Die Qual der Wahl: Zu WHISKY PRIESTS im Monkeys? Zur HARBOUR-REBELS-Release-Party in die Fanräume? Oder zur NOTGEMEINSCHAFT PETER PAN ins Gängeviertel? Die PRIESTS hätten mein Budget gesprengt; letztlich wurd’s ein Stechen zwischen den Fanräumen und dem von Beyond Borders organisierten Konzert im Gängeviertel, das aus einem Bauchgefühl heraus den Zuschlag bekam. Es sollte der Tourabschluss der NOTGEMEINSCHAFT sein, die mit ihrem neuen selbstbetitelten Album durch die Lande getingelt war. Da war ich schon ein bisschen neugierig. Als wir in der geräumigen Fabrique eintrafen, hatten DR. ULRICH UNDEUTSCH gerade begonnen. Die Sachsen hatte ich letztes Jahr an selber Stelle erstmals gesehen und war damals nicht sonderlich angetan von ihrem spröden, monotonen HC-Punk. Diesmal allerdings traten die Helden in Strumpfhosen mit zwei Gitarren an, was dem Sound mehr Druck verlieh. Generell schien man mir diesmal deutlich mehr auf die Kacke zu hauen. Zwar ist mir das auf Dauer immer noch etwas zu gleichförmig, aber ich war durchaus positiv überrascht. Beim vorletzten Song fiel leider der Bass aus und die letzte Nummer war wohl ein Coversong, den ich nicht erkannt habe.
Dr.
Ulrich
Undeutsch
Die Ösis von MISSSTAND waren mir schon länger nicht mehr vor die Flinte gekommen; an ihren gemeinsamen Gig mit den SHITLERS im Menschenzoo dereinst hatte ich grundsätzlich gute, jedoch nur noch arg verschwommene Erinnerungen. Diese wurden mit dem Vorschlaghammer aufgefrischt, denn MISSSTAND legten mit Vollgas los. Manchmal etwas arg plakativer, ansonsten aber veritabler „Deutschpunk“, wenn man’s denn so nennen will: Schnelle Songs, gutes Aggressionslevel, ausreichend Melodie, um sich festzukrallen und Refrains, die sich gut mitbrüllen lassen. Die ausgiebige Tourerfahrung merkte man der extrem souveränen Band an, da saß jeder Ton. Der Drummer fiel mir mit einigen geilen Fills auf, NPP-Stemmen musste zwischendurch als Drum-Technician einspringen. „Sag mir wo!“ erinnerte mich thematisch stark an COCK SPARRERs „Where Are They Now?“. Das aktuelle Album „I Can‘t Relax In Hinterland“ kenne ich noch gar nicht, der Quasi-Titeltrack „Hinterland“ wurde als vorerst letzter Song gespielt und ließ mich zweifeln: „Es gibt kein ruhiges Hinterland“ lässt sich natürlich prima mitsingen, hat mit der Realität aber nichts mehr zu tun, die Nazis haben schon lange breite Landstriche für sich erobert. „Heimat zu Asche“ wurde dann noch als Zugabe kredenzt und zwischendurch gab’s gesangliche Unterstützung von Stemmen und RilRec/Plastic-Bomb/Filmemacher-Lars. MISSSTAND hatten es geschafft, für Bewegung zu sorgen, die ein sich unwirsch durch die Reihen pflügender Typ anfangs noch zu erzwingen versucht hatte. Schön aufstachelnder Gig!
Missstand
Das neue NPP-Album hatte ich bisher genauso wenig gehört wie den aktuelles MISSSTAND-Dreher, man kommt ja zu nix. Umso gespannter war ich, wie viele neue Songs man spielen und wie sich diese ins Set einfügen würden. Mit „Helikoptereltern“ griff man ein eher Punk-untypisches Ärgernis auf, vermutlich der erste Punksong über dieses Phänomen überhaupt – und zwar ein durchaus gelungener, der live auch gut zündete. „Steuertrick 17“ über die Steuerflucht von Konzernen und Superreichen war ein weiterer, textlich sehr stimmiger Song der neuen Langrille, ebenso „Kleben und kleben lassen“ über Walter Josef Fischer, zu dem man laut Sänger/Gitarrist Stemmen in Hamburg nicht erklären müsse, um wen es sich handelt: natürlich niemand Geringeren als Graffiti-Legende OZ. Eine schöne Hommage mit angenehm provokantem Text. Apropos Text: Stemmen hatte anfangs angekündigt, diesmal nicht so viel zu quatschen und machte auch einen – vermutlich tourbedingt – leicht abgekämpften Eindruck. Nach den ersten Songs war davon jedoch nichts mehr zu merken und alsbald fand er auch wieder zum gewohnten Redefluss zurück. Egal ob neues oder bekannteres Material, die Notis waren supertight und gaben sich keinerlei Blöße. Vor der Bühne herrschte stets beste Stimmung, wie es bei einem Heimspiel nicht anders zu erwarten war. Etwas zu kurz war mir die diesmal gespielte „Kellerkinder“-Version, umso feierlich wurd’s aber bei „Kleine Motivationshilfe“, jenem neuen Song, mit dem man sich vor denjenigen verneigt, die durch ihre außerparlamentarische, politisch antifaschistische Arbeit die Welt ein wenig besser machen. Diverse Freundinnen und Freunde bzw. Verwandte der Band gesellten sich – angelockt von ‘nem Gratis-Pfeffi – auf der Bühne dazu und sangen im Chor lautstark mit. Irgendeine Nummer fiel mir laut meinen knappen Notizen noch mit seinen Oho-Chören positiv auf, einem Stilmittel, auf das die Band m.E. gern öfter zurückgreifen dürfte. Gegen Ende coverte man einen MISSSTAND-Song zusammen mit MISSSTAND und die eine oder andere Zugabe gab’s auch noch. Trotzdem verging die Zeit wie im Flug, was sowohl fürs musikalische Abwechslungsreichtum der Band als auch den inhaltlichen Gehalt von Stemmens Ansagen und Statements spricht. Und wie gut Drummer Mario die Gesangs-/Schlagzeugspiel-Doppelbelastung meistert, rang mir mal wieder Respekt ab. Der sich zwischen ihm und Stemmen abwechselnde Hauptgesang macht mit den Reiz dieser sich stets sehr engagiert, politisch hellwach und aktionistisch gebenden und um positive Ausstrahlung bemühten Band aus, die ein gewohnt starkes Konzert gespielt hat, das durch die Hinzunahme diverser neuer Songs auf mich etwas gezügelter wirkte als vergangene Gigs. Zwischen jenem Abend und diesem Bericht habe ich es immerhin einmal geschafft, mir das neue Album anzuhören. NPP versuchen sich damit an einem gewagten Spagat zwischen Radikalität und Provokation auf der einen und der Erweiterung ihres Publikums durch das explizit politisch motivierte Ansprechen der Mittelschicht via niedrigschwelligen, an Vernunft und Menschenverstand appellierenden Texten, an die sich leicht anknüpfen lässt und die dadurch eine höhere Reichweite erlangen könnten, auf der anderen Seite. Inwieweit das von Erfolg gekrönt sein wird, bleibt abzuwarten; zumindest ich bin zu desillusioniert, um derartige Hoffnungen zu hegen und fühle mich vom einen oder anderen Song kaum angesprochen. Glücklicherweise finden sich auch diverse Höhepunkte auf der Platte, ein paar habe ich bereits erwähnt – und da das hier keine Plattenrezension werden soll, breche ich an dieser Stelle ab, hoffe, dass das Aftershow-Austrinken der Jupibar meine Erinnerungen an den Konzertabend nicht allzu sehr getrübt hat und freue mich, in einer gerade etwas arg fordernden und stressigen Phase meines Alltags zwischen Lohnarbeit und Studium endlich diesen Tagebucheintrag niedergeschrieben zu haben.
Am 03.10., also einen Tag nach unserem Gig mit ZUNAME im Menschenzoo, hatte mich René von VIOLENT INSTINCT gefragt, ob wir am Samstag für die Band mit dem originellen Namen EDGAR ALLAN POGEN einspringen könnten, die mit ihnen in der Harburger Sauerkrautfabrik hätte spielen sollen – aber leider krankheitsbedingt absagen musste. Ab und zu klappt‘s bei uns spontan und so entschlossen wir uns, dem von uns bisher komplett vernachlässigten Süderelbebereich mal einen Besuch abzustatten und dafür auf die für den Sonntag geplante vorletzte gemeinsame Probe vorm Irland-Ausflug zu verzichten. Und in der Sauerkrautfabrik zu spielen hatte ich ohnehin schon lange mal Bock. Inmitten Harburgs werden dort selbstverwaltet und unkommerziell in lockerer, angenehmer Atmosphäre alternative Kultur, ein Treffpunkt sowie ein Infoladen, für dessen Ausbau es sich um ein Solikonzert handelte, geboten.
Als ich mit Ole vor Ort eintraf – der Rest kam mit der Bahn hinterher –, hat VI-Drummer Stefan gleich kräftig mitangepackt, um unser Equipment in den Laden zu wuchten und schließlich auch geholfen, unseren Banner anzubringen. Danke, Keule – kollegial wie immer! VI-Chanteuse Aga hatte leider mit einer fiesen Erkältung zu kämpfen, die sie jedoch nicht vom Gig abhielt. Als ich ihr eine Gelo Revoice anbot, entgegnete sie, sie habe bereits sieben (!) intus…
Nach einem stärkenden Seitangulasch (seltsamerweise ohne Sauerkraut) machten wir uns an den Bühnenaufbau. Bis auf die Gesänge wurde nichts abgenommen und letztere mussten wir uns selbst über ein lüttes Mischpult in der Drummer-Ecke regeln. Anfänglich skeptisch von uns beäugt, entpuppte sich diese Lösung als völlig ausreichend und herrlich unkompliziert. Der ungefilterte Soundcheck klang gut und anschließend konnten wir uns in Ruhe ein paar Pilsetten reinschrauben und zusehen, wie sich die Bude nach und nach füllte. Ein Frühkonzert wie ursprünglich angedacht wurd’s dann doch nicht, aber ziemlich pünktlich um 21:00 Uhr fingen wir an. Wir spielten das gleiche Set wie am Dienstag im Menschenzoo, inklusive unseres jüngsten Ergusses „2 Day Session“. Die Chancen standen gut, diesen diesmal pannenfrei zu präsentieren, doch irgendwie schaffte ich es, mir selbst das Mikro aus der Hand zu reißen, indem ich versehentlich mit dem Fuß am Kabel zog oder so… Und passenderweise verpatzte Christian seinen Einstieg in „Brainmelt“, einem Song über alkoholbedingte Ausfallerscheinungen, mehrfach. Irgendwas ist halt immer. Alles andere dürfte aber ganz gut geflutscht haben und das Publikum war gut drauf, bekam seine Zugabe und konnte sich im Anschluss mit uns auf VIOLENT INSTINCT freuen.
Im Gegensatz zu mir hielt sich Aga gar nicht erst mit dem begrenzten Platz auf der Bühne auf, sondern gesellte sich zum Mob davor. Von ihrer Erkältung war nichts zu hören, absolut souverän sang sie sich durch die hauptsächlich deutschsprachigen Oi!-Punk-Hits des Debütalbums, unter die sich nun aber auch die englischen Songs der kurz vor der Veröffentlichung stehenden neuen EP mischten. Was starke, direkt ins Ohr gehende Melodien betrifft, stehen diese dem älteren Material in nichts nach, stilistisch wirken sie auf mich noch etwas stärker im klassischen UK-Punk verwurzelt. Wird man nichts mit falsch machen können, wenn die Scheiblette aus der Presse kommt! Seit VI die Kraft der zwei Klampfen haben, ist der Sound auch live stets schön drückend. Stefan peitscht die Schießbude wie eh und je kräftig durch und liefert dabei auch was fürs Auge, Ätzer am Bass rollt versiert den Tieftonteppich dazu aus. Sackstarke Band, die die Meute zu Recht zum Tanzen und Mitsingen brachte, während Teile meiner Band schon wieder versuchten, mich kräftig abzufüllen. Dabei hatte ich doch noch was vor, schließlich hatte ich schon vor der Gig-Zusage dem Menschenzoo versprochen, dort heute aufzulegen…
Dorthin hatte die Turbojugend Hamburger Berg die Bands THE BEASTS, POISON HEART und LUCIFER STAR MACHINE zitiert und offenbar nicht gerade übertrieben früh zum Angriff geblasen, denn als ich eintraf, wurde ich noch Zeuge eines fast kompletten LUCIFER-STAR-MACHINE Gigs. Nach zweijähriger Pause sind Tor & Co. wieder am Start, spielen weiterhin ihren Bad-Ass-Death-Punk’n’Roll und tragen verdammt dick auf. Teile des Publikums im recht gut ge-, aber nicht überfüllten Keller-Etablissements hatten natürlich schon kräftig einen im Tee und wirkten nicht mehr allzu aufnahmefähig, aber Tor tat alles, um die Meute noch mal kräftig anzustacheln – z.B. per TURBONEGRO-Cover „Good Head“. Ein weiteres in Form von GG ALLINs „I Kill Everything I Fuck“ war ebenso zu vernehmen wie eigenes Material à la „Eat Dust“, dem für mich vielleicht herausragendsten LCF-Song (ohne mit ihrem Werk bis ins Detail vertraut zu sein). Das LCF-Zeug tritt live allgemein ganz gut Arsch, macht Laune und ist hübsch asozial, wenn auch mir persönlich etwas zu sehr auf Badboy-Macker-Image gebürstet, wobei ich sowat wie ‘ne selbstironische Distanz etwas vermisse. Solange aber immer noch genügend Asi-PUNK-Charme durchblitzt und sich die Band musikalisch voll ins Zeug legt, kann ich da live schon Spaß mit haben. Den hatten LCF offenbar, denn man ließ sich nicht lumpen und brachte noch diverse Zugaben unters Volk, das ich anschließend mit meiner Musikauswahl noch ‘ne Weile in der Kneipe halten konnte. Eigentlich hatten sich noch drei meiner Bandkollegen, teilweise mit Begleitung, angekündigt, doch nach der Equipment-Rückfuhr machten die Luschen kollektiv ‘nen Abknicker… Um kurz nach 4:00 Uhr oder so war dann Feierabend nach einer sehr ausgefüllten Nacht – viel mehr geht nicht.
P.S.: Fotos aus der Sauerkrautfabrik gibt’s hier keine, da ich den Wunsch der Betreiberinnen und Betreiber respektiere, dort keine zu schießen. Danke an alle, die den dortigen Gig ermöglicht haben – gerne wieder!
Ich bin ja noch ein paar Konzerttagebucheinträge schuldig, also geb‘ ich jetzt mal bischn Gas:
In der Nacht auf den sog. Tag der Deutschen Einheit bekamen wir die Gelegenheit, die russischen Folk-Streetpunks von ZUNAME (sprich: Tsunami) zu supporten. Auf ihrer letztjährigen Tour hatte ich sie mir erstmals im Menschenzoo angeschaut, um eine Woche später mit ihnen im Potsdamer Archiv die Bühne zu teilen. Daraus wurde eine großartige Party, auf der man sich anfreundete – umso geiler, dass sie dieses Jahr wieder eine großangelegte Herbsttour unternahmen und man im Menschenzoo fand, dass wir musikalisch gut zueinander passen würden. Dabei sah es kurzzeitig leider sogar danach aus, dass das Konzert evtl. gar nicht stattfinden würde können: Bassist Kostya war zwei Tage zuvor aus einem Hochbett gestürzt und derart böse auf dem Kopf gelandet, dass er im Krankenhaus behandelt und der Gig am nächsten Tag abgesagt werden musste. In Hamburg allerdings biss er schon wieder die Zähne zusammen und verbarg unter seiner Kapuze einen kopfumfassenden Verband, der ihn nicht daran hinderte, die weiteren Gigs durchzuziehen. Show must go on! Optimalerweise konnten wir ZUNAMEs gemietetes Tour-Equipment mitnutzen, sodass wir mit kleinem Gepäck zum Menschenzoo reisten. Dort legten ZUNAME einen sauberen Soundcheck hin, während unserer auf sich warten ließ, weil Ole herumtrödelte und erst kurz vorm Einlass dazustieß. Norman schleuste uns dann aber recht flott durch seine tausend Schieberegler und gab sein Ok, woraufhin sich die Schleusen öffneten und sich der Zoo langsam aber sicher füllte. Zeit für Verpflegung: ein reichhaltiger Eintopf erwies sich als wohltuend für Rachen, Hals und Plauze.
