausgesetzt – schnell mehr will. Im Bereich „Sachbuch Musik“ (was viel zu spröde klingt und diesem Buch nicht gerecht wird) war „Metal Störies“ vielleicht Schäfers bis dahin rundestes Stück Literatur, das in mir einen dankbaren und inspirierten Abnehmer fand. Sobald es Zeit und Prioritäten erlauben, greife ich mir das nächste.

Charles M. Schulz – Die Peanuts: Werkausgabe, Bd. 9: 1967 – 1968

Weiter geht’s mit den Jahren 1967 und 1968 im neunten Band der Peanuts-Werkausgabe des Hamburger Carlsen-Verlags: Auf rund 330 gebundenen Seiten werden alle jeweils vier Panels umfassenden Zeitungsstrips und großformatigen Sonntagsseiten jenes Zeitraums aus der Feder Charles M. Schulz‘ in chronologischer Reihenfolge unkoloriert in deutscher Übersetzung präsentiert. Für das Vorwort gewann man diesmal den provokativen US-amerikanischen Regisseur John Waters, der seine Liebe zu Lucy gesteht und seine Begründungen dafür mit genauestens Panel-Angaben als Quellen belegt. Auf ähnliche Weise lobt er Schulz‘ Zeichenstil, bringt eine Reihe von Strips mit damals zeitgenössischen Themen in Verbindung und, für Cineastinnen und Cineasten besonders interessant: zählt auf, welche Einflüsse welche Peanuts-Figuren oder -Topoi auf seine Filme hatten. Nicht minder aufschlussreich ist wie üblich das Glossar, das aus heutiger mitteleuropäischer Sicht erklärungsbedürftige Strips erläutert und auf möglicherweise sinnverändernde deutsche Übersetzungen hinweist. Gary Groths bekanntes Nachwort und der Stichwortindex runden auch diesen Band ab.

Los geht’s mit Snoopy in seiner Paraderolle als Flieger-Ass auf der Jagd nach dem Roten Baron, eine Rolle, in die er in diesen zwei Jahren so oft wie nie zuvor schlüpfen wird. Kurioser- und beschämenderweise erscheint Linus‘ Angst vor der Masernimpfung vom 2. bis 7. Januar 1967 aktueller denn je. Am Valentinstag sind die zahlreichen Karten, die Snoopy erhält, auch ein Indiz für die überbordende Beliebtheit speziell dieser Peanuts-Figur. Der Running Gag um Charlie Browns Unfähigkeit, einen Papierdrachen in der Luft zu halten, wird um den „drachenfressenden Baum“ erweitert, wofür am 2. März 1967 sogar das Vier-Panel-Prinzip aufgebrochen wird. Mit José Peterson wird am 20. März ’67 eine neue Figur eingeführt, der jedoch keine allzu lange Existenz im Ensemble vergönnt sein sollte. Snoopy erfreut sich weiterhin an den Imitationen anderer Tiere und mimt im März ’67 gar einen Piranha, seine bevorzugte Inspiration bleiben aber Geier. Ein Woodstock verdammt ähnlich sehender, aber noch namenloser Vogel landet Anfang April auf Snoopys Hütte. Eine „Alice im Wunderland“-Hommage, genauer: an die Grinsekatze findet sich am 18. April ’67, wenn Linus die Geschichte liest und Snoopy in die Katzenrolle schlüpft.

Eben jener Beagle verliebt sich am 5. Juni ’67 in Twiggy, jenes reale, damals angesagte Fotomodell, und Charlie Brown bekommt wieder Frühlingsgefühle wegen des, na klar, kleinen rothaarigen Mädchens – im Gegensatz zu Snoopys kurzer Schwärmerei ein nahezu traumatischer Dauerzustand Charlies. Im Ferienlager treffen Charlie und Snoopy wieder auf Peppermint Patty, die zwei Jahre zuvor eingeführt worden war. Doch auch dort sind zu Charlies Verdruss Leistungsdruck, Hohn und Spott an der Tagesordnung. Ganz wie beim Baseball also, bei dem Charlie weiterhin an seiner Mannschaft verzweifelt. Weitere wiederkehrende Späße sind der obligatorische Football-Tritt Charlies, der große Kürbis, auf den Linus jedes Halloween vergeblich wartet, und natürlich Lucys Psychoberatungen und ihre einseitige Liebe zu Schroeder, der übrigens 1967 glatt Beethovens Geburtstag vergisst! Am 12. Juli 1967 greift Schulz erstmals das Hippie-Phänomen auf, jedoch ohne es zu vertiefen. Snoopy tanzt ab Herbst ’67 mit Vorliebe und trainiert im Winter Eiskunstlauf für die Olympiade in Grenoble. Im November tauscht Charlie seinen Hund doch tatsächlich bei Peppermint Patty gegen fünf gute Baseballspieler ein, eine sich über mehrere Strips ziehende Handlung, die leider schon am 20. November ’67 endet – daraus hätte man weitaus mehr machen können.

