Von Freud und Leid eines Bolanow Brawlers
Nachdem das Molotow ins schicke neue Gebäude nahe der Großen Freiheit umgezogen war, etablierte es die „Punk Cocktail“-Reihe mit kleinen Punk-Konzerten, die i.d.R. erst um Mitternacht beginnen und im kleinen „Karatekeller“ stattfinden. Nicht selten finden im großen Saal Parallelveranstaltungen wie Indie-Discos oder andere Konzerte statt und genau so war’s auch für diesen Samstag geplant: Zwei Bands und Disse oben, wir mit den eidgenössischen BAD MOJOS unten. Der gute DJ Starry Eyes, der uns zum Brawl herausgefordert hatte, hatte im Vorfeld einen stringenten Zeitplan verschickt und so fanden wir uns um 19:00 Uhr am neuen Proberaum ein, um unser Equipment inkl. drei Boxen und Gedöns aus dem sechsten Stock in unsere zwei Karren zu hieven und auch ja pünktlich um 20:00 Uhr am Molli zu sein.
Nachdem ich Sonntag nach dem zweitägigen Gaußfest heiser wie ein Marktschreier nach seinem ersten Tag auf dem Fischmarkt erwacht war, hatte sich eine linksseitige Mandelentzündung herauskristallisiert, die ich einmal mehr mit Locabiosol und Fenchelhonig zu bekämpfen versuchte, mich jedoch nicht davon abgehalten hatte, mit meinen beiden Bands bis zum Gig noch drei Proben hinzulegen. Ole hatte dann im Vorfeld schon bekundet, verkatert von Freitagnacht zu sein, Christian kam gleich mal kräftig angetrunken von einer Geburtstagsfeier, die tagsüber (!) stattgefunden hatte und bei mir wurden Erinnerungen an unseren suffbedingten Totalausfall damals im Skorbut wach. Christian machte auch keinerlei Anstalten, mit dem Gesaufe aufzuhören, stattdessen lautete seine Taktik „Pegel halten“. Ich war gestresst. Vor Ort eröffnete man uns dann, dass der Karatekeller heute dicht bleiben und man alle Bands über die große Bühne peitschen würde. Für uns bedeutete das: Statt direkt auf die Bühne unser Zeug die Treppen hoch in den Backstage zu wuchten und zeitbedingt auf den Soundcheck zu verzichten, dafür aber die eindeutig geilere Bühne besudeln zu dürfen. Nun standen unsere Karren auf dem Gehsteig vorm Molotow denkbar ungünstig und Parkplatzsuche mitten auf dem Kiez ist auch immer so’ne Sache, weshalb wir beschlossen, die Dinger kurzerhand nach Hause zu chauffieren und später mit der Bahn zurück auf den Kiez zu gurken. Außerdem hatte ich Depp die Tüte mit unserem spärlichen Merch zu Hause gelassen und Christian die Setlist auszudrucken vergessen, weshalb ich mit zu ihm fuhr, um wenigstens ein paar Platten einzupacken und ihn an seinen Printjob zu erinnern. Letztlich druckte er gleich zehn Exemplare und machte sich später einen Spaß daraus, die halbe Bühne mit ihnen zu pflastern…
Bei Christian musste ich dann sein „Pegelhalten“ mitansehen, was meinen Puls nicht unbedingt senkte, den gerade wieder ausgenüchterten Ole involvierte man in Pfeffi-Verköstigungen (Sortenraten nach Art einer Blinde-Kuh-Variation) und als ich mir langsam wenigstens mein erstes Bierchen gönnen wollte, war keines da. Zu viert machten wir uns auf den Weg zum sich nicht unbedingt um die Ecke befindenden Supermarkt, wo wir für unsere paar warmen Bier gefühlte Stunden an der Kasse darben mussten. Denselben Weg ging’s zurück und endlich konnte ich meine trockene Kehle mit dem kühlen alkoholhaltigen Nass benetzen. Fürs zweite Bier war schon keine Zeit mehr, denn für 22:30 Uhr hatten wir uns am Ort des Geschehens verabredet und ich musste vorher unbedingt noch etwas essen. Gelatsche zur Bahn; angekommen auf dem Kiez seilte ich mich Richtung Pizzabäcker ab und harrte in der Schlange, während die Uhr unerbittlich tickte. Kaum die Mafiatorte vertilgt, galt es, sich über die wie üblich samstags um diese Zeit überfüllte Reeperbahn zu schieben und zu drängeln. Endlich zurück im Molotow war’s dann auch schon 23:00 Uhr und kaum hatte ich mir ‘ne Kippe gedreht, angesteckt und auf dem gemütlichen Backstage-Sofa platzgenommen, verdonnerten mich meine Bandkollegen, mit ihnen den ganzen Ranz wieder herunter auf die Bühne zu schleppen und straften mich, als ich nicht sofort Gewehr bei Fuß stand, in einer Mischung aus Realitätsverlust und Missgunst mit ihren teuflischen „Du alter Drückeberger schleppst doch eh nie was außer deinem Bier!