Günnis Reviews

Kategorie: Bücher (page 10 of 22)

Michele Avantario / Klaus Sieg / Thomas Henning – Das schwarze Hamburg-Buch. Mord, Skandal, Gewalt und Schrecken in der schönsten Stadt der Welt

Das 2016 im Hamburger Junius-Verlag erschienene „Schwarze Hamburg-Buch“ der freien Hamburger Journalisten Avantario und Sieg, illustriert von Arbeiten des Hamburger Fotografen Thomas Henning, konzentriert sich auf rund 180 schwarzen Seiten aus mattem Kartonpapier auf die dunklen Seiten der allseits beliebten Hansestadt-Metropole in Deutschlands Norden. Rund 60 ein bis drei Seiten kurze und um ein seitenfüllendes Foto ergänzte Einträge gehen dahin, wo es wehtut – und beschränken sich mitnichten auf das wohl düsterste Kapitel deutscher Geschichte, die NS-Diktatur: Mord und Totschlag, Polizei- und Justizwillkür, Sadismus, Terror, Umweltverbrechen, Sklavenhandel und Dergleichen mehr ziehen sich (auch durch die jüngere) Stadtgeschichte, an vieles erinnere ich mich selbst nur zu gut: Sei es, als der geisteskranke Rechtspopulist Ronald Schill durch die Stimmen von Hamburgerinnen und Hamburgern ins Rathaus gewählt wurde, sei es die Schande des Eppendorfer Universitätsklinikums, als die rassistische Hamburger Polizei den des Drogendealens verdächtigen Achidi John in Komplizenschaft mit einer Medizinerin mit einem Brechmittel zu Tode folterte, oder sei es auch, als Scharlatane der Alster-Klinik das Pornosternchen „Sexy Cora“ alias Carolin Wosnitza mit der x-ten Busenvergrößerung aus Geldgier ins Grab brachten. Andere aufsehenerregende, aber sich vor meiner Zeit zugetragen habenden Fälle wie die abscheulichen Verbrechen Fritz Honkas gehören längst zur Hamburger Folklore, so einiges war mir aber tatsächlich neu oder wurde zumindest noch einmal ins Gedächtnis gerufen. Klar, eine Millionenmetropole bringt auch viele Sozio- und Psychopathen hervor – und dieses Buch beweist eindrucksvoll, dass sich Hamburg diesbezüglich nicht zu verstecken braucht. Mit seinen Ortsangaben empfiehlt es sich in seinem schnieken matten Einband auch als morbider alternativer Stadtführer, zumal auch stets auf etwaige Mahnmale, Gedenktafeln u.ä. hingewiesen wird. „Das schwarze Hamburg-Buch“ hält die Erinnerung an eine ganze Reihe spektakulärer, widerwärtiger und erschreckender Taten und Ereignisse aufrecht und hat diese zu einer meist gut (statt reißerisch) geschriebenen, präzise pointierten und somit seinen Themen zum Trotz angenehm zu lesenden Sammlung verdichtet, die eine echte Alternative zu den oberflächlichen Hochglanzprodukten der Tourismusindustrie darstellt. Und wäre dieses Buch nur wenige Monate später erschienen, hätte es mit dem völlig irrsinnigen, brutalen Durchboxen des G20-Gipfels durch die damalige versammelte, ebenso größenwahnsinnige wie unzurechnungsfähige Hamburger Faschistoidenschar aus „König“ Olaf Scholz, Hartmut Dudde, Andy (Verbote-)Grote und ihren Handlangern Stoff für mindestens ein weiteres Kapitel gehabt.

Fabien Sanglard – Game Engine Black Book: Wolfenstein 3D (1st Edition)

„Eine kleine Amerikaner…“

Der texanische Spielehersteller id software um Tom Hall, John Romero sowie Adrian und John Carmack revolutionierte Anfang der 1990er die Spielewelt mit seinem Kultspiel „Wolfenstein 3D“. Der Name ging zurück auf „Castle Wolfenstein“ aus dem Jahre 1981, einem zweidimensionalen Spiel von Muse Software. Vor „Wolfenstein 3D“ hatte id software im Jahre 1991 bereits die Titel „Hovertank 3D“ und „Catacombs 3D“ veröffentlicht, die bereits einiges vom typischen Wolf3D-Gameplay vorwegnahmen: In „Hovertank 3D“ steuerte man einen Panzer aus der Ego-Perspektive, in „Catacombs 3D“ schlüpfte man in die Rolle eines Zauberers, der aus seiner Hand Feuerbälle auf Dämonen, Orks und ähnliche Fantasy-Gestalten abfeuerte. Doch der erste echte, die 256 Farben umfassende Palette der VGA-Grafikkarte ausreizende First-Person-Shooter und damit Vorläufer solch populärer Spiele wie „Doom“, „Quake“ (beide ebenfalls von id) bis hin zu „Call Of Duty“, „Counterstrike“ und Konsorten war das 1992 veröffentlichte „Wolfenstein 3D“, in dem man sich als Naziperforator B.J. Blazkowicz in gerenderten Dungeon-ähnlichen Katakomben durch eine Vielzahl Nazi-Soldaten metzelt und schließlich gar gegen Hitler persönlich antritt. In Deutschland war man davon behördlicherseits gar nicht begeistert und beschlagnahmte das Spiel, doch natürlich verbreitete der als Shareware vertriebene Spaß sich in Windeseile in der PC-Gamer-Szene. PC? Ganz recht: Bereits damals setzte id software auf den PC als Haupttechnologie, obwohl er so viele Jahre gegen wesentlich stärker auf die Bedürfnisse von Spieleentwickler(inne)n und Spieler(inne)n zugeschnittene Heimcomputer wie den C64, den Atari ST oder den Amiga den Kürzere gezogen hatte. In technischer Hinsicht änderte sich dies Anfang der 1990er mit der Etablierung der 386er-Prozessoren und dem Siegeszug der VGA-Karten. Auch dies war ein Grund für die revolutionäre Wirkung von „Wolfenstein 3D“.