Wie eine Art Retourkutsche dafür, löst Snoopy im Frühjahr 1968 Charlie kurzzeitig als Kapitän des Baseball-Teams ab. Linus sorgt sich, dass seine Lieblingslehrerin Fräulein Othmar ihn nicht mehr mögen könnte, während Snoopy die Sportart wechselt: Statt Eiskunstlauf trainiert er nun für die Weltmeisterschaft im Armdrücken, die in Petaluma stattfinden soll. Das ist alles unterhaltsam und komisch, andere Ereignisse dieses Jahres sind jedoch von größerer Bedeutung: Am 18. Juni 1968 betritt Peppermint Pattys Freundin Marcie erstmals die Bildfläche, damals leider noch unter anderem Namen. Eine sehr pointierte Figur, die perfekt bestimmte Charaktereigenschaften karikiert und wie zuletzt auch Patty zeigt, wie gut Schulz das Entwerfen spannender, memorabler neuer Figuren inzwischen gelang. Noch bedeutender ist es, dass sich Schulz am 6. Juli erstmals eindeutig politisch positioniert, indem er Snoopy hinter einem an die Ikonografie der Black-Power-Bewegung angelehnten Plakat unterstützend herlaufen lässt. Und wer das noch nicht verstanden hatte oder nicht verstehen wollte, durfte sich am 31. Juli 1968 über eine neue Figur namens Franklin freuen respektive ärgern, einen schwarzen Jungen, mit dem sich Charlie Brown anfreundet. Das sorgte in den rassistischen USA für Unruhe, einige Zeitungen verweigerten den Abdruck dieser Comic-Strips.

Am 10. August 1968 wird Snoopys Geburtstag gefeiert und immer mal wieder wird eine Ex-Was-auch-immer Snoopys namens Lila erwähnt, deren Kontakt er fürchtet und sich verbittet wie ein gebrannter Mann. Doch am 24. August besucht er sie im Krankenhaus, sie entpuppt sich als blondes Mädchen. Zu Charlies Entsetzen stellt sich heraus, dass es sich bei Lila um Snoopys Vorbesitzerin handelt! Strips voller Melancholie, aber auch Herzenswärme – wunderbar. Snoopys Vermenschlichung führt unterdessen so weit, dass er im Herbst ’68 sogar die Schule besuchen möchte – keine Hundeschule, wohlgemerkt. Nach Eiskunstlauf und Armdrücken entdeckt er auch das Eishockeyspiel für sich, was jedoch zu erhöhter Aggression führt, unter der andere leiden müssen – obwohl er allein spielt…

Nachdem Schulz in den Jahren 1965/’66 entscheidende Weichen für die weitere Entwicklung seiner Reihe gestellt hatte, kamen insbesondere 1968 die letzten Puzzlestücke hinzu, die zukünftig viele weitere Jahrzehnte lang das Bild der Peanuts prägen sollte. Das macht diesen neunten Band der bis hierhin geradezu perfekten Werkausgabe zum sich bisher am komplettesten anfühlenden. Charlie Brown ist mit seinen Versagensängsten und den daraus resultierenden tatsächlichen Unzulänglichkeiten und depressiven Verstimmungen weiterhin der neben Snoopy dominanteste Charakter, der jedoch nur Teil eines Mikrokosmos voller zu ausdrucksstarken Charakteren gereiften Figuren ist, die zahlreiche weitere menschliche Emotionen und Facetten abdecken und entscheidend zum unverwechselbaren „Peanuts“-Humor, -Lebensgefühl und -Lesespaß beitragen.