“-Blicken. Also Kippe in den Mundwinkel, dat janze Jelöt wieder die Treppen runter, als ich mich erschrak: Verdammt, gleich würden wir anfangen müssen und ich hatte gerade einmal ein längst wieder ausgeschwitztes lüttes Pils intus! Mit gemütlichem Abhängen im Backstage oder am Merch-Stand (oder dem pittoresken Molotow-Garten) und sich langsam trinkend auf den Gig eingrooven war ja nix. Aus Stress wurde Panik und während die anderen ihre Kabelage zusammenfriemelten und dabei möglichst kompetent aus der Wäsche zu lugen versuchten, versuchte ich mich in Druckbetankung, indem ich mich endlich dem Genuss des Backstage-Biers hingab. Dabei wartete ich als von der Band zum „Bannerbeauftragten“ Ernannten darauf, endlich hinter die Schießbude zu können, um unseren Lappen aufzuhängen. Als es endlich so weit war, raunte mich ein nervöser Bandkollege auch noch an, dass das nun ja wohl überhaupt nicht mehr wichtig sei und wir jetzt anfangen müssten. Ich antwortete zweisilbig und brachte das gute Stück an, zumal es komfortable und sogar halbwegs passende Aufhängungen gab, die verhinderten, ewig lange mit Gaffa-Tape hantieren zu müssen, das einem jegliche Öko-Bilanz versaut und letztlich doch nicht verhindert, dass das Ding mitten im Set heruntersegelt.
Als es dann nach 20 weiteren Minuten tatsächlich losging, fiel mir siedend heiß ein, dass meine Stimme noch total kalt war. Einen Soundcheck zum „Warmsingen“ gab’s ja nicht und sämtliche Gelegenheiten, z.B. meine Bandkollegen anzubrüllen, hatte ich aufgrund meiner guten Erziehung ungenutzt verstreichen lassen. Das war aber egal, wenn bereits während des Eröffnungsakkords bemerkte ich, dass ich angepisst genug war, um gar nicht mehr erst warm werden zu müssen und so sang ich das gesamte Set durch ‘ne Kelle aggressiver als für gewöhnlich. Dafür hielten Kehle und Mandel aber stand – nur die paar höheren Töne wollten diesmal nicht so – und der Bühnensound war auch überraschend ok, nach einer kurzen Monitorkorrektur nach dem ersten Song hatte ich diesbzgl. keine Probleme mehr. Dann und wann waren wir ja berüchtigt für ausufernde alberne Laberparts zwischen den Songs, aufgrund des engen Zeitplans verzichteten wir jedoch diesmal darauf und drückten aufs Gas. Meine Beleidigungen gegen die eine oder andere Kackband brachte ich dennoch unter, verteilte Bolanow ans Publikum (der irgendwann überraschend zurückkam) und stieß mit den Gästen an. Zwangspausen gab’s lediglich, weil Stulle massive Probleme mit seinem Bass hatte. Das Credo „Never Change a Running System“ außer Acht lassend, hatte er eigens für den Gig brandneue Saiten aufgezogen, von denen ihm die E-Seite nun ständig vom Bund rutschte, was ihn zusehends stresste und das eine oder andere Nachstimmen erforderlich machte. Wirklich aus dem Konzept brachte ihn das allerdings nicht, er biss die Zähne zusammen und basste das Set konsequent durch. Für seinen Zustand spielte auch Christian erstaunlich souverän und er war (möglicherweise in Anlehnung an die BAD MOJOS und ihre irren Verkleidungen) in Kragenhemd und Badeshorts geschlüpft, was ihn wie einen Vollhonk erscheinen ließ. Taktgeber und Uhrwerk Raoul an den Drums hingegen war die Lässigkeit in Person und Ole fiedelte seine Leads bravourös herunter. Als ich auf der Bühne stand, war sämtlicher Stress vergessen und das Ding flutschte recht gut. Überhaupt, die Bühne: Endlich mal wieder Platz, sodass man sich nicht gegenseitig auf die Latschen trat und den Christian sowie insbesondere Stulle für ein paar sportlich-elegante Jumps ausnutzten, zudem ein schönes Sammelsurium an Monitorboxen, keine fiesen Rückkopplungen oder sonst irgendein nervenzehrender Scheiß. Ein nicht unbedingt gewohnter Luxus.