Der Franzose Fabien Sanglard liebt es, sich mit den Quelltexten alter PC-Spiele auseinanderzusetzen, sie auf Herz und Nieren zu analysieren und zu verstehen. Dies tat er auch mit dem „Wolfenstein 3D“-Code, den id software einige Jahre nach Veröffentlichung des Spiels freigegeben hatte. Die Ergebnisse hat er im 2017 im Print-on-Demand-Verfahren herausgegeben „Game Engine Black Book: Wolfenstein 3D“ auf über 310 Seiten in einfacher, allgemeinverständlicher englischer Sprache zusammengefasst. Und das Tolle ist: Man muss kein(e) Programmierer(in) sein, um an diesem Buch seine Freude zu haben. Sanglard konnte id-Entwickler John Carmack zur Mitarbeit gewinnen und nimmt einen nach dessen Vorwort mit auf eine wohlstrukturierte Zeitreise ins PC-Jahr 1992. Nahezu jedes Kapitel beginnt mit einer Einführung, die den damaligen Stand der technischen Möglichkeiten skizziert und computerhistorisches Wissen aufbereitet. In Kombination mit zahlreichen, teils herrlich nerdigen Trivia und humorvollen Anekdoten Carmacks erhält man einen ebenso spannenden wie unterhaltsamen und lehrreichen Einblick in die hürdenreiche Pionierarbeit, die damals in Sachen PC-Spiele geleistet wurde. Wer sich bereits anno ‘91/‘92 mit Heimcomputern beschäftigt hat, wird einiges wiedererkennen – auch ohne selbst Entwickler(in) gewesen zu sein. Zahlreiche Screenshots aus dem Spiel, vom Quelltext, aus Entwicklungstools und von der DOS-Ebene, Abdrucke von README.TXT-Dateien sowie Fotos historischen Equipments und des id-Teams haben also auch denjenigen jede Menge Retro-Lesevergnügen und -Augenschmaus zu bieten, die nicht in die tiefgehenden Quelltextanalysen miteinsteigen können oder wollen.

Wer es doch tut, dürfe in den Kapiteln, die von der Prozessorverarbeitung und der Speichernutzung über Grafik- und Sound-Entwicklung/-Ausgabe bis hin zu den verschiedenen Eingabegeräten alles abdecken und um zahlreiche Skizzen und Tabellen ergänzt werden, glücklich werden und vermutlich gerade auch als Anfänger viel über die Funktionsweise von PCs und ihre Programmierung lernen können. Gerade für Retro-Gamer hochinteressant dürfte auch das Kapitel über die Portierung des Spiels auf andere Plattformen bis hin zu Arcade-Automaten und jüngst das iPhone sein. Mit seinem Themenumfang geht dieses „Game Engine Black Book“ also wesentlich tiefer als es Hintergrundartikel in entsprechenden Zeitschriften könnten und rechtfertigt damit letztlich auch seinen stolzen Special-Interest-Preis von 40,- EUR. Als etwas lieblos empfand ich lediglich eine offenbar unüberarbeitet/-lektoriert übernommenen Nachricht Carmacks oder eines anderen damals Involvierten, die ich beim raschen Durchblättern aber ehrlich gesagt nicht mehr wiedergefunden habe. Möglicherweise wurden dieser und der eine oder andere Schnitzer in aktuelleren Ausgaben ohnehin ausgemerzt.

Mad-Taschenbuch Nr. 26: Antonio Prohias – Der 4. Geheimband von Spion & Spion

Im Jahre 1980 erschien der vierte „Spion & Spion“-Band innerhalb der deutschen „Mad“-Taschenbuchreihe im Williams-Verlag, der im US-amerikanischen Original bereits 1974 veröffentlicht worden war. Wie gehabt füllen je ein oder zwei Panels die rund 160 unkolorierten, nun wieder nummerierten Seiten, auf ein Vorwort wurde diesmal ebenso verzichtet wie auf die Alliterationen in den Titeln der zwölf Geschichten. Der schwarze und der weiße Spion bekriegen sich erneut ebenso dialogfrei wie erbarmungslos, über ihre Hintergründe erfährt man nichts. Sie repräsentieren das Schwarzweiß-Denken des Kalten Kriegs, das Prohias unter Aussparung jeglicher darüber hinausgehender politischer Kommentare durch den Kakao zieht. So weit, so bekannt. Eine neue Dimension jedoch dürfte die Kreativität und gleichermaßen Absurdität erreicht haben, mit denen sich die beiden Spitznasen gegenseitig Fallen stellen, die stets in verheerenden Explosionen, Unfällen oder Verletzungen münden. Die Unvorhersehbarkeit dieser abstrusen Kettenreaktionen ist es dann auch, die den Spaßfaktor dieses weiteren Spionage-Handbuchs ausmacht, und man kann sich nur wundern, woher Prohias seine aberwitzigen Einfälle nimmt. Die konsequente Reduktion auf dieses Konzept bei gleichzeitig überschäumendem Konstruktionsgeist, um bei stets gleichem Ausgang die im Prinzip immer selbe Geschichte auf vollkommen neue Weise zu erzählen – das ist es, was diese Comics zum Kult machte und einen Eindruck davon vermittelte, auf welch unterschiedliche Weise man sich gegenseitig nach dem Leben trachten kann, wenn es der einzige Inhalt der eigenen Existenz ist. Inspirierend!