Officine Grafiche Arnoldo Mondadori – Schindel-Schwinger: Kampf um Flohheim – Band 5: Schwindel-Schwinger sprengt die Spielbank

„Schindel-Schwinger: Kampf um Flohheim“ war eine von 1975 bis 1977 im Illu-Press-Verlag in Form rund 50-seitiger großformatiger Softcover-Alben erschienene Comicreihe aus der Feder Peter Schulz‘ und Michael Rybas. Die auf drei Seiten umrissene Rahmenhandlung dieser vollfarbigen Anarcho-Funnys bilden die verzweifelten Versuche Gottes, seine „Proben“, Prototypen von Geschöpfen, die es eigentlich nicht bis zur Schöpfung geschafft haben, wieder einzufangen, nachdem er diesen irren Kreuzungen aus Merkmalen verschiedenster Tiere mit den Attitüden unterschiedlichster Menschen versehentlich Leben eingehaucht und sie entkommen lassen hat. Am Tullamore-Fluss haben sie die Stadt Flohheim gegründet, wo sie aber nicht in Frieden leben können, weil Gott sowohl Petrus als Luzifer auf sie gehetzt hat. Wer sie einfängt und ihm wiederbringt, soll später einmal die Erde beherrschen dürfen.  Doch die Bewohnerinnen und Bewohner Flohheims wissen sich zu wehren.

Der namengebende Schwindel-Schwinger ist eine dieser „Proben“, ein Wesen mit Echsenkörper, Riesenfüßen, Pferdekopf, blonder Mähne und Boxhandschuhen sowie einem großen Ego. Auch andere Flohheimer werden auf einer Doppelseite zum Einstieg vorgestellt. In diesem fünften Band aus dem Jahre 1977, den ich kürzlich auf einem Flohmarkt fand, lässt Petrus Schindel-Schwinger entführen. Im Casino Santa Moneta sollen die anderen Proben um seine Freiheit spielen. Natürlich hat er entsprechende Vorkehrungen getroffen, damit dies nicht erfolgreich für die Proben ausgehen kann. Doch Luzifer will auch mitspielen, Schindel-Schwinger gelingt die Flucht und letztlich werden Petrus‘ und Luzifers Banden kräftig ausgenommen.

Ein Mikrokosmos absonderlicher Figuren mit individuellen Charaktereigenschaften, die sich mit List und Tücke fremder Invasoren erwehren müssen – das erinnert sicherlich nicht von ungefähr an Asterix und die anderen Gallier. Alleinstellungsmerkmal ist hier jedoch der freche, provokante antiklerikale Witz. Einige Seiten wurden mit amüsanten Fußnoten angereichert, auch das erinnert ein wenig an Asterix & Co. Auf Seite 13 finden sich Anspielungen auf die kubanische Revolution und in den Dialogen einige Wortwitze. Der ständig betrunkene Bürgermeister Bimmel-Beule geht als Verballhornung von Politikern durch, während die gesamte Reihe eine Parabel auf ein Leben ohne religiöse Zwänge zu sein scheint.

Und trotzdem wollte der Funke nicht 100%ig auf mich überspringen. Der unglaubliche Grund: Dieser fünfte Band ist eine dreiste Fälschung! Nachdem sich der Verlag offenbar nicht mit den Autoren Schulz und Ryba auf eine kindgerechtere Ausrichtung einigen hatte können, ließ er diesen Band mit ihnen unabgesprochen von einem italienischen Studio zeichnen und veröffentlichte das Resultat unautorisiert. Damit war das Band zwischen den Autoren und dem Verlag natürlich zerschnitten, der auf der Rückseite noch angekündigte sechste Band erschien nicht mehr und die Reihe wurde eingestellt. Zwar kenne ich die vorausgegangenen Bände nicht, doch anhand von Bildern im Netz lässt sich tatsächlich ein Unterschied in der zeichnerischen Qualität ausmachen. Im (natürlich höherwertigen) Original erinnert mich der Zeichenstil ein wenig an die Trickserie „Die Bluffers“.

Ich wollte einen launigen Comic mit Kellergeruch vom Flohmarkt – und erhielt eine unfassbare Kapriole deutscher Verlagsgeschichte…

Wolfgang Sperzel – Rast(h)aus

Nachdem Wahlhamburger und Comiczeichner Wolfgang Sperzel 1989 im Semmel-Verlach mit seinem Album „Kabelbrand im Herzschrittmacher“ debütiert hatte, folgte zwei Jahre später ebendort der Nachfolger „Rast(h)aus“. Das großformatige Softcover-Album umfasst rund 50 vollfarbige, handgeletterte Seiten mit dynamischen Panel-Grids, die vor allem eines sind: ein im Funny-Stil gezeichneter Amoklauf gegen die Hamburger Verkehrssituation.