Unser Set hatten wir um drei Songs gekürzt, um mit rund 40 Minuten Spielzeit auszukommen. Die Menge vor der Bühne schwankte (nicht alkoholbedingt, sondern ihre Stärke betreffend), hin und wieder wurde sich auf ein Tänzchen eingelassen und zum Schluss, zu „Fame“ und als unser Neuling „Red Lips“ seine zweite und somit erstmals gesangsfehlerfreie Aufführung erlebte, ging’s noch mal ganz gut ab. Das war dann auch der Abschluss unseres Gigs, den Christians Sandy aus sicherer Entfernung fotografisch dokumentierte (besten Dank!). Fazit: Stulle zieht besser die alten Saiten wieder auf, in Sachen Takttreue und Präzision ist allgemein ebenso noch Luft nach oben wie in Bezug auf Kräfteeinteilung und Kondition bei mir, was aber schon mal wesentlich schlimmer war. Der neue Song knallt, das Molotow ist auch aus Bandsicht ‘ne geile Hütte und jeglicher Stress im Vorfeld war reichlich unnötig und vor allem hauptsächlich selbstgemacht.
Nun ging’s aber mal schön innen Garten und Backstage, entspannen und mit den Gästen schnacken, Bandbier saufen, den obligatorischen Verriss von Stulles Bruder abholen. Dass ich auf der Bühne noch auf unsere Platte hingewiesen hatte und sich daher am besten jemand mit dem Ding mal an den Merch-Stand gesetzt hätte, hatte ich total vergessen. Wir sind schon so Verkaufsgenies… Die BAD MOJOS, mit denen ich leider kein einziges Wort gewechselt hatte, schlüpften schließlich in ihre Kostüme und waren, als ich mich vor die Bühne gesellte, schon bei ihrem GG-ALLIN-Cover „Don’t Talk To Me“ und somit fast der Hälfte ihres Sets angelangt – da hatte anscheinend auch jemand Gas gegeben. Live klang das Trash-Garage-Sonstwas-Punk-Trio vornehmlich nach astreinem ’77-Pogo-Punk, wie er zeitlos und nie überholt klingt und auf der mittlerweile rappelvollen Tanzfläche für ekstatischen Ausdruckstanz sorgte. Der Sound war spitze, das Bier schmeckte dazu nochmal so gut und ich schoss ein paar Fotos vom Bühnenrand. Chapeau an die Kantonbewohner!
Natürlich wurde nach Beendigung der Backstage-Party noch die Nacht zum Tag gemacht, bevor mich um 12:00 Uhr der Wecker terrorisierte und schmerzhaft daran erinnerte, dass das Zeug aus dem Molotow wieder in die Autos verstaut, zum Proberaum gefahren und in den sechsten Stock geschleppt werden musste. Das war’s natürlich allemal wert ; großes Dankeschön an dieser Stelle an DJ Starry Eyes, der nach dem BAD-MOJOS-Gig übrigens noch einen Punk-Klassiker nach dem anderen durch die P.A. jagte, und natürlich ans gesamte Molotow-Team! Bolanow und Molotow sind ‘ne gute Kombination. Es war uns ein Vergnügen!















































































25 Jahre Gaußplatz – das hieß nicht nur derbe Party, sondern auch 25 Jahre erkämpfter Freiraum, Selbstbestimmung, Wohn- und Ereigniskultur, Raum für kleine (und größere) Bands, eine Oase inmitten Hamburgs. P.A.-Chef Wurzel hatte den Sound permanent gut im Griff, besonders die Drums ballerten dieses Jahr echt gediegen. Doch nicht nur er, sämtliche Mitverantwortlichen hatten wieder einmal ein feistes Spektakel auf die Beine gestellt und dürfen sich mal kräftig auf die Schultern klopfen lassen. Das begann schon bei der für Hamburgs D.I.Y.-Festivals typischen handverlesenen Bandauswahl, ein Garant für hochklassigen Abwechslungsreichtum ohne Spacken. Tatsächlich konnte ich wieder mit allem, das ich mir angesehen hatte, etwas anfangen, von der einen oder anderen Krachkapelle war ich ohnehin schon Fan. Meines Wissens blieb auch stets alles friedlich, ein Fest also für die ganze Familie inkl. ihrer Hunde. Erstmals gab ich mir beide Tage und hab’s nicht bereut. Einziger, jedoch großer Wermutstropfen: Es fehlten einige, die leider nicht mehr unter uns weilen, was sich trotz Nachwuchses dann und wann reichlich seltsam anfühlte. Ey, ihr habt was verpasst! Aber ich hab‘ einen für euch mitgetrunken. Für alle anderen gilt: Auf das nächste Vierteljahrhundert Gaußplatz! Prost!




















