Charles M. Schulz – Die Peanuts: Werkausgabe, Bd. 3: 1955 – 1956

„Die Menschen verlieren einfach ihren Sinn für Humor… Es muss an all den Abenteuer-Comics liegen.“ – Charlie Brown am 3. April 1956

Der dritte Band der „Peanuts“-Werkausgabe des Hamburger Carlsen-Verlags umfasst auf 330 Seiten die Jahre 1955 und 1956 der Reihe, also sämtliche damals täglich in diversen Tageszeitungen erschienenen unkolorierten Comicstrips inkl. der Sonntagseiten in ihren deutschen Überstetzungen, ergänzt um eine wunderbar ehrerbietende vierseitege Einführung des „Die Simpsons“-Vaters Matt Groening. Die Doppelseite mit dem Schulz charakterisierenden Nachwort Gary Groths ist indes identisch zu der aus Band 2.

Das Cover ziert diesmal Pig-Pen, der seit Juli 1954 das Figurenensemble bereichert. Am 23. Juli 1955 ist er erstmals sauber zu sehen. Weitere Premieren: Mitte September 1955 spricht Lucys kleiner Bruder Linus erstmals, die Brabbelphase hat er anscheinend übersprungen. Als Running Gags werden Snoopy und das Crocket-Spiel, Linus’ Ausruf „Da kräht in fünfhundert Jahren kein Hahn mehr nach!“ sowie seine Marotte, Daumen und Zeigefinger zu einem Colt zu formen und damit zu „schießen“ – meist auf seine Schwester, wenn sie ihn besonders nervt –, etabliert. Doch am längsten dürfte sich das wiederkehrende Motiv Charlies vergeblicher Versuche, einen von Lucy gehaltenen Football zu treten, gehalten haben, das in diesem Band ebenfalls seinen fröhlichen Einstand feiert. Bereits 1955 sind Allsatelliten und eine mögliche Mondlandung Thema und im Dezember liegt Schnee, Silvester und der Jahreswechsel werden ’55/’56 jedoch kurioserweise von Schulz komplett ignoriert und bleiben unthematisiert.

Dem Verständnis dienlich ist das Glossar im Anhang, das u.a. die von den Peanuts aufgegriffene Begeisterung für einen gewissen Davy Crockett erklärt: Es handelte sich um einen US-amerikanischen Nationalhelden, der nach einem von Dezember 1954 bis Februar 1955 ausgestrahlten Disney-Dreiteiler über sein Leben zum Kinderidol avanciert war – was die damalige Obsession für Waschbärenmützen manch Schulz’scher Figur erklärt. Charlies selbstgezeichnete Comics stoßen hingegen noch immer auf keinerlei Interesse und Lucy kann einfach nicht bei Musikus Schröder landen, bildet sich dafür aber immer noch viel darauf ein, die größte Nörgelliese der Welt zu sein.

Snoopy indes entwickelt immer mehr Marotten und ist präsenter als je zuvor: Leidenschaftlich imitiert er andere Tiere und sogar Menschen, was zu den gelungensten Gags dieses Zeitabschnitts zählt. Im Herbst 1956 beginnt er gar, regelmäßig zu tanzen – sehr zu Lucys Leidwesen. Er entwickelt eine Vorliebe für Chopin und wird im hohen Gras klaustrophobisch. Das Zeitgeschehen bleibt nicht auf Davy Crockett und die Raumfahrtfaszination beschränkt: Am 22. Juni 1956 hält der Rock’n’Roll Einzug ins Peanuts-Universum, indem Lucy Elvis Presley für sich entdeckt. Der arme Charlie jedoch wird zunehmend gemobbt, reagiert aber am entnervtesten auf Lucys Versuche, die Welt zu deuten. Damit erinnert sie an all diejenigen, die heutzutage stets im Brustton der Überzeugung ihr Unwissen selbstgefällig in sozialen Netzwerken herausposaunen – und beweist damit die Zeitlosigkeit dieses Comic-Klassikers.

Schulz bleibt seinem Konzept treu, sich ausschließlich auf die Kinder und Charlies Hund Snoopy zu fokussieren und die Erwachsenenwelt weitestgehend auszusparen bzw. lediglich in Gesprächen der zwischen naiv und altklug pendelnden und damit ihren speziellen Charme entwickelnden Kinder untereinander aufzugreifen. Der einzige Dialog mit einer erwachsenen Figur findet am 15. Dezember 1956 statt, als Lucys Mutter ihrer Tochter aus dem nichtsichtbaren Bildbereich heraus eine Antwort zuruft. So lässt es sich gleichsam Freude an den pointierten bis nachdenklichen Comicstrips haben und fasziniert die Evolution der Reihe und des Schulz’schen Konzepts weiterverfolgen sowie ganz allgemein immer wieder darüber staunen, wie für den täglichen schnellen Konsum in den Tageszeitungen auch sich über mehrere Strips verteilende kleine Geschichten ihre tägliche kleine Pointe aufweisen. Eine Kunst der Zeichner von Daily-Strips für sich. Wie gewohnt runden ein Index und eine Vorschau auf den nächsten Band das auf festem Kartonpapier gedruckte Hardcover-Buch ab, dessen Fortsetzung schon bereitliegt. Seine rund 30,- EUR ist dieser mit einiger Restaurationsarbeit seitens des Verlags verbundene Band wert und ich bin froh, kein mittelloses Kind mehr zu sein, das staunend vor diesen hochwertigen Comicausgaben steht, ohne sie sich auch nur ansatzweise leisten zu können. Comic-Geschichtsunterricht vom Feinsten!

