Günnis Reviews

Autor: Günni (page 22 of 107)

Fabien Sanglard – Game Engine Black Book: Wolfenstein 3D (1st Edition)

„Eine kleine Amerikaner…“

Der texanische Spielehersteller id software um Tom Hall, John Romero sowie Adrian und John Carmack revolutionierte Anfang der 1990er die Spielewelt mit seinem Kultspiel „Wolfenstein 3D“. Der Name ging zurück auf „Castle Wolfenstein“ aus dem Jahre 1981, einem zweidimensionalen Spiel von Muse Software. Vor „Wolfenstein 3D“ hatte id software im Jahre 1991 bereits die Titel „Hovertank 3D“ und „Catacombs 3D“ veröffentlicht, die bereits einiges vom typischen Wolf3D-Gameplay vorwegnahmen: In „Hovertank 3D“ steuerte man einen Panzer aus der Ego-Perspektive, in „Catacombs 3D“ schlüpfte man in die Rolle eines Zauberers, der aus seiner Hand Feuerbälle auf Dämonen, Orks und ähnliche Fantasy-Gestalten abfeuerte. Doch der erste echte, die 256 Farben umfassende Palette der VGA-Grafikkarte ausreizende First-Person-Shooter und damit Vorläufer solch populärer Spiele wie „Doom“, „Quake“ (beide ebenfalls von id) bis hin zu „Call Of Duty“, „Counterstrike“ und Konsorten war das 1992 veröffentlichte „Wolfenstein 3D“, in dem man sich als Naziperforator B.J. Blazkowicz in gerenderten Dungeon-ähnlichen Katakomben durch eine Vielzahl Nazi-Soldaten metzelt und schließlich gar gegen Hitler persönlich antritt. In Deutschland war man davon behördlicherseits gar nicht begeistert und beschlagnahmte das Spiel, doch natürlich verbreitete der als Shareware vertriebene Spaß sich in Windeseile in der PC-Gamer-Szene. PC? Ganz recht: Bereits damals setzte id software auf den PC als Haupttechnologie, obwohl er so viele Jahre gegen wesentlich stärker auf die Bedürfnisse von Spieleentwickler(inne)n und Spieler(inne)n zugeschnittene Heimcomputer wie den C64, den Atari ST oder den Amiga den Kürzere gezogen hatte. In technischer Hinsicht änderte sich dies Anfang der 1990er mit der Etablierung der 386er-Prozessoren und dem Siegeszug der VGA-Karten. Auch dies war ein Grund für die revolutionäre Wirkung von „Wolfenstein 3D“.

Der Franzose Fabien Sanglard liebt es, sich mit den Quelltexten alter PC-Spiele auseinanderzusetzen, sie auf Herz und Nieren zu analysieren und zu verstehen. Dies tat er auch mit dem „Wolfenstein 3D“-Code, den id software einige Jahre nach Veröffentlichung des Spiels freigegeben hatte. Die Ergebnisse hat er im 2017 im Print-on-Demand-Verfahren herausgegeben „Game Engine Black Book: Wolfenstein 3D“ auf über 310 Seiten in einfacher, allgemeinverständlicher englischer Sprache zusammengefasst. Und das Tolle ist: Man muss kein(e) Programmierer(in) sein, um an diesem Buch seine Freude zu haben. Sanglard konnte id-Entwickler John Carmack zur Mitarbeit gewinnen und nimmt einen nach dessen Vorwort mit auf eine wohlstrukturierte Zeitreise ins PC-Jahr 1992. Nahezu jedes Kapitel beginnt mit einer Einführung, die den damaligen Stand der technischen Möglichkeiten skizziert und computerhistorisches Wissen aufbereitet. In Kombination mit zahlreichen, teils herrlich nerdigen Trivia und humorvollen Anekdoten Carmacks erhält man einen ebenso spannenden wie unterhaltsamen und lehrreichen Einblick in die hürdenreiche Pionierarbeit, die damals in Sachen PC-Spiele geleistet wurde. Wer sich bereits anno ‘91/‘92 mit Heimcomputern beschäftigt hat, wird einiges wiedererkennen – auch ohne selbst Entwickler(in) gewesen zu sein. Zahlreiche Screenshots aus dem Spiel, vom Quelltext, aus Entwicklungstools und von der DOS-Ebene, Abdrucke von README.TXT-Dateien sowie Fotos historischen Equipments und des id-Teams haben also auch denjenigen jede Menge Retro-Lesevergnügen und -Augenschmaus zu bieten, die nicht in die tiefgehenden Quelltextanalysen miteinsteigen können oder wollen.

Wer es doch tut, dürfe in den Kapiteln, die von der Prozessorverarbeitung und der Speichernutzung über Grafik- und Sound-Entwicklung/-Ausgabe bis hin zu den verschiedenen Eingabegeräten alles abdecken und um zahlreiche Skizzen und Tabellen ergänzt werden, glücklich werden und vermutlich gerade auch als Anfänger viel über die Funktionsweise von PCs und ihre Programmierung lernen können. Gerade für Retro-Gamer hochinteressant dürfte auch das Kapitel über die Portierung des Spiels auf andere Plattformen bis hin zu Arcade-Automaten und jüngst das iPhone sein. Mit seinem Themenumfang geht dieses „Game Engine Black Book“ also wesentlich tiefer als es Hintergrundartikel in entsprechenden Zeitschriften könnten und rechtfertigt damit letztlich auch seinen stolzen Special-Interest-Preis von 40,- EUR. Als etwas lieblos empfand ich lediglich eine offenbar unüberarbeitet/-lektoriert übernommenen Nachricht Carmacks oder eines anderen damals Involvierten, die ich beim raschen Durchblättern aber ehrlich gesagt nicht mehr wiedergefunden habe. Möglicherweise wurden dieser und der eine oder andere Schnitzer in aktuelleren Ausgaben ohnehin ausgemerzt.