Am dritten Tag meines Konzert-Marathons war’s mal wieder Zeit für Edelmetall, denn wenn Hannes in einem Anflug von Genialität und Selbstlosigkeit die schwedischen TYRANEX in die Gängeviertel-Fabrik holt, kann ich natürlich nicht verkatert in der Furzmulde abgammeln. Pünktlich um arbeitnehmerfreundliche 19:00 Uhr ging’s natürlich dann doch nicht los, kurz nach halb 8 aber eröffnete die junge lokale Band GUSTAV EISEN das dritte „Triumph of Death Ritual“ (so der Name der Veranstaltungsreihe) mit modernerem, technischem Death Metal vor einem noch recht versprengten Haufen. Applaus gab’s meinerseits für Technik und Kondition, mit der Mucke kann ich Death-Metal-Legastheniker ansonsten nicht viel anfangen. Dafür hab‘ ich mit dem Störtebeker-„Frei-Bier“ ein neues, äußerst schmackhaftes Alkfreies für mich entdecken können.






















































Wieder ein D.I.Y.-HC-Punk-Konzi, diesmal mal wieder inner Lobusch. ASIMATRIX spielen momentan eine Vielzahl an Gigs, so hatte ich sie erst kürzlich in der Flora gesehen. Da ich sie mir noch lange nicht sattgehört habe, hatte ich auch Bock auf diesen Gig, der von der relativ neuen Konzertgruppe „Disgigz“ organisiert wurde. Sängerin Juli war gesundheitlich etwas angeschlagen und sich mit den möglichen Nebenwirkungen ihres Medikaments mittels Beipackzettel vertraut zu machen, ein kurzweiliger Spaß im Vorfeld. Zugutehalten muss man dem Zeug aber, dass es offenbar wirkt, denn als die Band nach kurzem Soundcheck loslegte, klang eigentlich alles wie gewohnt – außer vielleicht das diesmal heftig polternde Schlagzeug, das etwas eigenwillig abgemischt war, dafür aber umso mehr ballerte. Großartig den apokalyptischen HC-Punk/Skacore-Bastard von Bandsound beschreiben werde ich jetzt nicht mehr, war wieder ein rabiates Brett mit herrlich angepissten weiblichen Vocals und Gebrüll von beiden Bühnenflanken. Drummer Spike hängt sich so richtig schön in die Schießbude rein und verprügelt das Ding, als habe er mehr Gliedmaßen zur Verfügung als andere. Natürlich gelang’s der Band, das Publikum aufzutauen und erste Tanzeinlagen waren zu vermelden. ASIMATRIX dürften auch an diesem Abend den einen oder anderen Freund hinzugewonnen haben.






















Hafengeburtstag! Mir eigentlich egal, wer da was feiert, denn unsereins feiert seine Szene und Subkultur abwechselnd auf zwei Bühnen: der Onkel-Otto-Bühne am Störtebeker und der großen, zum offiziellen Programm gehörenden Jolly-Roger-Bühne direkt an der Elbe. Am Freitag hatte es tagsüber aus Kübeln gepisst und mir schwante schon Übles, doch pünktlich zum Abend hatte der Wettergott ein Einsehen und schloss die Schleusen. Nach Arbeit und Sport hab‘ ich mich bei Freunden einquartiert und die frohe Kunde vernommen, dass man am Störte dem Zeitplan hinterherhinkt und KANISTERKOPF noch gar nicht begonnen haben. So konnte ich noch in Ruhe im bzw. aufgrund akuter Überfüllung am Osborne dem Sieg des FC St. Pauli beiwohnen (wo mich eine sich offenbar bereits recht blümerant fühlende Kiez-Touristin fragte, ob ich ein Nazi sei und mich über Toleranz aufklärte, danke dafür…) und kam anschließend bei kaltem, aber eben endlich trockenem Wetter fast pünktlich zu den Kanisterheads, die ich eine Woche zuvor bereits im Menschenzoo gesehen hatte. Aufgrund des Umfang, vor allem aber aufgrund meines exorbitanten Bierkonsums und der vielen während der Gigs geführten Gespräche sowie der permanenten Reizüberflutung fallen meine Schilderungen diesmal kürzer als gewohnt aus – soll sich ja auch keiner ‘nen Tag freinehmen müssen, um das hier zu lesen zu können…



















































