TV-Jahrbuch 1992

ISBN: 3-8927779-07-5

Wie der Vorgänger zum Fernsehjahr 1991 erschien auch das TV-Jahrbuch 1992 in der Hamburger Verlagsgruppe Milchstraße, dem Verlag der renommierten „Cinema“-Zeitschrift und der damals noch jungen „TV Spielfilm“. Das Cover zeigt erstmals keine Action-Helden, sondern Joe Dantes „Gremlins“, und bei den Senderlogos ersetzte man Eins Plus durch den neuen Pay-TV-Sender Premiere. Der Umfang blieb mit rund 200 Seiten identisch.

Im Vorwort des im zweiten Halbjahr 1991 erschienenen Buchs weiß Chefredakteur Willy Loderhose: „Der Boom hält an!“ – und meint damit die hohe Frequenz an Spielfilmen im Fernsehen. Wie bereits ein Jahr zuvor erwähnt er mit dem Sender Premiere das damals noch junge Geschäftsmodell Pay-TV, und er kann voller Stolz verkünden, dass die „TV Spielfilm“ alle zwei Woche über eine Million Exemplare verkauft. Für diese wirbt dann auch erneut das Inhaltsverzeichnis, das eine etwas andere Aufteilung bietet: Der separate Erotikbereich wurde gestrichen.

Bevor es zum Herzstück dieses Bands geht, der Vorschau auf im Fernsehen laufende Spielfilme im Jahre 1992, verschafft TV-Spielfilm-Chefredakteur Christian Hellmann bereits einen groben Überblick und untermauert seine Einschätzung, dass die Anzahl der ausgestrahlten Filme weiter zunähme, mit einer konkreten Zahl: Das Publikum mit Kabelanschluss kann aus wöchentlich über 200 Filmen wählen. Mitverantwortlich ist der erst 1989 gegründete TV-Sender Pro7, der sein Hauptaugenmerk auf Spielfilme legte und seinen Marktanteil auf 8,1 Prozent hatte steigern können. Dass dieses Jahrbuch angesichts einer solchen Zahl keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, versteht sich von selbst.

Wie gehabt lebt der Hauptteil des Buchs von seinen Filmvorstellungen und -kritiken mit schönen großen Bildern. Etwas überraschend ist es, dass man mit „Harry und Sally“ eröffnet, als handele es sich um einen der neuen Höhepunkte schlechthin – dabei war der Film bereits 1991 gelaufen und entsprechend im vorausgegangenen TV-Jahrbuch berücksichtigt worden. Allerdings hat man sich die Mühe gemacht, einen neuen Text zum Film zu verfassen. Unter den „Spielfilmen des Jahres“ finden sich darüber hinaus Titel wie „Stirb langsam II“, „Wie spät ist es?“, „Twins“, „Die letzte Versuchung Christi“ oder auch „Stille Tage in Clichy“ und „Nicht ohne meine Tochter“ sowie natürlich „Gremlins“. Und leider handelt es sich bei den Texten abermals um einen kruden Stilmix aus reinen Vorstellungen, sämtliche Handlung vorwegnehmenden Spoilern und mitunter bissigen Kritiken. Hier wäre eine einheitliche Linie wünschenswert gewesen. Ob einige dieser Texte zuvor bereits 1:1 in der „Cinema“ abgedruckt waren (wie noch in den vorausgegangenen Jahrbüchern der Fall), kann ich nicht beurteilen.

Die einzelnen Bestandteile diverser Filmreihen wie der der Monty-Python- und Romy-Schneider-Filme auf Tele5, der ARD-Sommerthriller oder der William-Powell-, Nick-Nolte-,  Robert-Mitchum-, Volker-Schlöndorff und Robert-van-Ackeren-Reihen ebendort  werden knapper abgehandelt, gehen dafür aber mit einigen – durchaus kritischen – filmübergreifenden Informationen und Meinungen einher. Besonders interessant dürften die „Schwule Filme“-Reihe auf 3Sat sowie der John-Carpenter-Kanon im ZDF (!) gewesen sein. Weitere Filmausstrahlungen werden nach Sender sortiert in den „Kurz belichtet“-Übersichten angerissen, einige, insbesondere weitere eigentlich interessante Reihen wie Blake Edwards auf Pro7 oder Curd Jürgens sowie polnische ’80er-Filme auf 3Sat finden leider nur noch ohne jegliche Begleitinformation in Listenform statt, und erneut trifft es diesbezüglich Tele5 besonders hart. Schade, denn ich hätte gern gelesen, was das TV-Jahrbuch über Filme wie „Als die Frauen noch Schwänze hatten“, „Bitterer Reis“, „Brennender Tod“, „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“ oder „Der große Blonde mit dem blauen Auge“ geschrieben hätte. Zusammenfassend lässt sich jedoch sagen, dass die Spielfilme der 1980er nach wie vor das TV-Programm beherrschten, wenngleich in Hellmanns Vorwort zu lesen war, dass Abstände zwischen Kino- und Fernsehauswertung immer kürzer würden.