Mad-Taschenbuch Nr. 26: Antonio Prohias – Der 4. Geheimband von Spion & Spion

Im Jahre 1980 erschien der vierte „Spion & Spion“-Band innerhalb der deutschen „Mad“-Taschenbuchreihe im Williams-Verlag, der im US-amerikanischen Original bereits 1974 veröffentlicht worden war. Wie gehabt füllen je ein oder zwei Panels die rund 160 unkolorierten, nun wieder nummerierten Seiten, auf ein Vorwort wurde diesmal ebenso verzichtet wie auf die Alliterationen in den Titeln der zwölf Geschichten. Der schwarze und der weiße Spion bekriegen sich erneut ebenso dialogfrei wie erbarmungslos, über ihre Hintergründe erfährt man nichts. Sie repräsentieren das Schwarzweiß-Denken des Kalten Kriegs, das Prohias unter Aussparung jeglicher darüber hinausgehender politischer Kommentare durch den Kakao zieht. So weit, so bekannt. Eine neue Dimension jedoch dürfte die Kreativität und gleichermaßen Absurdität erreicht haben, mit denen sich die beiden Spitznasen gegenseitig Fallen stellen, die stets in verheerenden Explosionen, Unfällen oder Verletzungen münden. Die Unvorhersehbarkeit dieser abstrusen Kettenreaktionen ist es dann auch, die den Spaßfaktor dieses weiteren Spionage-Handbuchs ausmacht, und man kann sich nur wundern, woher Prohias seine aberwitzigen Einfälle nimmt. Die konsequente Reduktion auf dieses Konzept bei gleichzeitig überschäumendem Konstruktionsgeist, um bei stets gleichem Ausgang die im Prinzip immer selbe Geschichte auf vollkommen neue Weise zu erzählen – das ist es, was diese Comics zum Kult machte und einen Eindruck davon vermittelte, auf welch unterschiedliche Weise man sich gegenseitig nach dem Leben trachten kann, wenn es der einzige Inhalt der eigenen Existenz ist. Inspirierend!

Charles M. Schulz – Die Peanuts: Werkausgabe, Bd. 3: 1955 – 1956

„Die Menschen verlieren einfach ihren Sinn für Humor… Es muss an all den Abenteuer-Comics liegen.“ – Charlie Brown am 3. April 1956

Der dritte Band der „Peanuts“-Werkausgabe des Hamburger Carlsen-Verlags umfasst auf 330 Seiten die Jahre 1955 und 1956 der Reihe, also sämtliche damals täglich in diversen Tageszeitungen erschienenen unkolorierten Comicstrips inkl. der Sonntagseiten in ihren deutschen Überstetzungen, ergänzt um eine wunderbar ehrerbietende vierseitege Einführung des „Die Simpsons“-Vaters Matt Groening. Die Doppelseite mit dem Schulz charakterisierenden Nachwort Gary Groths ist indes identisch zu der aus Band 2.

Das Cover ziert diesmal Pig-Pen, der seit Juli 1954 das Figurenensemble bereichert. Am 23. Juli 1955 ist er erstmals sauber zu sehen. Weitere Premieren: Mitte September 1955 spricht Lucys kleiner Bruder Linus erstmals, die Brabbelphase hat er anscheinend übersprungen. Als Running Gags werden Snoopy und das Crocket-Spiel, Linus’ Ausruf „Da kräht in fünfhundert Jahren kein Hahn mehr nach!“ sowie seine Marotte, Daumen und Zeigefinger zu einem Colt zu formen und damit zu „schießen“ – meist auf seine Schwester, wenn sie ihn besonders nervt –, etabliert. Doch am längsten dürfte sich das wiederkehrende Motiv Charlies vergeblicher Versuche, einen von Lucy gehaltenen Football zu treten, gehalten haben, das in diesem Band ebenfalls seinen fröhlichen Einstand feiert. Bereits 1955 sind Allsatelliten und eine mögliche Mondlandung Thema und im Dezember liegt Schnee, Silvester und der Jahreswechsel werden ’55/’56 jedoch kurioserweise von Schulz komplett ignoriert und bleiben unthematisiert.

Dem Verständnis dienlich ist das Glossar im Anhang, das u.a. die von den Peanuts aufgegriffene Begeisterung für einen gewissen Davy Crockett erklärt: Es handelte sich um einen US-amerikanischen Nationalhelden, der nach einem von Dezember 1954 bis Februar 1955 ausgestrahlten Disney-Dreiteiler über sein Leben zum Kinderidol avanciert war – was die damalige Obsession für Waschbärenmützen manch Schulz’scher Figur erklärt. Charlies selbstgezeichnete Comics stoßen hingegen noch immer auf keinerlei Interesse und Lucy kann einfach nicht bei Musikus Schröder landen, bildet sich dafür aber immer noch viel darauf ein, die größte Nörgelliese der Welt zu sein.

Snoopy indes entwickelt immer mehr Marotten und ist präsenter als je zuvor: Leidenschaftlich imitiert er andere Tiere und sogar Menschen, was zu den gelungensten Gags dieses Zeitabschnitts zählt. Im Herbst 1956 beginnt er gar, regelmäßig zu tanzen – sehr zu Lucys Leidwesen. Er entwickelt eine Vorliebe für Chopin und wird im hohen Gras klaustrophobisch. Das Zeitgeschehen bleibt nicht auf Davy Crockett und die Raumfahrtfaszination beschränkt: Am 22. Juni 1956 hält der Rock’n’Roll Einzug ins Peanuts-Universum, indem Lucy Elvis Presley für sich entdeckt. Der arme Charlie jedoch wird zunehmend gemobbt, reagiert aber am entnervtesten auf Lucys Versuche, die Welt zu deuten. Damit erinnert sie an all diejenigen, die heutzutage stets im Brustton der Überzeugung ihr Unwissen selbstgefällig in sozialen Netzwerken herausposaunen – und beweist damit die Zeitlosigkeit dieses Comic-Klassikers.

Schulz bleibt seinem Konzept treu, sich ausschließlich auf die Kinder und Charlies Hund Snoopy zu fokussieren und die Erwachsenenwelt weitestgehend auszusparen bzw. lediglich in Gesprächen der zwischen naiv und altklug pendelnden und damit ihren speziellen Charme entwickelnden Kinder untereinander aufzugreifen. Der einzige Dialog mit einer erwachsenen Figur findet am 15. Dezember 1956 statt, als Lucys Mutter ihrer Tochter aus dem nichtsichtbaren Bildbereich heraus eine Antwort zuruft. So lässt es sich gleichsam Freude an den pointierten bis nachdenklichen Comicstrips haben und fasziniert die Evolution der Reihe und des Schulz’schen Konzepts weiterverfolgen sowie ganz allgemein immer wieder darüber staunen, wie für den täglichen schnellen Konsum in den Tageszeitungen auch sich über mehrere Strips verteilende kleine Geschichten ihre tägliche kleine Pointe aufweisen. Eine Kunst der Zeichner von Daily-Strips für sich. Wie gewohnt runden ein Index und eine Vorschau auf den nächsten Band das auf festem Kartonpapier gedruckte Hardcover-Buch ab, dessen Fortsetzung schon bereitliegt. Seine rund 30,- EUR ist dieser mit einiger Restaurationsarbeit seitens des Verlags verbundene Band wert und ich bin froh, kein mittelloses Kind mehr zu sein, das staunend vor diesen hochwertigen Comicausgaben steht, ohne sie sich auch nur ansatzweise leisten zu können. Comic-Geschichtsunterricht vom Feinsten!