Als wir mit „Total Escalation“ in unser Set einstiegen, war die Bude verdammt gut besucht und nach ein paar Songs legte sich sogar ein kleiner, aber feiner Pogomob vor der Bühne ins Zeug, zu dem sich auch einer aus der Crew der Russen gesellte, der die Songs unserer EP lauthals mitsang. Das befeuert einen natürlich und der Alkoholgenuss hatte sein Übriges dazu beigetragen, dass zwischen den Songs wieder reichlich Humbug von meinen Bandkollegen abgesondert wurde, was immer noch besser ist als so’n eher steifes Auftreten wie zuletzt in Rotenburg. Wir wollten und konnten unser komplettes aktuelles Probeset durchzocken, haben uns am Ende aber entschlossen, die letzten beiden Songs zu tauschen – was Ole nicht so richtig mitbekommen hatte und schon nach der vorletzten Nummer seine Gitarre abstöpselte und einpackte. Später kommen und früher gehen – so nicht! Also kurzerhand den Mann zurückgepfiffen und ordnungsgemäß mit der Zugabe „Fame“ den Gig beendet, von dem Gar-nicht-mehr-so-neu-Zugang Keith – wie so oft nach Konzerten mit seiner Beteiligung – fand, er sei unser bisher bester gewesen. Soweit würde ich nun nicht gehen, einmal hab‘ ich mich verträllert und hier und da hat’s auch musikalisch etwas gehakt, z.B. bei der Livepremiere unseres jüngsten Songs „2 Day Session“. Dessen Text hatte ich mir noch als Spickzettel neben die Box gehängt, den sich gegen Ende interessanterweise jemand stibitzte, mit fragendem Gesichtsausdruck durchlas und schließlich gegen eine Setlist eintauschte. Besonders mit dem Publikumsandrang und den positiven Reaktionen hatte ich in diesem Ausmaß nicht gerechnet, insofern war ich vollauf zufrieden.
ZUNAME ließen im Anschluss nicht lange auf sich warten, die Umbaupause fiel recht kurz aus. Rechtzeitig zu ihrem ersten Song kam sogar noch ein ganzer Rutsch weiteren Publikums, das die Band verdientermaßen abfeierte. Astreiner, flotter, hymnischer Streetpunk mit rauem englischem und russischem Gesang, dem nötigen Maß an Aggression, dem Druck von zwei Klampfen und Marinas Dudelsackspiel als Alleinstellungsmerkmal, der für den unverkennbaren Celtic-Folk-Anteil sorgt. Vor der Bühne war viel Bewegung, ich irgendwann mittendrin, Pogo und Crowdsurfing, verschwitzte Körper, Biergespritze – perfekt! Und größter Respekt an Kostya, der absolut souverän sein Ding durchzog, als sei nichts gewesen. Ich hoffe, er ist mittlerweile wieder vollständig genesen und falls noch nicht, weiterhin gute Besserung! „Whisky Bottles“, einer von so vielen ZUNAME-Hits, wurde noch mal als Zugabe gespielt, bis die Band, die einmal mehr alles gegeben hatte (auch wenn’s wie eine blöde Floskel klingt – keine Spur von einem Tourkater o.ä.), in den verdienten Feierabend entlassen wurde. Diesmal hatte ich Glück am Merchstand und mein Lieblings-Shirtmotiv gab’s noch in meiner Größe. Zusammen mit der CD, einer schönen Zusammenstellung von Singles und Sampler-Beiträgen, gleich mal gesichert und es nicht bereut. Spitzenband, immer wieder gerne, und ein klasse Abend, bei dem wir mal wieder kein Ende fanden und noch die Nacht zum Tag machten.
Danke an die Menschenzoo-Wärterinnen und -Wärter, an ZUNAME, ans geile Publikum sowie natürlich wie immer an Flo für die Live-Schnappschüsse! На здоровье!
Zu diesem Gig kamen wir wie die Jungfrau zum Kinde: Am Montag fragte RACCOON-RIOT-André an, ob wir kurzfristig im Schlemmereck auf dem Hamburger Berg spielen könnten, und obwohl Spontanität sonst nicht so unser Ding ist, sagten wir am Mittwoch zu (nicht ohne abzuklären, ob man dort wisse, worauf man sich einlässt). Hintergrund: Nach dem bedauerlichen Ableben des ursprünglichen Schlemmereck-Betreibers, unter dem sich die Speis-und-Trank-Kneipe zum Hauptquartier der Hamburger Turbojugend entwickelt hatte, wurde der Laden zu einer seelenlosen Billigspelunke verunstaltet, bis der neue Besitzer erkennen musste, dass damit kein Staat zu machen ist. Daraufhin übertrag er die Verantwortung Freunden des ursprünglichen Konzepts und ließ ihnen freie Hand, sodass diese – wenn auch unter kieztypisch eher ungünstigen Bedingungen – nun versuchen, den alten Charme im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu restaurieren und wieder Schwung in die Bude zu bringen. Ein hehres Unterfangen, zu dem u.a. der Plan zählt, eine regelmäßige Konzertreihe an jedem dritten Samstag eines Monats zu etablieren. Als der erste Termin, der zudem aufs Reeperbahn-Festival fiel, verdammt nahegerückt war, man jedoch noch nichts organisiert hatte, bat man André um seine Hilfe, der uns schließlich ins Boot holte. Bischn Internet-Propaganda war schnell gemacht und so wurden flugs die letzten Absprachen getätigt, bevor wir uns tatsächlich am Samstagnachmittag auf „die andere Seite“ des Kiezes begaben. Kai war sogar entgegen allen Punk-Klischees so dermaßen überpünktlich, dass er zunächst vor verschlossener Tür stand, wir anderen kamen mit unserem Equipment nach, wie üblich per Taxi. Da André Schlagzeug und Anlage zur Verfügung stellte, mussten wir uns keinen Bruch heben und konnten entspannt zum ersten Bierchen greifen, während er zusammen mit der Schlemmereck-Crew alles aufbaute und verkabelte. Tische und Bänke im hinteren Bereich der Kneipe wurden entfernt und zur Bühne umfunktioniert. Dr. Tentakel vervollständigte das Drumset und Kai sowie Mike schlossen ihre Äxte für erste Soundchecks an. Dabei musste Kai feststellen, sein Effektgerät offenbar geschrottet zu haben, sodass er sich ausschließlich am Amp um einen achtbaren Klang bemühen musste, während Mike einen der Glaslampenschirme der tiefhängenden Leuchten versehentlich per Headbanging zerstörte – woraufhin die verbliebenen Lampen sicherheitshalber höhergehängt wurden („Hängt sie höher!“).
Gemeinsam tüftelte man schließlich den Gesamtsound inkl. Gesängen aus, was nach einem letzten Mikrotausch auch ganz gut zu gelingen schien. Im Endeffekt hatten wir überraschenderweise einen klaren, differenzierten Sound wie vermutlich nie zuvor, man konnte wohl sogar jedes einzelne Wort, das ich so ins Mikro keifte, verstehen. Damit hatte ich nun nicht unbedingt gerechnet. Zeit für ‘ne Pizza aus der gegenüberliegenden Trattoria (die Schlemmereck-Küche war geschlossen geblieben) und ein paar Pilsetten zum Warmtrinken. Das Gratis-Frühkonzert war für 19:30 Uhr angesetzt worden, was wir noch etwas nach hinten verzögerten. Ich war gespannt, wer so alles überhaupt derart kurzfristig etwas von diesem Gig mitbekommen haben würde – und wie viele sich so früh aufraffen würden, um sich pünktlich zum Herbstbeginn eine Dosis Hasspunkkrawall abzuholen. Wurden dann doch so einige, die ihren Weg in den geschmackvoll zwischen rustikal und Rock’n’roll dekorierten Laden fanden. Unter die Klientel, die von uns bisher vermutlich noch nie etwas gehört hatte, mischten sich zu meiner Freude auch einige Waffenbrüder und -schwestern. Kurz nach acht dürfte es gewesen sein, als unser Intro gefolgt von „Pogromstimmung“ erklang, über die üblichen altbekannten Nummern sowie Neuzugang „Spaltaxt“ über die seltener Gespielten „Victim of Socialisation“ und „Montag der 13.“ bis zur Hommage an den sozialistischen Plattenbau „Ghettoromantik“. Lief wohl alles relativ pannenfrei, hier und da holperte es etwas oder ich drohte, übers Mikrokabel zu stolpern, ansonsten keine besonderen Vorkommnisse. Die Connaisseurs im Schlemmereck ließen es sich munden, spendeten Applaus und beschwerten sich meines Wissens hinterher auch nicht beim Chefkoch. Obwohl wir unser komplettes Set gespielt hatten (das für die vorausgegangenen Gigs jeweils hatte gekürzt werden müssen), kam es sowohl uns als auch den Gästen plötzlich verdammt kurz vor, so als einzige Band des Abends… Bis wir genug Material für zweieinhalbstündige Stadionshows haben, müssen wir also noch ein paar Songwriting-Sessions abhalten, vorher sollten wir uns allerdings vielleicht doch mal wieder was für ‘ne potentielle Zugabe überlegen. Vielleicht einen Song über Zugaben? Gibt’s so was schon?
Auch nach dem Gig zeigte man sich seitens des Schlemmerecks stets um unser Wohl bemüht und ein erkleckliches Sümmchen für die Bandkasse kam auch zusammen. Besten Dank für alles! Das Schlemmereck mit verzerrter Stromgitarre zu entjungfern hat Laune gemacht, wenn es auch gewöhnungsbedürftiges, bisher unbetretenes Terrain war. Bleibt zu hoffen, dass sich diese Premiere für alle gelohnt hat und wir niemanden verschreckt haben. Unabhängig davon, wie man zur Turbojugend u.ä. steht, ist das eine empfehlenswerte Kiezbude, die von korrekten Leuten betrieben wird und die man ruhig mal aufsuchen kann – ob nun mit oder ohne Konzert. Für die Zukunft wünsche ich gutes Gelingen! Apropos Zukunft: Mit BOLANOW BRAWL bin ich am Dienstag, 02.10. (dem Abend vorm Feiertag) im Menschenzoo, Mission: Support für die russischen Celtic-Folkpunks und Potsdam-Trinkkumpanen ZUNAME – komma rum da!
P.S.: Danke an Pia, Flo, Anja und Qualle für die Live-Schnappschüsse!
Freud und Leid lagen rund um dieses Konzert nah beieinander: Aufs Urlaubszeitende bedingte Leid folgte die Vorfreude auf dieses Konzert, verbunden mit eingerosteten musikalischen Fähigkeiten und einem allgemeinen Ungeprobtsein, worunter der Gig zu leiden drohte. Immerhin hatten die Mitglieder meiner kleinen Stimmungskapelle so rechtzeitig ihren Müßiggang beendet, dass man zumindest noch ein einziges Mal zum Proben zusammenfand. Erfreulich war, dass die ganze Lala noch ganz gut saß. Zu einer leidvollen Erfahrung wurde wiederum der berüchtigte innerstädtische Stau Hamburgs, der uns nur wenige Kilometer vom Probebunker entfernt auf dem Weg gen Niedersachsen aufhielt. Die Freude wiederum war umso größer, dass wir trotzdem sogar noch deutlich vor der Zeit am Ort des Geschehens eintrafen. In das Konzept der sich diametral gegenüberstehenden Emotionen passt dann auch, dass es einen freudigen Anlass zu feiern gab – den jeweils 30. Geburtstag unserer sich natürlich wesentlich jünger gehalten habenden Gastgeberinnen Julia und Nelly –, der jedoch zugleich die letzte Veranstaltung überhaupt in der altehrwürdigen Rotenburger Villa sein sollte: Das Gemäuer wird in Kürze dem Erdboden gleichgemacht und die Zukunft für D.I.Y.-Konzerte in der Region ist ungewiss.
Vor Ort begrüßten wir neben Nelly den Wedeler Mario, der beim Banneraufhang helfend zur Hand ging, und konnten die ersten Getränke zu uns nehmen. Kurz darauf nahm Nelly alle Hungrigen an die Hand, wahlweise zum Anatol oder zum Ostasiaten, und sorgte für volle Mägen. Das Leid meldete sich, als man uns eröffnen musste, dass der Soundmischer kurzfristig absagen hatte müssen. Dafür sollte jedoch ein Freund des Hauses einspringen und sein Bestes versuchen. Das tat der gute Mann auch, hatte mit einem Mischpult, mit dem er nicht vertraut war und das zudem offenbar technische Macken aufwies, jedoch sicherlich nicht das allergrößte Los gezogen. Dabei ging’s eigentlich „nur“ um den Gesang, der Rest brauchte ohnehin nicht abgenommen werden. Nach einem sich hinziehenden Sound- und Linecheck inklusive zahlreichen Kabel- und Mikrotauschs und unter tatkräftiger Mithilfe der HAERMORRHOIDS hatte ich dann endlich einen Hauptgesang, den sowohl ich und meine Musikanten ein bisschen, der Mob vor der Bühne jedoch laut und deutlich vernehmen konnte. „Die spielen als Erste, die wollen saufen!“, hieß es über uns – soweit korrekt. Naja, und außerdem hatte ich bisher die Erfahrung gemacht, dass in Rotenburg der jeweils ersten Band die meiste Aufmerksamkeit zuteilwird. Konnte ja niemand ahnen, dass es diesmal umgekehrt sein würde: Locker die Hälfte aller Anwesenden ignorierte uns geflissentlich und zog es vor, im Erdgeschoss am Tresen bei DJ Sascha, Kickertisch und Dartscheibe zu feiern. Alle anderen bekamen jedoch elf Mal BOLANOW BRAWL, denen sie vielleicht auch noch etwas die Sommerpausenhüftsteife anmerkten. Zwar saßen Mucke und Texte weitestgehend, als Frontsau war ich aber sicherlich schon mal lockerer und schlagfertiger und wir als Band insgesamt kommunikationsfreudiger. Laune gemacht hat’s trotzdem! Schade, dass es für unseren jüngsten Song „Two Day Session“ noch nicht ganz zur Live-Premiere gereicht hatte – vielleicht am 02.10. im Menschenzoo?
Bolanow
Brawl
THE HAERMORRHOIDS, ebenfalls aus Hamburg, zogen dann im Anschluss einige Leute mehr. Das Trio zockt QUEERSigen, NOFXigen, RAMONESken, garagigen Pop-Punk US-amerikanischer Prägung, gern flott und kurz, aber prägnant. Drummer und Gitarrist wechselten sich am Gesang ab und wenn der Bassist ‘ne Ansage machte, klang’s durch die P.A., als würde er gerade anrufen – zum Amüsement des Publikums. Gecovert wurde „Havana Affair“ vonne RAMONES. Diese alte schnörkellose One-two-three-four-Let’s-Go!-Schule macht nach wie vor Spaß, sorgt für Kurzweil und geht ins Bein. Die melodischen Refrains kamen bisweilen mehrstimmig, ließen sich schnell mitsingen – und sämtliche drei Akkorde wurden so oft neu arrangiert, dass es für drölfzig Songs reichte, die die Band allesamt auf ein Tape gezwängt hat, das ich mir im Tausch gegen eine unserer EPs sicherte und vielleicht auch endlich mal hören kann, sobald sich unser Merchbeutel und ich wieder zeitgleich im Proberaum befinden.