Unter „Service“ werden die übrigen Buchkapitel, die zusammen ein Viertel ausmachen, zusammengefasst. Einleitend schwärmt Redakteur Michael Schrödner von den teuren Produktionen, die die Zuschauerinnen und Zuschauer 1992 erwarten dürfen: „Der große Bellheim“, die olympischen Sommerspiele, die Fußball-Bundesliga usw. Kurioserweise erwähnt er darunter auch „Marienhof“ (O-Ton: „eine neue ,Lindenstraße’“), empfiehlt abschließend aber dennoch, ab und zu ein gutes Buch zur Hand zu nehmen. Der Serienteil liest sich mit ausführlichen Berichten zu genanntem „Bellheim“ und dem „Marienhof“, Götz George in „Marlock“ (peinlicherweise in der Überschrift (!) „Bartok“ genannt), der Zeichentrickserie „Clever & Smart“ auf Tele5 oder der völlig in Vergessenheit geratenen Pro7-„Traumschiff“-Konkurrenz „Glückliche Reise“ (in der Luft) recht interessant – insbesondere der letzte Artikel „Gottschalk täglich“, mutmaßlich aus der Verlegenheit heraus, eine Late-Night-Show richtig zuordnen zu können, unter „Serien“ einsortiert. Zwei Seiten lang werden die Leserinnen und Leser auf Gottschalks erste tägliche Late-Night-Show auf RTL plus vorbereitet und bekommen das in Deutschland bis dahin weitestgehend unbekannte Konzept erklärt. Das ist wahrlich Fernsehgeschichte.

Das Kapitel „Stars“ porträtiert zeitgenössische beliebte oder auch polarisierende TV-Gesichter wie Hape Kerkeling, Nina Hagen (!), Ulrich Wickert, Kristiane Backer, Hans Hermann Weyer, Martin Lüttge, Lea Rosh, Susanne Holst, good old Rudi Carrell, Marcel Reich-Ranicki und Harald Schmidt (damals noch kein Late-Night-Host, sondern „Nachwuchstalent“). Zugegeben: Ziemlich willkürlich erscheint diese Auswahl schon. Manch bedauerlichen Todesfall ruft das „In Memoriam“-Kapitel ins Gedächtnis, darunter Namen wie Helga Feddersen, Karl-Heinz Köpcke, Klaus Schwarzkopf und Roy Black. Der Sportteil versucht, Golf zum neuen „Quoten-Knüller“ hochzujazzen und widmet sich auf drei Seiten der bevorstehenden Herrenfußball-EM in Schweden aus deutscher Sicht, die bekanntlich einen spektakulären Verlauf nehmen sollte. Eine große Übersicht listet die wichtigsten Sportereignisse des Jahres tabellarisch auf, bevor der beliebte Statistikteil knallharte Zahlen bietet und besonders aus heutiger Sicht damit überrascht, dass Pro7 einen Spielfilmanteil von sage und schreibe 80 % (bei geringem Werbeanteil) aufzuweisen hatte und in der Gunst der Zuschauer die Filmqualität betreffend entsprechend ganz vorne lag. Leider fallen die Statistiken diesmal nicht so ausführlich aus wie zuvor. Adressen und ein Index runden auch diesen Band ab.

Einen Gesamtüberblick über das Spielfilmangebot zu liefern fällt dieser Buchreihe zunehmend schwer, in ihren Versuchen, die gesamte TV-Landschaft zumindest grob zu skizzieren, erscheint dieser Band bruchstückhaft und in seiner Auswahl nicht immer nachvollziehbar. Um das Spielfilmangebot im damaligen TV grob nachvollziehen zu können, ist das Buch dennoch geeignet, wenngleich es ein fähiger Lektor vor Drucklegung leider nie in den Händen gehabt hat. Peinliche Fehler („Stephen Spielberg“) hinterlassen den Eindruck einer lediglich semiprofessionellen Veröffentlichung und verärgern diejenigen Leserinnen und Leser, die sich bei der Verlagsgruppe Milchstraße eigentlich bei Experten wähnten. Offenbar hatte man dort aus der Fehleranfälligkeit der vorherigen Ausgaben aber nichts gelernt. Zu einem letzten Band brachte es diese Reihe noch, dazu später mehr.

Gerald Fricke / Frank Schäfer – Das Campus-Wörterbuch

Klugscheißerhumor

„Das Campus-Wörterbuch“, 1998 gut 100 Seiten stark im Eichborn-Verlag erschienen, steht in der Tradition vom späteren Rock- und Metal-Literaten Frank Schäfer in Koautorschaft mit Kollegen wie Gerald Fricke verfasster „lexikalischer Werke“, die sich vielmehr der humoristischen, persiflierenden Auseinandersetzung mit ihrem jeweiligen Themenkomplex verschrieben haben. „Unter Mitarbeit einiger Fachgelehrter“, also inklusive einigen Gastbeiträgen, knöpfen sich Fricke und Schäfer den kompletten universitären Wortschatz „von Abitur bis Zwangsexmatrikulation“ vor und grasen damit einen allein schon aufgrund seines elitären Vokabulars sehr dankbaren Bereich ab. Und selbst, wenn man wie der Verfasser dieser Zeilen bereits im fünften Semester ist, wird man noch nicht ohne Weiteres alle hochtrabend klingenden Begriffe korrekt zuzuordnen wissen. Da hilft dieses Taschenbuch, das sprachlich zwischen wissenschaftlichem Duktus und deftiger Polemik fast alles auseinandernimmt, was mit Unis und dem Studierendendasein zu tun hat. Beides wird kräftig aufs Korn genommen, manchmal vielleicht etwas sehr selbstverliebt in die Fähigkeit zur eigenen akademisch verschwurbelten Schreibe und nicht immer unter Rücksichtnahme auf die Rezipierenden, die mitunter nur Bahnhof verstehen, wenn es allzu Insiderwissen-voraussetzungsreich wird.