TV-Jahrbuch 1992

ISBN: 3-8927779-07-5

Wie der Vorgänger zum Fernsehjahr 1991 erschien auch das TV-Jahrbuch 1992 in der Hamburger Verlagsgruppe Milchstraße, dem Verlag der renommierten „Cinema“-Zeitschrift und der damals noch jungen „TV Spielfilm“. Das Cover zeigt erstmals keine Action-Helden, sondern Joe Dantes „Gremlins“, und bei den Senderlogos ersetzte man Eins Plus durch den neuen Pay-TV-Sender Premiere. Der Umfang blieb mit rund 200 Seiten identisch.

Im Vorwort des im zweiten Halbjahr 1991 erschienenen Buchs weiß Chefredakteur Willy Loderhose: „Der Boom hält an!“ – und meint damit die hohe Frequenz an Spielfilmen im Fernsehen. Wie bereits ein Jahr zuvor erwähnt er mit dem Sender Premiere das damals noch junge Geschäftsmodell Pay-TV, und er kann voller Stolz verkünden, dass die „TV Spielfilm“ alle zwei Woche über eine Million Exemplare verkauft. Für diese wirbt dann auch erneut das Inhaltsverzeichnis, das eine etwas andere Aufteilung bietet: Der separate Erotikbereich wurde gestrichen.

Bevor es zum Herzstück dieses Bands geht, der Vorschau auf im Fernsehen laufende Spielfilme im Jahre 1992, verschafft TV-Spielfilm-Chefredakteur Christian Hellmann bereits einen groben Überblick und untermauert seine Einschätzung, dass die Anzahl der ausgestrahlten Filme weiter zunähme, mit einer konkreten Zahl: Das Publikum mit Kabelanschluss kann aus wöchentlich über 200 Filmen wählen. Mitverantwortlich ist der erst 1989 gegründete TV-Sender Pro7, der sein Hauptaugenmerk auf Spielfilme legte und seinen Marktanteil auf 8,1 Prozent hatte steigern können. Dass dieses Jahrbuch angesichts einer solchen Zahl keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, versteht sich von selbst.

Wie gehabt lebt der Hauptteil des Buchs von seinen Filmvorstellungen und -kritiken mit schönen großen Bildern. Etwas überraschend ist es, dass man mit „Harry und Sally“ eröffnet, als handele es sich um einen der neuen Höhepunkte schlechthin – dabei war der Film bereits 1991 gelaufen und entsprechend im vorausgegangenen TV-Jahrbuch berücksichtigt worden. Allerdings hat man sich die Mühe gemacht, einen neuen Text zum Film zu verfassen. Unter den „Spielfilmen des Jahres“ finden sich darüber hinaus Titel wie „Stirb langsam II“, „Wie spät ist es?“, „Twins“, „Die letzte Versuchung Christi“ oder auch „Stille Tage in Clichy“ und „Nicht ohne meine Tochter“ sowie natürlich „Gremlins“. Und leider handelt es sich bei den Texten abermals um einen kruden Stilmix aus reinen Vorstellungen, sämtliche Handlung vorwegnehmenden Spoilern und mitunter bissigen Kritiken. Hier wäre eine einheitliche Linie wünschenswert gewesen. Ob einige dieser Texte zuvor bereits 1:1 in der „Cinema“ abgedruckt waren (wie noch in den vorausgegangenen Jahrbüchern der Fall), kann ich nicht beurteilen.

Die einzelnen Bestandteile diverser Filmreihen wie der der Monty-Python- und Romy-Schneider-Filme auf Tele5, der ARD-Sommerthriller oder der William-Powell-, Nick-Nolte-,  Robert-Mitchum-, Volker-Schlöndorff und Robert-van-Ackeren-Reihen ebendort  werden knapper abgehandelt, gehen dafür aber mit einigen – durchaus kritischen – filmübergreifenden Informationen und Meinungen einher. Besonders interessant dürften die „Schwule Filme“-Reihe auf 3Sat sowie der John-Carpenter-Kanon im ZDF (!) gewesen sein. Weitere Filmausstrahlungen werden nach Sender sortiert in den „Kurz belichtet“-Übersichten angerissen, einige, insbesondere weitere eigentlich interessante Reihen wie Blake Edwards auf Pro7 oder Curd Jürgens sowie polnische ’80er-Filme auf 3Sat finden leider nur noch ohne jegliche Begleitinformation in Listenform statt, und erneut trifft es diesbezüglich Tele5 besonders hart. Schade, denn ich hätte gern gelesen, was das TV-Jahrbuch über Filme wie „Als die Frauen noch Schwänze hatten“, „Bitterer Reis“, „Brennender Tod“, „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“ oder „Der große Blonde mit dem blauen Auge“ geschrieben hätte. Zusammenfassend lässt sich jedoch sagen, dass die Spielfilme der 1980er nach wie vor das TV-Programm beherrschten, wenngleich in Hellmanns Vorwort zu lesen war, dass Abstände zwischen Kino- und Fernsehauswertung immer kürzer würden.

Unter „Service“ werden die übrigen Buchkapitel, die zusammen ein Viertel ausmachen, zusammengefasst. Einleitend schwärmt Redakteur Michael Schrödner von den teuren Produktionen, die die Zuschauerinnen und Zuschauer 1992 erwarten dürfen: „Der große Bellheim“, die olympischen Sommerspiele, die Fußball-Bundesliga usw. Kurioserweise erwähnt er darunter auch „Marienhof“ (O-Ton: „eine neue ,Lindenstraße’“), empfiehlt abschließend aber dennoch, ab und zu ein gutes Buch zur Hand zu nehmen. Der Serienteil liest sich mit ausführlichen Berichten zu genanntem „Bellheim“ und dem „Marienhof“, Götz George in „Marlock“ (peinlicherweise in der Überschrift (!) „Bartok“ genannt), der Zeichentrickserie „Clever & Smart“ auf Tele5 oder der völlig in Vergessenheit geratenen Pro7-„Traumschiff“-Konkurrenz „Glückliche Reise“ (in der Luft) recht interessant – insbesondere der letzte Artikel „Gottschalk täglich“, mutmaßlich aus der Verlegenheit heraus, eine Late-Night-Show richtig zuordnen zu können, unter „Serien“ einsortiert. Zwei Seiten lang werden die Leserinnen und Leser auf Gottschalks erste tägliche Late-Night-Show auf RTL plus vorbereitet und bekommen das in Deutschland bis dahin weitestgehend unbekannte Konzept erklärt. Das ist wahrlich Fernsehgeschichte.