Held des Comics ist Spoil, der mit Erfinder Tiewie und einer gelben Rüsselzwergsau in einer Wohngemeinschaft in der Schanzenstraße direkt an der Hamburger S-Bahnstation Sternschanze lebt. Echte Orte in der Schanze sind hier mühelos wiedererkennbar, die Rote Flora zierte noch die Aufschrift des einst dort untergebrachten Einzelhandels „1000 Töpfe“ – ein Stück Zeitgeschichte, drumherum jedoch Verkehrschaos, von dem Tiewie und Spoil derart genervt sind, dass sie zur Sabotage greifen. Spoil wird zu Super-Spoil, dem Rächer der Entnervten. Aus Beidem – dem ohnehin schon gegebenen Verkehrschaos und den gefährlichen Eingriffen durch die WG-Bewohner – resultieren aberwitzige Kettenreaktionen, teilweise geht’s hier zu wie in einem Jump’n’Run. Später wird sogar die Sternbrücke zerstört und entgleist ein Zug. Weitere Schauplätze sind der Feldstraßenbunker und die Reeperbahn.

Sperzel persifliert den Autofetisch männlicher Fahrer, auch die Werbebranche kriegt ihr Fett weg, ferner wird gegen BMW- und Mercedes-Konzernbosse geschossen und deren Einfluss auf eine korrupte Exekutive thematisiert, die hier ebenfalls nicht gut wegkommt. Ein Zeitreisen-Topos ergänzt den Anarcho-Comic um ein phantastisches Element. Ein wenig Eigenwerbung für sein erstes Album in die Handlung zu integrieren, ließ sich Sperzel ebenso wenig nehmen wie wahrscheinlich die diebische Freude daran, seine Aggressionen in Form dieses auf hohem Funny-Niveau gezeichneten Comics abzubauen. Schade nur, dass der Verlag auf Seitenzahlen verzichtete.

Viel zu viel überflüssiger Individualverkehr in den Innenstädten Autolobby-Deutschlands ist leider noch immer ein Problem, das man auch als Nicht-Autohasser scheiße finden kann. Jetzt würde mich nur noch interessieren, wie ausgerechnet jemand wie Sperzel später als Zeichner bei der Auto-Bild landete…?! Davon unabhängig hat mir dieser Flohmarktfund so viel Spaß gemacht, dass ich mir im Anschluss auch sein Debüt antiquarisch besorgt habe. Dazu später mehr.

Barks Library Special: Daniel Düsentrieb 3

Einer der Ableger der herkömmlichen Barks Library des Ehapa-Verlags, die sämtliche Comics des Erfinders der Familie Duck, Carl Barks, umfasst, ist die sechs Alben umfassende Daniel-Düsentrieb-Reihe, die sich ganz dem Entenhausener Erfinder widmet. Dieser mir vorliegende dritte Band der Reihe erschien im Jahre 1994 und enthält auf rund 60 Seiten sieben mehrseitige Geschichten, zwei Onepager sowie einen zweiseitigen Essay Geoffrey Blums und den ersten Teil eines Nachschlagewerks der Erfindungen Düsentriebs und ihres Auftauchens in den Comics. Das Inhaltsverzeichnis gibt zudem Auskunft über die US-amerikanischen und deutschen Erstveröffentlichungen. Einer der Onepager und eine mehrseitige Geschichte wurden hiermit erstmals in Deutschland veröffentlicht und eigens von Stammübersetzerin Dr. Erika Fuchs übersetzt. Alle Comicseiten sind koloriert.

Solche comicarchäologischen Sammlereditionen gefallen mir ja, doch als die Barks Library seinerzeit ins Leben gerufen worden war, war ich als minderjähriger Schüler finanziell viel zu klamm, um sie zu sammeln. Später hatten sich meine Interessen und Prioritäten verschoben. Diesen Daniel-Düsentrieb-Band aber habe ich in einem Tauschschrank entdeckt und mir natürlich gleich angeeignet.