Stand des Buchs ist indes 1997 und seitdem hat sich doch einiges geändert. Da „Das Campus-Wörterbuch“ jedoch auch immer wieder Bezug auf historische Ereignisse oder Personalien nimmt, vermittelt es einen durchaus aufschlussreichen Eindruck von der Vergangenheit – und davon, was sich anscheinend nie ändert. Manch einer bekommt ganz schön sein Fett weg und auch die Beurteilung der unterschiedlichen deutschen Universitätsstädte dürfte aufgrund ihres bisweilen beißenden Spotts nicht vorbehaltlos auf Gegenliebe stoßen. Kein Buch zum Durchackern am Stück, sondern zum immer mal wieder Hervorholen und sich alphabetisch Vorarbeiten, flankiert von einem Vorwort, einem – natürlich – Literaturverzeichnis sowie, als besondere Pointe, einem vernichtenden Gutachten dieser „Diplomarbeit“ durch Prof. Dr. Hanno Hackmann, eventuell bekannt aus Dietrich Schwanitz’ „Der Campus“-Roman.

Ralph Valenteano – Das Lächeln der Liebe. Der siebenstufige Pfad zu einer erleuchteten Beziehung

„Was ist das Geheimnis einer erfüllenden Beziehung? Begleiten Sie die unglückliche Beziehungswaise Mali dabei, wie sie ihre Antwort auf diese Frage aller Fragen findet. Hilfe erfährt sie dabei von dem erleuchteten Beziehungsweisen Malik, dem einst von Buddha und Jesus die ,Kunst des Herzens’ und das Wissen um den ,siebenstufigen Pfad zu einer erleuchteten Beziehung’ gelehrt wurden.“ (Klappentext)

Der Musiker und Verfasser von Büchern „zu mystischen und spirituellen Themen“ (Wikipedia) Ralph Valenteano veröffentlichte im Jahre 2011 über den Darmstädter Schirner-Verlag dieses 80-seitige Büchlein mit Lettern großzügigen Formats, das angereichert wurde mit iStock-Illustrationen, die an fernöstlichen Buddhismus gemahnen sollen, aber vielmehr an all diese bis unter die Decke mit überteuertem, überflüssigem Krempel vollgepackten, penetrant nach Räucherstäbchen müffelnden Esoterik-Läden erinnern. In Form eines kitschigen Märchens, in dem die hübsche Mali, die stets an die falschen Partner gerät, auf den weisen Heiler Malik trifft, der sie an die Hand nimmt und lehrt, wird die universelle Botschaft vermittelt, dass man erst einmal sich selbst finden muss, bevor andere einen lieben können. Diese simple Formel ist sicherlich nur allzu wahr. Um keine ungesunden emotionalen Abhängigkeiten zu entwickeln und jedes Mal aufs Neue denselben Mist durchzumachen, sollte man sich darüber bewusst werden, welche eigenen Charakterzüge, Fehler und unverarbeiteten Verletzungen bis hin zu Traumata einem die jeweils falschen Partnerinnen oder Partner eigentlich widerspiegeln, und daraufhin in seiner eigenen Seele mal kräftig entrümpeln, aufräumen und feucht durchwischen, um mit sich selbst im Reinen zu sein und dadurch Partnerinnen oder Partner kennenlernen zu können, die dies auch sind und mit denen eine erfüllende Beziehung auf Augenhöhe möglich wird, in der man sich gegenseitig ergänzt statt sich herabzuziehen.

So weit, so gut. Die Besserwisserei des Allwissenheit für sich beanspruchenden Malik in diesem Büchlein ist jedoch ebenso befremdlich wie die undifferenzierte Aufforderung zur Vergebung. Natürlich kann man unaufgeräumten Ex-Partner(inne)n, mit denen man chaotische und turbulente oder schmerzhafte Zeiten hinter sich hat, verzeihen, ist man erst einmal mit sich selbst im Reinen und sich darüber bewusst, wie und weshalb man diese Partnerschaft heraufbeschworen und was man für seinen weiteren Lebensweg an Lehren daraus gezogen hat. Mit keiner Silbe geht Valenteano jedoch darauf ein, dass sich mitnichten alles vergeben lässt, schon gar nicht, wenn etwas vorgefallen ist, was seinerseits Traumata o.ä. ausgelöst hat. Auch esoterischer Humbug wie „Alle Menschen sind auf der geistigen Ebene miteinander verbunden“ ist abzulehnen. Das wäre ja furchtbar! Dieses Büchlein propagiert ferner unverbesserlichen Optimismus – als müsse man nur fest genug an etwas glauben, damit es in Erfüllung geht. Auf komplexere, weitergehende Fragen jedoch weiß auch Valenteano keine Antwort und wirft stattdessen munter mit Jesus- und Buddha-Zitaten um sich und bringt auch noch Gott ins Spiel. Diese verquaste Vermengung religiöser Konnotationen mit esoterischem Geschwurbel ist ärgerlich, aber letztlich typisch für diese Klientel in ihrer Erklärung psychologischer Phänomene mittels übernatürlicher „Mächte“.

So hilfreich es sein mag, innerhalb einer auf Effizienz, Konkurrenzkampf und Technologiegläubigkeit ausgerichteten Welt zu sich selbst zu finden, sein persönliches emotionales Gleichgewicht auszutarieren und sich eine gewisse Spiritualität zu wahren, so kontraproduktiv ist es, einfache Wahrheiten esoterisch aufzuladen und bedeutungsschwanger mit Begriffen wie „Erleuchtung“ u.ä. um sich zu werfen, um eine weltfremde Klientel entsprechend zu bedienen, statt an den gesunden Menschenverstand zu appellieren.