Das Kapitel „Stars“ porträtiert zeitgenössische beliebte oder auch polarisierende TV-Gesichter wie Hape Kerkeling, Nina Hagen (!), Ulrich Wickert, Kristiane Backer, Hans Hermann Weyer, Martin Lüttge, Lea Rosh, Susanne Holst, good old Rudi Carrell, Marcel Reich-Ranicki und Harald Schmidt (damals noch kein Late-Night-Host, sondern „Nachwuchstalent“). Zugegeben: Ziemlich willkürlich erscheint diese Auswahl schon. Manch bedauerlichen Todesfall ruft das „In Memoriam“-Kapitel ins Gedächtnis, darunter Namen wie Helga Feddersen, Karl-Heinz Köpcke, Klaus Schwarzkopf und Roy Black. Der Sportteil versucht, Golf zum neuen „Quoten-Knüller“ hochzujazzen und widmet sich auf drei Seiten der bevorstehenden Herrenfußball-EM in Schweden aus deutscher Sicht, die bekanntlich einen spektakulären Verlauf nehmen sollte. Eine große Übersicht listet die wichtigsten Sportereignisse des Jahres tabellarisch auf, bevor der beliebte Statistikteil knallharte Zahlen bietet und besonders aus heutiger Sicht damit überrascht, dass Pro7 einen Spielfilmanteil von sage und schreibe 80 % (bei geringem Werbeanteil) aufzuweisen hatte und in der Gunst der Zuschauer die Filmqualität betreffend entsprechend ganz vorne lag. Leider fallen die Statistiken diesmal nicht so ausführlich aus wie zuvor. Adressen und ein Index runden auch diesen Band ab.

Einen Gesamtüberblick über das Spielfilmangebot zu liefern fällt dieser Buchreihe zunehmend schwer, in ihren Versuchen, die gesamte TV-Landschaft zumindest grob zu skizzieren, erscheint dieser Band bruchstückhaft und in seiner Auswahl nicht immer nachvollziehbar. Um das Spielfilmangebot im damaligen TV grob nachvollziehen zu können, ist das Buch dennoch geeignet, wenngleich es ein fähiger Lektor vor Drucklegung leider nie in den Händen gehabt hat. Peinliche Fehler („Stephen Spielberg“) hinterlassen den Eindruck einer lediglich semiprofessionellen Veröffentlichung und verärgern diejenigen Leserinnen und Leser, die sich bei der Verlagsgruppe Milchstraße eigentlich bei Experten wähnten. Offenbar hatte man dort aus der Fehleranfälligkeit der vorherigen Ausgaben aber nichts gelernt. Zu einem letzten Band brachte es diese Reihe noch, dazu später mehr.

Gerald Fricke / Frank Schäfer – Das Campus-Wörterbuch

Klugscheißerhumor

„Das Campus-Wörterbuch“, 1998 gut 100 Seiten stark im Eichborn-Verlag erschienen, steht in der Tradition vom späteren Rock- und Metal-Literaten Frank Schäfer in Koautorschaft mit Kollegen wie Gerald Fricke verfasster „lexikalischer Werke“, die sich vielmehr der humoristischen, persiflierenden Auseinandersetzung mit ihrem jeweiligen Themenkomplex verschrieben haben. „Unter Mitarbeit einiger Fachgelehrter“, also inklusive einigen Gastbeiträgen, knöpfen sich Fricke und Schäfer den kompletten universitären Wortschatz „von Abitur bis Zwangsexmatrikulation“ vor und grasen damit einen allein schon aufgrund seines elitären Vokabulars sehr dankbaren Bereich ab. Und selbst, wenn man wie der Verfasser dieser Zeilen bereits im fünften Semester ist, wird man noch nicht ohne Weiteres alle hochtrabend klingenden Begriffe korrekt zuzuordnen wissen. Da hilft dieses Taschenbuch, das sprachlich zwischen wissenschaftlichem Duktus und deftiger Polemik fast alles auseinandernimmt, was mit Unis und dem Studierendendasein zu tun hat. Beides wird kräftig aufs Korn genommen, manchmal vielleicht etwas sehr selbstverliebt in die Fähigkeit zur eigenen akademisch verschwurbelten Schreibe und nicht immer unter Rücksichtnahme auf die Rezipierenden, die mitunter nur Bahnhof verstehen, wenn es allzu Insiderwissen-voraussetzungsreich wird.

Stand des Buchs ist indes 1997 und seitdem hat sich doch einiges geändert. Da „Das Campus-Wörterbuch“ jedoch auch immer wieder Bezug auf historische Ereignisse oder Personalien nimmt, vermittelt es einen durchaus aufschlussreichen Eindruck von der Vergangenheit – und davon, was sich anscheinend nie ändert. Manch einer bekommt ganz schön sein Fett weg und auch die Beurteilung der unterschiedlichen deutschen Universitätsstädte dürfte aufgrund ihres bisweilen beißenden Spotts nicht vorbehaltlos auf Gegenliebe stoßen. Kein Buch zum Durchackern am Stück, sondern zum immer mal wieder Hervorholen und sich alphabetisch Vorarbeiten, flankiert von einem Vorwort, einem – natürlich – Literaturverzeichnis sowie, als besondere Pointe, einem vernichtenden Gutachten dieser „Diplomarbeit“ durch Prof. Dr. Hanno Hackmann, eventuell bekannt aus Dietrich Schwanitz’ „Der Campus“-Roman.