The Haermorrhoids
HEIAMANN schließlich wollten dann alle sehen, die noch stehen konnten. Die Band um ex-VOLXSTURM-, ex-SMEGMA-Stahmer sowie SMALL-TOWN-RIOT-/ex-SUICIDE-QUEENZ-Klampfer Endorsement-Andy spielt nun auch schon seit ein paar Monden ihren melodischen deutschsprachigen Streetpunk, kreuzte, wie’s manchmal eben so ist, bisher aber noch nicht meine Konzertwege. Umso gespannter war ich auf mein „erstes Mal“, zumal ich mir das jüngst veröffentlichte Album „Wir sind nicht zum Spaß hier“ noch gar nicht angehört hatte. Tja, Aller, dass die Jungs das nicht zum ersten Mal machen, merkte man ihnen vom ersten Song an an. Zwei spielfreudige Gitarren zaubern eine eingängige Melodie nach der anderen aus dem Hut, Bass und Drums machen Druck und Stahmer übernimmt den aufgekratzten Hauptgesang, unterstützt von den genreimmanenten Chören in den dominanten Refrains. Im Gegensatz zu mancher für meinen Geschmack zu gesetzt und abgeschmackt klingenden zeitgenössischen Band dieses Bereichs haben HEIAMANN noch ordentlich Pfeffer im Arsch und verstehen es auch, diesen aufs Publikum zu übertragen. Ok, so ca. ab der Hälfte war ich eh nicht mehr wirklich zurechnungsfähig und befand mich fest im Griff meines euphorisierenden Lieblingsgetränks – Freibier! –, beschloss aber kurzerhand, die Platte einfach mal mitzunehmen, allein schon, um meinen Eindruck auch mal nüchtern und in Ruhe überprüfen zu können. Doch die Freude über den Neuerwerb währte nicht allzu lang, denn als irgendwann kollektiver Ortswechsel anstand, fiel mir noch ein, dass ich meine Plünnen noch im Abrissgebäude stehen habe, fand den HEIAMANN-Dreher aber nicht mehr. Die fiese Type, die mir stets heimlich folgt und sich aus meinen liegengelassenen oder verlorenen Tonträgern eine eigene Sammlung aufbaut, dürfte um ein weiteres Exemplar reicher sein.
Heiamann
Wo wir hinwollten, war übrigens zu. Teile meiner Band waren aufgrund von Krankheit (Christian spielte mit 100 °C Fieber und TBC) oder leichtfertig getätigten Zusagen fürs weitere Wochenende leider schon frühzeitig abgehauen oder taten es spätestens jetzt , also begaben Flo und ich uns lediglich zusammen mit Sascha in den Garten unserer freundlichen Herbergsdame, der wir vermutlich noch ein bisschen auf die Nerven gingen, bis irgendwann echt kein Bier mehr in uns hineinpasste und wir uns in die Horizontale begaben. Bei allem beschriebenen Leid überwog definitiv die Freude über die geile Party. Danke noch mal an die Geburtstagskinder, alle, die organisiert und mitgefeiert haben, unsere Herbergsdame für die luxuriöse Unterkunft sowie Flo für die Schnappschüsse unseres Gigs! Außerdem an alle, die sich so großzügig bei der Spendensammlung für die Bands gezeigt haben, dass sogar noch bischn wat für die Bandkasse rumkam! Bleibt zu hoffen, dass sich schnell ein adäquater Ersatz für die Villa findet – alles andere wäre verdammt traurig.
Auf ‘nem zünftigen Metal-Open-Air-Festival war ich seit 2016 nicht mehr gewesen und so langsam hatte mein Körper mal wieder nach einem verlangt. Vom Headbangers Open Air irgendwo auf’m Dörben hinter Elmshorn (im Garten des Organisators) hatte ich bisher nur Gutes gehört, zudem ist’s gewissermaßen gleich umme Ecke. Nach Rücksprache mit der besseren Hälfte also frühzeitig die Tickets gesichert, ein Zimmer reserviert (Zelten ertrage ich nicht mehr) und schließlich am Donnerstag, dem 26.07. unter die abgeranzten Kutten, stolz präsentierten Bierbäuche und das Spandex-und-Schnurri-Revival gemischt, um mir ‘ne Überdosis Schwermetall zu injizieren. Da ich zumindest über Kutte und Plauze selbst verfüge, sollte ich auch nicht negativ auffallen. Zunächst hieß es aber, erst mal anzukommen, und das war dank unserer Verpeiltheit gar nicht so trivial: Wir verspäteten uns bei unseren Gastgebern, nicht jedoch etwa aufgrund der Signalstörung, die auf diesem Streckenabschnitt, wie später die Rückfahrt zeigen sollte, offenbar eher die Regel denn die Ausnahme ist: Nachdem wir in Altona in die Regionalbahn gestiegen waren, hatten wir uns in unsere Lektüren vertieft und glatt den Ausstieg in Elmshorn verpasst – wer kann denn auch ahnen, dass die Bahn plötzlich so flink ist?! Also nächste Station raus, die Vermieter in Kenntnis gesetzt und dasselbe Stück wieder zurückgefahren… Unsere Gastgeber indes erwiesen sich als so cool, uns kurzerhand am Bahnhof Osterhorn mit dem Auto abzuholen, sodass wir einiges an Zeit wieder gutmachten. In der komfortablen Unterkunft also aufgrund der Affenhitze kräftig eingeschmiert, Tascheninhalte aus- und umsortiert und per Taxi zum ca. 5 km entfernten Festivalgelände.
Ggü. unserer Unterkunft
Tag 1: Lost in Necropolis
Da es am Eröffnungstag erst um 16:00 Uhr losging, lagen wir perfekt in der Zeit. Kurze Stärkung an der Fischbrötchenbude (deren Verkäuferin nebenbei ihre aufgrund der Hitze kollabierte Mutter versorgen musste), die ersten Freunde und Bekannten aus der HH-Metal-Szene begrüßt und einen groben Überblick übers Gelände verschafft – jo, is’n gemütliches, fast schon familiäres Festival mit Besucherzahlen im unteren vierstelligen Bereich und fairen Preisen! Den Opener machten die postapokalyptischen Power-Metaller SHADOWBANE aus Hamburg, die für die Speedsters von VULTURE eingesprungen waren, welche leider hatten absagen müssen. Scheiße, ist’s wirklich schon mehr als fünf Jahre her, dass ich SHADOWBANE zuletzt gesehen hatte?! Damals, im Bambi, als Support für BLAZE BAYLEY… Mit ihren Show-Einlagen erwiesen sie sich jedenfalls als die perfekte Vorhut: Typen in ABC-Schutzanzügen (bei der Hitze…) betraten fahnenschwenkend die Bühne, hatten radioaktivgrünen Schnaps in Reagenzgläsern dabei, den sie der Band einflößten, und standen ansonsten postapokalyptisch am Bühnenrand herum. Die Band zockte derweil ihren flotten, manchmal leicht thrashigen, immer vollkommen unpeinlichen, sich dem „Happy Metal“ verweigernden Power Metal, hatte Synchronposen wie einstmals ACCEPT einstudiert, und Dieter Bohlen am Mikro überzeugte mit kräftigem Klargesang. Ein gelungener Einstieg ins Festival, zu dem die regionale Spezialität „Kirschbier“ gut mundete.
Shadowbane
SPEED QUEEN aus Belgien ist keine amphetaminabhängige Monarchin, sondern eine belgische Speed-Metal-Hoffnung, deren im letzten Jahr veröffentlichte Mini-LP gut eingeschlagen hat. Dass der Sänger mal nicht in den höchsten Tonlagen quäkt, ist ‘ne willkommene Abwechslung zu anderen Speed-Bands. Live ließen sie’s hier ebenfalls gut krachen: Auf zweimal Hochgeschwindigkeit folgte eine Boogie-Nummer „for the girls“, wie man das Publikum wissen ließ. Dann wurde das Gaspedal wieder durchgetreten. Die Songs des Vinyls wurden mit einem sehr geilen Instrumental sowie den Coverversionen „Nice Boys Don’t Play Rock’n’Roll“ (ROSE TATTOO) und „Doctor Doctor“ (UFO) angereichert, der Stimmungspegel blieb stets gleichbleibend hoch. Neben „Kids of Rock’N Roll“ hatte es mir besonders „Fly High“ angetan und der letzte Song „Stay Drunk“ wurde mit einer der lässigsten Ansagen des Festivals angekündigt: „Stay sexy, stay drunk!“ Logen, Digger!
Speed
Queen
Wir blieben im Tempo: Die Überzeugungstäter SEAX aus Massachusetts haben seit 2012 alle zwei Jahre ein Album veröffentlicht und sich mit Haut und Haaren dem Speed Metal verschrieben, erweitert um eine gewisse HC-Punk-Kante. One, two, three, four, gib ihm! Sänger und Schönlingsblondchen Carmine kreischt dazu in den höchsten Tönen, das Background-Shouting setzt die nötigen Kontraste dazu. Ist mir persönlich manchmal bischn zu „drüber“; gern weniger Gekreische und mehr Hooks in den Riffs. Ihre Hits hat die Band aber zweifelsohne („Livin‘ Above the Law“, „Speed Metal Mania“, „Fall to the Hammer“) und live lief mir an diesem Nachmittag „Nuclear Overdose“ am besten rein – Knaller!
Seax
Den Drummer und den Gitarristen teilen sich SEAX mit ihren Nachbarn RAVAGE, die seit 1995 im Underground herumrödeln und seit einiger Zeit auf Metal Blade auch richtige Studioalben veröffentlichen. Allein schon wegen ihrer geilen Plattencover will ich sie eigentlich mögen: Auf „Return of the Spectral Rider“ schießt ein Mutant auf einem Endzeitmotorrad und mit einem Riesenhammer bewaffnet aus Castle Grayskull heraus – ich mein‘, wie geil ist das denn?! Hat aus der Konserve nur leider bisher nicht so geklappt, das Abfeiern, und auch live wähne ich mich erst mal im falschen Film: Der Sänger erweist sich als hinterletzter Poser, der, die Matte streng zurückgekämmt, zum Zopf zusammengebunden und mit Sonnenbrille auf dem Zinken, kaugummikauend (!!!) sein Set absolviert. Er wäre wohl gern ein großer klassischer Metal-Sänger, hat dafür aber einen viel zu geringen Stimmumfang. Musikalisch mäandert man irgendwo zwischen Heavy, Speed und Thrash, doch wo sind die erhabenen Melodien, wo die Killerrefrains? Den Rest gibt den belanglosen Kompositionen dann meist besagter Sänger, der stimmlich durch die Songs eiert und ständige „Wohohos“ und „Yeahyeahyeahs“ unterbringt, bis irgendwann fast alles danach klingt – auch wenn er ganz etwas anderes singt. Ich hatte die Band schon abgeschrieben, als sie plötzlich für zwei Songs mächtig Gummi gab, was zumindest musikalisch arschtrat. Und gegen Ende dann endlich der Hit der Band, bei dem sich der Sänger darauf besinnt, einfach giftig zu keifen: „The Shredder“! Eine astreine Thrash-Nummer, die für einiges entschädigte. Würden RAVAGE so oder so ähnlich dauerhaft klingen, wäre ich der Erste, der sich eines ihres Grayskull-Shirts holt – versprochen!
Ravage
Der schwedische Multiinstrumentalist und Band-Tausendsassa Cederick Forsberg hat einen Narren an den ollen Hamburger Metal-Piraten RUNNING WILD gefressen und ein nach einem deren Alben BLAZON STONE benanntes Projekt gegründet, um möglichst genauso zu klingen. Die einen nennen’s Plagiat, die anderen Hommage, mir war’s bisher reichlich wumpe. Nun hat Ced eine Liveband zusammengestellt und seinem Bruder Erik das Mikro in die Hand gedrückt, der auch auf den letzten Alben gesungen hat. Optisch hat Rock’n’Rolf mit seiner Pudelfrise schon mal bischn wat mehr hergemacht als der untersetzte, kurzhaarige Moppel. Auch hat Rolf eine etwas dunklere, tiefere Stimme. Dafür scheinen BLAZON STONE aber tatsächlich die besseren RUNNING-WILD-Songs als Angelo Sassos Cheffe zu schreiben, zumindest zu bestimmten, hoffentlich überwundenen Phasen. Die fetten Chöre, die zwingend dazugehören, kamen aus der Konserve, was ich ziemlich daneben finde: Only live is live. Nichtsdestotrotz hat Ced sehr ordentliche Gitarrenarbeit geleistet, wovor ich meinen Piratenhut ziehe. Manch flott gezocktes Double-Lead versetzte dann auch wirklich in Verzückung. Auf „Branded and Exiled“ habe ich trotzdem vergeblich gewartet…
Blazon
Stone
Dass es der letzte MANILLA-ROAD-Auftritt werden würde, hatte niemand geahnt. Umso glücklicher bin ich, diesem beigewohnt zu haben – schließlich war es nicht nur mein letzter, sondern auch mein erster! Aus Epic Metal mache ich mir normalerweise nicht viel. Klar haben z.B. MANOWAR ihre Hits wie „Black Wind, Fire and Steel“, aber ansonsten hat sich mir diese Band genauso wenig erschlossen wie weniger populäre Bands dieses Subgenres. IRON MAIDEN sind für mich episch, nicht aber Bands, die sich selbst diesen Stempel aufdrücken und überflüssiges Fantasy-Zeug singen. Dass die so lange vom Gros der Szene verkannten, im Untergrund stets als Geheimtipp gehandelten MANILLA ROAD aber irgendwie anders sind, hatte ich bereits während meiner ersten Phase der Beschäftigung mit ihnen erkannt. Diese liegt noch nicht lange zurück, beschränkte sich auf die zum Kult erkorenen ‘80er-Alben und förderte deren offensichtlichste Hits zutage. Einer dieser Ohrwürmer ist „Divine Victim“, zu dem wir mit leichter Verspätung zu diesem Gig stießen. Die Band um Subgenre-Mitbegründer und kauziges Urgestein Mark „The Shark“ Shelton, seit den 2000ern verstärkt um Sänger Bryan Patrick, spielte ein Co-Headliner-Set, das mich in seinen Bann zog. Shelton schien völlig in seiner eigenen Welt zu sein, einer Welt, die er mit seinem Gitarrenspiel erschuf und an der er das Publikum teilhaben ließ. Viele Stücke klangen sehr getragen, aber auch sehr wuchtig, einnehmend. Sie versetzten einen beinahe in eine Art Trance-Zustand, wenn man sich auf sie einließ. Zwischendurch verstummten seine Mitmusiker für ein Gitarrensolo Marks, obwohl bei einigen Stücken ohnehin auf jede Strophe ein Gitarrensolo folgte. Fasziniert beobachtete ich diesen alten Mann mit seiner Gitarre und was er alles mit ihr anstellte, welche Klänge er ihr entlockte. Die meisten Songs wurden von Bryan Patrick mit seiner dunklen, sonoren Stimme gesungen, andere teilte er sich mit Mark. Eine tolle Halbballade vom aktuellen Album wurde hauptsächlich von Mark gesungen, bei „Necropolis“ übernahm er die Strophen. Zum Höhepunkt des Sets avancierte „Crystal Logic“ in einer unfassbar geilen Version mit massiver Publikumsunterstützung, bei der man Gänsehaut bekam. Ohne Zugabe ließ man die Band nicht zurück auf die Straße und so beschallte noch der krönende Abschluss „Heavy Metal To The World“ das Gelände. Während dieses Auftritts hatte es endgültig bei mir Klick gemacht und ich begab mich zusammen mit vielen anderen Freaks auf die lange, staubige MANILLA ROAD, die mich demnächst zum Plattenladen führen wird.