Die erste (und längste) Geschichte des Bands, „Erfinderpech“, setzt sich auf humorvolle Weise mit einer Auftragsflaute beim Entenhausener Erfinder Düsentrieb auseinander und persifliert dabei zugleich die Probleme Selbständiger, einen Markt für ihre Produkte oder Dienstleistungen zu finden. Marktschreierisch zieht Düsentrieb durch die Straßen, auf der Suche nach Kundinnen und Kunden mit Erfindungsbedarf. Zweifelhaften Erfolg hat er bei Donald Duck, der eine Erfindung gegen den Lärm benötigt, den seine drei Neffen fabrizieren. Der „Schalllöscher“ verursacht jedoch mehr Probleme als er löst; das Chaos nimmt seinen Lauf, als Laub im Garten Feuer fängt. Ohne sein Helferlein, Düsentriebs vermutliche genialste Erfindung, sähen er und die Ducks ganz schön alt aus. „Erfinderpech“ warnt vorm vorschnellen Einsatz vermeintlich bequemer Erfindungen und wartet mit netten Hintergrunddetails auf, hier das Damespiel des Helferleins gegen den Duck’schen Familienhund. Die von Dr. Erika Fuchs aus Heinrich Seidels adaptierte Redewendung „Dem Ingeniör ist nichts schwör“, die sie wiederholt Düsentrieb in den Mund legte, fällt auch hier – und Tick, Trick und Track sind aufgrund identischer Kostümmützen für ihr lärmendes Spiel nicht voneinander zu unterscheiden.

Die Geschichte „Die störrische Störchin“, in der Onkel Dagobert Düsentrieb bittet, ihm bei der Umsiedelung eines Storchennests behilflich zu sein, ist von Tierliebe und Verständnis für die Natur geprägt. Die Pfadfinder vom Fähnlein Fieselschweif können helfen, aber letztendlich ist Düsentrieb der Dumme, der vor Dagoberts Geiz kapitulieren muss.

In „Wellensalat“ benötigt Oma Duck Ersatz für ihr kratzendes Grammophon von Düsentrieb, damit sie ihren Kühen weiterhin deren Lieblingsmusik ohne Störgeräusche vorspielen kann. Der Schallwellenerzeuger, den er ihr installiert, beglückt auch sämtliches andere Vieh auf dem Hof, doch das versehentlich magnetisierte Helferlein verstellt ihn durch einen Unfall, sodass furchtbarer Krach die Folge ist. Ein glücklicher Zufall ist es jedoch, dass ausgerechnet dieser infernalische Lärm fast alle Fleißarbeiten auf dem Hof wie Holzhacken und Heumähen erledigt.  Glück im Unglück bzw. der Zufall ist manchmal der beste Erfinder, was auch die Aussage dieser eher einfach gestrickten Geschichte sein dürfte.

Mit dem notorischen Glückspilz Gustav Gans muss sich Düsentrieb in „Der geborene Erfinder“ herumplagen, was zu spannenden Ansichten der Unterwasserwelt des Entenhausener Hafens führt und natürlich Gustav am Ende wesentlich mehr Ertrag einbringt als Düsentrieb. Ohne das Helferlein geht wieder einmal nicht viel, am Ende steht die Erkenntnis: „Als geborener Erfinder soll man sich nicht wie ein Geschäftsmann benehmen.“

 Einen Schritt seinem Erfinder voraus ist das Helferlein auch im titellosen ersten Onepager, im zweiten sorgt man bei einem gemeinsamen Restaurantbesuch für Verblüffung. Jenes Helferlein ist es auch, das Düsentrieb mit seiner Übersicht und einer List den Sieg beim Erfinderkongress über den unfairen Teilnehmer Herrn Murr (der starke Ähnlichkeit mit Kater Karlo aufweist) sichert – ganz ähnlich wie beim spannenden Motorbootrennen in „Eine großartige Leistung“, bei dem es den Ausfall sämtlicher erfundener Elektrotechnik kompensieren muss.

Düsentrieb ist häufig also eher eine tragische Gestalt, dem man als Leserin oder Leser aber stets gönnt, mit allem glimpflich davonzukommen – denn Böses führt er nie im Schilde, vielmehr hat er mit den Tücken seines Berufs, seinem Optimismus in Bezug auf seine Erfinderleidenschaft und zuweilen einer gewissen Zerstreutheit zu kämpfen. Die meisten Barks’schen Comics verfügen über einen entwaffnenden Humor und eine solch liebevolle Figurenzeichnung (in doppelter Hinsicht), dass sie auch Erwachsenen angenehm kurzweilige Freizeitlektüre sind – zumal sie als Teil des Entenhausener Universums einer faszinierenden Parallelwelt angehören, in die man auch im höheren Alter doch immer mal wieder gern einen Schritt setzt.