Ralph Valenteano – Das Lächeln der Liebe. Der siebenstufige Pfad zu einer erleuchteten Beziehung

„Was ist das Geheimnis einer erfüllenden Beziehung? Begleiten Sie die unglückliche Beziehungswaise Mali dabei, wie sie ihre Antwort auf diese Frage aller Fragen findet. Hilfe erfährt sie dabei von dem erleuchteten Beziehungsweisen Malik, dem einst von Buddha und Jesus die ,Kunst des Herzens’ und das Wissen um den ,siebenstufigen Pfad zu einer erleuchteten Beziehung’ gelehrt wurden.“ (Klappentext)

Der Musiker und Verfasser von Büchern „zu mystischen und spirituellen Themen“ (Wikipedia) Ralph Valenteano veröffentlichte im Jahre 2011 über den Darmstädter Schirner-Verlag dieses 80-seitige Büchlein mit Lettern großzügigen Formats, das angereichert wurde mit iStock-Illustrationen, die an fernöstlichen Buddhismus gemahnen sollen, aber vielmehr an all diese bis unter die Decke mit überteuertem, überflüssigem Krempel vollgepackten, penetrant nach Räucherstäbchen müffelnden Esoterik-Läden erinnern. In Form eines kitschigen Märchens, in dem die hübsche Mali, die stets an die falschen Partner gerät, auf den weisen Heiler Malik trifft, der sie an die Hand nimmt und lehrt, wird die universelle Botschaft vermittelt, dass man erst einmal sich selbst finden muss, bevor andere einen lieben können. Diese simple Formel ist sicherlich nur allzu wahr. Um keine ungesunden emotionalen Abhängigkeiten zu entwickeln und jedes Mal aufs Neue denselben Mist durchzumachen, sollte man sich darüber bewusst werden, welche eigenen Charakterzüge, Fehler und unverarbeiteten Verletzungen bis hin zu Traumata einem die jeweils falschen Partnerinnen oder Partner eigentlich widerspiegeln, und daraufhin in seiner eigenen Seele mal kräftig entrümpeln, aufräumen und feucht durchwischen, um mit sich selbst im Reinen zu sein und dadurch Partnerinnen oder Partner kennenlernen zu können, die dies auch sind und mit denen eine erfüllende Beziehung auf Augenhöhe möglich wird, in der man sich gegenseitig ergänzt statt sich herabzuziehen.

So weit, so gut. Die Besserwisserei des Allwissenheit für sich beanspruchenden Malik in diesem Büchlein ist jedoch ebenso befremdlich wie die undifferenzierte Aufforderung zur Vergebung. Natürlich kann man unaufgeräumten Ex-Partner(inne)n, mit denen man chaotische und turbulente oder schmerzhafte Zeiten hinter sich hat, verzeihen, ist man erst einmal mit sich selbst im Reinen und sich darüber bewusst, wie und weshalb man diese Partnerschaft heraufbeschworen und was man für seinen weiteren Lebensweg an Lehren daraus gezogen hat. Mit keiner Silbe geht Valenteano jedoch darauf ein, dass sich mitnichten alles vergeben lässt, schon gar nicht, wenn etwas vorgefallen ist, was seinerseits Traumata o.ä. ausgelöst hat. Auch esoterischer Humbug wie „Alle Menschen sind auf der geistigen Ebene miteinander verbunden“ ist abzulehnen. Das wäre ja furchtbar! Dieses Büchlein propagiert ferner unverbesserlichen Optimismus – als müsse man nur fest genug an etwas glauben, damit es in Erfüllung geht. Auf komplexere, weitergehende Fragen jedoch weiß auch Valenteano keine Antwort und wirft stattdessen munter mit Jesus- und Buddha-Zitaten um sich und bringt auch noch Gott ins Spiel. Diese verquaste Vermengung religiöser Konnotationen mit esoterischem Geschwurbel ist ärgerlich, aber letztlich typisch für diese Klientel in ihrer Erklärung psychologischer Phänomene mittels übernatürlicher „Mächte“.

So hilfreich es sein mag, innerhalb einer auf Effizienz, Konkurrenzkampf und Technologiegläubigkeit ausgerichteten Welt zu sich selbst zu finden, sein persönliches emotionales Gleichgewicht auszutarieren und sich eine gewisse Spiritualität zu wahren, so kontraproduktiv ist es, einfache Wahrheiten esoterisch aufzuladen und bedeutungsschwanger mit Begriffen wie „Erleuchtung“ u.ä. um sich zu werfen, um eine weltfremde Klientel entsprechend zu bedienen, statt an den gesunden Menschenverstand zu appellieren.

06.03.2020, Villa, Wedel: EUPHORIE + HARBOUR REBELS + BOLANOW BRAWL + BACKPAIN

Bei einem solch reizvollen Gig-Angebot unterbrechen wir dann doch gern mal unsere Aufnahmen, denen unsere Proben weichen mussten, proben wenigstens ein, zwei Mal das Set und begeben uns frohen Mutes nach Wedel, wo wir vor einigen Jahren schon mal zur Audienz gebeten hatten. Erfolgreich beanspruchten wir auch diesmal, den Opener zu machen. Der Soundcheck lief super (mit der Ausnahme, dass Christian ein Kabel schrottete und sich Ersatz leihen musste), HARBOUR-REBELS-Drummer Chris griff tatkräftig beim Anbringen des Banners unter die Arme und die frisch zubereitete Kürbissuppe+ (mit diversen Gemüseeinlagen) inklusive Baguette mundete vorzüglich – Kompliment an die Küche! Unsere Tradition, auf wenigstens eine Bierlänge den Veranstaltungsort zu verlassen und ein einheimisches Lokal aufzusuchen, verschlug uns diesmal in die Bahnhofskneipe „Holsteiner“, wo Astra vom Fass leer war und wir daher unsere Knollen bei Beschallung mit fragwürdigen Gangsta-Rap-Videos auslutschten.

Gegen 21:30 Uhr zockten wir vor rund 50 Leuten unser Set durch, das mit „Cliché“ eine Live-Premiere enthielt. Der neue Song verfügt über die bisher einzige deutsche Textzeile unserer Bandgeschichte, nämlich der perfekt mit dem Titel korrespondierenden „Heute gehen wir saufen – Punkrock, Fußball, Oi!“. Wie im Prinzip auch alles andere flutschte das Ding anstandslos. Zwischen den Songs fiel auf, dass gefühlt die Hälfte unseres Programms vom Hafengeburtstag inspiriert ist (dem Hamburger wohlgemerkt, nicht dem Wedeler oder gar dem Buxtehuder), und für jeden debilen Gag forderte Christian von Raoul einen Schlagzeugtusch ein. Keith wiederum dankte mir jedes Verlassen der Bühne zugunsten der Tanzfläche, die ich an diesem Abend ständig mit ihm (statt wie sonst mit Ole) aneinanderrasselte. War ‘ne willkommene Abwechslung, mal wieder live zu spielen – nur für ‘ne Zugabe erschien uns der Mob vor der Bühne noch etwas zu müde, weshalb wir ihm diese ersparten.