Mad-Taschenbuch Nr. 25: Angelo Torres / Tom Koch – Das Mad-Buch der Weltgeschichte

Im Jahre 1980, drei Jahre nach seinem Erscheinen in den USA, brachte es dieses Mad-Taschenbuch auch zu einer deutschen Veröffentlichung. Unterteilt in sieben jeweils eine Epoche abbildende Kapitel und eingeleitet von einem dreiseitigen Vorwort wird sich rund 160-Schwarzweißseiten lang von 3050 v. Chr. bis 1969 n. Chr. in alternativer Geschichtsschreibung geübt. Ein kurzer Text leitet in den jeweiligen Abschnitt ein, der sich pro Ereignisjahr in ein großformatiges Bild im Karikaturstil und ein paar Zeilen dazu passenden Text aufteilt, der auf Mad-typische satirische Weise bestimmte Weltereignisse aufs Korn nimmt und gern Parallelen zur Gegenwart zieht oder generell anachronistisch in Erscheinung tritt. So heißt es zum Jahr 31 v. Chr.: „Das Drama zwischen Antonius und Kleopatra findet in der Originalbesetzung statt und ist damit um viele Millionen billiger als die spätere Neuverfilmung mit Richard Burton und Elizabeth Taylor.“ Und 1001: „Leif Eriksson entdeckt Amerika, hält es aber nicht für wert, darüber zu reden.“ Oder 1626: „Die Indianer sind überzeugt, ein glänzendes Geschäft zu machen, indem sie New York den Holländern für 24 Dollar überlassen.“ Auch schön: „1894: Thomas Edison führt den ersten Film vor. Alle sind davon hell begeistert – mit Ausnahme der Filmkritiker.“ Für all die Kriege und sonstigen blutigen Wahnsinn, der sich durch die Menschheitsgeschichte zieht, haben Zeichner Torres und Autor Koch nur Spott übrig, ansonsten mischen sich unter den Humor manch Absurdität, Seitenhiebe und Sprachwitz. Spaßiger Gesichtsunterricht nicht nur für Mad-Jünger und ein stilistisch neuer Ansatz innerhalb der Taschenbuchreihe, die hiermit eine Jubiläumsausgabe feierte, ohne dies mit auch nur einer Silbe zu erwähnen.

Charles M. Schulz – Die Peanuts: Werkausgabe, Bd. 2: 1953 – 1954

„Demut vor dem Leben in all seiner Rätselhaftigkeit“ – Gary Groth über Charles M. Schulz

Wie in meinen Zeilen zum ersten Band bereits erwähnt, begann der Hamburger Carlsen-Verlag im November 2006, eine alle Strips umfassende, streng chronologisch sortierte „Peanuts“-Werkausgabe zu veröffentlichen. Der zweite, erneut rund 350 Seiten starke Hardcover-Band umfasst die täglichen Comic-Strips der Jahre 1953 und 1954 inkl. aller umfangreicheren Sonntagsseiten. Drei Seiten lang führt Andreas Platthaus, Comic-Experte der in ihren Beiträgen zur politischen Meinungsbildung so beschämend reaktionären, für ihren Kulturteil aber vielgelobten F.A.Z., in diese Ausgabe ein, indem er vornehmlich auf die Besonderheiten in Schulz’ Comics dieses Zeitabschnitts hinweist und damit noch neugieriger auf sie macht, als man als Peanuts-Freund und/oder Comic-Archäologe ohnehin schon ist. Zwei Seiten lang darf ferner Gary Groth Charles M. Schulz charakterisieren und ein Index sowie eine Vorschau auf den nächsten Band komplettieren das wie gehabt auf hochwertigem Kartonpapier gedruckte Buch im Schutzumschlag.

„Ich glaube, ich bin ein geborener Außenseiter… Ich scheine einfach nirgends hineinzupassen.“ – „Vielleicht könntest du dich einer Gruppe Außenseiter anschließen…“ – „Selbst da würde ich vermutlich nicht hineinpassen…“ – Charlie Brown und Schröder im Gespräch

Der Hauptteil gehört natürlich den unkolorierten Comic-Strips und der Evolution Schulz’ Figuren, die damals noch nicht abgeschlossen war: Sie alterten noch immer, was hier zu interessanten Entwicklungen wie den zahlreichen Marotten führt, die sie immer stärker ausbilden. Dies trifft insbesondere auf Lucy zu, die – neben Charlie Brown, versteht sich – diesen Band dominiert. So wird sie in Bezug auf Lebensmittel enorm pingelig, hadert bereits mit dem Kindergarten wie Ältere mit Schule oder Arbeit und versucht 1954 ständig, die Sterne am Himmel und später Wolken und Sonnen (!) zu zählen. Außerdem kommentiert sie in schöner Regelmäßigkeit mit Unverständnis die Texte von Kinderliedern – und natürlich ist sie stolz, eine Nörgelliese zu sein, was sie für eine Art sportlicher Disziplin hält. Erfreulich ist für sie, dass sie zu lesen beginnt, wenngleich sie nun gern pseudowissenschaftlichen Nonsens von sich gibt und den die Dinge besser wissenden Charlie als Dummkopf bezeichnet, was diesem auf den Magen schlägt und woran er im weiteren Verlauf regelrecht verzweifelt. Dass er trotzdem wirklich immer im Dame-Brettspiel gegen sie verliert, macht die Sache nicht besser.