Die Entwicklung der Barks-Comics in chronologischer Reihenfolge anhand der Barks-Library-Reihe nachzuvollziehen, wäre mit Sicherheit eine spannende pop- und literaturkulturelle Zeit- und Entdeckungsreise…

Sören Olsson / Anders Jacobsson – Berts jungfräuliche Katastrophen

Katastrophen und kein Ende in Sicht – so nicht nur in der realen Welt, sondern auch in der relativ behüteten des pubertierenden schwedischen Jungen Berg Ljung, „Held“ einer fünfzehnbändigen Jugendbuchreihe der schwedischen Vettern, Lehrer und Schriftsteller Sören Olsson und Anders Jacobsson. Diese enthalten Berts Tagebucheinträge vom zwölften bis zum 17. Lebensjahr und bilden so etwas wie eine launige, sich eigentlich eher an Gleichaltrige richtende Coming-of-Age-Reihe, die zwischen 1987 und 1999 im schwedischen Original und zwischen 1990 bis 2005 in den deutschen Fassungen bei der Verlagsgruppe Friedrich Oetinger erschien.

Wer meine Buchkritiken verfolgt, weiß, dass es sich bei meinen Exemplaren um Tauschschrankfunde handelt, auf die ich mit durch mein Faible für comichafte, bunte Covergestaltung (auch dieses ist wieder ein echter Hingucker) und Coming-of-Age-Geschichten aufmerksam wurde, durch die ich mich bisher aber mehr durchquält habe als dass ich sie genossen hätte – was sich erst mit dem siebten Band „Berts Megakatastrophen“ änderte. „Berts jungfräuliche Katastrophen“ sind dessen direkte Fortsetzung aus dem Jahre 1995 (Schweden) bzw. 1997 (Deutschland). Einmal mehr versuchen sich Olsson und Jacobsson an der Perspektive eines (sporadisch, nicht täglich) tagebuchschreibenden Jugendlichen, um ihre Zielgruppe zu unterhalten und im Idealfall den einen oder anderen Erkenntnisgewinn zu vermitteln, ein bisschen durch die Pubertät zu helfen.

Mit rund 150 Seiten im relativ großzügigen Zeichensatz fällt dieser Band 8 wieder etwas schmaler als der Vorgänger aus. Wie üblich sorgen Sonja Härdings cartooneske Bleistiftzeichnungen für zusätzliche Auflockerung. Im Gegensatz zu Band 7 ist man (bzw. Bert) wieder dazu übergegangen, seine Einträge mit dem jeweiligen Datum zu versehen. Der Zeitraum erstreckt sich vom 25. Dezember bis zum 11. Februar. Bert ist solo, aber notgeil und macht auf cool. Sein potenzielles erstes Mal verpatzt er im Rahmen einer privaten Hausparty (dem Schrecken aller Eltern) allerdings grandios. Seine Mutter bekommt eine Midlife-Krise, seine Eltern streiten sich ständig und können nichts mehr miteinander anfangen, die Oma wird krank. Inmitten dieser Gemengelage sieht sich Bert mit typisch pubertären Irrungen und Wirrungen, einem unklaren Verhältnis zu seiner Ex-Freundin Nadja und nicht zuletzt daraus resultierenden handfesten Enttäuschungen ebenso konfrontiert wie mit sich aufgrund eigener Freundinnen abkapselnder Freunde.

Vieles wird karikierend bis nahezu satirisch überspitzt dargestellt, was gar nicht schlecht mit Berts Bemühen um Abgeklärtheit und der Weltsicht eines glücklicherweise nicht unter Halbstarkendepressionen oder dem Borderline-Syndrom leidenden Heranwachsenden korrespondiert – in dieser Hinsicht haben die Autoren das Authentizitätsproblem bewältigt, das ich mit früheren Bänden hatte. An anderer Stelle verspüre ich eben dieses dann aber doch wieder: Bert ist 15, fast 16, aber gegen Alkohol. Ist das typisch Schweden? Wohl eher nicht, sondern vielmehr ein Versuch, der schwedischen Staatsräson folgend Alkoholgenuss zu verteufeln. Kein Wunder, dass es bei Bert nichts mit dem Pimpern wird…

Dieser schließt seine Tagebucheinträge hier übrigens stets mit einem kleinen Gedicht, aber keine Sorge: Von einem Lyrikband sind „Berts jungfräuliche Katastrophen“ weit entfernt. Wie der Vorgänger endet auch diese Fortsetzung mit einem Cliffhanger, kurz vor Berts 16. Geburtstag: Wird er mit Nadja Sex haben? „Berts jungfräuliche Katastrophen“ sind ein einfaches, meist recht oberflächliches, aber durchaus kurzweiliges Vergnügen, das eine erwachsene Leserschaft in erster Linie daran erinnern dürfte, weshalb es ein Segen ist, kein Teenager mehr zu sein. Bislang der stärkste Band der Reihe.

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