Die HARBOUR REBELS, jene erst vor wenigen Jahren gegründete Hamburger Streetpunk-Band um Ex-FAST-SLUTS-Bassistin Jule am Gesang und Mitgliedern von HEIAMANN, INSIDE JOB etc., belegten den mittleren Slot. Vornehmlich deutschsprachige, eingängige Songs mit viel Melodie und Hooks, knackigen Refrains und Jules fantastischer Stimme decken neben szenetypischen Themen (mein Favorit: „Trunkenbold“!) auch ernstere, unerfreulichere Bereiche ab, womit man sich angenehm von rein diverse Klischees bedienenden oder mit „unpolitischer“ Laissez-faire-Haltung kokettierenden Langweilern absetzt. Die Band ist schon verdammt weit rumgekommen (ich sag‘ nur: Asien-Tour) und äußerst konzertfreudig, sodass sie auch bestens eingespielt ist und alles sitzt wie ‘ne Eins. Geschmack bewies man auch bei der Cover-Version „Skinhead Times“ von THE OPPRESSED. Spitzenband und ein klasse Auftritt, der zurecht abgefeiert wurde!

Headliner des Abends waren somit die Münchner EUPHORIE, die nach der „Euphorie im Blut“-EP jüngst mit „Mittelfinger“ ein Hit-Album im guten alten unbekümmerten Oi!-Schraddel-Punk-Stil mit kräftiger Leck-mich-Attitüde abgeliefert haben. Ihre Heimatstadt verorten manche nach Bayern, für manch Hamburger oder Schleswig-Holsteiner hingegen ist das längst Norditalien. Aus Sicherheitsgründen und in Ermangelung von paranoiden Deutschen weggehamsterter Desinfektionsmittel arbeitete ich bereits den ganzen Abend daran, möglichen Corona-Infektionen mit der Alkoholkeule zu begegnen und meinen Körper von innen heraus bestmöglich vorbeugend zu desinfizieren. Das schien sehr gut zu funktionieren, ich fühlte mich mopsfidel und dazu in der Lage, die bestens auf den Punkt kommenden deutschsprachigen Alltagshymnen des Trios tanzend zu begleiten. Der EUPHORIE-Gig avancierte zur perfekten Party; obwohl die drei bereits einige Tourtermine in den Knochen hatten, gaben sie sich keine Blöße und hauten kräftig auf die Kacke. Sauber!

Doch anstatt das einfach mal als Höhepunkt des Abends stehenzulassen, setzte Wedel noch einen drauf: Die Oldschool-Hardcore/Hardcore-Punk-Combo BACKPAIN hatte sich spontan entschlossen, im Anschluss ans reguläre Programm noch einen kurzen Gig anzuhängen. Dieser wurde der totale Abriss, der mich derart unvorbereitet traf, dass ich Fotos zu machen vergaß und mich auch ansonsten nicht mehr detailliert erinnern kann – außer, dass die Kleinstadt an der Grenze zu Hamburg einmal mehr eine unfassbar talentierte Band ausgespuckt hat, die mit verschiedenen Shouterinnen und Shoutern (u.a. LAST-LINE-OF-DEFENSE-Eloi und DERANGED-Mareike) die Scheiße noch mal so richtig zum Kochen brachte! Das war die Kirsche auf der Sahnehaube eines klasse Abends, nach dem ich aber auch froh war, noch zwei Tage Wochenende vor mir zu haben. Nicht so übrigens HARBOUR REBELS: Diese zockten direkt am nächsten Tag in den Fanräumen für den guten Zweck, die Rollstuhl-Erlebnisreisen Giambo. Und auch EUPHORIE mussten in Limburg noch mal ran. Respekt! Danke an Benny, Nelly und alle anderen in die Organisation Involvierten, natürlich an Bands und Publikum sowie an Svenja und Flo für die Schnappschüsse!

21.02.2020, Kulturpalast, Hamburg: DESTRUCTION + LEGION OF THE DAMNED + SUICIDAL ANGELS + FINAL BREATH

Die internationale Thrash-Alliance-Tour machte ungefähr auf ihrer Mitte in Hamburg Halt und ging dankenswerterweise nichts in Docks oder in die Markthalle, sondern in den Kulturpalast am Bambi Galore, dem Herzen der Hamburger Metal-Szene. Der Eintrittspreis war echt fair, das Bier bezahlbar und der Termin an einem Freitag, also stand nach einer Feierabenddönerstärkung dem Thrash-Vergnügen eigentlich nichts mehr Wege. Wir hatten uns bemüht, peinlich pünktlich zu erscheinen, um den Opener FINAL BREATH nicht zu verpassen. Aufgrund etwas widersprüchlicher Angaben bei Fratzenbuch, auf dem Kulturpalast-Internetauftritt und auf den Eintrittskarten hätten wir aber gar nicht so zu hetzen brauchen: Obwohl bereits reichlich Metal-Volk anwesend war, waren wir sehr früh dran und konnten uns in aller Seelenruhe ins Bambi begeben, wo der Merchandise der Bands aushing und auslag. Kurios: DESTRUCTION verticken gebrauchte, reichlich lädierte Drumsticks ihres Trommlers Randy Black sowie ebenfalls Gebrauchsspuren aufweisende Trommelschoner oder so. Ob die ebenfalls in der Auslage zu findenden Schlüpfer mit aufgedrucktem DESTRUCTION-Schädel auch bereits benutzt waren, traute ich mich nicht herauszufinden. Was man als Band heutzutage so alles anbieten muss, um in Zeiten eingebrochener Tonträger-Verkäufe über die Runden zu kommen… Dafür bereue ich es heute, mir nicht gleich eines der schnieken Mad-Butcher-Shirts gesichert zu haben.

Ich war etwas in Sorge, dass der Live-Auftritt der ersten Band wieder für den Soundcheck herhalten würde müssen und man die Hälfte eines vermutlich ohnehin kurzen Sets lediglich Brei serviert bekäme, doch das war unbegründet: FINAL BREATH hatten vom ersten Ton an einen verdammt guten Sound, wenn auch durch die recht lauten Kickdrums etwas basslastig. Die bereits seit Mitte der 1990er aktiven und auf vier Alben sowie eine EP zurückblickenden bayrischen Death-Thrasher setzen auf Pretiose und Atmosphäre, ließen sie doch ein langes, düsteres Intro inkl. zum Bandnamen passenden Auszügen aus Schuberts Schwanengesang erklingen (meinte meine bessere Hälfte herausgehört zu haben 😉 ). Obwohl man sich fortan vornehmlich durch Midtempo-Material walzte, bildete sich recht früh ein hübscher Moshpit, zwischendurch wurde die Band immer wieder angefeuert. Später packte man die flotter gespielten Abrissbirnen aus und sorgte für noch mehr Stimmung. Was mir von den langsameren Songs auf Platte vielleicht zu zäh oder monoton gewesen wäre, entfaltete live eine unheilvolle, leicht morbide Atmosphäre, die vom dunklen Bühnenlicht untermalt wurde. Überrascht war ich auch von der Spielzeit der Band, die mir – ohne auf die Uhr geguckt zu haben – länger erschien als meist für Opener üblich. Ein gelungener Auftritt und perfekter Einstieg in den Abend.