Manilla Road
Die seit 2012 wiedervereinten Schweden MORGANA LEFAY konnten das natürlich nicht mehr toppen. Ich habe mir aus dieser Band nie etwas gemacht und das sollte sich auch an diesem Abend nicht ändern. Für meine Ohren stinklangweiliger ‘90er-Groove-Metal zum Abgewöhnen. Nee, so gar nicht mein Ding. Doch nicht nur meine Freundin, auch große Teile der Headbanger-Fraktion empfanden das anders und hatten viel Spaß mit dem Gig. Es sei ihnen gegönnt. Nach erneutem Intro-Brimborium folgte nicht nur eine Zugabe, sondern derer drei. Uff.
Morgana Lefay
Danach war’s dann stockduster, aber irgendwie immer noch nicht kälter, die Hitze stand in der Atmosphäre und wollte nicht weichen. Da wir bereits mit dem Taxi angefahren waren, wollten wir das nicht einreißen lassen und begaben uns auf einen nächtlichen Spaziergang zurück zu unserer Unterkunft, vorbei an riesigen Maisfeldern. Dass Mark Shelton zu dieser Zeit um sein Leben kämpfte oder es gar bereits verloren hatte, wussten wir noch nicht.
Tag 2: Rock’n’Roll Crazy Night
Auch ’ne Art…
…Partnerlook
Erst mal war auspennen angesagt… Motiviert machten wir uns schließlich erneut zu Fuß auf den Weg zum Festivalgelände durch Dorfstraßen, in denen die wenigen Einheimischen freundlich grüßen und auch der Betreiber des örtlichen Edeka-Markts jeden Kunden persönlich bemoint. Für uns hat sich der gute Herr Boost dann sogar noch persönlich dafür eingesetzt, dass wir an der Käsetheke frisch geschmierte Frühstücksbrötchen bekommen, die wir auf dem Weg verzehrten. PSYCHOPRISM, die erste Band des Tages, ließen wir PSYCHOPRISM sein und als wir langsam aber sicher in Hörweite zum Festival gerieten, hörten wir die Texaner SYRUS zunächst beim Soundcheck und schließlich während ihrer ersten Stücke inkl. über die Felder dringenden Falsettgesangs. Im Biergarten dann erst mal ‘ne Cola gekippt und eine gedampft; anschließend ging’s vor die Bühne, um den restlichen SYRUS-Songs beizuwohnen: Progressiver US-Metal, den ich, um ihn richtig beurteilen zu können, mir mal in Ruhe anhören müsste – wobei ich mich mit diesem Stil schwertue, Ausnahmen (QUEENSRŸCHE – Operation: Mindcrime!) bestätigen die Regel. SYRUS existieren anscheinend bereits seit 1983, haben aber erst letztes Jahr ihr Debüt-Album veröffentlicht. Der Sänger fischt in den höchsten Tonsphären und seine Band gniedelt sich dazu gut einen ab. Sie wähnten sich, wie aus den Ansagen hervorging, übrigens in Hamburg – klar, die Elbmetropole ist bekannt für ihre Kuhweiden, Äcker und Getreidefelder sowie ihre Heavy-Metal-Gartenpartys! 😉
Syrus
Als wir uns in der Umbaupause zum Camp unserer Bekannten begaben, erfuhren wir das Unfassbare: Mark Shelton hatte nach seinem Auftritt einen Herzinfarkt erlitten und war kurz darauf im Krankenhaus gestorben. Vor unserer Ankunft hatte die Festivalleitung offenbar eine entsprechende Bekanntgabe gemacht und an diversen Verkaufstresen Spendenboxen für die Überführung der sterblichen Überreste des mit seiner Musik unsterblich gewordenen Mannes aufgestellt. Was dieser Tod bedeutet, wird mir erst im Laufe des Tages so richtig bewusst, zunächst klingt das für mich einfach nur ziemlich irreal. Überrascht war ich auch, dass er erst 60 war, denn er sah doch deutlich älter aus. Welch ein Verlust für die Musikwelt im Allgemeinen und die Metal-Szene im Speziellen. Rest in Power, Mark, and thank you for the music…
Auf der Bühne blieb’s US-metallisch, ANCIENT EMPIRE buhlten nun um unsere Gunst, eine noch relativ junge, jedoch von erfahrenen Musikern betriebene Band aus Kalifornien mit Silent Bob am Gesang. Dieser sang größtenteils in normaler Tonlage, was ich ganz angenehm fand, musikalisch wollte der Funke aber nicht auf mich überspringen, ich fand die Songs eher öde. Eine Ausnahme war „Other World“, den ich mir gleich mal notiert hatte: Ordentlich Dampf und ein Killerrefrain, der besonders live bestens zur Geltung kam. Ihren Auftritt beschloss die Band mit dem Instrumentalstück „Bound to Fail“ von ACCEPT – war das als Hommage gedacht oder habt ihr dafür echt nix eigenes?
Ancient Empire
In der folgenden Umbaupause verpassten wir anscheinend eine Ansprache des ehemaligen RUNNING-WILD-Gitarristen Preacher mit anschließender Gedenkminute zu Ehren Mark Sheltons, die spontan anberaumt worden war. Zu TRANCE fanden wir uns aber wieder vor der Bühne ein. Die Rheinland-Pfälzer, gegründet 1977 (!), gibt’s ja wie so viele alte Recken nun auch wieder. Eigentlich sitzt der deutsche MANILLA-ROAD-Drummer Neudi auch dort hinter der Schießbude, wurde aus verständlichen Gründen jedoch von Ur-Drummer Jürgen Baum ersetzt. Schön, dass das angesichts der beschissenen Situationen so schnell und anscheinend unkompliziert geklappt hat. TRANCE haben sich mit einem Jungspund am Gesang verstärkt, Nick Hollemann ist ein ziemlicher Springinsfeld und gut bei Stimme. Ein paar durchaus gefällige Melodien gaben sich mit doofem Hardrock-Gestampfe die Klinke in die Hand. „We are the Revolution“ wurde per Mitsingspielchen ausgedehnt, eine Halbballade klang ganz geil und bei „Break the Chains“ sprang Hollemann im Fotograben herum, um der ersten Reihe das Mikro hinzuhalten. Etwas später verstand ich dann auch das Glasflaschenverbot: Bei Hollemanns hohem C wären die alle gesprungen.
Trance
Bereits seit Anfang der 1980er sind auch die Schweden DESTINY aktiv, allerdings mit einigen längeren Unterbrechungen. Sie haben sich um einen Jüngling am Gesang verstärkt, der mich optisch, bis auf die Frisur, an irgendwen erinnerte – war’s der junge Joey Tempest (EUROPE)? Der Heavy/Power Metal des Quintetts war technisch gut, songschreiberisch jedoch schwach und mir insgesamt zu verhalten. Erst gegen Ende gelang es ihnen, sich langsam meine ungeteilte Aufmerksamkeit zu erspielen: Der vorletzte Song schien mir der „härteste“ zu sein, dem konnte ich noch am ehesten etwas abgewinnen. Und auch die letzte, auf Schwedisch gesungene Nummer für die Crew lief ganz gut rein.
Destiny
Spielten leider nicht…
SORCERER sparten wir uns, denn es handelte sich leider nicht um die (hörenswerten) argentinischen Power-Metaler, von denen einer mit seiner Freundin vor Ort war und fleißig Flyer für die Debüt-EP verteilte, sondern um die schwedischen „Epic-Doomer“ – und für mich gibt es kaum eine überflüssigere Metal-Spielart als diese: Lahmarschig geschrubbte Riffs zu Opern-Geträller – nee, danke. Die Zeit nutzten wir u.a., um noch mal in aller Ruhe die Verkaufsstände zu inspizieren, wobei ich einer meiner Lieblingsaktivitäten nachgehen konnte: dem Kauf von Aufnähern. Auch manch Klönschnack mit bekannten Gesichtern war nun drin. Zu den alten Hasen von TKO waren wir aber wieder am Start: Sänger Brad Sinsel hat einige verdiente Mucker von Bands wie FIFTH ANGEL und Q5 um sich geschart und präsentiert seinen sleazigen US-Hardrock/-Metal einem interessierten Publikum, das mit den drei Alben aus den Jahren 1979 (!), 1984 und 1986 vertraut sein dürfte. Ich war’s weniger, denn so ganz mein Stiefel ist das nun nicht. In erster Linie sind mir TKO aufgrund ihres geschmacklosen Frauenwegklopp-Covers der ‘84er LP in Erinnerung geblieben. Live machten sie nun jedenfalls gut Alarm, spielten technisch versiert und sololastig. Mitsingkompatible Refrains wurden von der Anhängerschaft frenetisch mitgebrüllt und die Metalfists dazu geraist. Der erste Block an ungestümeren Songs wurde von einer pathetischen, aber nicht üblen Ballade abgelöst, später bescherte ein Angeber-Gitarrensolo (inkl. schräger Version der „Ode an die Freude“) den anderen Bandmitgliedern eine verdiente Pause. Auf einige hardrockigere Stücke folgte ‘ne weitere Ballade. Schade allerdings, dass Brads Gesang nicht lautergedreht wurde, als er konditionell etwas an Stimmkraft einbüßte. Saß der ansonsten einen guten Job machende Mischer da auf seinen Ohren? Brad schien das zu bemerken und gegenanzubrüllen zu versuchen, was ihm zwischenzeitlich ‘ne hochrote Rübe und mir die Sorge bereitete, dass hier bald der nächste Senior umkippt – was zum Glück ausblieb. Dennoch: Hier hätte ich mir mehr Sensibilität seitens des P.A.-Menschen gewünscht. Insgesamt ‘ne unterhaltsame Show mit einem sich wacker schlagenden Shouter vom alten Schlag, für die man jedoch gut und gerne auf das totgenudelte „Born to be Wild“-Cover hätte verzichten können.
T
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K
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O
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Nun war’s aber Zeit für mein erstes Highlight des Tages und die Band, auf die ich mich im Vorfeld mit am meisten gefreut hatte: Endlich mal wieder TANKARD live! Das Innengelände füllte sich radikal und wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, eröffneten die Frankfurter Kampftrinker mit dem Titelsong ihres neuen Albums, „One Foot in the Grave“! Klassiker wie „The Morning After“ und „Zombie Attack“ ließen die Thrasher im Pit komplett durchdrehen, Dreck und Staub wurden aufgewirbelt, Körper knallten aufeinander, Brillen barsten. Jüngeres bzw. nicht ganz so altes Material wie „Not One Day Dead (But Mad One Day)“, „Rapid Fire“ oder „Minds on the Moon“ stand dem kaum nach und bewies, dass TANKARD auch heute Wert darauf legten, möglichst viele Phasen ihrer extrem umfangreichen Diskografie abzudecken. Das live immer schön groovende „Rules for Fools“ wurde als Disconummer angekündigt, „Rectifier“ als Ballade, bei „R.I.B. (Rest in Beer)“ ließ sich bestens mitgrölen, „Chemical Invasion“ legte die Geschwindigkeitslatte wieder verdammt hoch und für „A Girl Called Cerveza“ bildete sich ein amtlicher Circle Pit. Gerre rannte mit den gewohnten Hummeln im Arsch über die Bühne, machte Faxen, tanzte mit einer blonden Dame und kloppte das Mikro auf seine Fleischschürze. Seine witzigen Ansagen wurden lediglich einmal ernst, als es um Sheltons Tod ging und er das Publikum bat, sich an der Spendenaktion zu beteiligen. Mit „Freibier“ und „(Empty) Tankard“ zum Ende ging man auf Nummer sicher und irgendwann im Laufe des Gigs hatte sich auch der anfänglich leider alles andere als optimale Sound eingepegelt. Toller, schweißtreibender Auftritt der ewig jungen Frankfurter, die in dieser Besetzung nun auch schon gefühlt ewig zusammenspielen und ein ums andere Mal beweisen, welch klasse Liveband sie sind.
Tankard
Flo mit Gerre
LOUDNESS hatten bereits im letzten Jahr das Headbangers Open Air beehrt – mir egal, ich war ja nicht da. Außerdem spielten sie diesmal ein spezielles, um nur wenige aktuelle Songs erweitertes Set aus den Alben „The Law of Devil’s Land“ (1983) und „Disillusion“ (1984). Ich muss zugeben, LOUDNESS immer ein bisschen vernachlässigt zu haben. Mit dem Œuvre der Japaner bin ich kaum vertraut und live gesehen hatte ich sie bisher schon gar nicht. Mit einem unheimlich guten, druckvollen Sound nahmen sie mich jedoch sofort gefangen. So verzichtete ich auf das Blutmond-Schauspiel (eine seltene Mondfinsternis wäre zu beobachten gewesen, wäre man irgendwo aufs weite Feld gelaufen – vom Festivalgelände war nichts zu sehen) und beschloss, mir davon am nächsten Tag Fotos anzusehen, um den ebenso unwiederbringlichen, jedoch vermutlich nicht konservierten LOUDNESS-Gig zu genießen. Deren pervers guter Gitarrist Akira Tagasaki, Sänger Minoru Niihara mit seiner leicht heiseren Stimme und die Rhythmussektion inkl. eines Ersatzdrummers lieferten nicht einfach nur ab, sondern erzeugten eine regelrecht magische Stimmung, in der sich mir die Atmosphäre ihrer klassischen und doch exotischen Songs erschloss und mich so bald nicht mehr losließ. Das klang alles knackfrisch und nach großem Metal-Entertainment mit emotionalem Tiefgang. Die HOA-Gäste waren trotz vorgerückter Stunde und TANKARD-Gig in den Knochen bester Dinge und hielten die Stimmung permanent weit oben, die ihren Zenit bei „Rock’n’Roll Crazy Night“ erreicht gehabt haben dürfte. Gegen Ende wurde mit „Go For Broke“ ein Stück vom neuen Album gezockt, im Anschluss folgte der erste und einzige schwache Song (der Titel ist mir entfallen). „The Sun Will Rise Again“ aus dem Jahre 2014 (vom 26. (!) Studioalbum) wurde Mark Shelton gewidmet und zum Abschluss gab’s noch mal einen superben Uptempo-Kracher mit langgezogenem Outro auf die Löffel. Als Rausschmeißer aus dem Off erklang „Lo Chiamavano Trinita“ aus dem Spencer/Hill-Klopper „Die rechte und die linke Hand des Teufels“, zu diesen Klängen verließ ich völlig geflasht und schwer begeistert das Areal. Das war groß, LOUDNESS! Gäb’s von diesem Gig ein Live-Album – ich würd’s kaufen.
Loudness
Zurück in unsere Pension ging’s diesmal per Taxi…
Tag 3: Weniger schwätze, mehr singe
…dafür am nächsten Vormittag wieder zu Fuß aufs Gelände, natürlich nicht ohne Frühstücksschlenker zum Edeka. Die Band, die bereits um 11:00 Uhr auf dem Zeltplatz ein Coverset zockte, war damit einfach zu früh für uns dran, ebenso EXISTANCE aus dem Land der Franzosen. Zu MILLENNIUM jedoch trudelten wir ein. Die Briten haben sich der NWOBHM verschrieben und waren 1984 mit ihrem selbstbetitelten Debütalbum selbst dabei. Dann folgte allerdings die Auflösung, seit der Reunion 2015 sind jedoch zwei weitere Alben erschienen. Das Quintett spielte erdigen, kräftigen, aber etwas hüftsteifen, meist im Midtempo verharrenden NWOBHM mit angenehm kehligem Gesang und einem totalen Jungspund an der Leadgitarre, der immer sehr konzentriert dreinblickte. Altes Material wurde mit neuerem gemischt, mir war’s aber häufig zu viel Midtempo-Gestampfe. Als nominell letzten Song zockte man den Titeltrack des jüngsten Albums „Awakening“ und ließ sich im Anschluss noch zu einer überraschenden Zugabe hinreißen: „Lies All Lies“ vom selben Album, einem doch ziemlich guten, inhaltlich medienkritischen Song (auch wenn mich so etwas heutzutage immer unweigerlich an das undifferenzierte „Lügenpresse“-Geplärre der Pegidioten erinnert, soweit ist’s schon gekommen…). Insgesamt ein netter Einstieg in den letzten Festivaltag.