Dass Charlie ein Alter Ego seines Schöpfers ist wird im Running Gag deutlich, in dem er Comics zeichnet, deren Pointen partout nicht ankommen. Geradezu selbstreferentiell mutet es an, wenn Schulz im Mai 1953 (S. 58) Comiczeichner Charlie in die Sprechblase legt, sein Humor sei zu subtil für den gemeinen Leser. Dies und vieles andere muss der Melancholiker mit sich selbst ausmachen. Dass man als Leser(in) bei Team-Aktivitäten Charlies wie z.B. Baseballspielen die Interagierenden so gut wie nie sieht, verstärkt den Eindruck von Einsamkeit und Isolation, der zu einem seiner Markenzeichen wurde, wenn er auch längst nicht jedem Strip immanent ist. Das Lächeln seines Hundes stimmt ihn aber schnell wieder fröhlich. Snoopy läuft nach wie vor auf allen Vieren, seine von Platthaus als vermeintlichen Stilbruch gewerteten Sprechblasen im August 1953 (S. 98) interpretiere ich eher als Gedankenblasen bzw. als Lautartikulation, die für Menschen unverständlich sind, aber natürlich auf Snoopys menschliche Eigenschaften verweisen. Wie häufig er Süßigkeiten zu fressen bekommt, irritiert indes noch immer.

Lucys kleiner Bruder Linus darf im Juni 1953 (S. 74) erstmals eigene Gedanken formulieren, seine Schmusedecke debütiert am 1. Juni 1954 (S. 222). Als sie später wieder aufgegriffen wird, avanciert sie gar kurzzeitig zum Trend: Alle Jungs haben plötzlich eine! Mit Schmuddelkind Pig-Pen feiert im Juli 1954 (S. 240) eine meiner Lieblingsfiguren ihren Einstand und hat eine ganze Reihe starker Auftritte, wenngleich sie noch nicht permanent eine Schmutzwolke um sich herum erzeugt. Als auf traurige Weise visionär erweist sich ein Strip aus dem Mai 1954, in dem Kriegscomicsammler Charlie nicht weiß, ob er sich nach den Ausgaben „Der Unabhängigkeitskrieg“, „Der Krieg von 1812“, „Bürgerkriegs-Comics“, „Der Erste Weltkrieg“, „Der Zweite Weltkrieg“ und „Der Koreakrieg“ auf das nächste Heft freuen soll. Im Oktober 1953 (S. 122) verfügt eine Sonntagsseite erstmals über einen eigenen Titel („Das Kricket-Spiel“) und das Motiv Charlies erfolgloser Drachensteigversuche wird auf einer Sonntagsseite im Juni 1954 (S. 227) eingeführt. So, wie die Figuren noch altern, tun dies auch die äußeren Umstände, sprich: Es gibt Jahreszeiten. Eigenartigerweise zeichnete Schulz am 31.10.1954 keinen Halloween-Strip, obwohl das Thema in den Strips zuvor aufgegriffen wurde. Dass Schulz neben seinem reduzierten Strich auch wesentlich aufwändiger, detaillierter und realistischer zeichnen konnte, beweisen in den Strips auftauchende Objekte wie Schröders Beethoven-Büste oder auch Vögel, die mit Snoopys späterem Freund (und hier noch lange nicht herbeiflatterndem) Woodstock nicht das Geringste gemein haben.

Welchen Aufwand es bedeutet, dem eigenen Komplettismusanspruch gerecht zu werden, lässt der abschließende Kommentar der Herausgeber erahnen, die einen Einblick in die schwierige Ausgangslage gewähren und denen gar nicht genug dafür gedankt werden kann, sich dennoch auch der verschollensten Strips angekommen und sie aufwändig restauriert zu haben, sodass auch diese Ausgabe vollständig ist und sich die Rezipientinnen und Rezipienten ins comichistorische Vergnügen stürzen können.

Mad-Taschenbuch Nr. 23: Don Martin – Super Mad oder Die gesammelten Abenteuer von Käpt’n Hirni

1978 war es so weit: Meine Lieblingsfigur des Mad-Stammzeichners Don Martin, Käpt’n Hirni, feierte sein Debüt im Taschenbuchformat! Die Superhelden-Persiflage um einen in seiner Kindheit und Jugend Superhelden-Comic-süchtigen grenzdebilen, ausschließlich in Soundwords monologisierenden Tunichtgut, der von seinen Eltern, der Schule, dem Arbeitsamt und schließlich seiner Vermieterin herausgeworfen wird, dessen Schicksal aber eine entscheidende Wendung nimmt, als er sich in suizidaler Absicht von einem Hochhausdach stürzt und dabei versehentlich einen Bankräuber zur Strecke bringt, beginnt mit seiner Origin Story und erstreckt sich schließlich über vier wahrhaft heldenhafte Geschichten. So muss er es mit dem infantilen Superschurken Hugo Schlonz alias Babyboy ebenso aufnehmen wie mit einem widerspenstigen Aufzug, mit Gorgonzola, der Monsterspinne und als großes Finale Baldur, dem bösen Bomber. Hierfür hat er wie aus den Mad-Taschenbüchern gewohnt 160 Schwarzweiß-Seiten zur Verfügung, die sich meist auf ein, manchmal zwei Panels beschränken, sodass Don Martins klarer karikierender Strich in den kauzigen, bizarren Zeichnungen optimal zur Geltung kommt. Brutaler Slapstick und anarchischer, respektloser bis absurder Humor geben sich die Klinke in die Hand und verschmelzen zu einer satirischen Parodie klassischer Superhelden-Topoi. Darüber hinaus wird der Film-noir-Stil aufs Korn genommen, wenn Käpt’n Hirni bedeutungsschwanger wie ein Off-Sprecher in kurzen Blocktexten zu seinen Leserinnen und Lesern spricht, jedoch von den dazugehörigen Bildern konterkariert wird, wenn sie die tatsächlichen, wenig rühmlichen Umstände und Ereignisse zeigen. Das „Käpt’n Hirni“-Konzept ist mitsamt seinen Gags ziemlich gut gealtert und ich amüsiere mich nach wie vor köstlich über die Abenteuer des Helden in seiner gepunkteten Unterhose. Käpt’n Hirni for MCU!

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