Nach recht kurzer Umbaupause breiteten die griechischen SUICIDAL ANGELS ihre Flügel aus, die auf ihrer jüngsten Langrille „Years of Aggression“ mit Songs wie „Born Of Hate“, „The Roof of Rats” und „D.I.V.A.” einige neue Hits untergebracht hatten und sich weiter vom SLAYER-Soundalike emanzipierten.  Von diesen schaffte es lediglich „Born Of Hate“ ins Set, das mit dem Kriegsdoppel „Endless War“/„Capital Of War“ startete und mit „Bloodbath“ zwischenzeitlich seinen Höhepunkt erreichte. Ansonsten hätte ich persönlich den einen oder anderen Song gegen etwas brutaleren Stoff ausgetauscht. Was mich aber viel mehr irritierte, war der gemessen an den anderen drei Bands gefühlt (und gehört) deutlich leisere P.A.-Sound. Oder war das Einbildung? Die Stimmung weiter anzuheizen half der Gig nichtsdestotrotz und das weiter freidrehende Publikum hatte seinen Spaß.

Unterschätzt hatte ich die Kaasköppe LEGION OF THE DAMNED. Was ich bis aufs Debüt „Malevolant Rapture“ für in der Plattensammlung weitestgehend verzichtbar hielt, entpuppte sich live als ultrafieses, tightes Abrisskommando, das mir zeitweise den Atem stocken ließ. Die Setlist der Death-Thrasher setzte sich aus Songs des aktuellen Albums „Slaves of the Shadow Realm“, u.a. dem von mir als Hit des Albums notierten „The Widows Breed“, und älteren Stücken zusammen. Zwar musste ich auf meinen Liebling „Malevolent Rapture“ verzichten, entdeckte mit dem Titeltrack des dritten Langdrehers „Feel The Blade“ aber einen neuen Favoriten und mit dem Signature-Tune „Legion of the Damned“ kam das Debüt dennoch zu vom dazu animierten Publikum mitgesungenen Ehren. Wenn dieser Auftritt nicht ein paar Falten aus der Fresse gezogen hat, hilft auch kein Oil of Olaz mehr: Pfeilschnell, schön fieser Würgröchelkeif-Gesang eines Sängers, der uns zu verstehen gab, uns unsere Kehlen aufschlitzen zu wollen, eine aus sackstarkem Riffing und morbider Melodie errichtete unzerstörte Gitarrenwand und ein brutales Rhythmus-Massaker. Jawoll!

Auf den Headliner DESTRUCTION hatte ich mich am meisten gefreut, feiere ich die deutschen Thrash-Pioniere doch bereits seit seligen Kindheitstagen der 1980er. Als ich erfuhr, dass sich die Band um die Urgesteine Schmier und Mike endlich wieder um einen zweiten Gitarristen verstärkt hat, freute ich mir den Arsch ab – endlich wird Mike gerade live entlastet und endlich bleibt der volle Klampfendruck auch während der geilen Soli erhalten. Der neue Mann heißt Damir Eskić, spielt außerdem bei den Schweizern GOMORRA und hat das neue Album „Born to Perish“ miteingespielt, das mir auch wieder besser als die vorausgegangenen gefällt. Nach dem wunderbar passenden BARRY-MCGUIRE-Evergreen „Eve Of Destruction“, das als Intro aus der Konserve erklang, stieg das Quartett mit dem Titeltrack des neuen Albums ein, von dem es glaube ich drei weitere Stücke in die Setlist geschafft hatten. Ansonsten gab‘ nur wenig jüngeren Stoff, dafür Klassiker wie „Tormentor“ und „Mad Butcher“, das Instrumental-Stück „Thrash Attack“, „Death Trap“ und „Life Without Sense“, zu denen längst auch die extrem lecker gereiften mittelalten „Nailed to the Cross“, „Thrash Till Death“ und „The Butcher Strikes Back“ gehören. Letzterer läutete den zwei oder drei Songs umfassenden Zugabenblock ein, ansonsten bekomme ich die Reihenfolge nicht mehr zusammen – statt mir Notizen zu machen, habe ich DESTRUCTION abgefeiert und so gut ich konnte mitgesungen, während Andere moshten, pogten, circlepitetten, wallofdeathten oder crowdsurften. Schmier führte wie gewohnt in seiner Bühnenrolle, also mit evil verstellter Stimme, durchs Set, was ich ja immer bischn albern finde, ansonsten habe ich aber absolut nichts zu meckern. Hammer-Gig, der nicht nur mich kräftig durchschüttelte und euphorisierte. DESTRUCTION in Top-Form! Nur eines noch: Nehmt mal ruhig „Under Attack“ dauerhaft ins Set, ist ein Spitzensong!

So herrlich all das auch war, eines muss ich noch loswerden: Auf wessen Mist ist das Absperrgitter vor der doch ohnehin recht hohen Bühne gewachsen? Soll das eine Sicherheitsmaßnahme wegen der ab und zu aus dem Bühnenboden schießenden Kunstnebelfontänen sein? Keine Gitter, dafür ein paar Stagediver wären Stimmung und Atmosphäre in jedem Falle noch zuträglicher gewesen. Aber uns war’s am Ende wurscht. Wir verzogen uns noch auf ein, zwei Pilsetten auf die Aftershow-Party im Bambi, wo DJ Poser 667 auflegte und Musikwünsche erfüllte. Und jetzt hab‘ ich Bock auf NECRONOMICON, die am 14. März das Bambi beehren!