Millennium
Then we got hit by HITTEN – die Spanier hatte ich wie so vieles auf diesem Festival gar nicht auf dem Schirm, meine Süße jedoch hatte Bock auf die Iberer und war damit nicht allein: Die Meute empfing sie mit offenen Armen und Haaren, die Band wiederum die Meute mit offenen Hemden, klassischem Twin-Guitar-lastigem Metal an der Grenze zum Speed, also mit ordentlich Hummeln in der (nicht offenen) Hose. Sehr agil stratzte man über die Bretter, übte sich im synchronen Gitarrengepose und legte eine extreme Spielfreude an den Tag. Lachende und grinsende Musiker bestimmten das Bühnenbild, besonders der Basser schien voll in seinem Element. Der Sänger fischte nicht nur nach den höchsten Tönen, sondern traf diese auch mit betonter Lässigkeit. Wer auf die speedigen RIOT oder jüngere Bands wie ENFORCER & Co. steht, aber HITTEN noch nicht kennt, sollte dringend mal reinhören, was die Band seit Beginn des Jahrzehnts so veröffentlicht hat. Die letzten Schlaffalten haben sie uns jedenfalls mit Nachdruck weggebügelt. Ich werde beizeiten ihr bisheriges Schaffen mal in Ruhe goutieren.
Hit
ten
Mein lieber Scholli: Die Briten WITCHFYNDE haben sich bereits 1973 gegründet, in den glorreichen ’80ern vier Alben veröffentlicht und sind seit ihrer Reunion 1999 wieder mit neuem Material am Start und hier und da live anzutreffen. Wir wurden Zeugen eines supersympathischen Auftritts: Luther Beltz, Sänger der Okkult-NWOBHMer wusste mit tollem Klargesang in normaler Stimmlage zu gefallen und sorgte mit Mimik, Gestik und Kostüm für ein bisschen Theatralik. Zudem gerierte sich die gesamte Band als perfekte Gentlemen, die ihr Publikum stets fest im Griff hatten. Die regste Publikumsbeteiligung dürfte bei der Halbballade „Leaving Nadir“ zu verzeichnen gewesen sein, wobei generell manch Refrain ausschließlich von den textsicheren Worshippern vor der Bühne gesungen wurde. Das Songmaterial bewegte sich zwischen den Polen „unverkennbarer NWOMBH-Vibe“ und „getragen britisch-doomig“ und hätte für meinen Geschmack dann und wann etwas mehr Pfeffer vertragen können, wurde jedoch auch nie belanglos oder langweilig. Die Band hat definitiv etwas – u.a. erwähnten Sänger, der kurioserweise einen auf die Bühne gefeuerten Pfandbecher nutzte, um sich sein Wässerchen hineinzufüllen und aus ihm zu trinken. Und gegen Ende süppelte er einfach jemandem aus dem Publikum das Bier weg und gab nicht mal den Pfandbecher zurück, sondern speiste den Durstigen mit einer Setlist ab… Dafür gab’s in der zweiten Sethälfte Wunschkonzertblöcke, in denen Songs auf Zuruf aus dem Publikum gespielt wurden – so auch die Zugabe „Conspiracy“, die der straffe Zeitplan der Band zugestand. Zwischendurch kam übrigens der Sicherheitsbeauftragte des Festivals auf die Bühne und gab (auf Deutsch und Englisch) eine Sturmwarnung durch. Metallisiert wie ich dieses Wochenende war, schoss mir sofort Rob Halfords schneidendes Organ durch den Kopf: „Storm Warning! But there’s no fear…“ Angst hatte ich tatsächlich keine. Das gesamte Festival über hatte das Höllenfeuerlicht erbarmungslos auf uns niedergebrannt und wäre der Bereich vor der Bühne nicht großzügig überdacht gewesen, hätte ich diese Zeilen nicht mehr schreiben können, sondern wäre als Häufchen Asche zusammen mit anderem Unrat irgendwann aus dem Garten gefegt worden. Tatsächlich passte das nun aufkommende Gewitter atmosphärisch perfekt zur Untermalung des WITCHFYNDE-Gigs, der vorher etwas unter dem guten Wetter an Wirkung eingebüßt hatte. So rückte man unterm Dach einfach eine Zeitlang näher zusammen und die Band dürfte den einen oder anderen Zuschauer mehr bekommen haben. Weniger erfreut waren indes so manche Camper, denen es die Zelte entheringt und unter Wasser gesetzt hatte. Ich weiß schon, warum ich partout nicht mehr zelte…
Witchfynde
Die Ruhrpott-Thrasher DARKNESS, obwohl mit drei Alben in den ’80ern am Start, besetzten stets die zweite Reihe hinter den „Big Teutonic Four“ SODOM, DESTRUCTION, KREATOR und TANKARD, lösten sich Anfang der ’90er auf, kamen 2016 aber mit neuem Sänger und dem neuen Album „The Gasoline Solution“ zurück. In dezimierter Besetzung – der Bassist war leider ausgefallen – machte die Band um Gitarrist Meik (der mich optisch stark an Phil Kettner von LÄÄZ ROCKIT erinnerte) das Beste aus den widrigen Umständen und gab unter dem Motto „No more discussion!“ einfach Gas. Unter das ’80er-Material, von dem mein Favorit „Faded Pictures“ dem verstorbenen Sänger Olli gewidmet wurde und das mit „Staatsfeind“ meinen zweiten Alltime-DARKNESS-Höhepunkt enthielt, mischten sich Songs vom neuen Langdreher – und alles klang wie aus einem Guss. Wer den TANKARD-Pit halbwegs überstanden hatte, fand sich auch hier wieder moshend vor der Bühne ein und verausgabte sich nach allen Regeln der Kunst. „Burial at Sea“ wurde um ein Mitsingspielchen ergänzt, „Tinkerbell Must Die“, der Opener des aktuellen Albums, knallte unbarmherzig, der Klassiker „Iron Force“ hielt das Aggressionslevel und der junge „This Bullet Is For You“ stand dem in nichts nach. Meiks Stimme, die einzelne Textzeilen sang, bildete einen geilen Kontrast zu Leadsänger Lees tieferem Organ, welcher es sich übrigens nicht nehmen ließ, mitten im Set ein Selfie mit dem Drummer zu knipsen… Alles in allem ’ne schöne Abrissbirne staatsfeindlichen, auch textlich radikalen Aggro-Thrashs, der heutzutage unbedingt benötigt wird! Bin aufs nächste Album gespannt, das in den Startlöchern steht.
Darkness
Auf dem Areal machte ein Besucher mit Rauch gefüllte Seifenblasen, die beim Platzen Rauchwolken von sich gaben, was es jeweils wie kleine Explosionen aussehen ließ – aber das nur am Rande. Bei METAL INQUISITOR, jener Koblenzer Institution zur Bewahrung des echten und wahren Metals seit 1998, war’s noch zu keinem Aha-Erlebnis gekommen, als ich mich mal durch einige Songs gehört hatte. Nun live mit ihnen konfrontiert, fiel mir auch wieder ein, weshalb: Unheimlich präziser Edelstahl, dem ein paar wirklich große, zu den flotten echtmetallischen Strophen passende Refrains gut zu Gesicht stünden. Technisch ist das nah an der Perfektion, aber mir fehlt die Magie. Dafür war Sänger El Rojo mit sehr viel Spaß bei der Sache, suchte auch immer wieder die Kommunikation mit dem Publikum, beschloss jedoch irgendwann: „Weniger schwätze, mehr singe!“ Nachdem er die Fans gebeten hatte, die Band trotz des dafür etwas ungeeinigten Bandnamens mehr anzufeuern („METAL INQUISITOR lässt sich natürlich nicht so gut brüllen wie „Priest!“, „Priest!“, „Priest!“), avancierte zum Running Gag, aus einer Vielzahl Kehlen „Priest!“, „Priest!“, „Priest!“ zu skandieren – genau mein Humor. Mit fortschreitender Spielzeit wurden die Songs meines Erachtens auch stärker. „Call The Banners“ entpuppte sich als veritabler Hit und auch „Daze Of Avalon“, das El Rojo von einem unheimlich heiseren, dennoch hysterisch den Titel brüllenden Fan in der ersten Reihe ansagen ließ, packte mich. So wurd’s eine nach hinten raus noch wirklich lohnende Angelegenheit.
Metal Inquisitor
Inquisitoren haben früher keinen Metal gespielt, sondern Mädels wie die von GIRLSCHOOL verfolgt. Diese sollte ich nun auch endlich mal live sehen, All-Girl-NWOBHM since 1978, bis auf Jackie Chambers an der zweiten Axt in Originalbesetzung! Mit „Demolition Boys“ und „C’mon Let’s Go“ stiegen sie mit altbekannten Klassikern ein, wurden im Anschluss aber ein bisschen langweilig, als sie drohten, im Midtemposumpf zu versinken. Der MOTÖRHEAD-Tribut „Take It Like a Band“ vom 2015er-Album riss es dann jedoch wieder raus, das Ding ist im unverkennbaren Stil Lemmys & Co. geschrieben und komponiert und haut gut auf die Kacke. Je schneller GIRLSCHOOL spielen, desto besser gefallen sie mir, „Race With The Devil“ und „Emergency“ sind natürlich über jeden Zweifel erhaben. Auf dem Gelände war’s mittlerweile übrigens proppevoll und die Stimmung absolut großartig, was die Band mit „Take It All Away“ vom Debüt als Zugabe quittierte. Und ich wurde zwischendurch in ein nettes Spiel verwickelt: „Wie gut kennst du deine Kutte?“ Da tippt einem jemand von hinten auf einen Rückenaufnäher und man muss erraten, welcher es ist. Bei Maiden lag ich richtig, auf Cro-Mags kam ich aber nicht…
Girl
school
Auf ANVIL hatte ich mich im Vorfeld sehr gefreut, hatte ich ihre bisher einzige Show, auf der ich zugegen war (damals im Knust), doch als extrem unterhaltsam in Erinnerung. Das kanadische Trio um Sänger und Gitarrist Lips, dem der famose Dokumentarfilm „The Story of Anvil“ einen zweiten Frühling beschert hat, ist inzwischen natürlich weiter gealtert – schon seit 1981 spielt man im Metal-Zirkus mit –, jedoch glücklicherweise keinen Deut reifer geworden. Dies beweist Lips bereits beim ersten Song, dem Instrumental-Klassiker „March of the Crabs“: Der wieder eingesetzte Regen hatte die Leute eng unterm Vordach zusammengetrieben, Bewegungsfreiheit gab’s keine mehr. Trotzdem sprang er direkt ins Publikum, machte seine Ansage durch den Tonabnehmer seiner Klampfe und griff in die Saiten. Zurück auf der Bühne ging’s mit „666“ klassisch weiter, mit dem Feelgood-Rocker „Ooh Baby“ griff man sogar aufs Debütalbum zurück. „Badass Rock’n’Roll“ markierte das erste Stück neueren Datums und „Winged Assassin“ wurde von einem wahnsinnigen Basssolo des enthemmt herumspringenden neuen Bassisten Chris Robertson eingeleitet. Vor „Free as the Wind“ gab Lips eine schöne Lemmy-Anekdote zum Besten und im Vorfeld zu „This is Thirteen“, jener schön wuchtigen Doom-Nummer, gleichzeitig Titeltrack des seinerzeitigen Comeback-Albums (das ich übrigens sehr empfehlen kann), sprach er über den Anvil-Film und was er für die Band bedeutete, aber auch, wer von den Mitwirkenden mittlerweile leider bereits verstorben sei. Während „Mothra“, einem weiteren unkaputtbaren Klassiker, duellierte er sich mit Robertson und packte den Vibrator aus, mit dem er auf den Saiten solierte, sang auch wieder durch den Tonabnehmer, ständig schelmisch grinsend. So geriet der Song fast zu einer Art Theateraufführung – innerhalb einer Freakshow, die ein ANVIL-Gig auch immer irgendwie ist. Dazu trägt auch Robertson bei, permanent körpergroovend und irre Grimassen schneidend, womit er an Scrat aus „Ice Age“ erinnert. Einmal hakte er sich gar bei Lips unter und tanzte mit ihm Ringelreigen. „Bitch in the Box“ stammt vom neuen Album „Pounding the Pavement“, „Swing Thing“ ist lediglich ein Alibisong für ein ausgiebiges Drumsolo Rob Reiners, „the best Heavy Metal drummer in the world!“ Und, beim Metal-Gott: Wenn jemand eines spielen darf, dann er! „Metal on Metal“ besiegelte den Klassikerreigen mit einem nicht minder ausgiebigen Mitsingpart. Damit war der offizielle Teil beendet und mein Fazit lautete: Geiler Gig, hochgradig unterhaltsam, von charismatischen, schwer sympathischen Musikern. Aber auch: ANVIL haben noch bessere Songs im Repertoire, gerade aus der Phase zwischen den Klassiker-Alben und dem erfolgreichen Comeback werden sehr viele Hochkaräter unterschlagen. Und wie bei so vielen Bands habe ich auch bei ANVIL das Gefühl, dass es besser gewesen wäre, aus den jeweils drei letzten Alben lediglich eines, dafür mit höherer Hitdichte, zu machen. Die Zugabe „Running“ stimmte mich dann aber endgültig versöhnlich!
Anvil
Dass der Festivalabschluss viel mehr als nur ein Nachgesang, stattdessen eine Lehrstunde in Sachen Metal werden würde, stand von vornherein fest: Die fünfte Inkarnation der New Yorker Heavy/Speed-Metal-Legende RIOT (est. 1975!), die sich seit dem Tod des letzten verbliebenen Originalmitglieds, Mark Reale, RIOT V nennt, hatte mich vor zwei Jahren auf dem Rock Hard Festival positiv überrascht und trat heute mit einem Spezialset an, das das Klassikeralbum „Thundersteel“ aufgrund seines 30-jährigen Jubiläums besonders berücksichtigen sollte. Es begann bereits zu kribbeln, als die Bühne mit dem Artwork des neuen Albums „Armor of Light“ versehen wurde – bei dem ich mich allerdings abermals fragte, was der Robbenfetisch der Band im Allgemeinen und das Artwork mit einem Bodybuilder mit Robbenkopf, Streitaxt und Schutzschild im Speziellen soll (RIOT zeichnen tatsächlich für einige der hässlichsten Metal-Plattencover überhaupt verantwortlich) … Um ja nichts zu verpassen, zogen wir uns den kompletten Aufbau inkl. Linecheck etc. rein, bis es mit dem Opener der neuen Langrille endlich losging: „Victory“. Bereits „Flight of the Warrior“ sang ich dann inbrünstig mit, weitere meiner Faves wurden mit „Outlaw“ und „Johnny’s Back“ sowie „Take Me Back“ innerhalb des auch einige Überraschungen in Form selten gespielter Songs von weniger populären Alben offenbarenden Sets berücksichtigt. So kam beispielsweise von „Born in America“ „Heavy Metal Machine“ zum Zuge, danach mit „Road Racin‘“ sogar ein Stück von 1979! Lange Zeit wurde das Gaspedal permanent durchgetreten, bis man ein paar Midtempo-Stücke und sogar eine Powerballade einstreute. Maximal fünf Songs von insgesamt um die 20 dürften es vom neuen Album gewesen sein, „Set the World Alight“ war leider nicht darunter. Doch wie auch immer: Was RIOT V da ablieferten, war ein Musterbeispiel an technischer Perfektionen, an Tightness und Energie. Schade nur, dass Mike Flyntz‘ Gitarre während seiner Soli zu leise war. Die Band drückte das gesamte Festival durch ihre Saiten wie Eier durch einen Eierschneider, übrig blieb eine fein filetierte Masse, die zum Schlussdrittel aus „Swords and Tequila“, „Warrior“ und „Thundersteel“ noch einmal richtig auf ihre Kosten kam und noch lange später „Shine on, shine on, Warrior“ spontan auf dem Gelände anstimmte. Todd Michael Hall ist einer der besten aktuellen Metal-Sänger und während sich seine Bandkollegen zunehmend am Tequila verlustierten, entledigte sich Hall irgendwann seines Oberteils und stellte offen zur Schau, dass er nicht nur mit Gesangstalent und Musikgeschmack gesegnet ist, sondern zu allem Überfluss auch noch mit einem Adonis-Körper. Es ist einfach ungerecht verteilt! RIOT V sind eine perfekte Liveband und bildeten den nicht minder perfekten Abschluss dieses Festivals.
Riot V
Das ganze Headbangers Open Air war für mich wie eine Reise in die ‘80er, allem voran natürlich aufgrund der Bandauswahl: Auch jüngere Bands hatten sich allesamt traditionellen Stilen verschrieben und jegliche musikalischen Entwicklungen ab den 1990ern ignoriert (ok, mit Ausnahme MORGANA LEFAYs). Dementsprechend gestalteten sich natürlich auch die Besucher, die sich hauptsächlich aus echten Musikfreaks zusammensetzten und kaum Event-Publikum aufwiesen. Zahlreiche Mitglieder der auftretenden Bands mischten sich nach ihren Gigs als Fans unters Volk, vor allem der SEAX-Sänger, der ständig mit ‘ner anderen Perle im Arm oder auch mal volltrunken angetroffen wurde. Party hard! Das Gelände ist schön übersichtlich, in Sachen Verpflegung dürfte für jeden etwas dabei gewesen sein und die Preise sind überwiegend bezahlbar. Der Trinkwasserspender erwies sich besonders angesichts der Hitze als häufig frequentierte Möglichkeit, seinen Flüssigkeitshaushalt gratis und ohne Alkohol auszugleichen. Einziger Kritikpunkt: Die Bierbecher waren im Innenbereich an der Bühne selten wirklich voll, meist einen Schluck unterm Eichstrich. Wenn die Becher schon lediglich 0,3 Liter fassen, fällt das durchaus ins Gewicht. In Sachen Suff so richtig krachen lassen haben wir’s aber ohnehin nicht, zu unattraktiv erschien die Vorstellung, verkatert dort herumzuhängen und die Bands nur noch als Lärmbelästigung zu empfinden. Selbst am letzten Abend siegte irgendwann die Vernunft und wir seilten uns ab, als ein Bekannter volltrunken eine junge Dame im Arnold-Schwarzenegger-T-Shirt (!) zum Armdrücken herausforderte – es wäre sicher noch eine extrem lustige Nacht geworden, aber wir mussten bereits morgens die Pension räumen…
Mehr als deutlich wurde wieder einmal, welch großer Unterschied zwischen dem Nebenbeihören von Studioaufnahmen und dem Live-Erlebnis besteht: Ein unterhaltsamer Gig lässt über manch songschreiberische Schwäche hinweghören, manch Song zündet erst live so richtig, das eine oder andere in der Diskografie versteckte Juwel offenbart sich. Und Trüffelschweinen wie mir bietet sich die Gelegenheit, die eine oder andere Band überhaupt erst zu entdecken, was insbesondere hier auf dem HOA der Fall war. Ich hoffe, dass all diese Aspekte durch meinen Konzertbericht veranschaulicht wurden. Ein Jammer ist es jedoch, dass dieses sympathische, wohlorganisierte Festival vom Tod Mark „The Shark“ Sheltons überschattet wurde… Davon unabhängig behalte ich es mir vor, wiederzukommen. Die bereits für nächste Jahr bereits bestätigten MANDATOR beispielsweise würden mich sehr reizen…
P.S.: Ich habe leider kein Programmheft mehr abbekommen. Falls jemand eines übrig hat und es mir vermachen würde, schreibt mir bitte eine Mail an guenni@pissedandproud.org – danke!
Hannes‘ und meine Geburtstagsparty im Gängeviertel, die dritte… Bei der ersten Ausgabe war ja alles noch ganz entspannt für mich: Hannes hatte sich um alles gekümmert und ich brauchte mich nur mit meiner Band auf die Bretter zu wuchten. Beim zweiten Mal hatte ich schon bischn mehr umme Ohren, zudem war’s alles andere als einfach, meine Kapelle zusammenzubekommen: Eisenkarl fiel aus, weshalb wir kurzfristig Pulvertoastie Holler als Interimsbassisten anlernen mussten, Kais Teilnahme stand schließlich auch auf der Kippe und ich hatte mir zu allem Überfluss auch noch derbe einen aufgesackt. In der Ausweich-Örtlichkeit aufgrund der Gängeviertel-Renovierung lief letztlich – warum auch immer – aber doch alles glatt. Dieses Jahr war ich nun involviert wie nie zuvor und vornehmlich damit beschäftigt, das Band-Aufgebot zusammenzustellen. Und das gestaltete sich alles andere als einfach: CRACKMEIER standen eigentlich schon fest, allein schon, weil deren Drummer Martin dann auch gleich seinen Geburtstag hätte mitfeiern können – fielen dann aber doch flach, weil einer der Gitarristen lediglich am Freitag, nicht aber Samstag gekonnt hätte. Außerdem fehlte eine Art Headliner. Ich hab‘ Gott, Satan und die Welt gefragt, doch jedes Mal war irgendjemand unabkömmlich. Dennoch ist’s mir irgendwie gelungen, dann doch gleich drei mehr oder weniger lokale Acts zusammenzutrommeln und damit ein verdammt schlagkräftiges Line-Up aufzufahren. Dass die alle aus der Nähe kommen und LAST LINE OF DEFENSE in Kürze ohnehin schon wieder im Gängeviertel auftreten – geschenkt. Der Vorteil nämlich war, dass es ein Treffen mit Freunden und guten Bekannten wurde.
Doch, oh Graus, nach den Erfahrungen des vergangenen Jahrs hätte ich gewarnt sein müssen: In der Woche entwickelte Kai eine derart hartnäckige Rückenmuskelblockade, dass er sich nicht mehr bewegen konnte und im Krankenhaus behandelt werden musste. Es sah verdammt schlecht aus. Und damit nicht genug: Eisenk(r)alle zertrümmerte sich am Donnerstag eine Fingerkuppe. Irgendjemand hatte unsere Voodoo-Puppen mal wieder im vollen Würgegriff… Der schmerz- und furchtlose Kalle meldete zwar Vollzug und war nach kurzer Behandlung wieder zu allem bereit, doch als mir Kai am Freitagmorgen mitteilte, dass es bei ihm wohl nichts werden würde, suchte ich halbherzig und erfolglos nach möglichem kurzfristigsten Ersatz, war jedoch bald mit meinem Latein am Ende. Gänzlich unverhofft meldete er sich am Freitagabend noch einmal und berichtete, dass sein Schmerzmittelcocktail endlich angeschlagen habe und er mittels Seniorengymnastik gerade ganz langsam zum zumindest gebückten Gang zurückfände. Damit war unser Gig auf dem letzten Drücker gerettet. Respekt an Kai, den alten Wemmser und zukünftigen Ausgleichssportler – solch eine Aufregung brauche ich aber echt nicht noch mal… Am frühen Nachmittag war übrigens noch bekannt geworden, dass sich der LAST-LINE-OF-DEFENSE-Gitarrist seine Achillessehne geschrotet hat und mit Hocker auf die Bühne muss. Die LIQUOR SHOP ROCKERS wiederum hatten Meniskus + Ischias + Grippe anzubieten und THEM-FALLS-Gitarrist/-Schreihals Stülpo klagte über Verrotzung. Die Veranstaltung wurde kurzerhand in „Hannes‘ und Günnis Invaliden Birthday Disaster“ umgetauft, glücklicherweise würde mit LLOD-Eloi ein Sanitäter anwesend sein…
Die Equipmentfrage klärte sich dafür umso unkomplizierter: Jeder brachte bischn was mit, THEM FALLS dankenswerterweise die Boxen, nur LAST LINE OF DEFENSE blieben außen vor, weil die arbeitsbedingt ohnehin erst später kommen konnten – was somit zu keinem Problem wurde. Wir baten die drei anderen Bands um 17:00 Uhr zum Gängeviertel, weil wir nicht damit gerechnet hatten, dass alle derart pünktlich sein würden, denn das Equipment-Puzzle wollte ja erst noch zusammengesetzt werden. Doch falsch gedacht: Als ich mit Dr. Tentakel und Kalle vorfuhr, waren THEM FALLS und LIQUOR SHOP ROCKERS bereits vor Ort und hatten den Großteil bereits aufgebaut. Vorbildlich! Also ersma die große Hallo-Runde, Bier kaltstellen, das erste köpfen, dem regen Treiben zusehen, Merch-Plünnen auseinanderfriemeln – und die Kür vor der Pflicht: übers Buffet hermachen. Hannes‘ Bruder Martin hatte Salade de pâtes kredenzt, mit hohem Gemüseanteil für die Volksgesundheit und Tofuwürfeln fürs Tierwohl, dazu Baguette und Crème d’ail gereicht. Dekorativ hatte Hannes zudem reichlich Obst dazugelegt. Noch bevor mich jemand hätte bitten können, den Vorkoster zu machen, genoss ich bereits die Haute Cuisine und vergab Feinschmecker-Sterne. Davor war mir der wegen absoluten Schleppverbots ohne Umweg über den Proberaum direkt ins Gänge4tel gekommene Kai bereits über den Weg „gelaufen“, als er, gestützt von seinen beiden Pflegerinnen, seine Krücken wegwarf, euphorisch „Kann wieder gehen!“ ausstieß und sich mit einem großen Satz strategisch direkt am Tresen positionierte – auf einem rückenfreundlich gepolsterten Barhocker, versteht sich. Mit sich führte er Geschenke, für die sich meine werten Motherfuckers nicht hatten lumpen lassen: Ein nur leicht manipuliertes Bandfoto mit persönlicher Widmung sowie ein endstylishes Skeletor-T-Shirt. Boah, wie geil – werde ich auf dem HOA einweihen!
Geschenke auspacken
Beim Soundcheck war ich dann froh, dass nicht wir, sondern THEM FALLS auf der Bühne standen: Der zog sich nämlich arg, weil es Probleme mit dem Gesang auf den Monitoren gab. Insbesondere der Bassist und Co-Brüller konnte sich partout so gut wie gar nicht hören und durch die x-maligen Versuche liefen beide Sänger Gefahr, bereits zu diesem Zeitpunkt heiser zu werden. Wir hätten vermutlich schon längst „Scheiß drauf!“ gesagt, doch THEM FALLS, die an diesem Abend ihre Live-Premiere absolvieren sollten, wollten verständlicherweise das Optimum herausholen und hielten tapfer durch, bis nach reichlich Knöpfchengedrehe und Mikrowechseln – sowie einem zwischenzeitlichen Stromausfall! – endlich alles annehmbar klang. Der Song, den sie dafür immer wieder angespielt hatten, war für alle Anwesenden mittlerweile zum Ohrwurm geworden. Gegen 20:00 Uhr wurde die Bude dann offiziell geöffnet, nun wurd’s spannend: RAZORS + RESTMENSCH im Menschenzoo, weitere Konzis im Störtebeker und in den St.-Pauli-Fanräumen – wie viele würden sich bei tropischen Temperaturen ins Gängeviertel verirren?
Oh, so einige. THEM FALLS konnten pünktlich um kurz nach 9 anfangen, ohne dabei vor leerer Kulisse zu stehen, im Gegenteil: Ihr Live-Debüt stieß auf reges Interesse und offene Ohren. Das aus den Trümmern von RODHA hervorgegangene Trio spielt Sludge-Metal mit kehligem Gesang und fetten Effektkoffern, an der Gitarre mein Tätowierer Stülpo, der für fast alle Abziehbildchen auf mir verantwortlich zeichnet, und an der Schießbude ebenfalls ein alter Bekannter: Lynn, der parallel bei UPPER CRUST singt und damit zum dritten Mal in Folge auf Hannes‘ und meinen Geburtstagspartys auf der Bühne stand! Die Aufregung merkte man der überaus konzentriert auftretenden Band nicht an, sehr souverän zog sie ihren Stiefel durch und erfüllte das Gängeviertel mit verdammt schweren Sounds und düsterer Atmosphäre. Im April haben THEM FALLS ihre ersten Aufnahmen auf Bandcamp veröffentlicht, was mir völlig entfallen war, weshalb ich sie hier nachreiche: https://themfalls.bandcamp.com/releases Schönes Ding und ich bin ein bisschen stolz, dass wir die ersten waren, bei denen sie zum gediegenen Schwof aufspielten. Und danke auch an Lynn für die beiden Röhrchen Gelo Revoice!
Them
Falls
Eigentlich wollten wir als Zweite spielen, ließen aufgrund der angeschlagenen Gesundheit ihres Drummers Toni aber den LIQUOR SHOP ROCKERS aus Altona den Vortritt. Die Bude war mittlerweile voll, die Temperaturen waren weiter gestiegen und spätestens jetzt wurde die ganze Nummer hier auch für mich zum Saunaabend mit Hopfenaufguss. Weste, Nina, Needlz und Toni verfügen zusammen über ungefähr 150 Jahre Live-Erfahrung in anderen illustren Combos und haben sich vor einiger Zeit zusammengetan, um kräftegebündelt wieder derbe auf die Kacke zu hauen. Die HC-Sozialisation des einen oder anderen Bandmitglieds lässt sich nicht verleugnen und schimmert in ihrem Stil immer wieder stark durch. Ein brachiales Gebräu aus HC-Punk, Streetpunk und klassischem Punkrock, mal frech, mal prollig, nie leise oder subtil, sondern immer mit dem Kopf durch die Wand, vereint gegen den Rest der Welt. Fuck-you-Attitüde trifft auf juvenile Spielfreude trifft auf abgezockte Erfahrung. Needlz scheint an seiner Klampfe oftmals förmlich zu explodieren, Ninas Bass klingt nicht selten fast wie ‘ne zweite Gitarre, Weste hält gern gleich beide Mittelfinger lässig dirigierend in die Luft und Toni hält die Chose präzise und mit entschlossenem Punch zusammen. Das ist die grobe Kelle, die dennoch manch sich festkrallende Melodie offenbart und echt mal auf Vinyl gehört. Folgerichtig stehen demnächst Studioaufnahmen an – hoffentlich bleibt ihnen das Dreckige, Urwüchsige, Ungezähmte erhalten!
Liquor
Shop
Rockers
Wäre ich als Gast hier gewesen, hätte ich mich längst gehengelassen und heillos betrunken. Es galt ja aber noch einen Job zu erledigen. Paar Bierchen gekrallt, rauf auf die Bühne, Line-Check und ab dafür: „Pogromstimmung“, „Tales of Terror“ und „Menschenzoo“ ohne Tüdelüd hintereinander wech, zum zweiten Mal überhaupt die „Spaltaxt“ kreisen gelassen, geschwitzt wie ein Schwein, nachgekippt, zehn weitere Songs durchgeprügelt, Danksagungen, tschüß. So in etwa fühlte sich der Gig an, der wie im Rausch an mir vorbeizog. Ich weiß nicht, ob ich es THEM FALLS zu verdanken habe, aber ich hatte einen astreinen Gesangssound auf den Monitoren. Alles lief weitestgehend glatt, sodass es zu keinen Zwangspausen kam. Kai hielt sich wacker und Kalle schien die funktionsunfähige Fingerkuppe tatsächlich nicht zu beeinträchtigen. Pokerface Dr. Tentakel hielt zudem die Drumzügel fest in der Hand, haderte lediglich mit der Enge in der Schlagzeugbucht, die seines Erachtens gegen geltende Mindeststandards zur artgerechten Drummerhaltung verstoßen. Klar hatten sich ein paar Fehler eingeschlichen, aber nichts Gravierendes, keine Texthänger o.ä. Nach ‘ner Band wie LIQUOR SHOP ROCKERS auf die Bühne zu müssen, hielt ich für keine dankbare Aufgabe, aber offenbar hatten viele auch Bock auf uns, waren neugierig oder blieben aus Höflichkeit, weil ich Geburtstag hatte 😉 Nee, das war schon unseren Ansprüchen genügend abgeliefert und die Resonanz war sehr positiv. Allerdings hörte ich danach bis spät in die Nacht hinein überhaupt nicht mehr zu schwitzen auf und goss mir zum Ausgleich ein Bierchen nach dem anderen rein.