07.02.2020, Villa Dunkelbunt, Hamburg: TANZPALAST EDEN + TRÜMMERRATTEN (inkl. ÄHRENGAST)

Oha, doch schon wieder Februar – Zeit also, langsam mal die Konzertwinterpause zu beenden und verschlafen aus dem Bau zu kriechen. Dies empfahl sich vor allem an diesem Freitag, an dem im leider dem Abriss geweihten experimentellen Freiraum Villa Dunkelbunt mitten in Ottensen eine der letzten Veranstaltungen stattfinden sollte: Die Partyfraktion G.A.S. & FRIENDS hatte dort eine große Soli-Sause zugunsten der Mobilisierung der Gegenaktivitäten zum geplanten Naziaufmarsch am 1. Mai in Hamburg anberaumt und rund ums Hutkassen-Konzert herum Infostände aufgebaut, eiskalte Inkognito-Profis hinterm Tresen platziert, namhafte DJs engagiert etc. pp – und das altehrwürdige Gebäude wurde nicht nur wirklich wahnsinnig schnell rappelvoll, nein, sogar die erste Band begann vollkommen Punk-untypisch wie angekündigt pünktlich wie die Maurer. Das Aufgebot beschränkte sich leider auf zwei Bands, da die BRUTALE GRUPPE 5000 von außerirdischen Echsenpollen, die per Chemtrails über ihrem konspirativen Hauptquartier verteilt wurden, außer Gefecht gesetzt worden waren.

Den Anfang machten jedenfalls die TRÜMMERRATTEN, jenes sympathische Hamburger Quartett, das sich konsequent jeglichem Leistungsanspruch verweigert und lieber dem Zwei-Akkorde-Pogo-Punk frönt. Die Ansagen waren meist länger als die Songs, der Gesang leider aufgrund der offenbar an ihre Grenzen geratenen P.A. etwas leise, aber das Gesamtpaket machte wie üblich Spaß: Mit dem Charme des genialen Dilettantismus dargereichte, plakative, radikale D-Punk-Weisen gegen Deutschland, Bullen, Nazis und den HVV, wobei der Gig in der zweiten Hälfte immer flüssiger lief. Eine Nummer überraschte gar mit einem Rockstar-Gitarrensolo – welch ein Kontrast!? Die größte Reaktion des in Teilen vergnügt vor der Bühne pogenden Publikums rief „Nicht genug“ hervor, das dann auch ich lauthals mitgrölte. Der „ÄhrenGASt“ entpuppte sich schließlich als eine Dame und einen Herrn der mir bis dato unbekannten lokalen Jazzpunk-Hoffnung HINTERM GOLFPLATZ LINKS, die sich zum fröhlichen Instrumente- und Mikro-Tausch einfanden, logen, die TRÜMMERRATTEN noch nie zuvor gesehen zu haben (zumindest bei dem Herrn dürfte es sich um ein ehemaliges Mitglied gehandelt haben), und gemeinsam das eine oder andere Ständchen zum Besten gaben – mal vom Zettel abgelesen, mal nicht, und als Höhepunkt von nicht anrufenden Veganern und Radieschen, Radieschen, überall Radieschen handelnd. Dieses Lied hätte ich gern auf Kassette überspielt.

TANZPALAST EDEN ist so was wie ein Nebenprojekt von MÜLHEIM-ASOZIAL-Leuten und hat ungefähr vor einem Jahr sein Demo ins Netz gestellt. Deutschsprachiger, stilistisch eher in den ‘90ern verwurzelter melodischer HC-Punk mit leichter Emo-Kante oder so, so würde ich das grob umreißen. Eher die ernste Schiene, nicht so witzig stumpf und selbstironisch wie das, was TRÜMMERRATTEN & Friends hier kurz zuvor noch zelebriert hatten. Die Umgewöhnung fiel mir etwas schwer, zumal der Gesang wirklich sehr unterging. Auch hier musste sich der Sänger übrigens zeitweise eines Textblatts behelfen. Je ruppiger die Songs klangen, desto besser gefielen sie mir, ein wirkliches Urteil kann ich mir anhand dieses gefühlt auch recht kurzen Gigs jedoch noch nicht bilden.

So nahm die Party also mit Musik aus der Konserve ihren weiteren Verlauf. Als der DJ dann plötzlich Hit an Hit aus meiner Jugend aneinanderreihte, musste ich das natürlich hart abfeiern. Ganz vorbei ist’s in der Villa indes noch immer nicht: Am 06.03. lockt das „allerletzte letzte Abschiedskonzert“ mit SCOOTERKIDSMUSTDIE, BRAINDEAD und MATRONE.

Ach ja, Fotos? Der (nennen wir es mal so) „Abenderöffnungsrede“ meinte ich entnommen zu haben, dass die nicht unbedingt erwünscht seien, sodass ich darauf verzichtete.

Mad-Taschenbuch Nr. 25: Angelo Torres / Tom Koch – Das Mad-Buch der Weltgeschichte

Im Jahre 1980, drei Jahre nach seinem Erscheinen in den USA, brachte es dieses Mad-Taschenbuch auch zu einer deutschen Veröffentlichung. Unterteilt in sieben jeweils eine Epoche abbildende Kapitel und eingeleitet von einem dreiseitigen Vorwort wird sich rund 160-Schwarzweißseiten lang von 3050 v. Chr. bis 1969 n. Chr. in alternativer Geschichtsschreibung geübt. Ein kurzer Text leitet in den jeweiligen Abschnitt ein, der sich pro Ereignisjahr in ein großformatiges Bild im Karikaturstil und ein paar Zeilen dazu passenden Text aufteilt, der auf Mad-typische satirische Weise bestimmte Weltereignisse aufs Korn nimmt und gern Parallelen zur Gegenwart zieht oder generell anachronistisch in Erscheinung tritt. So heißt es zum Jahr 31 v. Chr.: „Das Drama zwischen Antonius und Kleopatra findet in der Originalbesetzung statt und ist damit um viele Millionen billiger als die spätere Neuverfilmung mit Richard Burton und Elizabeth Taylor.“ Und 1001: „Leif Eriksson entdeckt Amerika, hält es aber nicht für wert, darüber zu reden.“ Oder 1626: „Die Indianer sind überzeugt, ein glänzendes Geschäft zu machen, indem sie New York den Holländern für 24 Dollar überlassen.“ Auch schön: „1894: Thomas Edison führt den ersten Film vor. Alle sind davon hell begeistert – mit Ausnahme der Filmkritiker.“ Für all die Kriege und sonstigen blutigen Wahnsinn, der sich durch die Menschheitsgeschichte zieht, haben Zeichner Torres und Autor Koch nur Spott übrig, ansonsten mischen sich unter den Humor manch Absurdität, Seitenhiebe und Sprachwitz. Spaßiger Gesichtsunterricht nicht nur für Mad-Jünger und ein stilistisch neuer Ansatz innerhalb der Taschenbuchreihe, die hiermit eine Jubiläumsausgabe feierte, ohne dies mit auch nur einer Silbe zu erwähnen.

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