DMF
Manch einen schien der Abend ähnlich geschlaucht zu haben, ausgerechnet zum Headliner war leider eine deutliche Publikumsabwanderung zu vernehmen. Für eine lauschige Oldschool-Hardcore-Show mit den jüngst wiedervereinten Wedelern LAST LINE OF DEFENSE mangelte es aber noch lange nicht an Menschenmaterial. Ich war besonders gespannt, denn nachdem ich früher diversen LLOD-Gigs beigewohnt hatte, hatte es sich seit der Reunion noch nicht ergeben. Mit ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel und neuem Gitarristen hat man nichts an Durchschlagskraft eingebüßt. Der Gitarrist musste wie erwähnt den Gig sitzend verbringen, was Shouter Eloi mit erhöhtem Laufpensum vor der Bühne wettmachte. Die Songs der überaus geschätzten EP sowie Material, das es nicht auf sie geschafft hatte, wurden neben jüngeren Stücken und einigen Coverversionen von Bands wie WARZONE oder NEGATIVE APPROACH zum Besten gegeben. Als mir Eloi mit zunehmender Freude das Mikro zum Mitsingen hinhielt, war ich mal mehr, mal weniger textsicher und wurde mir schlagartig bewusst, wie lange ich mir all die Klassiker – ob bandeigen oder weltweit populär – eigentlich nicht mehr gedrückt hatte… Aber so oder so ging mir das Herz auf; astreine Nummer, großartige Songs, ein ebenso genialer wie bescheidener Frontmann und ein sympathisches Auftreten, was die Band für unzählige weitere Shows qualifiziert, von denen ich hoffentlich so viele wie möglich werde mitnehmen können. Dieser schnörkellose US-Hardcore-Sound der alten Schule in Kombination mit Spaß am Schreiben richtiger Songs, die auch mal länger als 90 Sekunden gehen, hatte echt auf den Hamburger D.I.Y-Bühnen gefehlt. Speziellen Dank an dieser Stelle noch mal an Drummer Wallace, der mir (passend zum Skeletor-Shirt) ein altes MOTU-Magazin und eine Sid-Vicious-Actionfigur geschenkt hat. Nein, wir sind nicht nerdig – wer behauptet so was nur?!
LLOD
Im Anschluss machten meine liebe Freundin, die während unseres Gigs wieder Fotos geschossen (s.o.) und sogar ein paar Videos gedreht hatte, und ich uns noch (mal) übers Büffet her, das ich Gierschlund mir am liebsten auch noch für Zuhause eingepackt hätte. Und dann war da ja noch die Spendenaktion, zu der wir zugunsten der Mittelmeer-Seenotrettung aufgerufen hatten. Zwischendurch hatte Martin mir bereits mitgeteilt, welch sensationell hohe Summe sich angesammelt hatte. Letztlich wurden’s sage und schreibe knapp 470,- EUR. Unsere paar Taler an Merch-Einnahmen haben wir noch draufgepackt und ich hab‘ aufgerundet auf 500,- EUR, die an den Sea-Watch e.V. gingen. Deshalb ein ganz großes DANKESCHÖN an alle Spender, generell an alle, die mit uns gefeiert haben, an sämtliche, ausnahmslos geilen Bands und natürlich an Hannes, der die Organisation vor Ort übernommen und einen zuverlässigen Stab verdammt fähiger Helferinnen und Helfer vom Sternekoch über den Soundmann bis zur Thekencrew zusammengetrommelt hatte, ohne die an diesem Abend Dunkeltuten gewesen wäre und denen ebenfalls mein tiefster Dank gilt – und zum Besen griff er am Schluss höchstpersönlich, während wir unser Equipment zusammensammelten, ins Taxi stopften und irgendwann gen Altona aufbrachen.
DAS nenne ich mal eine Geburtstagsparty, die mich nun wirklich für alle Komplikationen im Vorfeld entschädigt hat – nächstes Jahr wieder, oder was?! (Dann gern etwas weniger aufregend, man wird ja nicht jünger…)
Wenn ich mich mal an ‘nem Dienstag auf ‘nen Gig begebe, muss das schon ein besonderer sein – wie dieser von MDC, die ich bisher stets verpasst hatte, aber unbedingt einmal live sehen wollte, bevor der mittlerweile über 60-jährige Dave Dictor seinen verdienten Ruhestand antritt. Parallel spielten die ADOLESCENTS im Hafenklang, sodass die Hoffnung bestand, dass der Menschenzoo nicht heillos überfüllt werden würde. Diese erfüllte sich trotz guten Besucherandrangs bei sehr fairen 10,- EUR Eintritt dann auch. Den Anfang machten die Berliner ANTIBASTARD aus dem Dunstkreis der Rigaer Straße. Die Bassdrum hüllten sie in eine Antifa-Flagge und gaben aggressiven HC-Punk mit englischen Texten ihres australischen Sängers zum Besten, der mir bestens reinlief. Dummerweise riss direkt nach dem ersten Song eine Saite, der Großteil des Sets flutschte aber geschmeidig durch. Der Sänger stieg von der Bühne und begab sich auf Augenhöhe mit dem Publikum, während gleich zwei Gitarristen in Kombination mit der Rhythmussektion einen grob auf der UK82-Schule fußenden Sound erzeugten, der auch mal Raum für etwas Melodie und das eine oder andere Gitarrensolo bot. In den Texten schien man sich vorrangig über gesellschaftliche Missstände Luft zu verschaffen, aber auch den Schicksalsschlag in Form ihres im letzten Jahr verstorbenen ehemaligen Gitarristen verarbeiteten ANTIBASTARD in einem Song. Als 14. und letzte Nummer peitschte man das MINOR-THREAT-Cover „I Don’t Wanna Hear It“ durch und besiegelte damit einen Auftritt, der auf ein starkes Debütalbum hoffen lässt!
Antibastard
Obwohl ich in Sachen ‘80er-Crossover und Artverwandtem eigentlich recht bewandert bin, hatte ich DR. KNOW aus Kalifornien überhaupt nicht auf dem Schirm. Das Cover der zweiten Langrille „Wreckage in Flesh“ kommt mir aber bekannt vor; gut möglich, dass ich mir die Platte mal angehört, aber als nicht geil genug erachtet hatte. In den ‘90ern war jedenfalls Funkstille, seit 2001 ist man aber wieder am Start und hat seither drei weitere Alben veröffentlicht. Nichts davon habe ich gehört, kann mich also nicht zum Live-Verhältnis von Klassikern zu jüngerem Stoff äußern. Es klang jedenfalls alles nach ‘ner durchaus potenten Mischung aus altem US-HC und Oldschool-Thrash, wobei das Pendel mal mehr in die eine, mal in die andere Richtung ausschlug. Manches tönte dann ehrlich gesagt auch einfach wie ein überlanger HC-Song mit metallischem Gitarrensolo zwischendurch. Es waren aber auch viele musikalisch wirklich gute, treibende, arschtretende Songs darunter, die Laune machten. Auf Dauer war mir aber der Gesang etwas zu gleichförmig und nicht aggressiv genug. Kurios: Erst mitten im Set verteilte der Bassist die Setlists und unters Publikum hatte sich Jarvis Leatherby, Sänger und Bassist der kalifornischen Oldschool-Metaller NIGHT DEMON, gemischt. Während ich das hier schreibe, läuft übrigens das Debüt-Album per YouTube, ziemlich töfter HC/Früh-Crossover. Den o.g. Nachfolger hatte ich eben auch noch mal angespielt, mit dem orientierte man sich wesentlich weiter in Richtung Metal. Höre ich mir vielleicht noch mal in Ruhe an.
Dr. Know
MDC ließen sich dann reichlich Zeit mit dem Umbau; einen Gedanken daran, dass es Leute gibt, die an einem Mittwochmorgen früh zur Maloche müssen, schienen sie nicht zu verschwenden. Irgendwann bequemten sich Mr. Dictor und seine aktuelle Gefolgschaft dann doch noch auf die Bretter und lieferten einen Auftritt, für den sich das Warten gelohnt hatte (das indes gut mit kalten Getränken und Gesprächen, u.a. über australische Spinnen mit dem ANTIBASTARD-Sänger, überbrückt wurde): Dave & Co. sind fit und haben Bock. Es wäre gelogen, würde ich behaupten, sämtliche MDC-Songs auseinanderhalten zu können. Wirklich kennen und besitzen tue ich lediglich das Debüt (und die uralte Stains-Single) und davon einmal abgesehen ähneln sich gerade die älteren eruptiven, kurzen Hektik-HC-Kisten doch mitunter stark. MDC schienen mir aber einen Mix aus alten Klassikern und einigen dann auch mal etwas ruhigeren Songs vom neuen Album „Mein Trumpf“ zu spielen. Dave sprechshoutete und pöbelte sich pointiert durch das Material, seine Klampfer unterstützen ihn dabei zeitweise durch etwas Background-/Gangshout-Gebelle und gleich vom ersten Song an brach vor der Bühne die Hölle los. Die Publikumsreaktionen vollzogen sich fortan in Wellenbewegungen: Durchdrehen, abflauen, (relative) Ruhe, wieder Durchdrehen usw. Ob’s an der Popularität der jeweiligen Songs lag oder eher konditionelle Gründe hatte, weiß ich nicht, aber inkl. ANTIBASTARD-Sänger zählte ich zwei Crowdsurfer und zu „John Wayne Was a Nazi“ war dann eher Skandieren, Fäusterecken und Mitgrölen denn Blutpogo und Akrobatik angesagt. Alles in allem hat’s ordentlich gescheppert; ich hab‘ mich riesig gefreut, MDC endlich mal live, in Farbe und dreidimensional zu sehen und da einen Haken dranmachen zu können, und fand’s auch gar nicht schlecht, das Ende der Sommersemester-Vorlesungszeit mit einem HC-Gig und manch Ratsherrn zu feiern – die Maloche habe ich dabei einfach mal gedanklich beiseitegeschoben. Selbst der verdammte ÖPNV konnte mir dann nichts mehr: Erst sollten Nachtbusse fahren, dann irgendwie doch nicht, durch die Scheiße stieg ich nicht mehr durch, bin ich halt zu Fuß gegangen und hab‘ den sommernächtlichen Spaziergang genossen. MDC statt HVV!
Als dieses Konzert der kubanischen Ethno-Groove-Metaller TENDENCIA anberaumt wurde, hatte Menschenzoo-Booker Martin ursprünglich meine Krawallcombo gefragt, ob wir die Vorband machen könnten. Das fiel leider aufgrund beruflicher Verpflichtungen Eisenkalles flach und auch das Angebot, dort als DJ aufzulegen, musste ich ausschlagen, da ich am nächsten Tag relativ früh raus musste. Das Konzert wollte ich mir aber nicht entgehen lassen. Die norddeutschen SOULFORGER machten den Anfang im ca. halbvollen Zoo. Ihren Stil beschreibt diese Band, von der ich zuvor noch nie etwas gehört hatte und die sich anscheinend sehr rar macht, als Melodic Death Metal – anfänglich klangen sie mir jedoch angenehmerweise mehr nach alten SEPULTURA, also nach ruppigem Oldschool-Aggro-Thrash. Tatsächlich wurd’s dann zunehmend melodeathiger mit atmosphärischen bis epischen Melodiebögen, manch Blastbeat-Passage klang sogar richtiggehend angeschwärzt. Kleinere Timingprobleme hier und da änderten nichts am gelungenen Gig, der augen- und ohrenscheinlich recht gut ankam, wenngleich es sich kaum um die bevorzugte Musikrichtung der meisten Anwesenden gehandelt haben dürfte. Diese schienen diesen Blick über den Tellerrand aber durchaus wohlwollend zu goutieren.
Soulforger
TENDENCIA, die bereits 1995 ihr erstes Demo und mittlerweile vier Alben veröffentlicht haben, hatte ich erstmals zur Kenntnis genommen, als ich die Kuba-Reise- und Konzertberichte von COR las. Das ist schon wieder eine Weile her, mich näher mit der Band befasst hatte ich nie – ging also in jeglicher Hinsicht unvoreingenommen an ihren Gig heran. Zu sechst drängelten sich die Kubaner, die sich gerade auf Europa-Tour befanden, auf der kleinen Bühne, inkl. zusätzlichem Handtrommelspieler und einem Zottelbär von einem Shouter. Schwerster Groove-Thrash mit folkloristischen Einlagen à la mittlere SEPULTURA oder SOULFLY walzte über das die Bude endgültig zur Sauna verwandelnde, neugierige Publikum hinweg, das die Fläche vor der Bühne nun komplett in Anspruch nahm. Kehliges Gebrüll zu derbe schrotenden Gitarren über einer Rhythmusfraktion, die ihre doppelten Percussions gewinnbringend einzusetzen wusste und damit so richtig schön auf die Kacke haute. Enorm zum Unterhaltungsfaktor trug der in ein DRITTE-WAHL-Shirt gewandte Gitarrist bei, der offenbar als Sprachrohr der Band fungiert und extrem kommunikationsfreudig mit dem Publikum interagierte. Dies tat er auf Englisch, während der Großteil des Songmaterials auf Spanisch gebrüllt wurde. Eine Ausnahme war natürlich das SEPULTURA-Cover „Territory“, das einem das Fell über die Ohren zog, übrigens im Refrain unter Beteiligung von VIOLENT-INSTINCT-Drummer Stephan, der in der erste Reihe lauthals mitgrölte und das Mikro hingehalten bekam. Ein weiteres Cover war die sehr eigenwillige Neuinterpretation des Evergreens „Guantanamera“, begleitet von militärischen Gesten des zweiten Gitarristen. Im Antibullensong „Puta“ wurde bischn gerappt, Höhepunkt des Songs war aber ein Mitsingspiel, um, wie man uns erklärte, Bullenspitzel im Publikum von den anderen Gästen unterscheiden zu können: So galt es, immer das Gegenteil davon zu singen, was von der Bühne vorgegeben wurde, womit Bullen bereits überfordert seien. „Say: Ja ja ja!“ – „Nein nein nein!“ schallte es durch den Menschenzoo, bis die Vorgaben derart verkompliziert wurden, dass auch ich überfordert war… Der Bandkommunikator erwähnte seine Deutschland-Connection bestehend aus Impact Records, den DÖDELHAIEn, DRITTE WAHL usw. lobend und stellte in Aussicht, Deutsch zu lernen, um auf dem nächsten Album neben spanischen und englischen Songs und deutschsprachige Stücke unterbringen zu können, die wir dann alle verstehen würden. Daraufhin eine Stimme aus dem Publikum, ironischerweise auf Deutsch: „Wir können auch Englisch!“ Bei verdammt knackigem P.A.-Sound und bester Stimmung wurde weiter eine Brachialkeule nach der anderen durchgeholzt und am Ende ‘ne Zugabe gefordert, aus der gleich drei wurden. Anschließend posierte man gar noch für ein Foto mit dem Publikum im Hintergrund, wie ich’s eigentlich nur von großen Bühnen her kenne. TENDENCIA boten eine perfekte Kombination aus Brutalität, Spielfreude, Intensität, Exotik sowie authentisch und voller Inbrunst gespielten, geilen Songs und hinterließen so ein begeistertes, aber auch ausgepowertes Publikum, das sich alsbald über den Merch-Stand hermachte.
Tendencia
Mit ihrem schwerst unterhaltsamen, mitreißenden, absolut Headliner-würdigen Auftritt haben TENDENCIA den Amsterdamern VITAMIN X schon ein bisschen die Show gestohlen. Viele waren anscheinend auch gut durchgedengelt, sodass sich der Menschenzoo deutlich lichtete. Zum rabiaten, vollkommen unprätentiösen Oldschool-Hardcore, meist pfeilschnell gezockt und kurzgehalten, wurden Konfettikanonen gezündet und vor der Bühne ging’s auch rund. Nur zog sich eben kein ganzer Pulk mehr von vorne bis zum Mischpult. VITAMIN X sind ja nun schon lange wahrlich kein Geheimtipp mehr, aber immer fest im Underground verwurzelt geblieben. Dennoch habe ich sie an diesem erstmals live gesehen, würde das aber gern viel öfter tun, denn das war nicht nur ein schöner musikalischer Kontrast zu TENDENCIA, sondern auch die gute alte Hektiker-Schule, die ich so viel lieber mag als den protzigen, schwerfälligen Brüllaffen-Core manch Mitbewerbers. VITAMIN X waren mit ihrem Set dann auch wesentlich schneller als ihre Vorgänger durch, blickten aber etwas verdutzt drein, als niemand eine Zugabe forderte. Die Luft schien den Leuten endgültig ausgegangen zu sein.
Vitamin X
Zweifelsohne war dieser Abend einer meiner Konzert-Höhepunkte der Saison. Eine bunt gemischte Zusammenstellung im Zeichen des musikalischen Freigeists. Die 10,- EUR für den Eintritt waren bestens investiert und auch für den Abergläubischsten sollte absolut nichts darauf hingedeutet haben, dass es sich um einen Freitag den 13. handelte. Darauf einen Cuba Libre!
Anlässlich ihres mittlerweile vierjährigen Bestehens gab die umtriebige Beyond-Borders-Konzertgruppe sich und allen, die Bock darauf hatten, eine Riesenparty in der Fabrique des Gängeviertels, als Headliner hatte sie sich die Duisburger DÖDELHAIE zu ihrem unfassbarerweise erst zweiten (!) Gig in Hamburg geangelt. Ich weiß nicht mehr, welches mein erstes Beyond-Borders-Konzert war. Wenn bereits OUT OF STEP + FIRM HAND + FAST SHIT damals von ihnen organisiert wurde, war es das, erstmals das Logo auf dem Flyer gesehen habe ich aber bei LADEHEMMUNG + ABSTURTZ + THANHEISER. Seitdem habe ich eine Vielzahl ihrer Veranstaltungen besucht und mit BOLANOW BRAWL auch selbst 2x für sie die Bühne besudelt. Beyond Borders bereichern seither die Hamburger Konzertlandschaft um Punk-, Oi!- und Hardcore-Veranstaltungen und schrecken auch vor Ausflügen in genrefremde Gefilde nicht zurück. Bei alldem haben sie stets gute Arbeit geleistet und so natürlich auch an diesem Abend, der ziemlich pünktlich mit den Erzgebirglern ENDSTATION CHAOS begann. Statt Banner aufzuhängen wurden diesmal übrigens erstmals die Bandlogos an die Wand hinterm Drumkit projiziert – Punk Rock meets Hightech! Die Sachsen spielten deutschsprachigen Punkrock mit radikalem gesellschafts-, sozial- und politkritischem Anspruch, der z.B. in „Volk halt’s Maul“ Ausdruck fand. Anfänglich war das Gitarrengeschrammel eher fürs Hintergrundrauschen zuständig, dafür die Bassläufe sehr dominant und melodiegebend, wie’s bei Oldschool-HC-Punk ja häufig Usus war. Das kam schon mal ganz gut. Im weiteren Verlauf übernahm die Gitarre jedoch immer mehr Lead-Parts, monoton klang’s dadurch nie. Der raue Gesang des Frontmanns und gute, kräftige Chöre machten unmissverständlich klar, dass Flüchtlinge willkommen sind, Bullen, Nationalisten und ähnliche unliebsame Zeitgenossen hingegen weniger und mit einem tatsächlich verdammt geilen Song gegen Nazis bewies man, dass es sich auch in ästhetischer Hinsicht lohnt, dieses Feld weiterhin künstlerisch-musikalisch zu beackern. Einige Gesangsparts übernahm der Bassist, der Drummer integrierte immer mal wieder coole Breaks in sein Spiel und der Gitarrist wurde irgendwann flügge und tingelte durchs Publikum. Gelungener Gig einer Band mit sympathischem Auftreten. Schmunzeln musste ich angesichts des Texts, den die am Merchstand positionierte LED-Leuchtbox verriet: „Endstation Merch-Chaos“. Ich kann’s mir bildlich vorstellen: „Äh, keine Ahnung, was die Platte kosten soll. Und das T-Shirt in L? Müsste ich gucken… Welches wolltest du noch mal? Ja, die Aufnäher müssten hier auch noch irgendwo sein, ich kram‘ mal in den Kisten… Wie viel hattest du mir gegeben? Finde das Wechselgeld gerade nicht…“
Endstation
Chaos
Was genau die LOSER YOUTH nun eigentlich verloren hat, ist nach wie vor unklar, jedenfalls sicher nicht an Lungenvolumen und dem Gespür dafür, wie man die Meute in Bewegung versetzt: Der Riesenstrauß bunter Herzchen-Luftballons, mutmaßlich alle von den Bandmitgliedern nach strengem D.I.Y.-Kodex selbstaufgeblasen, sorgte für viele Schmetter- und Kick-Moves im Publikum, während das Trio seine kurzen HC-Punk-Kracher in deutscher Sprache von der Bühne schleuderte und zwischendurch mit lakonischen Ansagen garnierte. Wie auch bei BRUTALE GRUPPE 5000, LOSER-YOUTH-Thommys anderer Baustelle, gefällt mir der Humor der Band sehr, wobei die Songtexte hier auf einem wesentlich realitätsnäheren Fundament fußen als im Falle der paranoiden BG5000-Laserpunks und keinem derart festgezurrten Konzept folgen. Der Humor generiert sich neben dem Habitus der Band vielmehr aus dem Faible, bestimmte Sachverhalte in textlich unheimlich gekürzte, prägnante Form zu bringen, auf einfache Formeln zu reduzieren, gern angereichert mit Übertreibungen und Gepöbel – also das Gegenteil von verkopftem Wischiwaschi-Punk – und ist unterschwelliger Natur, dabei längst nicht bei jedem Song vorhanden: Eine Vielzahl beschreibt auch einfach Phänomene, Entwicklungen und Missstände, zu denen es tatsächlich keiner weiteren Worte bedarf. Wo andere Bands mit 2,5- bis 3-minütigen Songs die Aufmerksamkeitsspanne ihres reizüberfluteten Publikums auf eine harte Probe stellen würden, ist bei der LOSER YOUTH oft nach dem ersten Refrain schon wieder Schluss, weshalb man innerhalb eines regulären Gigs ca. 77 Songs unterkriegen würde. Da man so viele gar nicht hat, gehen die Gigs halt nicht so lang. In seinen besten Momenten erinnert das Ganze sogar ein bisschen an die DEAD KENNEDYS zu „In God We Trust, Inc.“-Zeiten. Auch unabhängig von den Ballons geriet der Mob in Bewegung; der Typ, der sich stattdessen regungslos vor die Bühne gesetzt hatte, übergab sich dort allerdings – wenngleich er dies sicher nicht als Statement zur Band missverstanden wissen will. Bester Song: „Punk und Polizei 2“, die inoffizielle Fortsetzung eines der beschissensten D-Punk-Schlagers. Ich mag die Idee, an bekannte Songtitel einfach eine 2 anzuhängen, deshalb demnächst von DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS: „Blitzkrieg Bop 2“.
Loser Youth
Bei ABSTURTZ hat wurde die Besetzung auf Quartettgröße erweitert und auch die Instrumentenzuordnungen wurden neu ausgewürfelt: Der Neuzugang bei den Dithmarschern sitzt an den Trommeln (und spielt technisch verdammt lässig und erstaunlich versiert aus dem Handgelenk), Hannes übernahm dafür den Bass, der bisherige Bassist die nun zweite Gitarre. Damit lässt sich noch mehr Krach und Druck erzeugen, bisher stand Sänger und Gitarrist Heiner mit seiner Klampfe ja allein auf weiter Flur – was ihn nicht abhielt, diverse Soli zu gniedeln und sich die Seele aus dem Leib zu bölken. In Sachen Intensität stand dieser ABSTURTZ-Gig den vorausgegangenen also in nichts nach, eher im Gegenteil: Durch die neue Konstellation wird Heiner etwas entlastet, wodurch er sich noch mehr aufs Wesentliche konzentrieren kann. Aus Solidarität bestellte ich mir ein Dithmarscher (statt des von mir im Gängeviertel ansonsten bevorzugten Premiums) und zog mir den großartigen, stürmischen Sound der Band mit seinen durch die Gitarren-Leads dezenten Metal-Anleihen und den Fäusteballtexten rein und sang die hymnischen Refrains mit. Die Meute drehte nun endgültig durch und feierte, was die Kondition hergab. Gegen Ende waren ABSTURTZ überrascht, noch zehn Minuten Spielzeit zu haben (lag’s an den kurzen LOSER-YOUTH-Songs?) und schöpften sofort noch mal aus dem Vollen. Die Ansage „Jetzt mal was Schnelles zum Abgehen!“ ließ mich schmunzeln – als sei das Zeug davor balladesk gewesen. Vor einem neuen Song über Flüchtlinge weihte man das Publikum in technische Details ein: „Chrischan und ich müssen jetzt auf G runterstimmen!“ Der Kid-Punk-Klassiker aus den ABSTURTZ-Anfangstagen „Es ist schön, ein Punk zu sein“ wurde mit lautem „Sha la la la la!“ erwidert und rundete den Gig perfekt ab. Auf dass die Dithmarscher-Hamburger Freundschaft uns noch viele solcher Konzerte – und bald mal ‘ne neue Platte – bescheren möge!
Absturtz
Aus den Oberpfälzern von SPEICHELBROISS habe ich mir hingegen nie viel gemacht. In den 2000ern waren sie eine von unendlich vielen Bands auf dem unsäglichen „Nix Gut“-Label und spielten so’n typisches Deutschpunk-Ding mit metallischer Klampfe, dem’s mir am gewissen Etwas fehlte. Allerdings gehört meines Erachtens in jede Stadt eine Punkband, so auch nach Weiden; und ich habe Respekt davor, wie lange es die Band schon gibt – wenn ich mich nicht täusche, steht bald das 25-jährige Jubiläum ins Haus. Die Erfahrung merkte man ihnen dann auch an, das Live-Zusammenspiel klappte sehr „tight“, wie man so schön sagt. Die etwas höhere Stimmlage des rotzigen Hauptgesangs ist Geschmackssache, die Gangshouts saßen aber auf den Punkt. Das wird vermutlich eine Art Best-Of-Set durch alle vier Alben gewesen sein, mit dem man sich das Hamburger Publikum erspielte und zum Tanzen brachte. Bisweilen fühlte ich mich auch an jüngere Combos erinnert, die sich voll und ganz dem „Deutschpunk-Konzept“ verschrieben haben, was auch immer das genau sein mag. Live jedenfalls waren SPEICHELBROISS an diesem Abend völlig ok, wenn auch nicht so mitreißend wie ABSTURTZ.
Speichelbroiss
Nun aber: Gute zwei Jahre nach ihrem HH-Debüt im Menschenzoo konnten es diverse verkehrstechnische Widrigkeiten im Verbund mit dunklen Mächten nicht verhindern, dass der schlimmste Schrecken seit dem Weißen Hai seine Schwanzflosse im Gängeviertel erblicken ließ, um einen zerstörerischen Sharknado zu entfachen. Das Set dürfte weitestgehend dasselbe wie damals gewesen sein, sprich: Das eingedeutschte russische Traditional „Heute Nacht“ eröffnete ein Spaßbad mit weiteren Kulthits wie „Weiter gehn“, „Radieschen auf Frischkäse“, dem Monty Python’schen „Holzfällerlied“, der Anti-Bullen-Hymne „Gerechtigkeit“, dem ebenfalls auf Deutsch adaptierten ANGELIC-UPSTARTS-Cover „Solidarity“, „Die letzte Schlacht“ von TON STEINE SCHERBEN und „Memmen“, einst bekannt als „Memory“ aus dem „Cats“-Musical, gesungen von Gastchanteuse Eva. Eingebettet wurde das Programm in ein Punk-Kabarett vom Gitarristen und dauergrinsenden Laberkopp Andy Kulosa, der sich die abstrusesten Geschichten um die Songs herum einfallen ließ – und damit auch wieder diesen einen Typen provozierte, der von Konzert zu Konzert durch die ganze Republik zieht, um bei jeder länger als 15-sekündigen Ansage „Halt’s Maul und spiel!“ zu brüllen. Gehört einfach dazu! Der Humor läuft mir ebenso gut rein wie der Sound mit seinen ebenfalls nicht immer ganz unmetallischen zwei Gitarren inkl. vielen eingängigen Leads. Die Stimmung erreichte erwartungsgemäß ihren Höhepunkt, ich war mittlerweile volltrunken und euphorisiert und ward lauthals die Songtexte skandierend vor der Bühne gesehen. Das war alles großes Punk-Entertainment, eben der Haifisch im Karpfenteich. Schade nur, dass wieder so viele Hits ausgespart wurden. So gab es wieder fast nichts vom unterbewerteten „Mitternacht“-Album mit seiner herrlich düsteren Atmosphäre, immer noch kein „Spiegelbild“, von „Feinde“ ganz zu schweigen. Mit diesem Set könnte man die DÖDELHAIE fast für eine Coverband halten. Da die Herren nun aber regelmäßig in Hamburg spielen werden, gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass man auch mal wieder tiefer im eigenen Fundus fischen wird. Zwischendurch betrat der für diesen Abend auserkorene Konzertgruppensprecher die Bühne, um anlässlich des Jubiläums eine wohlformulierte Ansprache zu halten, die neben dem Spaß an den Gigs den Aspekt der gegenseitigen Vernetzung hervorhob – den ich nur bestätigen kann. Neben ABSTURTZ waren die Haie übrigens die mindestens zweite Band, bei der ein Brüderpaar auf der Bühne weilte: Andys Bruder Hardy an den Kesseln war gerade jugendliche 50 Lenze geworden. Glückwunsch noch mal an dieser Stelle und hoffentlich bis bald!
Dödelhaie
DJ-Sets hielten die Gäste im Anschluss noch in der Fabrique und ich glaube, eine Weile (auf die berühmten „Absacker“…) hing ich dort auch noch herum, bis wir uns ein Taxi zum Treibeis nahmen und uns dort den Rest gaben. Dass ich mich am nächsten Vormittag beim Brötchenholen noch immer betrunken fühlte, war so nicht geplant, wurde dem Anlass aber gerecht. Beyond Borders haben dick aufgefahren, es wurde eine absolut würdige Jubiläumsparty mit perfekter Stimmung, fettem P.A.-Sound, leckerem Bier und vielen fitten Gästen. Auch ich gratuliere an dieser Stelle noch mal, sage danke und drohe auch im fünften Jahr des Bestehens meine Partizipation an diversen grenzüberschreitenden Veranstaltungen an. Prost, auf euch!
Der Kollege vom SCHRAIBFELA-Video-Fanzine war übrigens auch wieder zugegen: